„De hebb se in’t Gehirn scheten.“
22. Februar 2023
Die These, es gebe in unserer Stadt viel zu wenig Respekt für Bäume, hat jetzt eine weitere, geradezu eindrucksvolle Bestätigung gefunden. Weil im Laufe von 45 Jahren die Bäume auf dem Fuß- und Radweg entlang der Josefstraße so groß geworden sind, dass er für FußgängerInnen und Radfahrende kaum zu nutzen war, wurde eine Lösung gesucht. So kam die Vorlage 124/22 für die Beratungen auf den Tisch zusammen mit einem Änderungsantrag unserer BN.
Die roten X bedeuteten übrigens nicht das Beseitigen der dort vor sich hinwachsenden Bäume sondern lediglich die Aufgabe des Fuß- und Radwegs.
Die Ratsmitglieder hatten schon zuvor die Idee entwickelt, alle Fuß- und Radfahrer von Norden über die parallel verlaufende Alte Josefstraße bis zur Mohrmannstraße und dort zurück an den westlichen Rand der Josefstraße zu führen. Der zuständige Ratsausschuss für Planen, Bauen und Mobilität beschloss dazu am 20. April 2022 entsprechend dem Änderungsantrag der BN:
…
3) Für die Ertüchtigung und Verbreiterung des Rad- und Fußweges im Bereich der südlichen Anbindung der Alten Josefstraße bis zur Mohrmannstraße werden Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern aufgenommen; im Einmündungsbereich mit der Mohrmannstraße wird der Rad- und Fußweg höhengleich hergestellt.
Das kümmerte die Stadtverwaltung offenbar nicht sonderlich; denn sie ersann in 10 Monaten ihre eigene Baum-ab-Lösung. Nirgendwo wurde die vorgestellt, geschweige denn in den Gremien beraten. Bloß umgesetzt wurde sie im Dezernat von Stadtbaurat Lothar Schreinemacher sofort und zwar so:
Das Bild ist real(er Irrsinn). Mein Schwiegervater Ernst Wiegmann pflegte zu solchen Dingen zu sagen: „De hebb se in’t Gehirn scheten.“
Foto: Josefstraße in Höhe Einmündung Mormannstraße, Blickrichtung Norden , Aufnahme von Juergen Barenkamp, FB
Fahrradgarage
2. Februar 2023
Wir diskutieren gerade in unserer Die-BürgerNahen-Fraktion die Frage, weshalb eigentlich Fahrräder in unserer Stadt nicht vernünftig untergestellt werden können und ob die Umnutzung der Tiefgarage unter dem Markt ein erster Schritt wäre, die zu ändern. Die Befürchtung, die Zufahrt von der Gymnasialstraße habe „eine zu großes Gefälle“, teile ich jedenfalls nicht. Wer sein Rad liebt, der schiebt, wäre vielleicht ein wahrlich etwas zu flaches (!) Argument, aber es soll auch ein Aufzug nachgerüstet werden, was bereits wi vieles andere in Lingen seit -zig Jahren angekündigt wurde.
Schließlich fahren sehr viele Lingener:innen inzwischen mit Pedelecs, E-Bikes und Lastenräder. Die sind häufig viel mehr wert und kostbarer sind als vierrädrige Kfz, die aber in überdachten Garagen geparkt werden können. Bei Rädern geht das nicht, sieht man von einer kleinen Ecke versteckt hinten im sog. Parkhügel ab.
Da ist es andernorts besser. In Amsterdam beispielsweise wurde gerade nahe des Hauptbahnhofes („Amsterdam Centraal“) ein Parkhaus unter dem dortigen Wasserlauf eröffnet. Es hat Platz für 7000 Zweiräder und ist damit ein Zeichen, was heute in Zeiten von Verkehrswende und Klimawandel notwendig ist:
Impulse aus dem Denkmalschutz: Solarpanele
11. Januar 2023
In zahlreichen Bundesländern werden aktuell Denkmalschutzgesetze geändert, um regenerative Energien zu fördern. Meist ist nur von der Optik, selten von den Bodeneingriffen die Rede. Besonders sensibel sind jedoch Photovoltaik-Anlagen in historischen Stadtkernen oder auf Baudenkmalen.
Aktuell verbreiten verschiedene Medien die Nachricht über eine italienische Firma, die Solarzellen in Terrakotta-Optik produziert. Aufhänger ist deren Verwendung in den antiken Ruinen von Pompeji.
Die Meldung ist Teil der Aktivitäten eines EU-finanzierten Projekts POCITYF. Dabei geht es speziell darum, denkmalgeschützte Altstädte in die Energiewende zu integrieren. An einigen Beispielstädten (übrigens ohne deutsche Beteiligung) sollen dazu technische Lösungen entwickelt werden.
Am 21.12. hat POCITYF eine Pressemeldung publiziert:
Es geht um Sonnenkollektoren, die die Form antiker römischer Ziegel haben und mit denen in den Ruinen von Pompeji neue Schutzdächer gestaltet werden, die zudem vor Ort Energie erzeugen.
rekonstruiertes Porticusdach an der Mysterienvilla in Pompeji potentieller Einsatzort der Ziegel-PV-Anlage (Foto: R. Schreg, 2016) |
POCITYF sieht in den innovativen Lösungen, die mit dem archäologischen Park Pompeji und der portugiesischen Stadt Évora entwickelt wurden, eine Chance Energiegewinnung mit dem Erhalt kulturellen Erbes und Nachhaltigkeit zu verbinden. Alte Gebäude könnten so trotz der architektonischen und denkmalpflegerischen Einschränkungen zu einem Kapital werden.
Die Technik ist indes nicht neu. Die italienische Firma, die hier beteiligt war, produziert solche PV-Ziegel schon seit 2015 und wartet auf weitere Anwendungen, denn die Panele können auch in anderen Formen produziert werden, die die Optik von Holzverkleidungen oder Bausteinen aufnehmen. Die Module sind aus Polymeren hergestellt, wobei die Oberfläche lichtdurchlässig ist, so dass die integrierten Kollektoren fast so viel Energie erzeugen wie klassische Kollektoren.
Im Augenblick sind die Kosten noch deutlich höher als bei klassischen Kollektoren, doch ist das Anwendungsfeld auch wesentlich größer. Für denkmalgerechte Ziegel wird kaum eine große Serienfertigung möglich sein, da lokale historische Formate berücksichtigt werden müssen – prinzipiell ist es aber möglich, die Solarzellen in individuellen Formen zu produzieren.
Aktuelle Medienberichte
gefunden bei Archaeologik / Rainer Schreg Text CC BY NC SA
Archaeologik ist ein Wissenschaftsblog zu Themen der Archäologie und des Kulturgutschutzes. Er zielt auf eine kritische Archäologie, die sich mit methodisch-theoretischen, wissenschaftspolitischen und gesellschaftlichen Aspekten der Archäologie auseinandersetzt und die alltägliche Forschungspraxis reflektiert.
Archäologie in Lingen
2. Januar 2023
Mittwochs im Museum
Dieter Lammers
Archäologie in Lingen
Lingen (Ems) – Emslandmuseum, Burgstraße 28b
Mittwoch, 4. Januar 2023 16.00 Uhr und 19.30 Uhr
Eintritt 6 Euro, erm. für Mitglieder des Heimatvereins 5 Euro
Anmeldung erforderlich über j.rickling(at)dg-email.de
Für einige ein spannendes Hobby, für andere Geldverschwendung. Archäologie ist in Wirklichkeit unverzichtbare Bodendenkmalpflege. Es geht um den Erhalt und, wenn die nicht möglich ist, um die Dokumentation unseres kulturellen Erbes.
Lingen ist reich an Jahrtausende alten Bodendenkmalen. Neben einigen oberirdisch sichtbaren, wie Großsteingräber oder Grabhügel, liegen die meisten aber unter der Oberfläche verborgen. Das ist gut so, denn hier sind sie seit langem geschützt. Erst wenn sie durch Baumaßnahmen bedroht sind, müssen sie ausgegraben werden. Das ist die letzte Möglichkeit, denn nur ein einziges Mal können die archäologischen Befunde freigelegt und die damit verbundenen historischen Informationen gesichert werden
Dr. Dieter Lammers, seit dem vergangenen Jahr Lingener Stadtarchäologe, gibt in seinem Vortrag einen Überblick zur Bodendenkmalpflege und zur archäologischen Forschung in Lingen. Er berichtet von früheren Forschern, aktuellen Ausgrabungen, von zukünftigen Untersuchungen und von spannenden Funden.
Text: Emslandmuseum
Out of the box
18. Dezember 2022
„Menschen, die Kreativitätsseminare besucht haben, aber selbst nicht kreativ genug sind für eigene Formulierungen, sagen gern Sätze wie: „Wir müssen ‚out of the box‘ denken.“ Die Box ist in dem Fall die Auswahl an gewöhnlichen Vorschlägen, die in der Vergangenheit alles nur schlimmer gemacht haben.
Bei allem, was sich unter dem Begriff Mobilitätswende zusammenfassen lässt, ist zum Beispiel ein großes und bislang ungelöstes Problem, dass in den Innenstädten zu wenig Platz ist. Man könnte so schön breite Gehwege, Radwege und Grünstreifen bauen, wenn am Rand nicht überall Häuser stehen und in der Mitte Autos fahren würden. Wie soll man das lösen?
Man kann den zur Verfügung stehenden Raum umverteilen. Das ist der naheliegendste Vorschlag. Man reißt also die Häuser ab und ersetzt sie durch Radwege, doch dann ziehen die Leute aufs Land und fahren mit ihren Autos in die Stadt, man braucht breitere Straßen. Aber das will man auch nicht. Nimmt man den Autos dagegen den Platz, riskiert man einen Bürgerkrieg.
In Osnabrück, der anderen Stadt des Westfälischen Friedens, hat man daher auch im Sinne der Harmonie im Straßenverkehr ein bisschen „out of the box“ gedacht, und herausgekommen ist: eine Schwebebahn. Ja, genau, eine Schwebebahn – wie man sie aus dem 19. Jahrhundert in Wuppertal kennt. Daher kann man sie auch nicht einfach Schwebebahn nennen, sie braucht einen Namen, der etwas mehr hermacht. Vielleicht „Flyover”? Nein, sie heißt „Sunglider”.
Über den Sunglider spricht man in Osnabrück schon etwas länger. In dieser Woche beschäftigt sich die Wochenzeitung „Die Zeit“ mit der Idee (€) Der Artikel skizziert sie sehr schön in zwei Sätzen. Am Boden sei in den Städten wenig Platz. Also müsse man eine Ebene nach oben gehen.
Die Bahn soll aus dem 3D-Drucker kommen und sich selbst mit Strom versorgen, am Steuer soll eine künstliche Intelligenz sitzen. Schon das würde ein Problem lösen, für das im öffentlichen Personennahverkehr bislang eine Lösung fehlt. Es findet sich kaum noch wer, der die Busse und Straßenbahnen fährt. Aber warum sieht man solche Systeme dann nicht vielfach auf dieser Welt?
„Es muss einen Grund geben, warum wir solche Systeme nicht vielfach auf der Welt sehen“, sagt ein Verkehrsfachmann der Uni München in dem Artikel. Aha. Wir kommen der Antwort also näher.
In den Städten einen „massiven, durchgehenden Fahrweg herzustellen“, das sei eine Herausforderung, sagt der Münchener Verkehrsexperte. In anderen Worten: In den Innenstädten ist zu wenig Platz. Man müsste also gewissermaßen „out of the box“ denken. Und so käme man wieder weg von der Idee einer Schwebebahn.
So weit ist man in Osnabrück allerdings noch nicht. Dort soll der nächste Schritt eine Machbarkeitsstudie sein, die eine Antwort auf die Frage gibt, ob so eine Bahn – Sie ahnen es – überhaupt machbar ist. Und wer weiß, vielleicht ist sie das ja.
Möglicherweise gibt es aber auch noch andere Lösungen…“
[Ein Beitrag von Ralf Reimann in RUMS, der Münsteraner Online-Zeitung, die ich empfehle zu abonnieren]
Nicht da
29. November 2022
Bürgerbeteiligung ist bekanntlich eine gern betonte Errungenschaft. Sie ist das Salz in der demokratischen Suppe und daher von Verwaltungen oft nicht sonderlich gut gelitten. Es gibt beispielsweise die sog. Einwohnerfragestunde, die grundsätzlich am Anfang jeder Sitzung der kommunalen Gremien unserer Stadt steht. Beim Landkreis Emsland steht sie übrigens regelmäßig am Ende, wo sie dann auch nichts mehr an den zuvor gefassten Beschlüssen zu ändern vermag. Ziemlich schräg ist diese Art der Bürgerbeteiligung, wie ich finde.
Schräg ist aber auch mancher Verwaltungstrick in unserer Stadt. So gibt es in dieser Woche eine Sitzung des Ortsrates in Schepsdorf. Dort steht unter Punkt 10 ein „wichtiges Bauvorhaben“ auf der Tagesordnung. Mehr nicht.
Hintergrund: Ein Bauunternehmen möchte auf der ehemaligen Schweinewiese von Pastor Borgel (auf dem Apple-Foto rechts) ein großes Haus bauen. Dazu gibt es manch Kritisches und viel Konstruktives zu sagen, und vielleicht interessiert das Thema auch Schepsdorferinnen und Schepsdorfer. Daher ist es besonders frech, dass die im Ratsinformationssystem angegebene Tagesordnung der öffentlichen Sitzung (!) dazu gar nichts mitteilt (siehe den Ausriss oben).
Erst wenn man wie ich mit einer Kennung im Ratsinformationssystem angemeldet ist, erfährt man nämlich Einzelheiten des Bauvorhabens (siehe Ausriss unten). Man erfährt:
„Es liegt ein Bauantrag für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage vor. Das Vorhaben ist nach § 34 BauGB zu beurteilen und baurechtlich zulässig.“
Allerdings erfährt niemand, weshalb das Vorgaben „baurechtlich zulässig“ ist. § 34 Baugesetzbuch (BauGB) ist keine einfache Vorschrift. Ein Bauvorhaben ist nämlich nur dann in einem durch einen nicht geregelten, sogenannten Innenbereich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben. Vor allem darf das Ortsbild nicht beeinträchtigt werden. Das ist direkt gegenüber der im Kern romanischen Schepsdorfer Alexander-Kirche des 11./12. Jahrhunderts eine besonders heikle Sache. Bereits vor 12 Jahren ging ein größeres Bauvorhaben direkt östlich der Kirche gestalterisch ziemlich daneben. Jetzt also auf der anderen Straßenseite ein knapp 50m langer geschlossener Baukörper mit zwei Vollgeschossen plus sogenanntem Staffelgeschoss.
Trotzdem findet sich keine Begründung, weshalb das aktuelle Bauvorhaben zulässig ist. Die detaillierten Vorlagen zum Vorhaben finden sich aber nur für registrierte Nutzer des Ratsinformationssystems, also Ratsmitglieder wie mich beispielsweise. In der öffentlichen Einladung, die für alle BesucherInnen des Ratsinformationssystem aus Schepsdorf wie von anderswo einzusehen ist, werden sie verschwiegen. Sie sind nicht da. Dieses Verschweigen nenne ich undemokratisch und bürgerfern.
Den Trick hat der Oberbürgermeister zu verantworten. Es ist übrigens kein Einzelfall. Ähnliches gab es in diesem Jahr in Holthausen/Biene am Schilfweg, wo ein Bauvorhaben im Ratsinformationssystem drin war, dann raus war, dann wieder drin war, bevor es dann endgültig raus war. Solche Verfahren sollen die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger ausschließen, obwohl das Vorhaben wichtig ist.
Zur auffrischenden Erinnerung: Dieter Krone kandidierte 2010 mit diesen Versprechen („wichtigste Ziele“):
„City experience“
25. November 2022
Das Modewort ist immer irgendwie was mit Englisch. In Lingen setzt sich die Stadtverwaltung für „Lingen City Experience“ ein. Das ist nicht etwa eine lebenswerte Innenstadt sondern eine mit Schnickschnack: Rote Klötze, rote Tafel und rote Kindlein und am Bahnhof ein überdimensioniertes rotes Moin, wenn er und sein Vorplatz denn fertig sind. Das Vorhaben kostet 400.000 Euro – mindestens. Es wird aus irgendwelchen Fördertöpfen bezahlt. Guckt mal dieses Beispiel und hier mehr:
Ich finde gleichzeitig beeindruckende Gegenentwürfe. Experience bedeutet bekanntlich Erfahrung und Erlebnis. An einem wirklichen Erlebnis werkeln nämlich seit Ostern die Stadtwerke Lingen und ihr träges Vertragsunternehmen Gast + Stassen. Auf geschätzt 150m sollen in der Burgstraße eine Gas- und eine Wasserleitung erneuert werden. Das geschieht seit 8 Monaten in solch einem Zeitlupentempo, dass im Verhältnis dazu die Baustelle des Berliner Flughafens BER geradezu blitzschnell fertig geworden ist. Für Anwohner, Geschäftsleute und Gäste bedeutet dies eine ganz besondere Experience, erleben sie doch seit rund 240 Tagen wie schnurzpiepegal sie und die Innenstaden Stadtwerken sind. Das sieht dann so aus. Die Dreckbaustelle soll noch bis in das Frühjahr bestehen. Sie ist auch unserem OB offenbar gleichgültig. Jedenfalls reagierte er gar nicht auf meine wiederholten Versuche, in den städtischen Gremien für ein schnelleres Tempo zu sorgen. Das ist die wirkliche „Lingen City Experience“. Schaut mal in die Burgstraße:
Aufruf!
13. September 2022
Also, da könnte unsere Stadtverwaltung ja mal wirklich, also, ich mein‘ ja nur. Oder habe ich den Aufruf aus dem Rathaus zur Teilnahme am Fahrradklima-Test 2022 übersehen?
Anders gesagt:
Der bundesweite Fahrradklimatest 2022 des ADFC ist wieder online. In den Vorjahren waren seine Resultate für unser am Auto ausgerichteten Mittelzentrum mit oberzentralen Teilaufgaben eher mau. Ganz im Gegensatz zum Vorbild Nordhorn. Fahrradwegemäßig hat sich 2022 leider nichts geändert; denn weiterhin wird zwar viel gesabbelt und versprochen aber wenig getan und umgesetzt.
Oder siehst du das anders? Klick rein.
Wenigstens das
12. September 2022
Heute vor genau einem Jahr wählten die Lingenerinnen und Lingener das neue Stadtparlament. Die Kommunalwahl 2021 war (lokal)historisch, als die CDU ihre absolute Mehrheit in Lingen verlor, die sie seit 1950 immer innehatte, wenn man die Orte mit hinzuzählt, die in späteren Jahren eingemeindet wurden. In der Folge sprangen ihr die große Koalition in Niedersachsen mit einem nach (!) der Kommunalwahl veränderten Auszählsystem und die örtliche FDP beflissen zur Seite, um sie wieder herzustellen. So unterstrichen sie, auf wen man sich verlassen kann und auf wen nicht und die Chance für eine bessere Stadtpolitik war perdu.
Ein weiterer politischer Geburtsfehler der CDU-geführten Ratsgruppe bestand darin, die Zahl der Ratsausschüsse zu verringern, weil die FDP sonst personell die Teilnahme nicht leisten kann; ihr Fraktionsvorsitzender arbeitet im Ruhrgebiet und MdB Jens Beeck hat meistens in Berlin zu sein. Daher fehlt schlicht die Manpower, um in allen bisherigen Ausschüssen Sacharbeit zu leisten. Die soll bekanntlich dort, in den Ratsausschüssen geleistet werden. Das ist jetzt schwieriger, weil es weniger Ausschüsse gibt. Insbesondere vermisst man den Verkehrsausschuss und auch der LWT arbeitet seither faktisch ohne Ratsbegleitung.
Auch nimmt Oberbürgermeister Krone weiterhin an den montäglichen CDU-Fraktionssitzungen teil. Etwas, das seine fehlende Bereitschaft zu gemeinsamer Entwicklung der Stadtpolitik unterstreicht – auch wenn SPD und Grüne immer wieder in Zuschriften und Anträgen den „lieben Dieter“ anschreiben. In diesem Sommer traf ich einen Amtskollegen unseres OB, der über so viel Vorweg-Parteinahme nur den Kopf schütteln konnte: „Nie würde ich so etwas machen.“ Es ist lange her, dass SPD und Grüne den Amtsinhaber auf den Schild gehoben haben.
Auch im ersten Jahr der laufenden Wahlperiode hat sich die Benachteiligung der alten Kernstadt Lingen fortgesetzt. Was in den 1970er Jahren als 10jähriges Übergangsmodell ersonnen wurde – die Ortsteile- hat sich aus einem Nachteilsausgleich längst in das Gegenteil verkehrt: Denn die Ortsteile und ihre Vertreter bestimmen, was in Lingen geschieht, und das ist nicht gut. So erhält gerade reihum jeder Ortsteil gerade eine millionenteuere, neue Feuerwehrwache, obwohl es keinen Feuerwehrbedarfsplan gibt. Ein weiteres Beispiel ist die unveränderte, einseitige Ausrichtung der Stadtentwicklung auf neue Baugebiete in den Ortsteilen. Als ob es deutschlandweit keine Debatte über Flächenverbrauch, Klimafragen oder unbezahlbare Baupreise gibt, und vor allem, als ob es nicht längst kluge Alternativen gibt.
Die vor sieben Jahren von der CDU erhobene Forderung, schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist jedenfalls bisher nicht umgesetzt worden. Durch die gegründete Wohnungsbaugenossenschaft wurden seither nämlich nur rund 70 Wohnungen gebaut. Dabei sollten es einmal 30 im Jahr sein. Es gibt keinen aktiven Klimaschutz in der Stadt, vielmehr nur Worte. Dasselbe gilt für das aktuelle Aufgabe, Energie zu sparen. Da fällt dem OB und seinem Team außer der Übernahme der Sparverordnungen des Bundes und dem Verzicht auf Straßenbeleuchtung nichts ein.
Die fehlende Beteiligung aller in unserer Stadt hat auch andere Auswirkungen. Oder wie ist es sonst erklärbar, dass die ehemalige VHS am Pulverturm erst leer stand und jetzt dort Flüchtlinge mit DIN-gerechter Unterrichtsbeleuchtung an der Decke wohnen? Beraten und beschlossen hat das niemand im Rat und seinen Ausschüssen. Das darin zum Ausdruck kommende Versagen in der Versorgung von Flüchtlingen jedenfalls führt auch dazu, dass jetzt in Lingen zum ersten Mal tatsächlich Container auf einem Acker in Holthausen/Biene aufgestellt werden sollen, ohne dass dies in Bürgerversammlungen besprochen wurde. Es gebe keine andere Möglichkeit, heißt es.
Überhaupt gab es seit der Wahl keine sozialen Ratsbeschlüsse, die über Symbolik hinausgingen. So gibt es keine Balkonkraftwerke für wirtschaftlich Schwache und auch eine Unterstützung der 9-Euro-Tickets wurde von der Ratsmehrheit abgelehnt.
Es bleibt Lingen als Wasserstoff-Stadt im Nordwesten, weil in den 1970er Jahren die dafür jetzt genutzten Strukturen geschaffen wurden. Davon profitiert man und nicht etwa aufgrund vorausschauender kommunaler Entscheidungen der letzten Zeit. Auch die Verkehrspolitik entwickelt sich nicht. Seit sechs Jahren soll ein Verkehrsplan entstehen, kommt aber nicht, obwohl Rad- und Busverkehr die Zukunft einer nachhaltigen Stadtentwicklung sind.
Alles das bleibt durch eine gänzlich geänderte Medienpraxis eher unbekannt. Die zum NOZ-Verlag zählende Lingener Tagespost hat sich völlig aus der Kulturberichterstattung und der Sportberichterstattung (Ausnahme: SV Meppen) verabschiedet. Auch über Kommunales berichtet sie nur in wenigen Zeilen aber dafür mit großen Fotos. Dieser Rückzug ist gleichermaßen für unser Gemeinwesen und seine demokratische Ausrichtung gefährlich.
Personell ändert sich an diesem Monatsletzten etwas im Rathaus, weil der Erste Stadtrat Stefan Altmeppen ausscheidet. Nie konnte er inhaltlich überzeugen, geschweige denn ausgleichende oder gar fortschrittliche Akzente setzen. Als peinlich bleiben mir seine rechtlichen Verdrehungen in Erinnerung, wenn es um langzeitgeduldete Flüchtlinge oder demokratische Grundfragen ging. Da kam von dem zu Studien- und Referendarzeiten glühenden Anhänger der SPD nur Indiskutables.
Apropos SPD: Sie irrlichtert gern mit Seltsam-Anträgen wie, städtische Baugrundstücke pro Kind um 1 Euro pro Quadratmeter günstiger zu verkaufen; jede/r kann ausrechnen, wie dies bei 500qm Grundstück und 500.000 Euro Baukosten „entlastend“ wirkt. Auch als ehrlicher Sachwalter hat sie sich spätestens seit dem Tag verabschiedet, als ihr die CDU gönnerhaft einen Bürgermeister-Stellvertreterposten überließ und etwas später dann just der neue Amtsinhaber mit SPD-Parteibuch für die Beibehaltung eines Straßennamens nach einem SS-Offizier votierte. Ausgerechnet ein Mann aus der Partei, deren führende Köpfe von der SS und den Nazis vernichtet wurden – man fasst es nicht.
Doch es gibt -bei aller Unterschiedlichkeit- inzwischen eine sehr ordentliche, meist informelle Zusammenarbeit zwischen den Grünen und unseren BürgerNahen im Rat. Wenigstens das.