Bluff

2. Oktober 2023

Kurzer und wichtiger Zwischenruf des Kollegen  Udo Vetter (LawBlog):

„Ärgerlich genug, wenn euch die Polizei zur Vernehmung lädt. Als Beschuldigte/r.

Noch ärgerlicher, wenn die Vorladung mit einem Bluff verbunden wird. Der steckt in folgendem Satz, den man leider immer häufiger liest:

„Dieser Vorladung für Sie liegt ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde.“

Klingt amtlich und wichtig. Es ändert aber rein gar nichts an eurem Recht, die Vorladung als das zu betrachten, was sie ist. Eine bloße Einladung. Mehr nicht. Einladungen muss man bekanntlich nicht folgen.

Der Hinweis auf den Auftrag durch die Staatsanwaltschaft ändert, um es noch mal zu sagen, an der geltenden Rechtslage für Beschuldigte folgendes: rein gar nichts. Es steht euch nach wie vor stets frei, die Gelegenheit zu einem Gespräch auf dem Kommissariat verstreichen zu lassen. Ihr müsst nicht hingehen. Ihr müsst auch nicht absagen. Schon gar nicht müsst ihr was sagen.

Der Satz ist nur für Zeugen relevant. Zeugen sind nämlich nach einer Gesetzesänderung [der ehem. Großen Koalition] verpflichtet, zur Polizei zu kommen. Aber auch nur, wenn ein Auftrag der Staatsanwaltschaft vorliegt. An dem umfassenden Schweigerecht für Beschuldigte hat sich aber nichts geändert. Ebenso wenig an der Tatsache, dass Beschuldigte nicht auf die Polizeiwache kommen müssen.

Lasst euch also nicht ins Bockshorn jagen.“

Und es hat zoooom gemacht

9. September 2023

Die Gerichtsverhandlung über Video ist zwar noch nicht die Regel. Aber immer mehr Gerichte nutzen die Möglichkeit, den Fall virtuell zu klären und den Beteiligten die Anreise zu ersparen. Möglich ist das am Zivil-, Verwaltungs-, Sozial-, und Finanzgericht. Also so gut wie überall, mit Ausnahme der Strafgerichte. Bei Videoverhandlungen hängen die Fallstricke aber niedrig. Das zeigt aktueller Fall.

Das Finanzgericht in Münster hatte die mündliche Verhandlung durch eine Video-Schalte ersetzt. Bild und Ton waren da. Allerdings betätigte sich der Vorsitzende Richter als „Regisseur“. Mal blendete er im Bild alle Richter ein. Aber auch mal nur den, der gerade sprach. Zwei Drittel der Sendezeit soll nur der Vorsitzende selbst zu sehen gewesen sein. Das belegt jetzt keine übertriebene Selbstverliebtheit. Der Vorsitzende hat fast immer den größten Redeanteil.

Der Kläger aus dem Verfahren wehrte sich aus formalen Gründen gegen die Entscheidung des Finanzgerichts. Seine Begründung: Jedes Gericht muss während der Verhandlung ordnungsgemäß besetzt sein. Das heißt, alle Richter müssen anwesend sein. Sie dürfen nicht schlafen. Oder per SMS den Babysitter absagen. Alles schon dagewesen.

Nur, so der Kläger, ohne ein Panoramabild von der Richterbank könne er dies am anderen Ende der Leitung nicht überprüfen. So simpel die Argumentation, so zugkräftig war sie. Der Bundesfinanzhof gab der Revision des Mannes statt. Neben schlafenden Richtern verweist der Bundesfinanzhof auf einen anderen Fall. Dort war einer der Richter erst kurz nach Verhandlungsbeginn am Arbeitsplatz erschienen. Bei einer virtuellen Verhandlung hätte der Kläger das ohne durchgehendes Bild von der Richterbank nicht feststellen können.

Wenn man im Prozess eine Klatsche gekriegt hat, lässt sich die Sache so ganz neu aufrollen. Ob das Ganze die Lust von Richtern auf Videoverhandlungen steigert, ist eine andere Frage (Aktenzeichen V B 13/22).


gefunden im LawBlog von Udo Vetter

Die Vorratsdatenspeicherung ist weiterhin rechtswidrig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht erneut festgestellt. Nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Koalitionsvertrag und Gerichtsurteile nicht umsetzen und beharrt auf der anlasslosen und massenhaften Datenspeicherung. Kollege Udo Vetter schreibt gestern in seinem LawBlog:

„Nun zur guten Nachricht des Tages: Es wird in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung geben. Das Bundesverwaltungsgericht beerdigt mit einer heute bekanntgegebenen Entscheidung den Wunsch nach einer vorsorglichen Totalspeicherung von Verbindungsdaten aller Bürger, egal ob beim Telefon, im Mobilfunk oder im Internet.

Die schon seit Jahren in Paragrafen gegossene umfassende Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Auffassung der Richter gegen EU-Recht. Sie ist deshalb nicht anwendbar, wie das Gericht ausdrücklich feststellt. Schon die Vorinstanzen und andere Gerichte haben die Vorratsdatenspeicherung vorläufig blockiert.

Nach der heute bekanntgegebenen Entscheidung ist eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch unspezifizierte Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten unzulässig. Laut den Richtern fehlen „objektive Kriterien“, die einen Zusammenhang zwischen Speicherung und verfolgtem Zweck herstellen.

Außerdem habe der Gesetzgeber bei Telefondaten die vom Europäischen Gerichtshof geforderte strikte Begrenzung der Zugriffsrechte auf „Fälle der nationalen Sicherheit“ nicht umgesetzt. Bei Internet-Verbindungen hätte die Nutzung auf Fälle schwerer Kriminalität und schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beschränkt werden müssen. All dies hat der Gesetzgeber laut dem Urteil versäumt.

Die Vorratsdatenspeicherung steht zwar nach wie vor im Gesetz. Sie bleibt aber außer Kraft (Aktenzeichen 6 C 6.22 sowie 6 C 7.22)“

Mehr…

Wer schreibt, der bleibt!

26. August 2023

Der LawBlog von Udo Vetter befasste sich jetzt mit einem Phänomen, das mich beruflich immer wieder auf Trab hält und beschäftigt. Stets stelle ich meinen Gesprächspartnern dann die Frage, weshalb sie eigentlich wochen-, monate- und jahrelang Nachrichten in ihren Smartphones speichern, die niemand braucht und vor allem niemand (mehr) lesen soll. Denn: „Wer schreibt, der bleibt!“ Udo Vetter schreibt:

Wie weit geht die Vertraulichkeit unter Arbeitskollegen? Eine wichtige Entscheidung hierzu hat das Bundesarbeitsgericht getroffen – in Bezug auf eine geschlossene WhatsApp-Gruppe. Sieben Mitarbeiter eines [niedersächsischen] Flugunternehmens, die seit vielen Jahren auch befreundet sind, haben jahrelang miteinander geschrieben. Dabei teilte einer von ihnen kräftig aus, und zwar gegenüber Vorgesetzten. Stark beleidigend, rassistisch, sexistisch und sogar zu Gewalt aufstachelnd sollen die Nachrichten gewesen sein. Gegen die fristlose Kündigung wehrte sich der Betroffene in zwei Instanzen erfolgreich. Bis die Sache nun vor das Bundesarbeitsgericht kam. Die Richter dort finden die Sache nicht so eindeutig.

Der gekündigte Angestellte berief sich darauf, dass man im engsten Freundes- und Familienkreis deutlich offener sprechen darf als gegenüber Fremden. Es handelt sich hier um einen besonders geschützten Bereich der Kommunikation. Ich habe vor einiger Zeit beispielsweise einen Motorradfahrer vertreten, der in einer WhatsApp-Gruppe von vier Freunden regelmäßig über einen bestimmten Polizisten seines Heimatortes ablederte, weil er diesen für einen Bußgeldabzocker hielt. Am Ende stand ein Freispruch, weil es im Strafrecht diesen „beleidigungsfreien Raum“ gibt.

Auch im Arbeitsrecht sei so ein geschützter Bereich denkbar, sagen die Richter. Allerdings haben sie Zweifel, dass der Betroffene im konkreten Fall tatsächlich auf die Vertraulichkeit vertrauen konnte. Je heftiger die Äußerungen und je größer die Gruppe, desto weniger sei der Arbeitnehmer geschützt. Auch seien Messenger auf die schnelle Weiterleitung von Nachrichten ausgelegt. Das Gericht hob die bisherigen Urteile auf, die Sache muss neu verhandelt werden. Zunächst erhält der Kläger noch mal Gelegenheit darzulegen, warum er eine „Vertraulichkeitserwartung“ hegte.

Als Arbeitnehmer kann man aus der Sache schon mal dass Ausfälle gegenüber dem Arbeitgeber auch in kleinen, sehr privaten WhatsApp-Gruppen gefährlich sein können. Zumal bei Messengern ja auch nach wie vor der alte Grundsatz gilt: Wer schreibt, der bleibt
(BAG, Urteil vom 24.08.2023, Aktenzeichen 2 AZR 17/23).

Leute, löscht Eure alten WhatsApp- und Messenger-Nachrichten. Ihr braucht sie nicht.

Versicherungsschutz!

31. März 2023

Was für ein schrecklicher Unfall: Ein Schüler (16) aus Brandenburg öffnete die letzte Tür des Regionalexpress mit einem Vierkantschlüssel. Dann stieg er auf die dahinterfahrende Lok, die den Zug schob. Auf dem Dach kam er mit der Oberleitung in Kontakt und stürzte brennend vom Dach. Er erlitt schwerste Verletzungen, unter anderem waren 35 Prozent seiner Körperoberfläche verbrannt.

Das Unglück beschäftigte nun das Bundessozialgericht. Denn der junge Mann hatte die Unfallkasse Brandenburg auf Übernahme seiner Behandlungskosten verklagt. Bei einem „Wegeunfall“ sind Schüler gesetzlich unfallversichert. Der Versicherungsträger lehnte eine Haftung jedoch ab. Es bestehe kein „innerer sachlicher Zusammenhang“ zum Schulweg.

Das Bundesssozialgericht zeigte dagegen Herz für den Schüler. Dem jungen Mann sei es darum gegangen, im Freundeskreis als „cool“ zu gelten. Es handele sich (noch) um „spielerische Betätigung im Rahmen gruppendynamischer Prozesse“. Dass Kinder und Jugendliche auf dem Schulweg spielen, schließe den Versicherungsschutz nicht aus. Das gelte auch bei der vom Schüler selbst geschaffenen enormen Gefahr. Das Gericht verweist auch darauf, dass es unter Schülern in der Gegend wohl schon etliche Surfaktionen gab, bei denen nichts passierte. Folge sei eine „erworbene Sorglosigkeit“. Diese habe zu einer „massiven alterstypischen Selbstüberschätzung geführt“.

Deshalb muss die Unfallversicherung zahlen (BSG, Aktz. B 2 U 3/21 B).


Ein Beitrag von Udo Vetter, LawBlog

Regierungsflieger

23. August 2022

Udo Vetter greift in seinem LawBlog das Shitstorm-Thema des Tages auf: Masken im Regierungsflieger:
„Aktuell kocht in den sozialen Medien ein Thema hoch. Der aktuelle Regierungsflug nach Kanada. Vor allem teilnehmende Journalisten haben emsig Schnappschüsse aus dem Jet getwittert. Allerdings trägt auf den Bildern niemand eine Maske. Niemand.

Kritik hieran ist natürlich zwangsläufig, waren ja auch genug Leute in letzter Zeit in Urlaub und wurden im Flugzeug aufgefordert, der Maskenpflicht nachzukommen. Da ist es vielleicht nur semiratsam, wenn etwa die an der Reise teilnehmende Korrespondentin von t-online auf Twitter gewisse Bedenken nicht sachlich aufgreift, sondern mit einem schnodderigen „Funfact für Trolle“ reagiert. Das ist wirklich ihre Wortwahl, nicht meine. Die Journalistin verweist darauf, die Teilnehmer hätten alle PCR-Tests gemacht. Sie sogar einen für deutlich mehr als hundert Euro.

Ich will nicht über Sinn und Unsinn der Maskenpflicht diskutieren. Woran aber kein Weg vorbeiführt: § 28b IfSG (Infektionsschutzgesetz) schreibt in seiner derzeit gültigen Fassung eine Maskenpflicht für alle Flugzeuge fest, die von Deutschland aus starten. Was für Berlin in geografischer Hinsicht, halten wir das als einfachsten Punkt direkt ebenfalls fest, allenfalls im tiefsten Trollistan bestritten wird.

Die Maskenpflicht gilt für „alle Verkehrsmittel des Luftverkehrs“. Unter Luftverkehr fallen alle Dinge, die sich unter Leugnung der Schwerkraft von A nach B bewegen und die keine Vögel sind. So ein Regierungsflieger sieht auch stark nach einem „Verkehrsmittel“ aus, selbst wenn vielleicht Luftwaffe oder Bundesrepublik Deutschland draufsteht. Die kolportierten Bilder von dem genutzten Flugzeug lassen jedenfalls jedenfalls in der Journalisten-Holzklasse keinen sonderlichen Unterschied zu einem Lufthansa-Flieger erkennen. Das Infektionsschutzgesetz gilt ganz eindeutig auch für die Bundeswehr. Das steht ausdrücklich in § 54a IfSG, wonach die Bundeswehr selbst für den Vollzug des Gesetzes zuständig ist.

Schauen wir nach anderen validen Argumenten, welche bestätigen könnten, dass die Leute, die das Ganze einfach mal hinterfragen, dann doch nur Dösbaddel sind. Ein valides Argument gibt es für die Regierungsflieger. Es wird nämlich gesagt, es handele sich ja nicht um einen „öffentlichen“ Flug.

Dazu muss man das Gesetz sehr genau lesen. Darin heißt es:

Die Verkehrsmittel des Luftverkehrs und des öffentlichen Personenfernverkehrs dürfen von Fahr- oder Fluggästen sowie dem Kontroll- und Servicepersonal und Fahr- und Steuerpersonal nur benutzt werden, wenn diese Personen während der Beförderung eine Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) oder eine medizinische Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) tragen.

Das Gesetz unterscheidet als zwischen „öffentlichem Personenfernverkehr“ und „Verkehrsmitteln des Luftverkehrs“. Bei letzteren steht das Wort öffentlich gerade nicht. Schon daraus lässt sich sehr deutlich entnehmen, dass der Gesetzgeber sogar bewusst unterscheiden wollte, und zwar so: Maskenpflicht im Personenfernverkehr nur, wenn er öffentlich ist. Maskenpflicht im Flugverkehr, wenn Flugverkehr. Also wird es jedenfalls nichts mit dem Rettungsanker nichtöffentlich.

Auch ein PCR-Test ändert an der Maskenpflicht übrigens nichts, wie man zum Beispiel beim ADAC nachlesen kann und was auch die Lufthansa, die ja den Maskenfrust als Carrier täglich abbekommt, in ihren Verlautbarungen immer wieder betont. Es gibt keine Regelung für den Luftverkehr, welche die Maskenpflicht aufhebt, es sei denn man ist (körperlich) jünger als sechs Jahre oder gesundheitlich beeinträchtigt. Ein Ablasshandel PCR-Test statt Maske findet juristisch nicht statt.

So weit meine rechtliche Bewertung zum maskenlosen Flug des Regierungsfliegers. Aber es gilt ja der Grundsatz zwei Juristen, drei Meinungen. Vermutlich wird sich ohnehin das Berliner Gesundheitsamt und später das Amtsgericht mit vielen, vielen Einzelfällen beschäftigen dürfen. Der Verstoss gegen die Maskenpflicht von in Deutschland gestarteten Flügen ist ein Bußgeldtatbestand und kann entsprechend geahndet werden.“


aus LawBlog  mit Dank an Udo Vetter

Smartphoneallergie

18. August 2022

Im LawBlog des Kollegen Udo Vetter lese ich etwas über die Smartphoneallergie der Polizei:

„Ob man Polizeieinsätze filmen und vor allem die Gespräche zwischen Polizisten und Betroffenen aufzeichnen darf, darüber gibt es schon etliche Gerichtsentscheidungen. Diese fallen unterschiedlich aus, jetzt kommt eine weitere hinzu, die voraussichtlich besonderes Gewicht haben wird. Denn mit dem Oberlandesgericht Zweibrücken äußert sich zu dem Thema eine höhere Instanz. Nach Auffassung dieser Richter darf man nicht aufzeichnen, was Polizisten sagen.

In der Legal Tribune Online findet sich eine ausführliche Besprechung der Entscheidung. Für mich ist diese Tendenz in der Rechtsprechung nur schwer nachvollziehbar. Es handelt sich bei Polizeieinsätzen um Maßnahmen des Staates, die zumindest im öffentlichen Raum von der Öffentlichkeit auch beobachtet und dokumentiert werden dürfen.

Letztlich untergraben staatliche Organe mit erzwungener Heimlichtuerei den Vertrauensvorschuss des Bürgers, welchen sie so gerne einfordern.“


OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.06.2022, Az. 1 0LG 2 Ss 62/21.
Quelle

§ 456a StPO

30. Juli 2022

Zwischen den USA und Russland wird wohl über einen Gefangenenaustausch verhandelt. Die USA möchten die in Moskau wegen eines Drogendelikts inhaftierte Basketballerin Brittney Griner und einen weiteren US-Bürger [den ebenfalls in Russland inhaftierten früheren US-Soldaten Paul Whelan] rausholen. Im Gegenzug soll Russland höchstes Interesse haben, [den in den USA inhaftierten russischen Waffenschmuggler Viktor Bout und] einen verurteilten Mörder zurückzubekommen. Der Mann [Vadim Krassikow] sitzt allerdings in deutscher Strafhaft – so dass Deutschland schnell in ein unerfreuliches Szenario hineingezogen werden könnte.

Bei dem inhaftierten Russen handelt es sich um den sogenannten Tiergartenmörder, der im Jahr 2019 einen Georgier [Zelimkhan Khangoshvili von hinten mit 3 Schüssen, u.a.] mit einem Kopfschuss getötet hat. Das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig. Der Täter soll enge Verbindungen zum russischen Geheimdienst gehabt haben. Von diesem soll er auch falsche Papiere erhalten haben.

Die Problematik ist natürlich erst mal eine der gefühlten Gerechtigkeit. Es ist nicht davon auszugehen, dass die lebenslange Freiheitsstrafe des Tiergartenmörders in Russland weiter vollstreckt wird, zumindest nicht ernsthaft.

Juristisch ist Deutschland natürlich nicht dazu verpflichtet, den USA einen solchen Gefallen zu tun. Der Aufschrei wäre wahrscheinlich auch enorm. Es gäbe sicher vehemente Kritik daran, wie sich Bürger fühlen sollen, wenn ausländische Agenten in Deutschland mehr oder weniger ungestraft morden können. Und natürlich würde sich auch die Frage stellen, wie souverän die Entscheidung der Bundesregierung im Verhältnis zu den USA tatsächlich wäre. Sozusagen Realpolitik at its best. Da wird dann ohnehin aus dem argumentativen Schützengraben argumentiert, ich halte mich da lieber raus.

Damit sind wir beim eigentlichen Punkt, den ich ansprechen wollte. Juristisch ist die Beteiligung an dem Tauschhandel nämlich ziemlich unproblematisch. Das deutsche Strafvollstreckungsrecht ist sehr liberal, wenn es um die „Überstellung“ verurteilter Straftäter ins Ausland geht. Zentrale Norm ist § 456a StPO:

Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe … absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

Interessant sind hier mehrere Dinge. Zunächst wird mit dem Wörtchen „kann“ ein Spielraum eingeräumt. Alles geht, nichts muss. Dann gibt es keine Regelung, ob und in welchem Umfang eine Strafe bereits vollstreckt sein muss. Konkret ist es also möglich, dass ein Straftäter keinen einzigen Tag seiner Strafe in Deutschland verbüsst, wenn von der Verfolgung abgesehen wird.

Außerdem sind keine Straftatbestände ausgenommen. Das heißt, auch Mörder, Massenmörder und Kriegsverbrecher können von der Regelung profitieren. Es bedarf dann nur einer Ausländerbehörde, welche die Abschiebung anordnet. Da sind die Spielregeln aber ebenso flexibel gefasst. Es gehört ja zu den erklärten Zielen des Aufenthaltsrechts, dass verurteilte Ausländer in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden und nicht wiederkommen können, es sei denn sie nehmen eine erneute Inhaftierung in Kauf (Absatz 2 von § 456a StPO).

Rechtlich gesehen sind die Hürden für den Tauschhandel demnach nicht sonderlich hoch. Der Bundeskanzler ist dennoch nicht zu beneiden, wenn er tatsächlich eine Entscheidung treffen muss.

Bericht im Spiegel


Ein Beitrag aus dem LawBlog von Udo Vetter [mit eigenen Ergänzungen]. Gleiches melden auch faz.net, t-online.de und tageschau.de

 

100.000

28. Juli 2022

Im Jahr 1960 mit umgerechnet 400 Euro Mietkaution eingezogen – und nun mit 100.000 Euro wieder aus? So kann es gehen, wenn man die Mietkaution in Aktien anlegt. Das AG Köln hat sich mit so einem Fall beschäftigt. Udo Vetter berichtet in seinem LawBlog:

„Mietverträge sind ja meist keine unterhaltsame Lektüre. Aber beim Auszug kann es sich für Mieter durchaus lohnen, mal einen Blick auf diverse Vertragsklauseln zu werfen. Insbesondere jene über die Mietkaution, wie ein vom Amtsgericht Köln aktuell entschiedener Fall zeigt. Nach dem Ende eines 60-jährigen Mietverhältnisses über eine ganz normale Wohnung ging es darum, ob die Kaution 400 Euro beträgt, was der Höhe nach zu erwarten gewesen wäre. Oder aber stolze 100.000 Euro.

Letzteren Betrag forderte die Tochter der verstorbenen Mieter als Erbin ein. Was zunächst mal abenteuerlich klingt, hat aber einen greifbaren Hintergrund. In dem Mietvertrag aus dem Jahr 1960 war nämlich festgelegt, dass die Vermieterin, eine Wohnungsgesellschaft, die Kaution nicht wie üblich auf ein Sparkonto einzahlt. Sie durfte die Kaution in Aktien anlegen, was auch geschah.

Bei einem Umzug in eine andere Wohnung der Vermieterin wurde die Kaution im Jahre 2005 umgeschrieben, über die Jahre zahlte die Firma immerhin die Aktiendividenden an die Mieter aus. Das waren bis 2017 rund 6000 Euro, die mit der Miete verrechnet wurden. Die Aktien wollte die Vermieterin zum Vertragsende aber nicht herausgeben. Sie berief sich darauf, dass ihr nach dem Vertrag ein Wahlrecht zusteht, lediglich 409,03 Euro wollte sie auszahlen.

Das Amtsgericht Köln gab der Erbin der Mieter recht. Zwar seien früher an sich nur Spareinlagen als Sicherheit zulässig gewesen, doch habe sich der Vertrag beim Umzug im Jahre 2005 erneuert. Zum damaligen Zeitpunkt war es aber schon zulässig, dass Mieter und Vermieter eine andere Anlageform für die Kaution vereinbaren. In jedem Fall, so das Amtsgericht, gelte aber der Rechtsgedanke des § 551 BGB in der heute gültigen Fassung. Danach steht ein Gewinn bei einer Kaution auf jedem Fall dem Mieter zu. Die Klägerin hat also Anspruch auf die rund 100.000 Euro, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist
(AG Köln, Aktenzeichen 203 C 199/21, Presse).“


gefunden in Udo Vetters LawBlog

Der Münchner Rechtsanwalt und frühere BGH-Vorsitzende Thomas Fischer nimmt sich das Enthüllungswerk eines Amtsrichters aus Dinslaken vor. Des Richters neues Buch heißt „Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf“. Es ist das Nachfolgewerk einer ersten Aufklärungsschrift des betreffenden Richters aus dem Jahr 2019. Diese trug den Titel „Urteil: ungerecht. Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt“.

Fischer bricht das neu Buch und wohl auch gleichzeitig das alte, auf seinen wesentlichen Inhalt herunter:

Streng blickt Richter Schleif dem Feind ins Auge. … Das Landgericht Duisburg, das Herrn Amtsrichter Schleif instanzmäßig übergeordnete Gericht, besteht, soweit es seine Strafkammern betrifft, durchweg aus Versagern, Feiglingen, Dummköpfen und Faulenzern. Diese produzieren „gequirlte Scheiße“ ohne Unterlass, fördern das Verbrechen, statt es zu bekämpfen, und zerstören das Ansehen der Justiz. Ein letztes Bollwerk gegen das Chaos sind Richter Schleif und die ihm dankbare Polizei. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Auch ansonsten ist die Rezension zwar sehr lang, aber ebenso vergnüglich zu lesen: hier.


Richtig gut
finde ich es übrigens, dass dieser Beitrag im LawBlog von Udo Vetter erschienen ist. Rund ein Vierteljahr gab es nichts Neues vom Kollegen. Das aber hat sich jetzt geändert. Fein!