anschwellender Populismus

10. Oktober 2022

Ein paar lokale Worte und mehr zur gestrigen Landtagswahl:

Die SPD Lingen hat sich gestern wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Vor einer Woche, als Samstagmorgens nur drei Parteimitglieder zum geplanten Infostand erschienen, entschieden sich die drei, lieber einen Kaffee zu trinken und auf den Infostand zu verzichten. Ein Beispiel für einen insgesamt schlappen Auftritt. Ein Ergebnis des SPD-Verzichts auf einen kämpferischen Einsatz ist das Erstarken der AfD in Lingen. Sie schaffte in der einst so stolz bunten Emslandmetropole flotte 7,7% – also 4 Punkte (!) mehr als vor fünf Jahren, als sie mit 3,6 unter „ferner liefen“ ins Ziel trudelte. Wenn man wie die SPD auf Gespräche mit den Wählerinnen und Wählern verzichtet, lässt man eben den rechten Populismus anschwellen.

Dieser Vorwurf geht nicht nur an die SPD sondern auch an die CDU mit ihrem Versuch, den Politrechten in der Rosemeyer-Debatte den Rücken zu stärken oder zum KKE gar nichts zu sagen. Die Quittung christdemokratischen Wegduckens sind 40,1 % der Zweitstimmen und damit das schlechteste Wahlergebnis bei einer Landtagswahl seit 70 Jahren. Zum Vergleich: 2003, vor knapp 20 Jahren erreichte die Lingener CDU noch stolze 64,2 % an Zweitstimmen, 2008 dann 56,9%, 2013 noch 49,6% und jetzt noch einmal 9,5% weniger: 40,1%. Immerhin einige Prozent mehr als bei der 31,9%-desaströsen Bundestagswahl 2021, und auf den Direktkandidaten Christian Fühner kamen angesichts dessen persönlich sehr gute 48,1%, womit sie sich trösten mag, wenn sie es sich leicht macht.

Auf Bündnis 90/Die Grünen entfielen 13,3 % der Stimmen. Es hätten mehr sein können; denn  es waren rund 2% weniger als bei der Bundestagswahl vor einem Jahr. und sogar 8 % weniger als bei der Europawahl 2019. Die konservativen und rechten Kampagnen gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock haben verfangen – eine Frage der (fehlenden) Bildung, wie ich meine.

7,7 %  der Wählerinnen und Wähler gaben der rechtsextremen AfD ihre Zweitstimme. Die FDP Niedersachsen erhielt mit 5.1%  etwas mehr als im Landesdurchschnitt,  die Linke nur 2,1%, die „Die Partei“ 1,4% der Stimmen.

Interessierte können alle Ergebnisse aus den einzelnen Wahlbezirken in Lingen (Karte lks) auch hier nachlesen. Sie werden dann auch im südlichen Reuschberge (Wahlbezirk 403, ohne Briefwahlstimmen) mit 18,7%  ein AfD-Resultat finden, das -wie andere zweistellige AfD-Ergebnisse um den Stadtkern herum-  erschauern lässt. Da muss etwas geschehen. Ein probates Mittel wäre eine stärkere und  bürgernähere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an kommunalen Entscheidungen. Ortsräte in der Innenstadt bleiben also auf der Tagesordnung. Auf der Tagesordnung bleibt auch das Versagen der 4. Gewalt. In dem Maße, in dem sich die Lokalzeitung „Lingener Tagespost“ aus der Berichterstattung ausklinkt, werden die Schwurbelgruppen stärker.

Die Wahlbeteiligung in den 53 Lingener Wahlbezirken lag übrigens bei 61,7 % und damit höher als die landesweiten 60,3 %, allerdingst jeweils etwas niedriger als 2017.

Und sonst? Landesweit hat SPD-Ministerpräsident Stephan Weil einen Pflichtsieg für die SPD eingefahren. Er ist ein beliebter Landesvater, in der Krise vermittelt er Vertrauen. Sein Gegenkandidat Althusmann (CDU) blieb eher blass und vermittelte keine Kompetenz. An Weil wussten die Wählenden, was sie haben. Insgesamt kam die SPD mit 33,4 % auf ein Drittel der Stimmen, die CDU erreichte mit 28,1%  Platz 2.  Danach folgen die Grünen mit 14,5 % und die AfD mit 10,9 %. Sowohl die FDP mit 4,7 % als auch die Linke mit 2,7 % verpassten den Einzug ins Landesparlament in Hannover.

Die FDP hat gestern die niedersächsische Quittung für ihre opportunistische Opposition in der Ampel-Regierung bekommen. Sie hat das dritte Mal in Folge eine Landtagswahl verloren. Deshalb dürfte das Regieren in Berlinnicht einfacher werdenn. Die „verzweifelte Sinnsuche der Liberalen“ (taz) wird sich fortsetzen, ihre Antworten lauten derzeit: Kernkraft und Schuldenbremse, das unglaubwürdige Personalangebot Lindner und der unsägliche Kubicki. Der Stresstest für die Ampel geht also weiter. Aber das Atomkraftwerk Emsland in Lingen geht am 31. Dezember vom Netz und das ist gut und richtig so.

Fahrradstraße

24. Januar 2022

Das ist nun mit ziemlicher Sicherheit nicht der Ausgang, den sich der klagende Anwohner sich erhofft hatte. Im hannoverschen Zooviertel – einer der teureren Wohngegenden der Landeshauptstadt – hatte der von Beruf als Richter tätige Mann gegen die Einrichtung der Kleefelder Straße als Fahrradstraße vor seiner Haustür geklagt und bekam tatsächlich R echt und das nicht zum ersten Mal; schon vor gut zwei Jahren war er erfolgreich gewesen (mehr…) und jetzt wieder, auch wenn das Urteil vier Monate brauchte, um bekannt zu werden.

Es reiche nicht, einfach nur ein Schild aufzustellen, das eine Straße zu einer Fahrradstraße erkläre, urteilten die Verwaltungsrichter. Damit dies rechtens sei, müssten Radfahrer in der kleinen Wohnstraße, in der sich teils Pkw-Parkplätze längs der Fahrbahn befanden, tatsächlich Vorteile gegenüber normalen Straßen haben. Aber das sei nicht der Fall gewesen. Ein Nebeneinanderfahren mit dem Rad, wie es gesetzlich bei Fahrradstraßen eigentlich vorgesehen ist, war beispielsweise nicht möglich, wenn Radfahrern Kraftfahrzeuge entgegenkamen.

Okay sagte die Stadt Hannover nach kurzem Überlegen und akzeptierte das Urteil, ohne in Berufung zu gehen: Dann entfernen wir eben die hinderlichen Parkplätze. Künftig darf in der Kleefeldstraße nur noch gehalten, aber nicht mehr geparkt werden. Schwerbehinderte, Pflegedienste und Handwerker sind davon ausgenommen.

Die FDP im Hannoveraner Rat pöbelte: „Wer Grün wählt, muss mit der Grünen-Diktatur leben“, sagte deren Fraktionschef Wilfried Engelke. So berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Der Abbau von Parkplätzen zugunsten von Fahrrädern funktioniert in Hannover allerdings auch noch auf anderen Wegen, die unsereins nur staunen lassen. Darauf hat der ADFC noch einmal aufmerksam gemacht. So können schon seit 2019 Hausgemeinschaften beantragen, dass ein Parkplatz für Fahrradbügel geopfert wird – wenn sich dafür im Haus eine einfache Mehrheit findet (eine Stimme je Mietpartei) und bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Das sind Dinge, die von der gelebten Realität in unserem Lingen meilenweeiiiit entfernt sind. Hier ist man ja schon glücklich, wenn neben der vollständigen Versiegelung von Außenflächen um Neubauten auch nur ein Abstellhäuschen für Fahrräder entsteht. Unsere Stadt ist neben ausgesprochen autoorientiert, um nicht zu sagen nur autoorientiert. Dabei gibt es keine Berge und Hügel im Stadtgebiet, so dass das Fahrrad das Verkehrsmittel erster Güte ist. Aber, wie sagte es im vergangenen Jahr (oder war es schon 2020?)  ein Experte aus Hannover, in der Stadt Lingen herrsche eben schon ein sehr besonderes Verhältnis zum Auto. Deshalb wird nach wie vor für Autos gebaut, Radwege sind oft nur aufgemaltes Rot. Auch das aufwendig angekündigte Verkehrsgutachten kommt nicht voran, dessen einziges Resultat nach vier Jahren (!) Planerei eine grüne Welle für Autos auf dem Konrad-Adenauer-Ring ist – 400m mit vier Ampeln…


Quellen; Spiegel, taz, ADFC,; VG Hannover, Urt. v. 13.08.2021, Az 7 A 5667/19

European Sleeper

30. Dezember 2021

Das ist ja einmal eine verspätete Weihnachtsüberraschung: Ab Sommer 2022, melden die in Nordhorn erscheinenden Grafschafter Nachrichten (GN) wird Bad Bentheim Haltepunkt für einen neuen internationalen Nachtzug werden, der die europäischen Hauptstädte Brüssel, Amsterdam, Berlin und Prag verbindet. Der „European Sleeper“, hinter dem eine belgisch-niederländische Start-up-Initiative steckt, soll in jede Fahrtrichtung zunächst dreimal pro Woche fahren.

Es gibt bereits eine Verzögerung: Sollte die neue internationale Verbindung zunächst im April 2022 starten, sprechen die Betreiber jetzt von Sommer 2022. „Wir brauchen noch ein wenig Zeit, um unseren Fahrgästen ein sehr gutes Angebot machen zu können“, sagte Chris Engelsman vom neuen Betreiber zur Berliner Zeitung.

Nordhorns Bürgermeister Berling schreibt auf Twitter: „Montags, Mittwochs, Freitags von Bad Bentheim (Abfahrt 1.00 Uhr) nach Hannover (2.56 Uhr) Berlin (5.52 Uhr) Dresden (7.49 Uhr) Prag (10.24 Uhr). Dienstags, Donnerstags, Sonntags ab Bad Bentheim (4.19 Uhr) nach Amsterdam (6.26 Uhr) Rotterdam (7.27) Antwerpen (8.47) Brüssel (9.54).“ In der Gegenrichtung verkehrt der Zug dienstags, donnerstags und sonntags und bietet damit ab Bad Bentheim (eher unangenehm früh: 4.19 Uhr) Verbindungen nach Amsterdam (6.26 Uhr), Rotterdam (7.27 Uhr), Antwerpen (8.47 Uhr) und Brüssel (9.54 Uhr). Umsteigen entfällt natürlich und man ist eine Stunde eher in der EU-Metropole als würde man die früheste tägliche Verbindung ab Lingen (mit drei Mal umsteigen) nutzen.

Fahrplan-Einzelheiten zeigt der vorläufige Fahrplan des Unternehmens.  Der nächste Halt Richtung Hauptstadt ist also Hannover, also kein Stopp in Rheine, Osnabrück und Minden. Offenbar ist der Halt im Grenzbahnhof Bad Bentheim dem Umstand eines Lokwechsels geschuldet. Unklar ist noch der Preis für die Fahrkarten, die ab April verkauft werden sollen.

Das Start-up „European Sleeper“ entstand im Mai 2021 als Kooperative. Sie arbeitet mit dem tschechischen Bahnunternehmen „RegioJet“ zusammen, einem der größten Privatbahnunternehmen in Europa. Ziel ist zunächst die Einführung eines neuen Nachtzuges zwischen Brüssel und Prag über Amsterdam, Berlin und Dresden. Die Macher -eine kleine aber sachkundige Gruppe- arbeiten  in ihrem Büro in Utrecht an einer buchungsfreundlichen Internetseite. Auf dem Onlineauftritt von „European Sleeper“ kann man sich übrigens in eine Mailingliste eintragen, um stets informiert zu sein.

Das Angebot soll laut GN so bald wie möglich auf ein tägliches Zugpaar erhöht werden. Für das Jahr 2023 plant „European Sleeper“ außerdem ein weiteres Nachtzugpaar nach Warschau und weitere Verbindungen.

Für Menschen aus dem Emsland ist die nächtliche Bahnanreise schwierig bzw unzumutbar. Wochentags fährt der letzte Zug aus Lingen beispielsweise um 22.04 Uhr und Fahrgäste erreichen nach 45 Minuten Warten auf dem leeren Bahnhof Salzbergen erst um 23.03 Uhr Bad Bentheim, wo sie dann weitere 2 Stunden warten sollen. Da ist dringender Verbesserungsbedarf. Um den Nachtzug von „European Sleeper“ in Richtung Benelux zu nutzen, gibt es gar keine weitere Zugverbindung. Da ist Handlungsbedarf, aber angesichts der Langsamkeit deutscher Planungen wird es eher lange dauern, bis sich etwas verbessert.

 

Jeremias

31. März 2021

Kennt Ihr Jeremias? Hört mal rein. Die Band aus Hannover ist der neue deutsche Pop-Knaller. (Ja ok, der Blogbetreiber ist schon etwas älter. Aber das ist schon etwas Besonderes)

Kurt Schumacher, unumstrittene Führungsfigur der Nachkriegs-SPD, wurde heute vor 125 Jahren in Culm (heute das polnische Chełmno) geboren. Nach dem Verbot in der NS-Diktatur baut er die SPD ab 1945 von Hannover aus neu auf.

Altbauten, Kopfsteinpflaster und das Ihme-Zentrum gleich um die Ecke. Die Jacobsstraße in Hannover-Linden ist eine Straße wie so viele in dem Viertel im Westen der Stadt. Und doch hat sich hier Historisches abgespielt. Kurt Schumacher, Ikone der SPD, hat von hier aus die Neugründung der Sozialdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben. Am 13. Oktober wäre er 125 Jahre alt geworden.

Geboren wird Kurt, der ursprünglich Curt geschrieben wird, im westpreußischen Culm (Chełmno). 1914 meldet er sich freiwillig für den Ersten Weltkrieg – an der Ostfront verliert er seinen rechten Arm. Zum Jurastudium geht er nach Halle und Leipzig, anschließend verschlägt es ihn nach Württemberg. Dort, in Stuttgart, arbeitet er als Redakteur für eine SPD-Zeitung. Bereits seit 1918 ist er Mitglied der Partei, ab 1924 sitzt er auch im Landtag.

Mit nicht einmal 35 Jahren wird er 1930 für die SPD in den Reichstag gewählt. Doch knapp drei Jahre später wird der Mandatsträger zum Verfolgten im NS-Regime. Die SPD wird verboten und Schumacher, einer der Co-Autoren von Otto Wels‘ berühmter Rede gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz, zum steckbrieflich gesuchten Staatsfeind. Im Juli 1933 wird Schumacher in Berlin festgenommen. Es beginnt eine zehnjährige Odyssee durch Konzentrationslager des „Dritten Reiches“: Erst Heuberg und Oberer Kuhberg (heute beides Baden-Württemberg), es folgen Dachau und Flossenbürg (heute beides Bayern).

Eine zwischenzeitliche Entlassung ist nur von kurzer Dauer. Denn nach dem gescheiterten Anschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 rächen sich die Nazis systematisch an alten Widersachern – auch an solchen, die gar nicht am Attentat beteiligt waren wie Schumacher. Die „Aktion Gitter“ beginnt und er wird erneut verhaftet und muss weitere Haftzeiten im KZ Neuengamme und der Außenstelle in Hannover-Ahlem überstehen. Die endgültige Befreiung kommt erst, als US-amerikanische Truppen am 10. April 1945 in Hannover einmarschieren.

Schumacher bleibt in Hannover und beginnt von dort aus unverzüglich mit der Aufbauarbeit der SPD. Nicht einmal einen Monat nach der Ankunft der Alliierten wird er Leiter des Büros Schumacher“ und Parteichef der Stadt. Und dass, obwohl Parteien in den Besatzungszonen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erlaubt sind. Etwa ein halbes Jahr später folgt die Wennigser Konferenz vor den Toren Hannovers. Hier wird die SPD im Oktober 1945 offiziell aus der Taufe gehoben – zum zweiten Mal in ihrer Geschichte.

33 Delegierte aus zehn Bezirken sind angereist. Am Ende setzt sich Schumacher mit seiner Linie gegen die Gruppe um Otto Grotewohl, den späteren Ministerpräsidenten der DDR, durch. Die Quintessenz: Keine Kooperation mit der KPD, wie Grotewohl sie befürwortet. An dem Mann aus Culm führt jetzt kein Weg mehr vorbei. Im Mai 1946 wird er zum Parteivorsitzenden gewählt, sein Büro inHannover- Linden zur inoffiziellen Parteizentrale. Schumacher ist das unangefochtene Alphatier in der SPD. Und das…

[weiter beim NDR]

Es gab war eine künstlerische Überraschung: Einen Emmy für die in Hannover lebende Regisseurin (und Schauspielerin) Maria Schrader. Sie führte Regie in der kleinen Netflix-Serie Unorthodox. Mit der wunderbaren Shira Haas als Esther „Esty“ Shapiro. Hier einige Kostproben:

und mehr

Unorthodox“ handelt von einer jungen Frau, die ihr orthodoxes Leben in New York gegen eine Zukunft in Berlin tauscht; denn sie entflieht ihrer arrangierten Ehe und will sich selbst finden. Als sie die neue Freiheit zu genießen beginnt, holt sie ihr altes Leben und die Vergangenheit ein. Die Serie basiert auf Deborah Feldmans gleichnamigem.  autobiografischem Bestseller (ISBN: 978-3442715343: hier).

aus Hannover

24. August 2020

Moin,
’s ist Montag, und da passt es gut, kurz auf die letzte Woche und Hal Fabers WWWW zurückzublicken:

*** Was ist das für ein Land, in dem die Covidioten ohne Masken demonstrieren und davon fabulieren, am kommenden Wochenende mit Panzern vor dem Bundestag aufzufahren, eine Gedenkdemonstration für die Toten von Hanau am Abend vorher aber abgesagt wird? Das Land ist Deutschland, ein Land, das nur eine Kundgebung mit 249 Personen genehmigt und durchgeführt hat, auf der fünf Redner auftraten. Es ist ein Deutschland, das Demos gegen Rechts verbietet, in dem aber zu Forschungszwecken ein Großkonzert stattfinden kann.

*** Es ist ein Deutschland, dass lieber über den Karneval diskutiert und über mögliche False Positives bei den knappen Laborkapazitäten. Wobei die virologische Wissenschaft den Vorteil hat, die Sache nüchtern zu betrachten, ohne die seltsamen Argumente der Karnevalisten, die 11 Gründe aufzählen, warum man vor dem 11.11. einen Impfstoff braucht. Karneval ist für Menschen aus Hannover schwerer verständlich als Studien über die Verbreitung von Aerosolen in geschlossenen Räumen.

Schöne Woche!


Quelle und mehr: WWWW

Papiertiger

13. August 2020

Die Ende 2016 in Niedersachsen eingeführte Mieterschutzverordnung, die sog. Mietpreisbremse gegen überteuerte Wohnungen, ist laut einem Urteil des Landgerichts Hannover von Mittwoch unwirksam. Diese  zivilrechtlich Entscheidung ist zwar nicht bindend, wirkt aber weit über den entschiedenen Fall hinaus

Die Mietpreisbremse soll bekanntlich vor überteuerten Wohnungen schützen.  Nach der Verordnung darf der Preis für Neuvermietungen „nur noch zehn Prozent“ über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Andernfalls können Mieter/innen die gezahlte Miete zurückfordern. Die Regelung galt bisher in Braunschweig, Buchholz in der Nordheide, Buxtehude, Göttingen, Hannover, Langenhagen, Leer, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Vechta, Wolfsburg sowie auf allen ostfriesischen Inseln.

Die bisherige niedersächsische Mietpreisbremse ist wegen handwerklicher Fehler in der Verordnung unwirksam. Grund dafür ist, dass mit der Veröffentlichung der Mieterschutzverordnung Ende 2016 nicht auch eine Begründung geliefert wurde, entschied das Landgericht Hannover am Mittwoch (LG Hannover, Urt. v. 12.08.2020, Az.: 7 S 7/20) und bestätigte ein vorhergehendes Urteil des Amtsgericht Hannover, das Ende 2019 einer Mieterin einen Rückzahlungsanspruch auf zu viel gezahlte Miete verweigert hatte. Die Berufung der Mieterin blieb ohne Erfolg.

Das Land Niedersachsen hatte auf Grundlage einer Ermächtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine Verordnung erlassen, die eine Mitpreisbremse beinhaltet. In der Verordnung wird unter anderem Hannover als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen, die Begründung dafür fehlte allerdings.

Das Gericht bemängelte insbesondere diese fehlende Begründung. Zwar sei im März 2018 nachträglich auf der Homepage des Ministeriums eine Begründung veröffentlich worden, dies reiche aber nicht aus, so ein Gerichtssprecher gegenüber LTO. Das Gericht stützte sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur hessischen Mietpreisbremse. Demnach muss eine Begründung der Verordnung bereits bei Erlass vorliegen und nachprüfbare Tatsachen liefern, warum gerade die jeweilige Kommune in die Verordnung aufgenommen wurde. Zivilgerichte, die eine solche Verordnung anwenden, hätten nämlich die Pflicht, diese auch auf ihre „Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht“ zu prüfen und sie im Falle ihrer Unwirksamkeit nicht anzuwenden; die Verordnung enthalte nicht, wie in der sog. „Ermächtigungsgrundlage“ in § 556d Abs. 2 BGB vorgeschrieben, eine Begründung. Wegen desselben Formfehlers der Ministerialbürokratie hatten auch schon Gerichte in Hamburg,  München oder in Stuttgart die dortigen Mietpreisbremsen für ungültig erklärt. Im schwarz-grün regierten Hessen ist übrigens am 28. Juni 2019 eine neue, formal korrekte Mieterschutzverordnung in Kraft getreten.

Auch bei der bisherigen niedersächsischen Verordnung fehlt -so das LG in seinem gestrigen Urteil- die notwendige Begründung; aus der daher unwirksamen Regelung können die klagende Mieterin daher auch keine Ansprüche geltend machen.

Zwar ist diese Entscheidung in dem Hannoveraner Fall nicht für andere Gerichte in Niedersachsen bindend. Wwegen der in ihr zugrunde liegenden Entscheidung des BGH gehen Juristen aber davon aus, dass auch bei anderen Klagen niemand Ansprüche aufgrund der Verordnung geltend machen kann. Kurzum: Die bisherige Mieterschutzverordnung ist bloß ein Papiertiger. Oder, um einen großen Europäer zu zitieren, sie ist „viel Lärm um Nichts„. Sie ist Murks.

Wie geht es jetzt weiter? Das (jetzt zuständige) Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz in Hannover „arbeitet bereits“ an einer neuen Verordnung, zu deren Entwurf derzeit die betroffenen Kommunen und Verbände angehört werden. „Voraussichtlich im Spätherbst“ soll sie verabschiedet werden, schreiben die Medien.

Aus dem Schutz der neuen Fassung der Verordnung sollen dann die Städte Buchholz, Buxtehude, Leer, Vechta und Wolfsburg herausfallen. Wegen zahlreicher Neubauten in den letzten Jahren seien dort „die Mieten nicht mehr stärker als im Landesdurchschnitt gestiegen“. Neu hinzu kommen sollen die Kommunen Gifhorn und Laatzen.

In unserer Region an Ems und Vechte werden übrigens keine Kommunen, auch nicht die Mittelstädte Lingen, Nordhorn, Meppen oder Papenburg, in die Mieterschutzverordnung aufgenommen. Daran ändert sich nichts. Der Grund dafür ist weder klar noch überprüfbar; denn die bisherige Auswahl der Kommunen erfolgte aufgrund „einer Analyse der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)“, die für mich trotz eines Links hier im Internet nicht auffindbar ist. Ob eine solche private „Analyse“ für eine gesetzesmäßige Begründung ausreicht, darf übrigens bezweifelt werden…


Quellen. PM LG, LTO; DPA; Haufe

WIB

20. Mai 2020

Sie sind seit vielen Jahren in Hannover zuhause – rechtlich aber nur geduldet: In einer solchen Situation befinden sich derzeit rund 1200 Menschen in der Landeshauptstadt. Ein gemeinsames Modellprojekt der Landeshauptstadt Hannover und des Flüchtlingsrates Niedersachsen e.V. nimmt die davon Betroffenen in den Fokus. „WIB – Wege ins Bleiberecht“ ist der Titel einer beispielhaften Kooperationsvereinbarung, die gestern von Oberbürgermeister Belit Onay, dem Finanz- und Ordnungsdezernenten Dr. Axel von der Ohe, dem Geschäftsführer des Nieders. Flüchtlingsrates Kai Weber sowie dem Vorstandsmitglied Dündar Kelloglu unterzeichnet wurde.

Ziel der Initiative ist es, Wege aufzuzeigen, wie Menschen, die sich länger als sechs Jahre in Deutschland aufhalten und im Besitz einer Duldung sind, ein gesichertes Bleiberecht erlangen können. Die Betroffenen sollen insbesondere durch Vermittlungs-
und Beratungsleistungen über ihre Möglichkeiten aufgeklärt werden. Auch soll eine exemplarische Analyse der Gründe dafür stattfinden, warum Geflüchtete ein rechtlich mögliches Aufenthaltsrecht bisher nicht erhalten konnten. Auf dieser
Grundlage entwickeln die niedersächsische Landeshauptstadt und der Nieders. Flüchtlingsrat unterschiedliche Modelle und Konzepte, um die Hindernisse zu überwinden. „WIB“ soll dazu beitragen, die Anzahl der Langzeitgeduldeten um mindestens 30 Prozent zu senken.

In der Landeshauptstadt Hannover (Wappen lks) lebten zum Stichtag 30. April 2020 insgesamt 466 Menschen, die sich länger als sechs Jahre in Deutschland aufhalten und m Besitz einer Duldung gewesen sind. Insgesamt leben rund 1200 Menschen mit Duldung in Hannover.

Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern in der Regel nur für Tage, Wochen oder einige Monate gültig. Das bedeutet, dass Betroffene, die eigentlich ausreisen müssen, weil Asylanträge abgelehnt wurden oder ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen (Familie, Beruf, Studium etc.) entfallen ist, aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen vorerst bleiben dürfen. Manche geduldete Menschen arbeiten. Sofern dies nicht der Fall ist, weil ihnen beispielsweise eine Arbeitserlaubnis verweigert wird, erhalten sie soziale Unterstützung.

Der Bundesgesetzgeber hat längst eine Fülle gesetzlicher Bleiberechtsregelungen geschaffen, auch mit dem Ziel, die Anzahl der Personen mit sogenannter Ketten- oder Langzeitduldung deutlich zu reduzieren. Zum 1. August 2015 hat der Gesetzgeber etwa eine Bleiberechtsregelung bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG) geschaffen, von der bundesweit bis zu 30.000 Menschen profitieren sollten. Zum 30. Juni 2019, mithin fast vier Jahre nach Inkrafttreten dieser gesetzlichen Regelung, hatten allerdings nach Angaben der Bundesregierung erst 4.437 Personen einen Aufenthaltstitel nach § 25b AufenthG erhalten.

Die Vertragspartner verabreden eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Eine Schlüsselrolle nimmt die ausführliche Beratung der Betroffenen ein. Bestandteil der Kooperation ist, dass die Ausländerbehörde alle Einzelfälle systematisch prüft und bestehende Ermessensspielräume zugunsten der Betroffenen auslegt. Zu den möglichen Wegen ins Bleiberecht zählen unter anderem auch die sogenannte Ausbildungsduldung oder die Beschäftigungsduldung. Beide Duldungen sind in der Praxis mit Nachweispflichten verbunden. Hier setzt das Projekt unterstützend und aufklärend an. Ein
Leitlinienkatalog hilft bei der Umsetzung.

Oberbürgermeister Belit Onay (Bündnis’90/Die Grünen) begrüßt die Initiative ausdrücklich: „Die Stadt Hannover steht für Weltoffenheit, Solidarität und Integration. Das Projekt Wege ins Bleiberecht und die Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat ist hierfür ein richtiger und wichtiger Schritt.“ Der Oberbürgermeister verweist darauf, dass „viele Langzeitgeduldete in ständiger Unsicherheit und in Angst vor der Abschiebung leben. Das ist nicht akzeptabel. Diejenigen, die schon längere Zeit hier leben und gut integriert sind, brauchen dringend eine Perspektive. Deshalb mache ich mich für das gemeinsame Projekt mit dem Flüchtlingsrat stark.“

Finanz- und Ordnungsdezernent Dr. Axel von der Ohe, in dessen Verantwortungsbereich die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt gehört, blickt positiv auf den Abschluss der Vereinbarung: „ Die Ausländerbehörde bekommt durch die heute unterzeichnete Vereinbarung und die zugehörigen Leitlinien eine Handreichung, wie sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben durch Beratung und Vermittlung Wege ins Bleiberecht eröffnen kann. Das begrüße ich ausdrücklich.“

Warum ich das schreibe? Auch in unserer Stadtleben mehr als 120 „geduldete“ Ausländer. Seit Jahren werden in den Beratungen des städtischen Ausschuss für Familie, Soziales und Integration routinemäßig die Zahlen der Flüchtlinge un Migranten bekannt gegeben. Dies erfolgt immer unter der Überschrift „Situation der Flüchtlinge in der Stadt Lingen (Ems)“. Ich kenne kaum eine Überschrift in all den kommunalen Vorlagen, die so falsch und am Thema vorbei ist wie diese. Denn es geht überhaupt nicht um die Situation von hier lebenden Menschen, sondern darum, wie sie formaljuristisch unter den „Begriff ‚Flüchtling'“ eingeordnet werden. Das sind dann Asylbewerber („incl. Folgeantragsteller)“, Asylberechtigte (§ 25 Abs. 1 AufenthG), Flüchtlinge mit „kleinem Asyl“ (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 AufenthG, Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz (§ 25 Abs. 2 Alt. 2 AufenthG), Flüchtlinge mit Abschiebungsverbot (§ 25 Abs. 3 AufenthG), Kontingentflüchtlinge, Bleibeberechtigte und „Familiennachzug zu Flüchtlingen“. Und es gibt eben Ausreisepflichtige, die geduldet werden. Diese Kategorie Geduldeter wird dann fein bürokratisch aufgedröselt bis ins die letzte juristische Windung:

Abschiebung gem. § 60a AufenthG vorübergehend ausgesetzt (Duldung), davon
– Inhaber/in einer Ausbildungsduldung
– familiäre Bindungen im Bundesgebiet
– reiseunfähig
– Härtefalleingabe
– Identität ungeklärt / keine gültigen Pass(ersatz)papiere
– Abschiebung z.Z. nicht möglich – Dublin-Fälle
– sonstige

Über die betroffenen Menschen wird nichts mitgeteilt, wenn über die „Situation der Flüchtlinge in der Stadt Lingen (Ems)“ informiert wird. Die letzte Sitzung des zuständigen städtischen Ausschusses war am 29. Oktober vergangenen Jahres. Damals waren, so Vorlage Nr. 318/2019, 125 Menschen in Lingen (Ems) „geduldet“.

Bisher war es unmöglich herauszufinden, wie lange diese Geduldeten in unserer Stadt und unserem Land leben. im Einzelfall sind dies 10 und mehr Jahre, wie ich weiß. Ich werde die vorbildliche Hannoversche WIB-Initiative zum Anlass nehmen, das durch eine Anfrage im Stadtrat aufzuklären und dann vorzuschlagen, es genauso wie in Hannover zu machen:
Gebt den Betroffenen endlich einen sicheren Status!

Bosselmann Bäcker Appell

20. März 2020

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