Smartphoneallergie
18. August 2022
Im LawBlog des Kollegen Udo Vetter lese ich etwas über die Smartphoneallergie der Polizei:
„Ob man Polizeieinsätze filmen und vor allem die Gespräche zwischen Polizisten und Betroffenen aufzeichnen darf, darüber gibt es schon etliche Gerichtsentscheidungen. Diese fallen unterschiedlich aus, jetzt kommt eine weitere hinzu, die voraussichtlich besonderes Gewicht haben wird. Denn mit dem Oberlandesgericht Zweibrücken äußert sich zu dem Thema eine höhere Instanz. Nach Auffassung dieser Richter darf man nicht aufzeichnen, was Polizisten sagen.
In der Legal Tribune Online findet sich eine ausführliche Besprechung der Entscheidung. Für mich ist diese Tendenz in der Rechtsprechung nur schwer nachvollziehbar. Es handelt sich bei Polizeieinsätzen um Maßnahmen des Staates, die zumindest im öffentlichen Raum von der Öffentlichkeit auch beobachtet und dokumentiert werden dürfen.
Letztlich untergraben staatliche Organe mit erzwungener Heimlichtuerei den Vertrauensvorschuss des Bürgers, welchen sie so gerne einfordern.“
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OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.06.2022, Az. 1 0LG 2 Ss 62/21.
Quelle
§ 456a StPO
30. Juli 2022
Zwischen den USA und Russland wird wohl über einen Gefangenenaustausch verhandelt. Die USA möchten die in Moskau wegen eines Drogendelikts inhaftierte Basketballerin Brittney Griner und einen weiteren US-Bürger [den ebenfalls in Russland inhaftierten früheren US-Soldaten Paul Whelan] rausholen. Im Gegenzug soll Russland höchstes Interesse haben, [den in den USA inhaftierten russischen Waffenschmuggler Viktor Bout und] einen verurteilten Mörder zurückzubekommen. Der Mann [Vadim Krassikow] sitzt allerdings in deutscher Strafhaft – so dass Deutschland schnell in ein unerfreuliches Szenario hineingezogen werden könnte.
Bei dem inhaftierten Russen handelt es sich um den sogenannten Tiergartenmörder, der im Jahr 2019 einen Georgier [Zelimkhan Khangoshvili von hinten mit 3 Schüssen, u.a.] mit einem Kopfschuss getötet hat. Das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig. Der Täter soll enge Verbindungen zum russischen Geheimdienst gehabt haben. Von diesem soll er auch falsche Papiere erhalten haben.
Die Problematik ist natürlich erst mal eine der gefühlten Gerechtigkeit. Es ist nicht davon auszugehen, dass die lebenslange Freiheitsstrafe des Tiergartenmörders in Russland weiter vollstreckt wird, zumindest nicht ernsthaft.
Juristisch ist Deutschland natürlich nicht dazu verpflichtet, den USA einen solchen Gefallen zu tun. Der Aufschrei wäre wahrscheinlich auch enorm. Es gäbe sicher vehemente Kritik daran, wie sich Bürger fühlen sollen, wenn ausländische Agenten in Deutschland mehr oder weniger ungestraft morden können. Und natürlich würde sich auch die Frage stellen, wie souverän die Entscheidung der Bundesregierung im Verhältnis zu den USA tatsächlich wäre. Sozusagen Realpolitik at its best. Da wird dann ohnehin aus dem argumentativen Schützengraben argumentiert, ich halte mich da lieber raus.
Damit sind wir beim eigentlichen Punkt, den ich ansprechen wollte. Juristisch ist die Beteiligung an dem Tauschhandel nämlich ziemlich unproblematisch. Das deutsche Strafvollstreckungsrecht ist sehr liberal, wenn es um die „Überstellung“ verurteilter Straftäter ins Ausland geht. Zentrale Norm ist § 456a StPO:
Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe … absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.
Interessant sind hier mehrere Dinge. Zunächst wird mit dem Wörtchen „kann“ ein Spielraum eingeräumt. Alles geht, nichts muss. Dann gibt es keine Regelung, ob und in welchem Umfang eine Strafe bereits vollstreckt sein muss. Konkret ist es also möglich, dass ein Straftäter keinen einzigen Tag seiner Strafe in Deutschland verbüsst, wenn von der Verfolgung abgesehen wird.
Außerdem sind keine Straftatbestände ausgenommen. Das heißt, auch Mörder, Massenmörder und Kriegsverbrecher können von der Regelung profitieren. Es bedarf dann nur einer Ausländerbehörde, welche die Abschiebung anordnet. Da sind die Spielregeln aber ebenso flexibel gefasst. Es gehört ja zu den erklärten Zielen des Aufenthaltsrechts, dass verurteilte Ausländer in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden und nicht wiederkommen können, es sei denn sie nehmen eine erneute Inhaftierung in Kauf (Absatz 2 von § 456a StPO).
Rechtlich gesehen sind die Hürden für den Tauschhandel demnach nicht sonderlich hoch. Der Bundeskanzler ist dennoch nicht zu beneiden, wenn er tatsächlich eine Entscheidung treffen muss.
Ein Beitrag aus dem LawBlog von Udo Vetter [mit eigenen Ergänzungen]. Gleiches melden auch faz.net, t-online.de und tageschau.de
100.000
28. Juli 2022
Im Jahr 1960 mit umgerechnet 400 Euro Mietkaution eingezogen – und nun mit 100.000 Euro wieder aus? So kann es gehen, wenn man die Mietkaution in Aktien anlegt. Das AG Köln hat sich mit so einem Fall beschäftigt. Udo Vetter berichtet in seinem LawBlog:
„Mietverträge sind ja meist keine unterhaltsame Lektüre. Aber beim Auszug kann es sich für Mieter durchaus lohnen, mal einen Blick auf diverse Vertragsklauseln zu werfen. Insbesondere jene über die Mietkaution, wie ein vom Amtsgericht Köln aktuell entschiedener Fall zeigt. Nach dem Ende eines 60-jährigen Mietverhältnisses über eine ganz normale Wohnung ging es darum, ob die Kaution 400 Euro beträgt, was der Höhe nach zu erwarten gewesen wäre. Oder aber stolze 100.000 Euro.
Letzteren Betrag forderte die Tochter der verstorbenen Mieter als Erbin ein. Was zunächst mal abenteuerlich klingt, hat aber einen greifbaren Hintergrund. In dem Mietvertrag aus dem Jahr 1960 war nämlich festgelegt, dass die Vermieterin, eine Wohnungsgesellschaft, die Kaution nicht wie üblich auf ein Sparkonto einzahlt. Sie durfte die Kaution in Aktien anlegen, was auch geschah.
Bei einem Umzug in eine andere Wohnung der Vermieterin wurde die Kaution im Jahre 2005 umgeschrieben, über die Jahre zahlte die Firma immerhin die Aktiendividenden an die Mieter aus. Das waren bis 2017 rund 6000 Euro, die mit der Miete verrechnet wurden. Die Aktien wollte die Vermieterin zum Vertragsende aber nicht herausgeben. Sie berief sich darauf, dass ihr nach dem Vertrag ein Wahlrecht zusteht, lediglich 409,03 Euro wollte sie auszahlen.
Das Amtsgericht Köln gab der Erbin der Mieter recht. Zwar seien früher an sich nur Spareinlagen als Sicherheit zulässig gewesen, doch habe sich der Vertrag beim Umzug im Jahre 2005 erneuert. Zum damaligen Zeitpunkt war es aber schon zulässig, dass Mieter und Vermieter eine andere Anlageform für die Kaution vereinbaren. In jedem Fall, so das Amtsgericht, gelte aber der Rechtsgedanke des § 551 BGB in der heute gültigen Fassung. Danach steht ein Gewinn bei einer Kaution auf jedem Fall dem Mieter zu. Die Klägerin hat also Anspruch auf die rund 100.000 Euro, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist
(AG Köln, Aktenzeichen 203 C 199/21, Presse).“
gefunden in Udo Vetters LawBlog
Versager, Feiglinge, Dummköpfe, Faulenzer
17. Mai 2022
Der Münchner Rechtsanwalt und frühere BGH-Vorsitzende Thomas Fischer nimmt sich das Enthüllungswerk eines Amtsrichters aus Dinslaken vor. Des Richters neues Buch heißt „Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf“. Es ist das Nachfolgewerk einer ersten Aufklärungsschrift des betreffenden Richters aus dem Jahr 2019. Diese trug den Titel „Urteil: ungerecht. Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt“.
Fischer bricht das neu Buch und wohl auch gleichzeitig das alte, auf seinen wesentlichen Inhalt herunter:
Streng blickt Richter Schleif dem Feind ins Auge. … Das Landgericht Duisburg, das Herrn Amtsrichter Schleif instanzmäßig übergeordnete Gericht, besteht, soweit es seine Strafkammern betrifft, durchweg aus Versagern, Feiglingen, Dummköpfen und Faulenzern. Diese produzieren „gequirlte Scheiße“ ohne Unterlass, fördern das Verbrechen, statt es zu bekämpfen, und zerstören das Ansehen der Justiz. Ein letztes Bollwerk gegen das Chaos sind Richter Schleif und die ihm dankbare Polizei. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
Auch ansonsten ist die Rezension zwar sehr lang, aber ebenso vergnüglich zu lesen: hier.
Richtig gut
finde ich es übrigens, dass dieser Beitrag im LawBlog von Udo Vetter erschienen ist. Rund ein Vierteljahr gab es nichts Neues vom Kollegen. Das aber hat sich jetzt geändert. Fein!
Alibi mit Google Maps
19. Januar 2022
„Ist mein Mandant ein Schläger?
Aber ja, behauptete eine ältere Dame. Mein Mandant soll sie an der Kasse im Netto-Markt auf ihre fehlende Maske angesprochen und sogar beschimpft haben. Dann habe er ihr draußen auf dem Parkplatz aufgelauert. Dort habe er sie in einer abgelegenen Ecke geschlagen und sogar getreten. Das Ganze habe „mindestens 15 Minuten“ gedauert, wobei rund 12 Minuten auf die Vorfälle auf dem Parkplatz entfallen. Ein Krankenwagen kam nicht, Anzeige machte die Frau erst nach elf Tagen. So lange will sie zu Hause im Bett gelegen haben, wegen der Schmerzen.
Mein Mandant sagt, er habe die Frau auf die Maskenpflicht hingewiesen. Darauf sei es vielleicht ’ne Minute verbal hin und her gegangen, dann sei er an der Kasse dran gewesen, habe gezahlt und sei nach Hause gefahren. Immerhin hat er den Kassenbon. Um 11.44 Uhr wurde er im Netto abkassiert. Das passt ganz gut zu der Aussage der Frau, alles sei zwischen halb zwölf und zwölf passiert.
Darüber hat mein Mandant aber noch einen anderen Beleg. Google Maps. Dort hat er die Zeitachse aktiviert, und das durchgehend seit 2018. Das ergibt sehr schöne Bewegungsprofile, Tag für Tag. Auch für den fraglichen. Mein Mandant kam laut Google Maps mit seinem Auto um 10.33 Uhr am Netto-Markt an. Um 11.47 Uhr setzt sich das Fahrzeug wieder in Bewegung. Ankunft an der Wohnanschrift meines Mandanten sechs Minuten später. Passt.
Sicherlich gab es für den Staatsanwalt genug andere Punkte, um die Geschichte der Zeugin anzuzweifeln. Dass niemand auf dem Parkplatz was gesehen hat oder eingeschritten ist, dass die Anzeige so lange auf sich warten ließ, dass es (trotz Rückfragen) kein Arztattest gibt. Dennoch dürfte die Zeitachse von Google Maps der beste Beleg dafür gewesen sein, dass die Vorwürfe frei erfunden sind. Was dann zu der doch sehr prompten Verfahrenseinstellung führte.“
Ein Beitrag von Rechtsanwalt Udo Vetter in seinem Lawblog
nicht alles
7. Mai 2021
Diese Sache mit der Menschenwürde überfordert nicht wenige Polizeibeamte. Dazu zählen SEK und MEK-Beamte besonders. Die Menschenwürde wird von ihnen regelmäßig vollständig entkleidet und missachtet. So auch hier im östlichen Niedersachsen:
„Das Verwaltungsgericht Braunschweig (Urt. v. 02.12.2020, AZ: 5 a 65/20) hat klare Worte zu einem SEK-Einsatz gefunden. Ein Angeklagter sollte (aus der JVA) zum Gericht transportiert werden. Hierfür wurde er gezwungen, sich vollständig zu entkleiden, die Durchsuchung sämtlicher Körperöffnungen hinzunehmen sowie Gehör- und Sichtschutz und Spuckhaube zu tragen.
SEK-Beamte hatten bei dem Angeklagten entsprechende Maßnahmen vollzogen. Die landgesetzliche Rechtsgrundlage für solche Untersuchungen erfordert Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Für die SEK-Beamten waren die beschriebenen Maßnahmen aber Standardmaßnahmen, die immer erfolgen. Das Gericht hat folgerichtig die Rechtswidrigkeit bereits deshalb festgestellt, weil die Beamten das ihnen eingeräumte Ermessen, ob die Maßnahmen erforderlich sind, nicht ausgeübt haben. Mangels Anhaltspunkten für den Besitz von Gegenständen, die hätten sichergestellt werden dürfen, sei die Maßnahme aber auch unverhältnismäßig gewesen. Es bedürfe stets fallbezogener Verdachtsgründe.
Auch das Anlegen von Gehör, Sichtschutz und Spuckhaube seien unverhältnismäßig gewesen. Als milderes Mittel hätte eine Fesselung ausgereicht.
Es ist mitunter erschreckend, wie wenig Rechts- und Problembewusstsein bei Einsatzkräften mitunter vorhanden ist. Zumal es sich hier um Spezialkräfte handelt, die an sich auch entsprechend qualifiziert sein sollten. Wird das eingeräumte Ermessen, das dann auch zwingend ausgeübt werden muss, so krass verkannt wie hier, frage ich mich, ob das dann bei jeder anderen Eingriffsbefugnis auch so läuft: Alles, was die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen darf, wird einfach mal standardmäßig immer durchgeführt – ohne Rücksicht auf Voraussetzungen und die jeweilige konkrete Situation.
Die Beamten scheinen sich auch nicht ansatzweise im Klaren darüber gewesen zu sein, was für starke Grundrechtseingriffe die geschilderten Maßnahmen mit sich bringen. In Anbetracht des Umstands, dass gerade das SEK schwer bewaffnet ist, fast jede Befugnisnorm Ermessen einräumt und tagtäglich Situationen vorkommen, in denen die Anwendung dieses juristischen Wissens erforderlich ist, wirft dieser Fall ein schlechtes Licht auf die Verantwortlichen, um nicht zu sagen auf die Polizei insgesamt.
Der Kollege Burhoff berichtet ebenfalls.“
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ein Beitrag aus dem LawBlog von Udo Vetter
Freispruch
25. März 2021
Der um sich greifenden Blockwartmentalität bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie verpasst das Oberlandesgericht Koblenz einen Dämpfer. Nicht jedes Zusammentreffen von Personen ist laut dem Gericht eine „Ansammlung“, die ein Bußgeld nach sich zieht.
Der Betroffene war in Begleitung eines Freundes am Geldautomaten. Dort traf er wiederum zufällig einen Bekannten, der seinerseits in Begleitung eines Freundes war. Polizeibeamte beobachteten das ungefähr ein bis zwei Minuten währende Gespräch, bei dem die Personenpaare einen Abstand von 1,5 bis 2 Metern einhielten. Zu dem Gespräch kam es deswegen, weil sich die Beteiligten begrüßen wollten. Außerdem hat der Betroffene seinem Bekannten zum Tod von dessen Großmutter kondoliert.
100 Euro Bußgeld sollte der Betroffene zahlen, wogegen er vor Gericht zog. Während ihn das Amtsgericht noch verurteilte, sehen die Richter am Oberlandesgericht die Sache differenzierter. Sie stellen insbesondere klar, dass bei jedem coronoabedingten Verbot immer die Frage gestellt werden muss, ob es zur Verhinderung von Neuinfektionen erforderlich ist. Alles andere sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in „unantastbare Rechte“ der Bürger.
Eine verbotene Ansammlung liege nicht vor, wenn das Zusammentreffen zufällig, also ohne konkrete Planung erfolgt und auf kaum ehr als einen „flüchtigen Moment“ ausgelegt ist. Ansonsten käme es ja auch schon beim Einkaufen oder Spazierengehen zu unzulässigen Ansammlungen. Überdies sei in Rechnung zu stellen, dass die Beteiligten die Mindestabstände einhielten.
Freispruch.
Aktenzeichen 3 OWi 6 SsRs 395/20
Menschenwürde und Nacktaufnahmen
23. Februar 2021
Das Landgericht Wuppertal hat entschieden, dass im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Vergewaltigung keine Nacktaufnahmen des Beschuldigten angefertigt werden dürfen (LG Wuppertal, Beschl. v. 12.01.2021 – 24 Qs 10/20). Zwar erlaubt § 81b StPO die Anfertigung von Lichtbildern und Fingerabdrücken eines Beschuldigten, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist; das Landgericht ging aber hier davon aus, dass diese Notwendigkeit eben nicht gegeben war.
Zweck der Anfertigung der Nacktbilder war aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Abgleich mit etwaigen Videos von der Tat. Dumm nur, dass zu keinem Zeitpunkt im Raum stand, dass entsprechende Videos existieren, auf denen der Beschuldigten nackt zu sehen ist. Auch bei den weiteren Ermittlungen wurde keine Videos aufgefunden, geschweige denn Videos, auf denen der Beschuldigte nackt zu sehen gewesen wäre.
Manchmal kommt es mir so vor, als würde bei den Ermittlungsbehörden die Denkweise vorherrschen, sie könnten sich alles erlauben. Ich* erlebe immer wieder, dass rechtlich höchst fragwürdige Maßnahmen nach dem Motto „der Betroffene kann ja hinterher dagegen vorgehen“ getroffen werden. Das nachträgliche Vorgehen gegen rechtswidrige Maßnahmen kostet aber in der Regel Geld, Zeit und Nerven, und eigentlich sollte die Exekutive von sich aus versuchen, rechtmäßig zu handeln – und es nicht zu übertreiben.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiaOLG iR, bespricht die Entscheidung ebenfalls.
Das Problem ist, dass die Entscheidung für die handelnden Polizeibeamten ohne jede Konsequenz ist. Der greifbare Verstoß gegen die Menschenwürde eines Beschuldigten -und darum handelt es sich- muss hart geahndet werden. Polizeibeamte, die so handeln, gehören aus dem Dienst entlassen. Punkt.
Gefunden bei: Lawblog, *Rechtsanwalt Dr. André Bohn
Feindeslisten
18. Februar 2021
Nach einem Entwurf des Bundesjustizministeriums sollen in Zukunft sogenannte Feindeslisten und das Outing politischer Gegner bestraft werden.
Der neue Paragraf § 126a StGB sieht „Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor, wenn jemand öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen.“
Ich gebe den Wortlaut des Entwurfs komplett wieder, denn so lässt sich leicht feststellen: Die Norm wäre – wie es ja leider immer beliebter wird – sehr, sehr weit gefasst. So genügt es schon aus, wenn die Verbreitung lediglich „geeignet“ ist, dass die Gefahr von Straftaten gegen die Betroffenen entsteht. Der Täter muss noch nicht mal beabsichtigen, dass Straftaten gegen die Betroffenen begangen werden.
Es muss daher auch keine wirkliche „Liste“ angefertigt werden. Es reichte an sich schon aus, wenn die personenbezogenen Daten einer Person veröffentlicht werden – ohne jede greifbare Zielrichtung. Rein interne Listen fallen aber andererseits nicht unter den Straftatbestand – immerhin.
An sich handelt es sich hier um klassisches Gefahrenabwehrrecht, das seinen Platz in den Polizeigesetzen der Länder hat. Auch im vorliegenden Fall wird jedoch das Strafrecht bemüht, und zwar erneut in der Form, dass die Strafbarkeitsschwelle fühlbar in den Bereich eines an sich nicht unbedingt verwerflichen Verhaltens vorverlagert wird. So vermischen sich präventive und repressive Maßnahmen immer mehr, so dass am Ende im besten Fall Verwirrung herrscht, im schlechtesten die Tür für Willkürmaßnahmen geöffnet wird.
Die Legal Tribune Online beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema.
von RA Andre Bohn im LawBlog
Vorstrafe
3. Februar 2021
Das Landgericht Osnabrück (Foto) hat Mitte Januar einen Mann wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 25 Euro verurteilt. Einer seiner unangeleinten Schäferhunde hatte in Quakenbrück eine Frau angefallen. Diese war gestürzt und hatte sich dabei eine Halswirbeldistorsion und eine Kopfprellung zugezogen.
Laut dem Urteil hatte der Angeklagte seine zwei Hunde zwar zurückgerufen, als diese auf die Frau zuliefen; ein Tier hörte aber nicht auf ihn.
Fahrlässigkeitsdelikte sind die Deliktsgruppe, mit der man schneller zu tun bekommt, als einem häufig lieb ist. Für eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung reicht eine Sorgfaltspflichtverletzung aus, und zwar bei objektiver und subjektiver Vorhersehbarkeit der eingetretenen Folgen. Vorsätzlich im klassischen Sinn muss man gerade nicht handeln.
Bei der Vorhersehbarkeit und der Vermeidbarkeit neigen Gerichte in der Praxis gerne dazu, beides zu bejahen, obwohl das in der konkreten Situation nicht der Fall war, argumentiert RA Dr. André Bohn im LawBlog. „Dieses Phänomen ist psychologisch als sogenannter Rückschaufehler bekannt: Die Justiz stellt im Nachhinein überhöhte Anforderungen an den Betroffenen, das heißt, es wird ein zu strenger Sorgfaltsmaßstab angelegt.“
Im Hundefall war es aber doch eher eindeutig. Dass man einen Schäferhund, der offensichtlich nicht richtig hört und damit in gewisser Weise unberechenbar ist, anleinen muss, dürfte kaum zweifelhaft sein – und zwar auch dort, wo kein ausdrücklicher Leinenzwang besteht. Hundehaltern sollte auf jeden Fall klar sein: Sie können eine strafbare Körperverletzung auch durch ihr Tier begehen.
(Az. LG Osnabrück, Urt. v. 20.01.2021, Az. 5 Ns 112/20; das Urteil ist nicht rechtskräftig)
Ausführlicher Bericht in der Legal Tribune Online (LTO)
via LawBlog Udo Vetter (RA Dr. André Bohn)
Foto LG Osnabrück, CC s. Archiv v. 15.06.2013)