Fest im Blick
13. Dezember 2020
Der heutige Fahrplanwechsel der DB zeigt, was ein One-Summer-Wonder bleiben dürfte: Die direkte ICE-Verbindung von Bayern nach Ostfriesland und zurück. Die ohnehin nur an rund einem Dutzend Wochenenden im vergangenen Sommer angebotenen ICE der Deutschen Bahn München – Norddeich und Würzburg-Emden wird es wohl nicht wieder geben. Offiziell heißt es zwar, die Deutsche Bahn halte sich die Entscheidung offen. In Wahrheit nennt die Bahn aber nur Gründe, die das Ende der Verbindungen ankündigen.
Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte eine Sprecherin der Deutschen Bahn etwas, das wir längst wussten: „Die Verbindung war sehr kurzfristig an einzelnen Wochentagen – ab München an Freitagen, Samstagen und Sonntagen, ab Norddeich an Samstagen, Sonntagen und Montagen – für die Zeit von Anfang Juli bis Ende September realisiert worden, um den während der Corona-Pandemie zunehmenden innerdeutschen Tourismus zu unterstützen“.
Das letzte ICE-Zugpaar München-Norddeich verkehrte am Wochenende 19./20. September. Für das Emsland brachte die Verbindung zwar etwas Prestige, war aber nicht wirklich attraktiv. Denn in Lingen (Ems) hielt der ICE nur in nördlicher Richtung und rauschte auf seinem Weg nach Bayern ohne Stopp durch den Lingener Bahnhof. Nach Norden nutzten ab Lingen natürlich nur wenige Fahrgäste den zuschlagpflichtigen ICE, weil selbst die Westfalenbahn in diese Richtung ähnlich schnell unterwegs war.
Insgesamt sei, ergänzte die DB-Sprecherin, diese zusätzliche Reiseverbindung von den Fahrgästen „im Vergleich zum Gesamtnetz auch eher unterdurchschnittlich“ genutzt worden. „Vor allem die neu angebotenen Direktverbindungen, beispielsweise München-Norddeich oder auch Würzburg-Emden, wurden nur in geringem Umfang nachgefragt. Die deutliche Mehrheit der Kunden von und nach Norddeich kam aus Nordrhein-Westfalen.“
Vor dem Hintergrund des derzeit nicht abschätzbaren Pandemiegeschehens und der damit verbundenen Entwicklung des Reise- und Urlaubsverhaltens sei eine mögliche Weiterführung der neuen Verbindung zur Urlaubssaison im kommenden Jahr noch offen. „Zum Buchungsstart des neuen Jahresfahrplanes 2021 seit Mitte Oktober ist die Direktverbindung aus Bayern deshalb nicht buchbar. Nach wie vor behält die DB Fernverkehr aber auch für die nächste Sommersaison den Ausbau der bestehenden, zahlreichen Verbindungen in die touristischen Regionen an Nord- und Ostsee beziehungsweise in die Berge fest im Blick“, so die Sprecherin in feinstem PR-Deutsch.
Trotz Corona-bedingt schwächerer Reisendenzahlen halte die Deutsche Bahn ihr Fernverkehrsangebot für die Region „aber weitestgehend aufrecht“ und weite es teilweise sogar aus, ergänzte die Sprecherin. So erfolgten auf der Intercity-Linie Köln–Münster–Emden/Norddeich Mole mehrere bislang nur in der Sommersaison angebotene IC-Fahrten am Wochenende neu ganzjährig, also auch in den Wintermonaten. Dies betreffe zum Beispiel die Fahrten samstags nach Emden (Ankunft Außenhafen um 12:16 Uhr sowie Ankunft Emden Hbf 21:25 Uhr) und zum Fähranleger Norddeich Mole (Ankunft 10:16 und 14:59 Uhr).
Auch retour führen, so die Sprecherin, mehr Züge, zum Beispiel ab Emden samstags 13:26 Uhr (Außenhafen) und sonntags 8:33 Uhr (Emden Hbf) nach Köln oder ab Norddeich Mole samstags um 17:58 Uhr nach Köln. Insgesamt sei die Region an Ems und Vechte durch die zweistündliche Linie Norddeich Mole/Emden-Münster-Düsseldorf-Köln/Koblenz gut angebunden .
Daneben verwies die Bahn-Sprecherin auf die ebenfalls zweistündliche Verbindung Norddeich Mole/Emden-Oldenburg-Bremen-Hannover-Leipzig. Die aber fährt für Emsländer*innen in Richtung Osten nur ab Leer und hat alles andere als einen optimalen Anschluss aus dem Emsland; wer einmal 40 Minuten im zugigen Bahnhof Leer (oder gar 60 Minuten in der Gegenrichtung) warten musste, weiß das. Der Frühzug nach Bremen verlässt Leer außerdem um 4.41 Uhr und damit glatt 2 Stunden bevor der erste Zug (der täglich spät startenden Westfalenbahn) aus dem Emsland in Leer eintrifft. Emsländer erreichen Bremen daher auf dieser Strecke erst frühestens um 8.15 Uhr (und das in drei Stunden auf dem Weg über Rheine und Osnabrück).
Grund ist natürlich auch die unzureichende, weil einspurige Streckenführung nördlich Dörpen und die sich daraus häufig ergebenden Fahrzeitverzögerungen. Auch allen den Zug zum Flug nutzenden Emsländer*innen bleibt weiterhin das große Ärgernis, auf dem Weg zum Flughafen Düsseldorf in 26 Minuten vier mal wie ein Regionalexpress zu stoppen und dann sechs Minuten später stets in Duisburg umsteigen zu müssen.
Noch ein Hinweis aus Lingener Sicht: Weder die Direktverbindung Lingen-Osnabrück noch die Aufnahme des Bahnhofs Lingen in das im Werden befindliche Münsteraner S-Bahn-Netz findet statt, obwohl damit eine deutliche Verbesserung (Behördendeutsch „Attraktivierung“) der Zugverbindung nach (und von!) Münster und Osnabrück verbunden wäre.
Leider sind die im Emsland Verantwortlichen der CDU-Mehrheits nur zu 95% auf Auto geeicht und haben an einem besseren Zugverkehr kein Interesse.
Hinweis:
Über die kleinen, nicht nur unproblematischen Änderungen, die der heutige Fahrplanwechsel sonst noch mit sich gebracht hat, vermittelt die Website des Fahrgastverbandes proBahn einen freundliche Übersicht…
—-
Quellen: NOZ, pro Bahn, bahn.de
Deutscher Name, deutscher Pass, diskriminiert
16. August 2020
Leer ist eine wirklich schmucke Stadt in Weser-Ems. Meiner Meinung nach einer der schönsten in Deutschlands Nordwesten. Aber hinter den Mauern gibt es (auch) dort Diskriminierung und Probleme.
„Leer ist eine Kleinstadt. Hier kennt man sich – und wer einmal einen schlechten Ruf hat, wird den nur schwer wieder los. Der Judolehrer von Charmaine Wagners Tochter lebte jahrelang im 25 Kilometer entfernten Aurich. Er berichtet, dass er dort weniger Probleme bei der Job- und Wohnungssuche gehabt habe, weil sein Nachname bei Auricher Vermietern und Arbeitgebern nicht dieselben Assoziationen ausgelöst habe. Ein Sinto aus Nienburg erzählt, dass es dort mit den Nachnamen Claasen und Schmidt schwer sei. Aus Celle ist zu hören, es sei der Name Dettmer.“
Foto: Leer, Altstadt pixabay
Papiertiger
13. August 2020
Die Ende 2016 in Niedersachsen eingeführte Mieterschutzverordnung, die sog. Mietpreisbremse gegen überteuerte Wohnungen, ist laut einem Urteil des Landgerichts Hannover von Mittwoch unwirksam. Diese zivilrechtlich Entscheidung ist zwar nicht bindend, wirkt aber weit über den entschiedenen Fall hinaus
Die Mietpreisbremse soll bekanntlich vor überteuerten Wohnungen schützen. Nach der Verordnung darf der Preis für Neuvermietungen „nur noch zehn Prozent“ über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Andernfalls können Mieter/innen die gezahlte Miete zurückfordern. Die Regelung galt bisher in Braunschweig, Buchholz in der Nordheide, Buxtehude, Göttingen, Hannover, Langenhagen, Leer, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Vechta, Wolfsburg sowie auf allen ostfriesischen Inseln.
Die bisherige niedersächsische Mietpreisbremse ist wegen handwerklicher Fehler in der Verordnung unwirksam. Grund dafür ist, dass mit der Veröffentlichung der Mieterschutzverordnung Ende 2016 nicht auch eine Begründung geliefert wurde, entschied das Landgericht Hannover am Mittwoch (LG Hannover, Urt. v. 12.08.2020, Az.: 7 S 7/20) und bestätigte ein vorhergehendes Urteil des Amtsgericht Hannover, das Ende 2019 einer Mieterin einen Rückzahlungsanspruch auf zu viel gezahlte Miete verweigert hatte. Die Berufung der Mieterin blieb ohne Erfolg.
Das Land Niedersachsen hatte auf Grundlage einer Ermächtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine Verordnung erlassen, die eine Mitpreisbremse beinhaltet. In der Verordnung wird unter anderem Hannover als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen, die Begründung dafür fehlte allerdings.
Das Gericht bemängelte insbesondere diese fehlende Begründung. Zwar sei im März 2018 nachträglich auf der Homepage des Ministeriums eine Begründung veröffentlich worden, dies reiche aber nicht aus, so ein Gerichtssprecher gegenüber LTO. Das Gericht stützte sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur hessischen Mietpreisbremse. Demnach muss eine Begründung der Verordnung bereits bei Erlass vorliegen und nachprüfbare Tatsachen liefern, warum gerade die jeweilige Kommune in die Verordnung aufgenommen wurde. Zivilgerichte, die eine solche Verordnung anwenden, hätten nämlich die Pflicht, diese auch auf ihre „Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht“ zu prüfen und sie im Falle ihrer Unwirksamkeit nicht anzuwenden; die Verordnung enthalte nicht, wie in der sog. „Ermächtigungsgrundlage“ in § 556d Abs. 2 BGB vorgeschrieben, eine Begründung. Wegen desselben Formfehlers der Ministerialbürokratie hatten auch schon Gerichte in Hamburg, München oder in Stuttgart die dortigen Mietpreisbremsen für ungültig erklärt. Im schwarz-grün regierten Hessen ist übrigens am 28. Juni 2019 eine neue, formal korrekte Mieterschutzverordnung in Kraft getreten.
Auch bei der bisherigen niedersächsischen Verordnung fehlt -so das LG in seinem gestrigen Urteil- die notwendige Begründung; aus der daher unwirksamen Regelung können die klagende Mieterin daher auch keine Ansprüche geltend machen.
Zwar ist diese Entscheidung in dem Hannoveraner Fall nicht für andere Gerichte in Niedersachsen bindend. Wwegen der in ihr zugrunde liegenden Entscheidung des BGH gehen Juristen aber davon aus, dass auch bei anderen Klagen niemand Ansprüche aufgrund der Verordnung geltend machen kann. Kurzum: Die bisherige Mieterschutzverordnung ist bloß ein Papiertiger. Oder, um einen großen Europäer zu zitieren, sie ist „viel Lärm um Nichts„. Sie ist Murks.
Wie geht es jetzt weiter? Das (jetzt zuständige) Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz in Hannover „arbeitet bereits“ an einer neuen Verordnung, zu deren Entwurf derzeit die betroffenen Kommunen und Verbände angehört werden. „Voraussichtlich im Spätherbst“ soll sie verabschiedet werden, schreiben die Medien.
Aus dem Schutz der neuen Fassung der Verordnung sollen dann die Städte Buchholz, Buxtehude, Leer, Vechta und Wolfsburg herausfallen. Wegen zahlreicher Neubauten in den letzten Jahren seien dort „die Mieten nicht mehr stärker als im Landesdurchschnitt gestiegen“. Neu hinzu kommen sollen die Kommunen Gifhorn und Laatzen.
In unserer Region an Ems und Vechte werden übrigens keine Kommunen, auch nicht die Mittelstädte Lingen, Nordhorn, Meppen oder Papenburg, in die Mieterschutzverordnung aufgenommen. Daran ändert sich nichts. Der Grund dafür ist weder klar noch überprüfbar; denn die bisherige Auswahl der Kommunen erfolgte aufgrund „einer Analyse der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)“, die für mich trotz eines Links hier im Internet nicht auffindbar ist. Ob eine solche private „Analyse“ für eine gesetzesmäßige Begründung ausreicht, darf übrigens bezweifelt werden…
Quellen. PM LG, LTO; DPA; Haufe
Malle kann warten
6. Mai 2020


Mein Fazit ist jedenfalls klar: Malle kann gern warten, die Ems nicht.
Friesland & Co.
23. April 2020
Regionalkrimis stillen ein ähnliches Verlangen des Publikums nach der Idylle wie die Heimatfilme in den 1950er-Jahren, schreibt die taz, und was soll ich drum reden? Die taz hat recht.
Klischees stören da nicht, sondern sind im Gegenteil unbedingt nötig. Realismus sollte dagegen möglichst vermieden werden. Die Morde sind gepflegt und mit der Aufklärung im letzten Akt ist die Welt wieder in Ordnung. Aber sie haben das gemütlich Altbekannte ja auch kaum angekratzt.
Im Netz sind mit „Friesland“, „Nord bei Nordwest“ und „Deichbullen“ drei sehr unterschiedliche Regionalkrimiserien von der Küste als Streaming-Angebote zu sehen.
- „Friesland“: die erste Staffel auf Netflix, die zweite in der ZDF-Mediathek
- „Nord bei Nordwest“: die letzten sechs von elf Folgen in der ARD-Mediathek
- „Deichbullen“ läuft deftig als sechsteilige Miniserie bei Netflix.
„Friesland“ spielt übrigens nebenan im ostfriesischen Leer. Die Serie wird in der dortigen Altstadt, auf Norderney und am Hafen von Ditzum gedreht. Die Fälle löst ein uniformiertes Polizistenpaar: Sophie Dahl spielt die Streifenbeamtin Süher Özlügül, Florian Lukas den Polizisten Jens Jensen. In der zweiten Staffel wurde er durch Maxim Mehmet als Henk Cassens ersetzt. Süher Özlügül ist die Tochter des türkischstämmigen Hafenmeisters von Leer, der schon mal ein paar kleine Knirpse in einen Verschlag sperrt, weil sie ins Hafenbecken gepinkelt haben…
Wir sollen ja -Corona sei bei uns- trotz guten Wetters Hände waschend und mit Mundschutz zuhause bleiben, und das machen wir auch. Also, liebe Leute, auf’s Sofa und klickt mal in die Beiträge. (Mehr…)
Küstengefühl
3. Januar 2020
Eine frische Brise Nordsee liegt in der Luft. In Groningen stellt sich schnell das besondere Küstengefühl ein, das viele haben, wenn sie die Region besuchen und wonach viele sich sehnen, wenn sie schon mal dort gewesen sind. Wege, um nach Groningen zu gelangen, gibt es viele; zum Beispiel die Reise mit dem Fernbus von Oldenburg über Ostfrieslan.
Das norddeutsche Verhältnis zu den Niederlanden ist vielleicht auch wegen der räumlichen Nähe oft verklärt, weswegen jede Fahrt dorthin, und sei sie noch so unspektakulär, mit Cannabis assoziiert wird. Da werden eigentlich ganz normale Fernbusse plötzlich zu Drogenbussen uminterpretiert. Damit holen die Student:innen der einen deutschen Universitätsstadt angeblich ihren Stoff von der Universitätsstadt jenseits der Grenze. „Aus Holland“ ist für Marihuana ein Gütesiegel, weiß jede:r Kiffer:in.
Und doch zieht es nicht viele Oldenburger:innen an diesem Wochenende vor den Feiertagen in den Fernreisebus. Es ist nur eine kleine Gruppe junger Frauen, die einsteigt und wohl eher auf einer Einkaufstour als auf der Suche nach dem besten Gras ist. Spannender ist die Option des straffreien Kiffens wohl für die vielen deutschen Studierenden, die sich länger dort aufhalten wollen: Die Niederlande sind auf dem zweiten Platz hinter Österreich, wenn es um die Beliebtheit von Auslandssemestern für Studierende aus deutschen Universitäten geht.
Im Bus, der aus Berlin kommt und über Oldenburg, Westerstede und Leer in Ostfriesland nach Groningen fährt, sitzt im vorderen Teil eine Gruppe niederländischer Männer, die wohl…“
Der beste Kaffee
7. Dezember 2019
Teetied – das Teeritual der Ostfriesen. In dieser Region fließt zehnmal so viel Tee die Kehle herunter wie in der übrigen Republik. Und während der Teekonsum der Briten und Inder weltberühmt ist, hat Ostfriesland den größten Teeverbrauch pro Kopf. Weltweit. Wie passt eine Kaffeerösterei in dieses Umfeld?
Dieser Frage geht Andreas Baum nach. Im Jahr 2013 gründete er in Leer seine Rösterei und bietet seitdem Spezialitäten-Kaffees an. Er führt rund 20 Sorten verschiedener Kaffees aus aller Welt und versieht jede mit einem eigenen Röstprofil. Jede erdenkliche Zubereitung vom handgefilterten, puren Kaffee über verschiedene Milchkaffees bis hin zu Exoten wie dem Leche y leche findet Anklang bei seinen Gästen. In diesem Interview sprechen wir über sein Café im Land der ostfriesischen Teekultur, die geschmackliche Vielfalt der Welt des Kaffees und die Bedeutung für unser aller Ernährung:
Weiterlesen bei Felix Olschewskis Urgeschmack: Der beste Kaffee im Land der Teetrinker – hier
ps Als jemand, der in einer Konditorei aufgewachsen ist, gibt es von mir noch einen Extratipp: Die Kaffeerösterei Baum hat in Leer zwei Standorte: In der Mühlenstraße 41 und, direkt am Waageplatz, in der Neuen Straße 41, wo es den -versprochen!- weltweit besten Käsekuchen gibt. Unbedingt probieren!
Der Hauptmann
17. Januar 2018
Es ist eine schreckliche Mordgeschichte aus der NS-Zeit am Ende des Zweiten Weltkrieges, die jetzt als Spielfilm in die Kinos kommt:
1943 als Schornsteinfegerlehrling zum Wehrdienst eingezogen wurde Willi Herold Anfang April 1945 von seiner Einheit getrennt und fand nahe Bardel (Obergrafschaft Bentheim) eine Offizierskiste mit der Uniform eines Hauptmanns der Luftwaffe. Fortan gab er sich mit dieser Uniform als Offizier aus und sammelte ein Dutzend ebenfalls versprengter Soldaten um sich und gelangte am 11. April 1945 zum Lager II der Emslandlager, dem Strafgefangenenlager Aschendorfermoor. Mit den Worten „Der Führer persönlich hat mir unbeschränkte Vollmachten erteilt“ übernahm der gerade einmal 18jährige dort das Kommando und errichtete ein Schreckensregiment. Häftlinge, die kurz vorher einen Fluchtversuch unternommen hatten, wurden sofort erschossen. Innerhalb der nächsten acht Tage ließ Herold über 100 Lagerinsassen ermorden, einige ermordete er eigenhändig.
Nach einem schweren Luftangriff gelang den meisten überlebenden Häftlingen die Flucht. Auch die Einheit von Herold setzte sich vor der vorrückenden Front ab und beging letzte Kriegsverbrechen. Der Bauer Spark aus Börgermoor, der die weiße Fahne gehisst hatte, wurde von Herolds Leuten gehängt, und vor der Stadt Leer wurden fünf Niederländer Johannes Gerhardus Kok, Kornelis Pieter Fielstra, Johannes Adrianus Magermans, Carolus Henricus Hubertus Magermans und Johannes Verbiest wegen angeblicher Spionage nach zehnminütigem Scheinprozess ermordet; diese Männer waren aus dem bereits befreiten Groningen gekommen, um niederländische Zwangsarbeiter zu befreien (oben: die 2013 enthüllte Tafel zum Gedenken an die fünf Ermordeten am Rathaus Leer).
Herolds Täuschung flog noch vor Kriegsende auf, ein deutsches Militärgericht ließ Herold jedoch laufen. Nach Kriegsende tauchte Herold zunächst unter und ging aber durch einen Zufall – er stahl Brot in Wilhelmshaven- der britischen Militärregierung ins Netz. Im August 1946 begann vor dem Britischen Militärgericht in Oldenburg der Prozess gegen Herold und 13 weitere Angeklagte. Sie wurden für die Ermordung von 125 Menschen verantwortlich gemacht. Herold, der als „Henker vom Emsland“ berüchtigt wurde, und sechs weitere Mitangeklagte wurden zum Tode verurteilt, fünf andere freigesprochen. Am 14. November 1946 wurden sechs der Urteile im Gefängnis von Wolfenbüttel von Scharfrichter Friedrich Hehr mit dem Fallbeil vollstreckt; das siebte Todesurteil war aufgehoben worden.
„Der Hauptmann“ – ab 15. März in den Kinos.
Jazz im Speicher
17. Oktober 2017
Wilfried Berghaus, 64, leitet bei der Stadt Leer die Abteilung für Kinder- und Jugendförderung und ist außerdem seit 25 Jahren Macher der Konzertreihe „Jazz live im Speicher“.
Diese Jazz-Reihe organisiert der Hobby-Triathlet in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule so erfolgreich, dass das Projekt 2013 von der Bundesregierung mit dem Deutschen Spielstättenpreis ausgezeichnet wurde.
Am 16. November 1992 eröffnete der Saxofonist John Tchicai die Konzertreihe. Und nach 25 Jahren „Jazz live im Speicher“ mit über 200 Auftritten haben die Konzerte Kultstatus. Die Zuschauer und Zuschauerinnen reisen aus ganz Norddeutschland, den benachbarten Niederlanden und sogar aus dem Ruhrgebiet an. Künstler aus der ganzen Welt reißen sich darum, in Leer auftreten zu dürfen.
Zum 100. Konzert der Reihe Jazz live im Speicher erschien im September 2005 die Doppel-CD „THIS IS STOREHOUSE MUSIC“ mit Studio- und Live-Aufnahmen von Musikerinnen und Musikern. Konzipiert wurde sie von Fietje Ausländer und Wilfried Berghaus.
Ob, wie und mit wem „Jazz live im Speicher“ weitergeführt wird, ist noch offen; denn im Oktober 2018 geht Berghaus in Pension. Seit drei Jahren wohnt er bereits in einem Wohngemeinschaftsprojekt in Oldenburg.
Die taz hat jetzt ein Interview mit Wilfried Berghaus geführt.
taz: Herr Berghaus, können Sie nach über 200 Konzerten dem Free Jazz noch etwas Neues abhören?
Wilfried Berghaus: Mehr denn je! Wir finden immer wieder neue MusikerInnen mit neuer Musik. Weil wir den Begriff Jazz nicht eingeengt definieren, finden wir sozusagen eine Weitwinkel-Musik, die uns immer wieder überrascht.
Wie sind Sie eigentlich auf den Jazz gekommen?
Oh, das weiß ich genau. Ich habe mit 25 Jahren auf einer Party in Leers Nachbarstadt Bunde nachts auf der Hollywood-Schaukel im niederländischen Radio Hilversum eine Musik gehört und gedacht: Wow, was zum Teufel ist das? Ein gewisser Charlie Parker spielte Saxofon, absolut überirdisch. Am nächsten Tag hab ich mir seine Platte besorgt. Damals gab es in Leer…
Heute Abend spielen ab 20 Uhr im Leeraner Speicher beim 211. Konzert der endlosen Reihe
The Thing
Mats Gustafsson – tenor sax & baritone sax
Ingebrigt Håker Flaten – double bass & electric bass
Paal Nilssen-Love – drums
Man nennt sie das »Great Scandinavian power trio«. Beschrieben wird ihre Musik als Freejazz aus der Garage oder auch als eine Verbindung von Jazzimprovisation, Punk und Rock. Keine Frage, der schwedische Saxofonist Mats Gustaffson und seine norwegischen Musikerkollegen und Freunde Ingebrigt Håker Flaten, Bass, und Paal Nilssen-Love, Schlagzeug, haben mit ihrem Trio The Thing die Wahrnehmung dessen, was Jazz ist und heute sein kann, ordentlich durchgeschüttelt.
(Quelle: taz)
Tag der Architektur
24. Juni 2017
