Tobias Schwartz hat aus seinem neuen Buch „Landkrank“ gelesen. Mich ärgert heute, dass mir seine aktuellen Lesungen in der letzten Woche dadurch gegangen sind. Das ärgert mich. Alle Kurzgeschichten in Tobias Schwartz’ aktuellen Buch  „spielen in der Trostlosigkeit Emlichheims im Nordwesten Deutschlands. Ganz unterschiedlich erzählt jede von ihnen von Menschen, die entkommen wollen – und die das Land ganz krank macht

Alles ist braun oder schimmelig-grau. Die Landschaft ist von sandigen Kartoffeläckern durchzogen, seitdem die Knollenpflanze im deutschsprachigen Raum eingeführt wurde. Im Nordwesten Deutschlands, in der Grafschaft Bent­heim – deren Grenzen der Legende nach Napoleon mit einem über das Lineal stehenden Daumen beim Kartenzeichen versehentlich schuf —, herrscht der Erdapfel. Was vor knapp zweihundert Jahren galt, gilt heute umso mehr. In Emlichheim, einer Gemeinde in der Region, steht heute die größte Kartoffelstärkefabrik Europas.

Dort, in der nordwestdeutschen Einöde, spielt Tobias Schwartz’ Kurzgeschichtenband „Landkrank“. Schwartz kommt gebürtig aus Emlichheim, lebt seit vielen Jahren in Berlin und hat bereits zwei Bücher über seine Heimat geschrieben. Dieses dritte Buch nun versammelt sieben Geschichten, die zwischen 1800 und heute spielen.

Die darin vorkommenden Figuren sind nicht sonderlich divers – meist sind die Protagonisten weiß und männlich. Allerdings beansprucht der Autor auch nicht, die

…[weiter in der taz]

————-

Über die ersten beiden Bücher der Tetralogie von Tobias Schwartz habe ich vor zwei Jahren hier einen Beitrag veröffentlicht.

Weiter so?

10. April 2023

Diese taz-Meldung vom 31. März muss ich noch nachtragen, fünf Tage bevor das Atomkraftwerk KKE in Lingen endgültig vom Netz geht:

Nach längerem Verwirrspiel steht nunmehr fest, dass der französische Atomkonzern Framatome, der die Brennelementefabrik Advanced Nuclear Fuels (ANF) im niedersächsischen Lingen betreibt, mit dem russischen Staatsunternehmen Rosatom ein Joint Venture eingeht. So kann die zuletzt nicht ausgelastete ­Fabrik künftig auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer Bauart liefern.

Das niedersächsische Umweltministerium bestätigte am Mittwoch (29.03.) im Kern einen entsprechenden Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das Joint Venture zwischen Framatome und der russischen Rosatom-Tochter TVEL sei allerdings nicht wie zunächst geplant in Deutschland, sondern in Frankreich gegründet worden, sagte ein Ministeriumssprecher. Der ursprüngliche Antrag sei nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zurückgezogen worden, nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erhebliche Zweifel bezüglich einer Genehmigung geäußert habe.

Derzeit liege dem Umweltministerium in Hannover als atomrechtlicher Genehmigungsbehörde ein Antrag vor, wonach ANF in Lingen in Lizenzfertigung sechseckige Brennelemente für den Einsatz in osteuropäischen AKW herstellen wolle, hieß es weiter. Für die Produktion sei eine enge Kooperation mit dem Unternehmen Ros­atom geplant, das bislang das Monopol auf hexagonale Brennelemente hat. Nach taz-Informationen beteiligt sich TVEL mit 25 Prozent an dem Joint Venture.

Atomkraftgegner reagierten entsetzt auf die Nachricht. Dieser Deal könne dem Kreml den Zugang zur kritischen Atom-Infrastruktur öffnen, kritisieren der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), regionale Initiativen sowie die atomkritische Ärztevereinigung IPPNW. Bislang hat ANF vor allem Atomkraftwerke in westlichen Ländern beliefert, darunter waren allerdings auch berüchtigte Pannenmeiler in Belgien und Frankreich. Die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau sind vom deutschen Atomausstieg ausgenommen und verfügen immer noch über unbefristete Betriebsgenehmigungen.

Seit 13 Monaten führe Russland einen blutigen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sagt BBU-Sprecher Udo Buchholz. Der „Kreml-Konzern“ Rosatom sei daran durch die Besetzung des ukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja unmittelbar beteiligt. Doch der französische Atomkonzern Framatome tue so, als sei Rosatom weiterhin ein Geschäftspartner wie jeder andere.

In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Wladimir Putin als Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und Nuklearindustrie mitgegründete Ros­atom die zivile und militärische Atom­industrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150 Produktionsstätten. Nach Schätzungen von ­Experten des EU-Parlaments kontrolliert die Agentur 96 Prozent des ­nuklearen Materials in Russland. ­Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.“

Also: Weiter so mit ANF und Putin? Doch wohl besser nicht.

Ach ja, und auch dies(e Richtigstellung)  muss an diesem Ostermontag noch in mein Blog:


Foto: Zierteller KKE Lingen, © in diesem Blog vom 24.08.2016

13 Prozent

3. März 2023

„Der Klimawandel ist Realität und wird überwiegend durch menschliche Aktivitäten verursacht“

13 Prozent der Treibhausgase in Deutschland stammen von der Agrarbranche. Deren Lobby verhindert aber effizient stärkere Einsparvorgaben. Mit dabei: ein dubioser FDP-Politiker, der Klimamythen streuende Bauernverband und überdurchschnittlich viele klimaskeptische Landwirte, schreibt Jost Maurin heute für die taz:

„Kaum eine Branche kommt im deutschen Klimaschutzgesetz so leicht davon wie die Landwirtschaft. Dieser Sektor muss seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 nur um 31 Prozentsenken – das ist die bei Weitem geringste Reduktion unter allen Sektoren der deutschen Klimabilanz.

Dabei verursacht die Agrarbranche laut Umweltbundesamt immerhin rund 13 Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland (inklusive der Emissionen aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr). Auch die Bauern müssten also viel tun, damit die Bundesrepublik wie im Gesetz vorgeschrieben bis 2045 treibhausgasneutral wird. Wer ist verantwortlich, dass der Bund dennoch so wenig von der Landwirtschaft fordert?

Das Bundesagrarministerium war von 2005 bis 2021 fest in der Hand von CDU und CSU. Zuletzt verhinderte vor allem die Christdemokratin Julia Klöckner an der Spitze, dass die Klimaziele für die Branche so verschärft werden, wie es WissenschaftlerInnen für nötig halten.

In einem Entwurf des Klimaschutzgesetzes von Mai 2021 hatte…“

[weiter in der taz]


Foto: Tierhaltung; Aufnahme  von PIRO auf Pixabay

Radziwill

28. Februar 2023

Der Maler Franz Radziwill ist vermutlich der bekannteste Künstler, den die Region Weser-Ems im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Als Zaungast der Geschichte malte er farbgewaltig die großen Umbrüche der Moderne – den brutalen Einfall der Technik in eine vermeintlich romantische Natur. „Dabei war, „liest man auf der Website des Staatstheaters Oldenburg,  „sein eigenes Leben ähnlich widersprüchlich wie seine rätselhaften Bilder.“ Die Bewegung des Nationalsozialismus erlebt er in seinem Haus in Dangast am Jadebusen zunächst als Aufbruch, tritt in die Partei ein und wird gar überzeugter Hochschullehrer. Doch die Nazis können mit Radziwills expressionistischem Frühwerk nichts anfangen,  beschlagnahmen seine Gemälde, verbieten seine Ausstellungen und entlassen den eben noch berufenen Professor aus dem Dienst. Ein verfemter Künstler, der dennoch auf Schiffen der Wehrmacht über die Meere fährt. Dann kommen Krieg, Kriegsdienst und persönliche Entbehrungen. Erst der Frieden bringt ein neues Kunstverständnis und erst späte Anerkennung in beiden deutschen Staaten.

drei Jahre nach der großen Werkschau im Oldenburger Landesmuseum aus Anlass seines 125. Geburtstags widmet das Oldenburgische Staatstheater jetzt Franz Radziwill, der als Maler des magischen Realismus bekannt geworden ist,  j40 Jahre nach seinem Tod eine theatrale Werkschau: „Radziwill oder der Riss durch die Zeit“. Darin erstmals belegt: bislang unbekannte antisemitische Äußerungen des Malers. Darüber schreibt die taz:

„Wir standen also vor der Wahl zwischen falsch und falsch“, heißt es zum Höhepunkt vom Oldeburger Bühnenrand, „und haben uns für falsch entschieden“. Dann läuft ein Interview vom Band, das der Maler Franz Radziwill im März 1982 gab. Im Playback nachgespielt, spricht der alte Mann eineinhalb Jahre vor seinem Tod über die Juden, im Nazijargon von dem „unruhigen Volk“, das an seiner Vernichtung letztlich selbst schuld gewesen sei.

Auch der erschrockene Interviewer ist zu hören: Mehrfach lädt er den Künstler ein, das vielleicht ja doch nur so Dahingesagte zu relativieren. Im letzten Anlauf versucht er es über Empathie: Was, wenn er nun selbst Jude gewesen wäre, also Radziwill, damals im „Dritten Reich“? Aber nein – und da klingt der bis dahin eher fahrig und altersverwirrt scheinende Maler dann doch sehr entschieden: Das Jüdische, das sei ihm völlig wesensfremd!

Sätze wie diese waren von Radziwill bislang unbekannt, sowohl der Kunsthistorie als auch der Familie des Malers, dem das Oldenburgische Staatstheater zum 40. Todesjahr das Stück „Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ gewidmet hat. Der Journalist mit dem Tonbandgerät hatte das Gespräch damals nicht veröffentlicht, aber aufgehoben – und nun dem Produktionsteam um Regisseurin Luise Voigt zur Verfügung gestellt. Was auch heißt: Das Stück war längst in der Entwicklung, kann also kaum im Verdacht stehen, als Vorwand dieser Enthüllung von Radziwills Antisemitismus herumkonstruiert zu sein.

Es klingt auch tatsächlich sehr aufrichtig, dieses Ringen um die richtige falsche Entscheidung: Entweder…“

[weiter in der taz]

Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ ist im Staatstheater Oldenburg zu sehen. Weitere Infos, Termine und Tickets gibt es hier.


Foto: Der Hafen II (1930), Gandalf’s Gallery via flickr Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic CC BY-NC-SA 2.0

Ukraine

24. Februar 2023

Die taz berichtet:

„Coming-of-Age-Storys lassen sich am besten mit Color-Grading erzählen. Satte, sanfte Farben, die die unerträgliche Leichtigkeit des Sommers abbilden, gibt es auch „In Ukraine“, dem Dokumentarfilm von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski, der einfühlsam eine Reise durch das kriegsgebeutelte Land zeigt. Zwei Kinder, die schlingernd Fahrrad fahren, ohne Eile; das Bild ist fast universell lesbar, doch in der Ukraine umfahren die beiden geübt einen liegengebliebenen russischen Panzer.

„In Ukraine“ kündet von Alltag im Krieg. Sinnbildlich steht im Film dafür die Scheibe einer Bushaltestelle, durchschossen und zerkratzt, hinter der Menschen mit Einkaufstaschen warten; der Bus kommt unglaublicherweise auch zu Kriegszeiten pünktlich.

Aufnahmen von verlassenen Dörfern, die Bewohner sind längst geflohen, doch Hunde streifen weiterhin durch die Straßen. Während die Mischlinge sich schnell anzupassen scheinen, tun sich zurückgelassene Zucht- oder Rassehunde schwer damit, um die knappe Nahrung zu kämpfen. Auch für die Menschen sind Lebensmittel rationiert. Kraftlos streitet man sich um Cornflakes und Babynahrung. Zu richtigem Streit…“

[weiter bei der taz]


Wir alle wollen angesichts dessen, was mit und in der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll man von Deutschland aus helfen? Die Ukraine-Soli-Liste der taz  bietet einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste findet Ihr unter taz.de/ukrainesoli

Lokal sind die Ukrainefahrer die beste Adresse.

Auf das Friedensgebet heute Abend um 17.30 Uhr auf dem Marktplatz möchte ich noch einmal hinweisen. Bitte nehmt teil.

 

In Osnabrück beginnt ein neues Forschungsprojekt: Es soll über Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen informieren. Orte des Jubels und des Unrechts. Harff-Peter Schönherr  schreibt darüber in der taz:

„Wer sich eine Luftaufnahme von Osnabrück ansieht, findet das Werksgelände von [KM Europa Metal AG] KME ziemlich schnell. Es ist riesig, fast ein eigener Stadtteil. Halle reiht sich an Halle, auf über 50 Hektar. Kupfer und Kupferlegierungen produziert das Unternehmen, im Weltmaßstab.

Das NS-Zwangsarbeitslager „Gartlage“, das sich ab 1942 hier befand, sieht man hingegen nicht. Bis zu 1.300 Menschen aus der Sowjetunion wurden hier ge­fangen gehalten, Männer, Frauen und Kinder. Sie lebten in 16 Holzbaracken. Vor einiger Zeit hat KME die letzte dieser Baracken abgerissen. Eine Gedenktafel sucht man vergebens.

Auch in der Rubrik „Historie“ auf seiner Webseite schweigt sich KME über die NS-Zeit aus. Nichts über die Menschen, die hier zu Zählappellen antreten mussten, an verdorbenen Lebensmitteln starben. Nichts über die drangvolle Enge, über das Antreten im Morgengrauen, über die Zwölf-Stunden-Schichten. Nichts über die einstige Topografie des Terrors mit ihrem Stacheldraht, ihren Wachen.

Aber das ändert sich jetzt. Und das hat mit dem Sport zu tun. Genauer gesagt: mit dem Fußball. Denn das Lager „Gartlage“ ist die Initialzündung des mehrjährigen Forschungs- und Bildungsprojekts „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts. Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen“ des Osnabrücker Gedenkstätten-Ensembles „Gestapokeller“ und „Augustaschacht“.

Ein fünfköpfiges Projektteam nimmt…“

[weiter in der taz]


Foto: Fußball in Osnabrück vor 100 Jahren / VfL Osnabrück Museum

Flüchtling zweiter Klasse

28. Dezember 2022

Deutsche Behörden werfen den Doktor raus! „Aus der Ukraine geflüchtet, aber ohne ukrainischen Pass: Dem in Hamburg lebenden und als Pfleger tätigen Ghanaer Dr. Emmanuel Keson droht die Ausweisung.

Mit angespannter Miene kommt er die Treppe herunter. Das goldene Schild auf seiner Brust fällt direkt ins Auge. In dicken Buchstaben steht dort: „Dr. Emmanuel Israel Keson“. Darunter in dünner Schrift „Pflegehelfer“. Warum arbeitet ein Arzt als Pflegehelfer? Sein Abschluss werde in Deutschland nicht anerkannt, erklärt Keson. Er hat in der U­kraine studiert und ist Ende April von dort nach Hamburg geflüchtet. Als einer von fast 3.000 Drittstaatenangehörigen in Hamburg durfte sich der gebürtige Ghanaer zunächst sechs Monate in Deutschland aufhalten. Diese Erlaubnis ist am 21. November ausgelaufen.

Ein dauerhafter Aufenthalt stellt sich als unerreichbar heraus. Statt ihn über seine Möglichkeiten aufzuklären, hätten ihn die Mitarbeiter des Amtes für Migration ignoriert und weggeschickt, sagt er. Nun soll er das Land verlassen. Dass er keine ukrainische Staatsbürgerschaft besitzt, macht ihn zum Geflüchteten zweiter Klasse.

Keson wirkt niedergeschlagen. Die letzten Monate haben ihm offensichtlich stark zugesetzt. Trotz alledem begrüßt er lächelnd und freundlich die Patienten des Pflegeheims der Philipp F. Reemtsma Stiftung, in dem er heute seinen letzten Arbeitstag hat. Am 7. November wurde er bei der Ausländerbehörde vorgeladen. Dort hat man ihm den Ausweisungsbescheid in die Hand gedrückt. Binnen zwei Wochen sollte er Deutschland verlassen.

Elf Jahre hat Keson in der U­kraine gelebt, sein Studium abgeschlossen und als Chirurg gearbeitet. „Ich bin in die Ukraine gekommen, um Arzt zu werden und eine bessere Person aus mir zu machen“, sagt er nachdenklich. Er zückt sein Handy. Darauf hat er Videos, die zeigen, wie er Operationen durchführt. Wenn er sich so im Arztkittel auf den Aufnahmen betrachtet, wirkt er stolz.

Ein Bruder und zwei Schwestern waren ihm in die Ukraine gefolgt und studierten dort ebenfalls Medizin. Sie standen kurz vor ihrem Abschluss, als ein russischer Bombenangriff Kesons Wohnort Vinnytsia traf. Da war ihnen klar: Sie würden aus der Ukraine fliehen.

Auf dem Weg habe er viele traumatische Erfahrungen gemacht, sagt Keson. Eine Woche lang mussten sie vor der EU-Ostgrenze im Schnee ausharren und draußen in der Kälte übernachten. Grenzbeamte hätten sie mit Waffen bedroht. „Sie sagten uns, dass Ukrainer Priorität haben“, erzählt Keson. Immer wieder hätten die Beamten ihn und seine Geschwister nach hinten gestoßen. „Es war purer Rassismus“, meint Keson. „Wir waren denen egal.“

An der Grenze hätten Aktivisten sie angesprochen. „Sie sagten, dass sie uns helfen, nach Deutschland zu kommen“, erzählt…“

[weiter in der taz]

 

(Ein taz-Artikel von Tatjana Smudzinski)

 

Am Ende dieses Tages

7. Dezember 2022

„Unsere Gesellschaft hat bisher keine Antwort auf die Radikalisierungstendenzen gefunden. Die Gefahr ist deshalb mit der Razzia keineswegs gebannt:

Die Pandemie ist endlich auf dem Rückzug, aber das Virus des Umstürzlerischen, Reaktionären und ja, Verstrahlten, das unter manchen Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen grassiert, hat eine schockierende Sichtbarkeit erfahren. Der Generalbundesanwalt hat ein rechtsextremes Ver­schwö­re­r:in­nen­netz­werk im bürgerlichen Lager aufgerollt, das nur mäßig kaschiert vor aller Augen gewachsen ist. Es reicht von der Bundeswehr über AfD-Splitter bis zum Adel. 50 Leute und mehr glauben an die wahnsinnigsten Fantasien von einem Staatsstreich in Deutschland. Dazu bedarf es schon einer affirmativen Alltagserfahrung.

Man kennt die Bilder der fröhlichen, von Corona getriggerten Zusammenrottung von Neonazis, AfD-Figuren und besorgten Müttern und Vätern im Sommer 2020 und zuweilen bis heute. Ebenso energisch, wie sie die Parolen skandierten, haben diese Menschen der Instrumentalisierung durch Rechtsextreme und der Vereinnahmung in die Reichsbürgerbewegung zugestimmt. Eine Sneakpreview auf das, was jetzt sichtbar geworden ist, wurde mit der versuchten Reichstagsstürmung während der Demonstration im Sommer 2020 aufgeführt. Spätestens da konnte man sehen, was sich findet, welche Stimmung wächst.

Reichs­bür­ge­r:in­nen sind Spinner:innen, in diesem Fall sehr gefährliche. Nicht immer bewahrheitet sich zwar alles, was die Bundesanwaltschaft rechten oder gerne auch linken Gruppen zur Last legt. Aber wenn Karlsruhe 3.000 Po­li­zis­t:in­nen schickt und die GSG9 ein KSK-Gelände stürmt, ist die Sache tendenziell sehr ernst zunehmen. Selbst wenn es noch keine ausgereiften Pläne für einen fantasierten Staatsstreich gegeben haben sollte, geht von dem Netzwerk eine potenziell tödliche Gefahr aus, und sei es durch Einzeltäter wie beim Tankstellenmörder von Idar Oberstein.

Mit wohligem Schaudern kann man jetzt die Geschichte eines wirren Prinzen lesen, und alles in die irgendwie doch beruhigende Schublade eines extremistischen Skurrilitätenkabinetts packen. Es wäre jedoch ein Fehler, dieses Milieu als Randphänomen zu qualifizieren und die Antwort den Sicherheitsbehörden zu überlassen. Wenn sich ein Prinz, eine Ex-Abgeordnete, ein Sänger, ein Pilot, ein Arzt und ein paar Soldaten und Polizisten zusammenrotten, um in einer Art Delirium vom Umsturz zu faseln und eben jenen zu planen beginnen – dann hat die Gesellschaft ein Problem.

Bislang hat sie keine Antwort auf die Radikalisierung von Teilen des bürgerlichen Milieus gefunden. Und solange Leute wie Hans-Georg Maaßen verharmlost werden und ihrerseits keine klaren Worte der Abgrenzung finden, wird es nicht lange dauern, bis es Nachahmer gibt.

(Ein taz-Kommentar von Barbara Junge)

Leben, von Tag zu Tag

21. November 2022

„Wohnungslose haben in einer Osnabrücker Grünanlage ein Camp aufgebaut. Bisher duldet das Ordnungsamt die Zelte. Aber das könnte bald vorbei sein.

Auf den ersten Blick ist der Ziegenbrink malerisch. Die Anhöhe in Osnabrück ist mit ihren Wiesen, ihrem dschungelhaften Wald und ihrem Fernblick Spaziergangsziel. Ihre Vergangenheit als Steinbruch und Weltkriegs-Flakstellung ist kaum noch zu erahnen.

Aber auf einer der Lichtungen herrscht derzeit harte Not. Hier steht seit mehreren Wochen ein Camp von vier Wohnungslosen. Seine Zelte, gruppiert um eine Art Ofen, erinnern an die Zeit, als hier noch die „Wagenburg“ stand, als autonomes Zentrum, als alternatives Lebensmodell. Ein halbes Menschenleben ist das her.

Banner mit Botschaften wie „Aufgeben? Keine Option! Friedlicher Kampf für unser Stück Land“, und „Ein Grundstück für unsere Freiheit zum Errichten unserer Kommune“ hängen hier heute in den Bäumen. „Die Würde des Menschen ist was …?“ ist zu lesen. Auch „solidarischer Aufbau“ steht hier mehrfach, das A als Anarchie-A im Kreis. Aber der Versuch, die Zeit der Wagenburgler wiederzubeleben, wirkt aufgesetzt. Das Camp ist ein gesellschaftspoliti­scher Appell, aber zugleich ist es ein Ausdruck von Elend.

Jessica und Tim, beide Mitte 30, erzählen, warum sie hier leben. Sie haben…“

[weiter bei der taz]

 

ps Übrigens im Lingener Ortsteil Darme regt sich einmal mehr bürgerlicher Widerstand im Ortsrat gegen die dort seit gefühlt 25 Jahren vorhandene Wagenburg. Darüber berät man dann im Ortsrat nicht-öffentlich, obwohl Ortsräte grundsätzlich nur öffentlich tagen…

Manche Vögel sind noch da

29. Oktober 2022

Wer in Niedersachsen Vögel beobachten will, hat es zunehmend schwer: Die Bestände schwinden drastisch. Die „Rote Liste der Brutvögel“ ist alarmierend.

Noch nicht ausgestorben, aber extrem selten: der Bienenfresser Foto: gayulo / pixaybay

Es wimmelt, schreibt die taz, von ihnen, könnte man denken: Brutvögel wie Rohrammer und Erlenzeisig, Schwarzkopfmöwe und Nachtigall. Wälder und Moore sind voll von ihnen, Salzwiesen und Küstendünen, Röhrichte und Wiesen. Aber das täuscht. Wer sich durch Fassung neun der „Roten Liste der Brutvögel Niedersachsens und Bremens“ arbeitet, Mitte des Jahres vorgestellt durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), ist ernüchtert.

„Erschreckende Ergebnisse“ hatte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) zu den 212 in Niedersachsen brütenden Arten mitzuteilen: 43 Prozent aller Arten fallen in die Gefährdungskatego­rien der Roten Liste, weitere 14 Prozent stehen auf der Vorwarnliste.

Von einem „ungeheuren Aderlass an heimischer Biodiversität“ spricht Diplom-Biologe Thorsten Krüger von der Staatlichen Vogelschutzwarte im NLWKN, Mitautor der Studie. „Das Verschwinden von Arten und der Rückgang der Individuenzahlen in unserer Landschaft haben eine neue Dimension erreicht.“

Die Studie spiegelt den Stand von 2021 und mahnt, es sei „noch nie zuvor bei einem so großen Anteil heimischer Brutvogelarten ein negativer Bestands­trend innerhalb der letzten 24 Jahre festzustellen“ gewesen. 15 der 212 Arten seien ausgestorben oder „verschollen“, 36 vom Aussterben bedroht, elf stark gefährdet, 22 gefährdet, acht ­extrem selten geworden. 30 stehen auf der Vorwarnliste. Das sei…

[weiter bei der taz]