Von Hausfrauen, Hexen und Stadträtinnen
11. Mai 2023
Stadtführung:
Von Hausfrauen, Hexen und Stadträtinnen
Leben und Wirken Lingener Frauen
Lingen (Ems) – Treffpunkt Historisches Rathaus
Sonntag, 14. Mai 2023 – 11.00 Uhr
weitere Termine: So 13.08., So 27.08. und So 10.09., jeweils 11.00 Uhr
Dauer: 2,5 h
Kosten: 18 € pro Person (inkl. kleiner Imbiss und Getränk),
Die Karten sind in der Tourist Information, Neue Str. 3a, 49808 Lingen erhältlich.
Bei der ersten Lingener Stadtführung, die die weibliche Perspektive der Geschichte dieser Stadt beleuchtet, lernen die Besucher*innen die bislang eher verborgenen Geschichten dieser Stadt kennen, wobei sie der ein oder anderen historischen Frau „live“ und vor Ort begegnen werden. Dabei warten verschiedene Überraschungen am Wegesrand sowie eine kleine kulinarische Pause.
In der allgemeinen Geschichtsschreibung finden Leben, Werk und Wirkung von Frauen bislang noch immer wenig Erwähnung. Das öffentliche Leben schloss Frauen über Jahrhunderte hinweg weitgehend aus und beschränkte ihre gesellschaftliche Wirkmacht auf Haushalt und Kindererziehung, womit auch ihr Leben und ihre Arbeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwanden. Das ist zum Teil noch heute so.
Diese Stadtführung stellt nun das Leben und Wirken von Frauen in den Mittelpunkt, die die Geschichte dieser Stadt mitgeprägt und gestaltet haben. Darunter die Königin von Hannover oder die erste „Ehrenratsherrin“ des Lingener Stadtrates. Vor allem aber auch diejenigen, die eher im Verborgenen agierten und sich durch alle Epochen und gegen alle Hürden hinweg einmischten und mitbestimmten – ihr Handeln und Wirken reicht bis in heutige Tage.
Grundlage für die Erarbeitung dieser Stadtführung sind Recherchen im Stadtarchiv Lingen. Hierzu erschien auch das Booklet: Frauen der Lingener Geschichte – ein Stadtrundgang.
Streik!
8. Mai 2023
Streik! Lingens Stadtarchivar Dr. Mirko Crabus berichtet auf der Website des Stadtarchivs über die mühsamen Anfänge der Arbeitskämpfe in Lingen:
„Im Zuge der Industrialisierung nutzten die Arbeiter zunehmend Streiks als Mittel, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bald entstanden die ersten Gewerkschaften. Bekämpft wurden sie von den Unternehmern, aber auch vom Staat, der immer wieder versuchte, Streiks für illegal zu erklären.
1872 kam es auch in Lingen erstmals zu einem Streikversuch. Anlass könnte eine Streikwelle in Hannover gewesen sein, gegen die das Lingensche Wochenblatt mit beißendem Spott polemisierte. Jedenfalls kursierten nun auch in Lingen zahlreiche sozialdemokratische Zeitschriften, und die Arbeiter des Eisenbahnausbesserungswerkes versuchten, den Streik zu organisieren und auf die Eisengießerei auszudehnen. Erfolgreich war dieser Streikversuch jedoch nicht. Wer streikte, wurde schlicht entlassen. Und so konnte der Magistrat noch 1895 vermelden, dass „gewerbliche Arbeitseinstellungen seitens der Arbeiter hier bislang überall nicht vorgekommen sind“.
Bismarcks Sozialistengesetze verboten 1878 sämtliche sozialdemokratischen und sozialistischen Vereine. Erst nach Rücknahme der Sozialistengesetze 1890 gründeten Arbeiter des Ausbesserungswerkes 1894 einen Ortsverein der Deutschen Eisenbahn-Handwerker und -Arbeiter und schufen damit die erste Gewerkschaft des Emslandes. Zwei Jahre später schlossen sich die Maschinenbauer und Metallarbeiter zu einer Gewerkschaft zusammen. 1904 entstand außerdem eine sozialdemokratisch ausgerichtete Maurergewerkschaft. Unter diesen Voraussetzungen kam es 1909 zu einem Streik. Im Ausbesserungswerk und zwei weiteren Betrieben hatten die Unternehmer den Handwerkern mit hoher Arbeitsleistung 46 Pfennig Stundenlohn zugesagt, denen mit niedriger Arbeitsleistung aber nur 34 bis 42 Pfennig. Benachteiligt wurden dadurch vor allem die unerfahrenen und die alten Arbeiter. Gedeckt von…“
[weiter auf der Seite der Stadt Lingen (Ems)]
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Ein Beitrag des Leiters des Stadtarchivs Lingen (Ems) Dr. Mirko Crabus in der Reihe „Archivalie des Monats“
Foto: Demonstrierende am 2. April 1919 auf dem Lingener Marktplatz, aufgenommen von der Rathaustreppe in Richtung Marienstraße (Stadtarchiv)
Pressegespräch
13. April 2023
Es findet in der causa Lingen im Nationalsozialismus 1933 – 1945 ein Pressegespräch statt. Das habe ich unlängst eher beiläufig erfahren. Das Thema ist die „Aufarbeitung der NS-Zeit in Lingen“ also ein Sachverhalt, den die Rathausspitze seit Jahren -sagen wir- nicht goutiert. Die überfällige Stadtgeschichte 1933 bis 1945 hatte vor mehreren Jahren das Forum Juden Christen im Altkreis Lingen eV vorgeschlagen und anschließend wiederholt angemahnt. Aus der geforderten umfassenden Monographie ist jetzt ein deutlich kleineres Buch mit einzelnen, ausgewählten Kapiteln geworden, dem der Lingener Stadtarchivar zuarbeitet. Der Mann ist weisungsgebunden und derlei ist nie gut für eine unabhängige wissenschaftliche Arbeit; jedenfalls musste er bisweilen schon mitteilen, dass er mit bestimmten Vertretern der Zivilgesellschaft unserer Stadt nicht reden darf.
Das Besondere an dem Buchprojekt war, dass das Forum Juden Christen zu Beginn 50.000 Euro Finanzmittel durch eine Sponsorin beschafft hatte. damit sollte eine umfassende, wissenschaftliche Quellenrecherche bezahlt werden. Das Geld lehnten OB Dieter Krone und Kämmerin Monika Schwegmann ab. Über die heimliche Ablehnung der freigiebigen Zuwendung wurden die Lingener Ratsgremien nicht informiert.
Jetzt also findet am 20. April (ausgerechnet!) ein Pressegespräch statt. Dazu sind neben dem Forum Juden Christen auch Prof. Dr. Dietmar von Reeken (Universität Oldenburg), der die Arbeit verantwortet, die Vorsitzende des Kulturausschusses Irene Vehring (CDU) und Stellvertreter Peter Altmeppen (FDP) eingeladen. Ein solches Pressegespräch drei Wochen vor der Kulturausschusssitzung, in der ein Zwischenbericht gegeben wird, ist sehr ungewöhnlich. Gern hätte ich an der Zusammenkunft teilgenommen, schon um zu erfahren, weshalb vor der Beratung im Kulturausschuss schon im stillen Kämmerlein die Presse informiert wird und worüber. Das ist, mit Verlaub, zumindest eine Missachtung der gewählten Ratsmitglieder. Dabei hat es mehr als ein Geschmäckle, dass daran gewählte Ratsmitglieder teilnehmen, bevor in den Gremien berichtet und diskutiert worden ist. Aber mehr Offenheit will die Rathausspitze nicht. Dabei ist das Thema im Anschluss an das unsägliche Verschweigen der gesamten jüdischen Geschichte unserer Stadt beim 1000jährigen Stadtjubiläum 1975 zu wichtig, um damit in Pressegesprächen herumzutricksen.
Über das Pressegespräch hat sich folgender Mailverkehr in dieser Woche zugetragen.
Ich vorgestern:
Sehr geehrte Frau Dezernentin,
am 20. April soll eine inhaltliche Besprechung zum geplanten Buch zur Stadtgeschichte von 1933 bis 1945 stattfinden, an der neben dem Verfasser/Verantwortlichen Prof. Dr. von Reeken (Universität Oldenburg)und der Verwaltung auch das Forum Juden Christen im Altkreis Lingen eV teilnehmen wird. Wir bitten um Mitteilung, wer die weiteren TeilnehmerInnen der Sitzung sind und wer den Teilnehmerkreis festgelegt hat. Jedenfalls möchten wir als Ratsfraktion an der Zusammenkunft ebenfalls zugegen sein und erwarten Ihre kurzfristige Einladung.Mit freundlichen GrüßenDie BürgerNahen – StadtratsfraktionRobert Koop, Vors.
Sehr geehrter Herr Koop,
bei dem von Ihnen angesprochenen Termin am 20.04.2023 handelt es sich um ein Pressegespräch zum Buchprojekt „Lingen im Nationalsozialismus“. Weitere Teilnehmer*innen neben den von Ihnen genannten sind die Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des zuständigen Fachausschusses, hier des Kulturausschusses, Frau Irene Vehring und Herr Peter Altmeppen. Die Festlegung des Teilnehmerkreises erfolgte analog zu anderen Pressegesprächen, bei denen auch jeweils Vorsitz und stellv. Vorsitz des zuständigen Fachausschusses als Vertreter des Rates eingeladen wurden. Eine Erweiterung des Teilnehmerkreises ist aus diesem Grund nicht vorgesehen.
Mit freundlichen Grüßen
Monika Schwegmann
Tja, dann wollen wir mal sehen, ob dies so bleibt.
Lingen im Nationalsozialismus, BdM-Aufzug in der Burgstraße, © 31.03.2019 hier im Blog
Aus WWU wird UM
6. April 2023
Die Westfälische Wilhelms Universität in Münster wird künftig wieder Universität Münster heißen, wie übrigens schon zu ihrer Gründung 1773. Uni-Rektor Johannes Wessels nennt diese Entscheidung des Senats der Universität vom vergangenen Mittwoch „überwältigend“.
Die Diskussion um den Namensgeber Wilhelm II. fand seit Jahrzehnten immer wieder statt. Dabei ging es nicht von Anfang an darum, der Uni einen neuen Namen zu geben. Man habe sich mit dem Namensgeber auseinandersetzen wollen – und zwar so richtig, unter anderem mit öffentlichen Diskussionen, einer Ausstellung und wissenschaftlichen Gutachten. Es gab Seminare, die sich mit Wilhelm II. beschäftigt haben und die Redaktion des Magazins „UniKunstKultur“ hat sich in jüngster Zeit in den mehreren Ausgaben mit unterschiedlichen Aspekten auseinandergesetzt.
Der Senat habe mit dieser groß angelegten Auseinandersetzung allerdings auch die Verantwortung übernommen, am Ende eine Entscheidung zu treffen, sagt Hinnerk Wißmann.
Denn wie das immer so ist: Diskussionen können unendlich lange geführt werden, wenn man erstmal dabei ist. Einige Verbände hatten zum Beispiel vor einigen Wochen die Idee, das „westfälisch“ im Namen zu lassen. Und in der Ausstellung gab es eine Pinnwand, an die Besucher:innen einige Argumente für den Wilhelm im Namen geheftet hatten. Eines davon: Die Vergangenheit soll nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden.
Das will die Uni auch nicht, sagt Johannes Wessels. Studienanfänger:innen würden weiterhin dazu eingeladen, sich mit dem Noch-Namensgeber zu beschäftigen, auch wenn dieser bald Geschichte sein wird. Erster Zugang: dieses flotte „Willi“-Video für die Erstsemester.
Kommt das alles der geschätzten Leserschaft bekannt vor? Ja, auch in Lingen wurde über die nach dem SA-Mann Rosemeyer benannte Bahnhofstraße heftig gestritten, und es wird künftig darüber wie generell über die Namensgebung von rund 80 Straßen weiter debattiert. Stadtarchivar Mirko Crabus hat auf Beschluss des Kulturausschusses dazu eine Liste zusammengestellt, die jetzt abgearbeitet werden soll. Sie enthält die Personen, die kurz gesagt zu Zeiten des NS-Staates älter als 16 Jahre waren und nach denen Straßen in Lingen benannt sind. Waren sie in den Nationalsozialismus verstrickt?
Unsere BN-Fraktion hat sich die Liste in der vergangenen Woche angesehen. Dazu hatten wir Akteneinsicht beantragt, weil die Liste -völlig undemokratisch- unter Verschluss gehalten wurde. Sie verspricht muntere Debatten und sollte schnell veröffentlicht werden.
Übrigens gehören in die Liste nicht die Opfer des NS-Terrors. Die Aufnahme von Familie Hanauer, Bernard Grünberg, Ruth Foster-Heilbronn oder Jakob Wolff in die Prüfliste ist ein unverzeihlicher Missgriff.
Anfrage
23. März 2023
Die Geschäftsordnung des Lingener Stadtrates gibt Ratsmitgliedern die Möglichkeit, den OB und seine Verwaltung zu befragen. Das Recht habe ich in der Ratssitzung am Dienstag in Anspruch genommen. Meine Anfrage an den OB:
Der 18. März war der Tag, an dem vor genau 175 Jahren der demokratische Aufstand in Berlin zusammengeschossen wurde. Vor 175 Jahren begann die erste deutsche Reviolution. Ihretwegen liegen viele Gedenktage an die großen demokratischen Tage von 1848/49 vor uns und es wird viele Gelegenheit geben, politisch-zeitgeschichtliche Rückblicke zu halten. Das ist wichtig, um die nicht sonderlich machtvolle deutsche Demokratiebewegung zu feiern und an sie zu erinnern. Am vergangenen Wochenende erinnerte die Bundeshauptstadt Berlin an das Revolutionsjahr 1848. Es gab einen szenischen Stadtrundgang und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte anschließend zum republikanischen Festbankett eingeladen „aus Anlass des 175. Jahrestags der Märzrevolution in Berlin“.
Beim Festbankett des Bundespräsidenten zum Gedenken an die Revolution von 1848 wurde auch musiziert: Ein paar Takte Marseillaise, ein paar Takte „Deutschlandlied“, und, natürlich Hoffmann von Fallersleben „Die Gedanken sind frei“, schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Der Bundespräsident erinnerte vor 120 Gästen an die demokratische Tradition der Festmahle, die Liberale und Demokraten zwischen 1830 und 1848 in Frankreich und Deutschland abhielten, um das bestehende Verbot politischer Versammlungen zu umgehen – und er rühmte den 18. März als „Tag des Bürgermuts“. Mut ist wahrlich das richtiges Stichwort. Denn an diesem Tag wurden von den preußischen Truppen 280 Berlinerinnen und Berliner erschossen.
Umso befremdlicher empfinde ich es, dass es derlei Erinnerung in unserer Stadt offenbar nicht gibt. An die demokratische Revolution vor 175 Jahren wird nicht erinnert. Genauso war es auch bei der Revolution von 1918 vor gut vier Jahren. Zum 100jährigen wurde auch daran und die Gründung des Lingener Arbeiter- und Soldatenrats nicht erinnert. Mit einem kleinen Umzug standen unsere BürgerNahen allein da.
Ich kritisiere diese Untätigkeit und frage Sie, Herr Oberbürgermeister, warum das so ist? Daran, dass die Liste der Gedenk- und Jubiläumstage unserer Stadt irgendwie mit Beginn der Coronazeit nicht fortgeschrieben wurde, kann es wohl nicht liegen.
Dabei ist es doch aus lokal- und darüber hinausreichender historischer Sicht sinnvoll, wenn beispielsweise an Dr. Johannes zum Sande erinnert würde, den aus Lingen stammenden Abgeordneten der Paulskirchenversammlung. Am 18. Mai 1848 begann sein Mandat in der Frankfurter Nationalversammlung.
Vielleicht sind Sie, Herr OB, ja bereit, Stadtarchivar Dr. Crabus oder Museumschef Dr. Eiynck darum zu bitten, sich des Themas anzunehmen?
OB Krone grinste mich verlegen an, während ich meine Anfrage vortrug und antwortete sie dann so: „Herr Koop, Sie haben sich doch so sehr in die Sache eingearbeitet. Machen Sie das doch selbst.“ Nun, Amtsinhaber Krone ist bekanntlich in einem kleinen emsländischen Dorf aufgewachsen und sozialisiert. Bei solchen Fragen kann er möglicherweise deshalb nicht verbergen, dass er mit der Lingener Geschichte und der Regionalgeschichte des Lingener Landes nichts am Hut hat. Nicht mal, wenn es um die wurzeln unserer Demokratie geht. Schade.
Bild: „Erinnerung an den Befreiungskampf in der verhängnisvollen Nacht 18.-19. März 1848“, Barrikade in der Breiten Straßenb, Kreidelithographie, koloriert, gedruckt im Verlag Winckelmann, Eigenth. v. C. Glück, Berlin, gemeinfrei.
Bernhard Grünberg zum 100.
22. März 2023
Heute vor 100 Jahren: Am 22. März 1923 wird in der Georgstraße 16 in Lingen Bernhard Grünberg, später Bernard Grunberg, als Sohn des jüdischen Viehhändlers Bendix Grünberg und seiner Frau Marianne geboren.
Mit einem Kindertransport entkommt er 15-jährig vor dem Holocaust nach England. Aber seine ganze Familie wird Opfer der Shoah. 1993 nimmt er trotzdem die ihm angetragene Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt an.
Bernhard Grünberg stirbt am 16. Januar 2021 in Derby–Alvaston hochbetagt im Alter von 97 Jahren an COVID-19.
Am Vorabend gedachte gestern der Rat der Stadt Lingen (Ems) zu Beginn einer Sitzung des verstorbenen jüdischen Ehrenbürgers. Am heutigen Abend unternimmt die Stadtratsfraktion „Die BürgerNahen“ um 18 Uhr einen Spaziergang von der Bernhard-Grünberg-Straße im Emsauenpark über den Jüdischen Friedhof mit dem Grab Bernhard Grünbergs und seiner Familie hin zu den Stolpersteinen vor seinem Geburtshaus Georgstraße 12.
Aus Anlass seines 100. Geburtstages veröffentliche ich hier den gleichermaßen persönlichen wie umfangreichen Rückblick auf Bernhard Grünberg von Anne-Dore Jakob (Pax Christi). Ich danke der Verfasserin sehr für die dazu erteilte Erlaubnis.
Wo ist Elke? Wo ist Helga?
10. März 2023
Aus Anlass des Internationalen Frauentags wurde am Mittwoch eine neue, knapp 100 Seiten umfassende Broschüre der Stadt präsentiert. „Frauen der Lingener Geschichte“ verknüpft die Porträts von 20 Lingener Frauen mit einem Stadtrundgang. Für den Oberbürgermeister ist dies in seinem Vorwort bereits eine „feministische Reise durch unsere Stadt“. Einfach gesagt ist Feminismus bekanntlich ein Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft, und darum geht es bei der Broschüre nicht; doch OB Krone liegt mit seinen Wortmeldungen auch sonst zunehmend daneben, beispielsweise wenn er im überdimensionierten Ausbau des Emslandstadions das „olympische Niveau“ sieht oder Lingen(Ems) zur „Wasserstoff-Hauptstadt“ Deutschlands erklärt.
Dieses Mal erkennt man schnell, dass zwei namhafte Frauen in der neuen Broschüre und beim Rundgang fehlen. Es handelt sich ausgerechnet um zwei Frauen, die gegen die politische CDU-Mehrheit agierten:
Wo beispielsweise ist Elke Müller? Fest steht: Ohne die engagierte Lingener Sozialdemokratin gäbe es keinen Campus der Hochschule Osnabrück oder, wer es kleiner möchte, keine Polizeiinspektion in Lingen. Den Campus rang sie der klugen Helga Schuchardt ab, die ab 1990 als parteilose Ministerin im ersten niedersächsischen Kabinett Gerhard Schröder für die Hochschulen zuständig war. Die PI verteidigte sie gegen CDU-Landrat Hermann Bröring, der sie unbedingt in Meppen wollte. Wer in der Broschüre die langjährige Landtagsabgeordnete und dreifache Mutter Elke Müller und ihre politische Arbeit sucht, findet aber nichts darüber.
Und geradezu unverzeihlich ist das Versäumnis, dass Helga Hanauer totgeschwiegen wird. Als 1975 die Stadt Lingen (Ems) stolz ihre 1000jährige Geschichte feierte, wurde dabei das schreckliche Schicksal der jüdischen Lingener und Lingenerinnen in der NS-Zeit komplett verschwiegen. Das prangerte Helga Hanauer, die damals 35jährige letzte Lingener Jüdin und Überlebende des Holocaust, öffentlich an und machte sich so bei den ertappten Honoratioren mehr als unbeliebt. Aber mit ihrem Engagement begann (endlich) die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte unserer Stadt. Trotzdem gibt es in der Broschüre aus dem Rathaus nichts über sie.
Gleichzeitig widmet die neue Broschüre neben manch Anekdotischem beispielsweise der ersten Lingener Abiturientin Berta Gelshorn einen eigenen Beitrag. Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll aber nach ihr tunlichst keine Straße benannt werden, weil sie in den 1930er Jahren in mehreren NS-Organisatoren Mitglied wurde.
Sicher werden die Verantwortlichen entgegnen, dass man „doch nicht alle verdienten Frauen“ erwähnen könne und überhaupt man es nicht jedem und jeder recht machen könne. Aber etwas Respekt vor den großen Lebensleistungen der unbequemen Frauen Elke Müller und Helga Hanauer hätte nicht nur ich mir gewünscht. Also: Wo ist Elke? Wo ist Helga?
Lingen am Weltfrauentag
7. März 2023
Weltfrauentag
Frauen der Lingener Geschichte
Lingen (Ems) – ProfessorInnenhaus, Universitätsplatz 1
Mittwoch, 8. März 2023 – 19 Uhr
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
„Stadtarchivar, Dr. Mirko Crabus, wird in einem Vortrag den Lebensweg verschiedener Frauen nachzeichnen, die im Laufe der Geschichte in Lingen gelebt haben oder für die Stadt von große Bedeutung gewesen sind. Dabei geht es nicht nur um Berühmtheiten wie die Schriftstellerin Emmy von Dincklage oder die Königin Marie von Hannover. Es geht ganz bewusst auch um weitgehend unbekannte Frauen, die etwa als Geschäftsfrauen oder Arbeiterinnen tätig waren oder als gesellschaftliche Außenseiterinnen galten und die einen Einblick in ihren Alltag gewähren.“
Songs von Frauen für Frauen: Happy Women’s Day!
Musikalischer Abend
Lingen (Ems) – Koschinski, Schlachterstraße 16
Mittwoch, 8. März 2023 – 19 Uhr
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Auftakt des Terrors
25. Februar 2023
Leitgedanken
18. Februar 2023
Übrigens inzwischen im Booklooker-Antiquariat käuflich zu erwerben: Die sozialdemokratischen Leitgedanken für Lingen (Ems) aus dem Jahr 1986. Aktuell für 9,80 Euro. Noch ohne die Forderung nach breiteren SUV-Parkplätzen*. Cool.
* update:
Ich bin gebeten worden, die kurze SUV-Passage zu erläutern: Vor gut vier Jahren stellte die SPD die Forderung auf, „Komfortparkplätze“ auszuweisen, ua weil die „Autos so groß geworden“ seien. Großes Tamtam in der Presse und im Stadtrat, Überweisung des Antrags in den Verkehrsausschuss, der damals noch nicht von CDU und FDP abgeschafft war, umfangreiche Debatte, ein Versuch mit zwei (!) Komfortparkplätzen und… Rücknahme des Antrags. Immerhin.
Funfact: Sogar die FDP lehnte den Vorschlag ab. Ihr inzwischen zurückgetretener Vorsitzender Meyer ätzte: „Endlich machen die Sozialdemokraten etwas für die oberen 10.000.“