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11. August 2010

Dieser Blogbeitrag ist etwas länger. Er betrifft die Stadtgestaltung, die mir besonders am Herzen liegt, wie sie als Leser dieses kleinen Blogs längst wissen. Er betrifft unseren Markt. Ich schätze seine Größe, seine Ordnung, seine Ruhe. er ist ein schöner Platz. Dem Oldenburger L., der sich in unserer Stadt seit 2006 als Baurat versucht, erschließt sich bekanntlich vieles nicht. Sein alles relativierender Satz „So baut man heute“ erinnert an die „moderne“ Plastikarchitektur  der 60er Jahre zB bei der ehemaligen Lingener Kaufhalle in der Lookenstraße.

Gerade jetzt, wo ich dies veröffentliche, stellt L. in der heutigen Sitzung des Planungs- und Bauausschusses seine Vorstellungen über den Marktplatz dar und wird einmal mehr das tun, was er am besten kann: Dampfplaudern. Anstatt eine ordentliche Sitzungsvorlage auf den Tisch zu legen (diese hier ist das nicht – sie schwafelt nur), präsentiert er unverbindlich Allgemeines, das der CDU reichen mag – mir nicht.

Ich werde ihm gleich dies entgegnen:

„Der historische Marktplatz der Stadt Lingen (Ems) ist schön und bedarf keiner Modernisierung oder neuer Dekoration. Die Einmaligkeit der Platzgestaltung darf nicht durch Zusatz beliebiger Versatzstücke gestört werden. Jegliche Umgestaltung hat der vorhandenen Besonderheit des historischen Ensembles zu dienen und sollte das Gewachsene wahren und unterstreichen. Fremde Elemente dürfen nicht in den Vordergrund drängen, nicht in Konkurrenz zu dem Vorhandenen dessen Wirkung schmälern.

Weniger ist mehr.

Dieser Ausgangspunkt ist bei der Neuanlage des Marktplatzes im Anschluss an die Verdrängung des Kfz-Verkehrs und Rückgabe an die Fußgänger zu alleinigen Benutzung als  wesentliches Ergebnis des in den 1970er Jahre durchgeführten städtebaulichen Wettbewerbs einstimmig erarbeitet worden.

Seinerzeit hat der Rat, überzeugt durch die sorgfältig erarbeiteten Argumente des  Baudezer-nenten Nikolaus Neumann, notabene kein Stadtplaner sondern ein Hochbauer, erkannt und umgesetzt: Gestaltung in dem historischen Umfeld des ab 1225 entstandenen Lingener Marktes erfordert zu allererst Respekt vor dem Vorhandenen und gebietet es folglich, mit neuen Elementen äußerst zurückhaltend umzugehen.

Weil dies der Rat seinerzeit beachtete, war die ruhige und unaufgeregte Gestaltung des Marktes vor 30 Jahren ein unschätzbarer Gewinn für die Stadtgestaltung in unserer Stadt. Zusätzliche Gestaltungselemente laufen nämlich Gefahr, von der Größe, der Ordnung und der Ruhe des Lingener Marktplatzes abzulenken, die im Kontrast zu den engen Innenstadtstraßen stehen. Sie würden vom Historischen, vom Einmaligen des Marktplatzes ablenken.

Der historischen Platzanlage werden aus den letzten Jahren manche Punkte nicht gerecht: Die entwickelte Brandi-Beleuchtung des 400-jährigen Rathauses und des Kivelinghauses, die Platzierung wie Farbgestaltung von immer mehr Werbeanlagen, die vorgesetzten Klimaanlagen, die Werbeschirme der Gastronomen, der missglückte QiN-Bereich zwischen Marktapotheke und ehem. Kreissparkasse mit dem Abholzen der die Fassaden der 19760er/70er Jahre verdeckenden Platanen und dem Aufstellen kleinstädtischer Werbeflaggen sowie die nachgerüsteten Wasserdüsen am Fabeltierbrunnen. Auch das Figurenspiel im historischen Rathaus ist kein Gestaltungselement, dass der städtebaulichen Geschichte des Marktes, geschweige denn der des Rathauses gerecht wird. Die Gardinenfront im Sparkassenkomplex schwächen ebenfalls die Struktur des Marktplatzes.

Die Farbänderung der Fassade des Hauses Am Markt 17 hin zu senfgelb ist grenzwertig. Gelungen hingegen ist die treppenartige Öffnung der Terrassen zum Kern des Markplatzes, zu loben ist die Restaurierung  des Hauses Nr. 20 und der Verzicht der Alten Posthalterei auf Werbeschirme, die Außengastronomie sowie die Giebel(-Brandi-)Beleuchtung der Marktplatznordseite..

Jegliche dekorative Versatzstücke, wie die offenbar wirklich geplante LED-Beleuchtung der Rathausuhr oder eine teilweise, die Fassaden der Nordseite optisch beeinträchtigende Neupflasterung mit hellem, granitartigem Stein nebst Betonkübel sind fehl an diesem besonderen Platz, weil dafür kein nachgewiesener historischer Bezug besteht.

Dringend notwendig ist es, die nach 30 Jahren Nutzung vorhandenen Unebenheiten des Platzes zu sanieren, die Möblierung zu erneuern, alle Bäume zu beschneiden, die Werbung auf der Grundlage der bestehenden und vom Rat einstimmig beschlossenen Werbe- und Gestaltungssatzungen konsequent zurückzudrängen; ich befürworte –in Anlehnung an den Prinzipalmarkt in Münster-  den völligen Verzicht auf Neon-, LED- und Leuchtröhrenreklame.. Auch die Marktplatznutzung für Werbeveranstaltungen sollte neu konzipiert werden.

So begrüßenswert es ist, wenn sich die Bauverwaltung mit der Gestaltung des Marktplatzes, also der Stadtmitte, beschäftigt und dazu Ideen beizusteuern sucht, so kann doch nicht eine Aneinanderreihung von verschiedenen Vorschlägen den Maßstab für die Gesamtgestaltung abgeben. Gerade die Gestaltung unseres Marktes mit seiner herausgehobenen historischen Bedeutung bedarf dabei nicht unverbindlichen Geplauderes sondern klarer Beschlüsse auf der Grundlage fundierter und unabhängiger architektonischer, kulturhistorischer und denkmal-pflegerischer Beurteilung.

Es gibt viele Beispiele aus der Baugeschichte, wo mit Eifer verändert und vermeintlich modernisiert worden ist, – oft ein kostspieliges Unterfangen, das später ebenso aufwendig wieder zurückgebaut werden musste. Auch deshalb noch einmal: Weniger ist mehr.“

Was die CDU sagen wird, ahne ich. Sie wird sich an meiner  kritischen Bewertung des „Figurenspiels“ hochziehen, weil es doch „so schön“ sei. Das wird der Pflichtaufreger. Aber mich interessiert vor allem Ihre Kritik, Ihre Meinung zu meinen Aussagen.

Nachtrag: Und dann kam es zunächst ganz anders. Nur am Schluss einer sachlichen Diskussion waren die Unionisten wieder ganz die alten. Es gab -entgegen einem Antrag von Hajo Wiedorn (SPD)-  keinen Arbeitsauftrag an die Verwaltung, die notwendigen Maßnahmen zusammenzustellen, deren Kosten zu ermitteln und Prioritäten vorzuschlagen. Es gebe ja kein Geld im Haushalt, meinte dazu Bernd Teschke (CDU Brögbern). Das überzeugt ja so total, dass man dann das Arbeiten im Rathaus jetzt offenbar einstellen darf. Wär da nicht Kurzarbeit für die Baubeamten die richtige Konsequenz?

(Foto: © dendroaspis2008, flickr.com)

Gestorben

11. August 2010

Im Wietmarscher Gewerbegebiet an der A 31 in Lohne darf kein Krematorium errichtet werden. Der zuständige Landkreis Grafschaft Bentheim hat die Genehmigung dafür verweigert. Der Kreis berief sich bei seiner Ablehnung sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 23.04. 2010 dieses Jahres (2 A 21/09). Die Richter hatten entschieden, dass ein Krematorium in einem Gewerbegebiet auch ohne Andachtsraum nicht zulässig ist. Es ist eine richtige und gute Entscheidung.

Das sittliche, religiöse und weltanschauliche Empfinden der Allgemeinheit verbiete es, so das Verwaltungsgericht, die Einäscherung Verstorbener als reinen technischen Vorgang, losgelöst von der mit dem Sterbefall verbundenen Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu betrachten. Deshalb sei ist auch ein Krematorium ohne Andachtsraum in einem Gewerbegebiet nicht zulässig. „Der Betrieb eines Krematoriums in einem durch stete Geschäftigkeit und Unruhe geprägten Gewerbegebiet ist mit dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit, insbesondere mit der in Deutschland vorherrschenden Anschauung in Bezug auf den Umgang mit Verstorbenen nicht vereinbar. Nach § 1 des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen sind Leichen und Aschen Verstorbener so zu behandeln, dass die gebotene Ehrfurcht vor dem Tod gewahrt und das sittliche, religiöse und weltanschauliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt wird. Auch den Verstorbenen verbleibt hinsichtlich der Art und Weise ihrer Bestattung sowie deren Vorbereitung aufgrund der nachgehenden Wirkung des Anspruches auf Achtung der Menschenwürde noch ein über den Tod hinauswirkender Schutz.“ Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezieht sich auf ähnliche Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts. Anderer Auffassung war allerdings vor einem Jahr das Verwaltungsgericht Münster, das die Achtung der Menschenwürde durch eine gewerbliche Totenverbrennung in einem Gewerbegebiet nicht tangiert sah- ein bemerkenswerter Ausdruck eigener richterlicher Vorstellungen von dem, was im Todesfall menschlich geboten ist (und gleichermaßen eine Abkehr von dem, was das Bundesverwaltungsgericht vorgegeben hatte).

Auslöser des Osnabrücker Verwaltungsrechtsstreits war der Plan der „Krematorium Münsterland GmbH“, nahe Osnabrück ein Krematorium zu errichten. Dazu hatte das Unternehmen auch einen Standort in Georgsmarienhütte ausgesucht. Interesse bestand an einem Privatgrundstück an der Bielefelder Straße in Georgsmarienhütte, verkehrsgünstig gelegen an der A 33. Neben einem Raum für rund 2000 Feuerbestattungen im Jahr sollte auch eine Trauerhalle entstehen. Die Stadt Georgsmarienhütte und der Landkreis Osnabrück lehnten diesen Plan ab. Konkret ging es in dem Gerichtsverfahren dann um einen Bauvorbescheid, den die Krematorium Münsterland GmbH beim Landkreis Osnabrück als Genehmigungsbehörde vergeblich beantragt hatte. Zu klären war, ob der Betrieb eines Krematoriums in einem Gewerbegebiet grundsätzlich zulässig ist. Die für Bausachen zuständige 2. Kammer des Verwaltungsgericht wies die Klage des Unternehmens ab.

Bürgermeister Alfons Eling sagte inzwischen, die Gemeinde Wietmarschen respektiere die Entscheidung des Landkreises Grafschaft Bentheim, die dieser Entscheidung folgt. Was, frage ich mich, sollte sie auch sonst tun? Ich finde es auch beruhigend, dass in einer Zeit, in der alles und jedes liberalisiert und entbürokratisiert wird, die Nordhorner Behörde einem Investor und einem Bürgermeister Einhalt gebietet, weil ihr Plan Grundüberzeugungen und -einstellungen zum Leben und zum Tod verletzte (mehr…)

Das Unternehmen, das in Georgsmarienhütte bauen wollte,  plant inzwischen nach der nicht unerwarteten Prozessniederlage – laut NOZ– übrigens in Rheine. Außerdem gibt es weiterhin Pläne für ein Krematorium in Lingen; sie oder ihre Verwirklichung ruhen offenbar im Moment, in erster Linie wegen der Planungen in Lohne, aber wohl auch wegen der OB-Wahl, nachdem bei einer Bürgerversammlung in Darme  fast alle anwesenden Einwohner -angeführt vom Darmer CDU-Ortsbürgermeister Werner Hartke- die Pläne, südlich des Waldfriedhofs ein Krematorium zu errichten, strikt abgelehnt und den anwesenden Dezernenten Dr. Büring beschimpft hatten – mit geradezu abenteuerlichen Erklärungen. Der untersuchte Lingener Standort „Schüttelsand“ in Holthausen-Biene an der Auffahrt zur B70 scheidet aus: Gewerbegebiet! Mit Blick auf die hohe Zahl von Feuerbestattungen steht das Thema aber weiterhin oben auf der Tagesordnung, und der Darmer Waldfriedhof  ist unverändert erste und beste Wahl für ein Krematorium, es sei denn, man hält das für richtig oder macht sich sonst gemein mit dem, was seinerzeit in Darme gepöbelt gesagt wurde. Das nämlich darf und wird nicht das letzte Wort der Menschen in Darme gewesen sein.

(Foto: maxirafer, creative commons)