Gestern Abend startete das 33. Musikfest Bremen rund um den illuminierten Bremer Marktplatz. In diesem Jahr bieten 42 Konzerte in „drei Wochen voll magischer Klänge!“ vom 20. August bis zum 10. September Künstler:innen von internationalem Rang ein Podium für ihre Interpretationen von Musik verschiedener Epochen und Genres an zahlreichen Spielstätten im Nordwesten.
Die Eröffnung „Eine große Nachtmusik“ präsentierte zum Auftakt mit einem aufregenden Mit- und Nebeneinander von Klassik, Jazz und Weltmusik einen repräsentativen Querschnitt des Festivalprogramms mit renommierten Stars und entdeckungswürdigen Newcomern. In neun Spielstätten gab es jeweils zwei zeitversetzte Konzerte à 45 Minuten mit Bergen Philharmonic Orchestra und Edward Gardner, die Nederlandse Bachvereniging, die Cappella Mariana, das delian::quartett & Ulrich Noethen, die Camerata RCO, das Capricornus Consort Basel, Rosie Frater-Taylor, das Hypnotic Brass Ensemble und das Babylon Orchestra.
In den folgenden Wochen folgen hochkarätige Darbietungen mit Kammermusik von Nicolas Altstaedt & Alexander Lonquich, ein Klavierabend mit Yulianna Avdeeva sowie das Festival-Debüt von Pablo Heras-Casado am Pult von Anima Eterna mit Bruckners Siebter. Philippe Jaroussky verschmilzt seinen Countertenor mit den Gitarrenklängen von Thibaut Garcia, und Bariton Georg Nigl kombiniert Lieder von Schubert und Beethoven mit einem Liedzyklus von Wolfgang Rihm. Jérémie Rhorer, Le Cercle de l’Harmonie und eine exquisite Gesangsbesetzung bieten Verdis „Rigoletto“ im Originalklang. Während Il Giardino Armonico mit Violinistin Patricia Kopatchinskaja Vivaldi in einen zeitgenössischen Bezug setzt, hebt Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gleich zwei Werke von Fazıl Say aus der Taufe. Zum Abschlusskonzert in der Glocke kommen Robin Ticciati und das Chamber Orchestra of Europe, bevor mit Martin Grubinger & The Percussive Planet Ensemble das Festival schließlich spektakulär Open Air auf dem Marktplatz ausklingt!
Neben dem Arp-Schnitger-Festival, das erneut das Orgelparadies rund um Bremen in den Fokus rückt, ist das Musikfest Bremen wieder mit Konzerten in Cloppenburg, Friesoythe, Jever, Löningen, Oldenburg, Sögel, Verden und eben Papenburg zu Gast.
Dort nämlich findet ein Orgelkonzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie unter der Leitung von Tarmo Peltokoski statt, in dessen Mittelpunkt die Uraufführung des „Konzert für Trompete und Orgel“ op 98 von Fazıl Say statt. Der Komponist des Auftragswerks ist bekannt dafür, türkische Volksmusik in sinfonische Musik einzubinden. Fazıl Say selbst hat im Vorfeld allerdings nichts über seine Komposition verraten. Auch St.Antonius-Organist Christian Schmitt und Trompeter Matthias Höfs haben sie noch nicht endgültig geprobt. Aber liest man die Partitur, „hört“ man es ja im Kopf. „Es ist ein herausforderndes Stück, mit asymmetrischen Rhythmen wie dem 9/8-Takt, dem Aksak“, sagt St.Antonius-Organist Christian Schmitt. Aksak heißt auf Türkisch „hinken“ und ist ein Volkstanz-Rhythmus der Türkei und des Balkan. „Im Jazz würde man sagen: Groove“, meint Schmitt.
Das Werk wird auf der Walcker-Orgel in Papenburg uraufgeführt. Erst Anfang dieses Jahres erfuhr ich von der Walcker-Orgel in Papenburg. Als die renovierte Orgel in St. Bonifatius Lingen eingeweiht wurde, wurde die Walcker-Orgel nämlich als größte Orgel der kath. Diözese Osnabrück erwähnt.
Über ihre Geschichte habe ich dann Aufregendes erfahren. 75 Jahre hatte sie das Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus bereichert. Vom Essener Architekten Alfred Fischer errichtet ist das Gebäude eines der Wahrzeichen der Stadt. Es handelt sich um eines der bedeutendsten Bauwerke der Moderne im Ruhrgebiet und ist im Lexikon der Weltarchitektur verzeichnet. Stilistisch ist es dem Backsteinexpressionismus zuzuordnen. Verwaltung, Läden, Bücherei, Büros, ein Café und ein 1.600 Menschen fassender Konzertsaal in einem Gebäude – auch dies war für die damalige Zeit revolutionär. Speziell für den Konzertsaal abgestimmt entstand die Kozertsaalorgel mit 92 Registernt. Das Orgelbauunternehmen Eberhard Friedrich Walcker & Cie. (Ludwigsburg) erbaute sie, das damals innovativste Unternehmen der Branche. 1927 eingeweiht, galt die Orgel von Anfang an als „Wunderorgel“, die die Ideen der – von Albert Schweitzer und Hans Henny Jahnn mit initiierten – Orgel-Reformbewegung umsetzte: An die Stelle des bis dato üblichen wuchtigen Romantik-Klangs trat nun die Klarheit des (Neo-)Barock.
Bis heute gilt diese Walcker-Orgel – das einzige erhaltene Exemplar dieser Größe der Weimarer Republik – als wichtigste Konzertsaalorgel hierzulande. Während des Zweiten Weltkriegs lagerte man die Orgel in Büren (bei Paderborn) ein, 1949 ging sie wieder in Betrieb. Später kam sie in Gelsenkirchen unter kulturlose politischen Räder, als das Hans-Sachs-Haus ganz von der Gelsenkirchener Stadtverwaltung übernommen wurde und man den Konzertsaal nich mehr brauchte und abriss. Schließlich verkaufte Gelsenkirchen diesen einzigartigen Kunstschatz für einen einzigen (symbolischen) Euro an die katholische St.-Antonius-Kirchengemeinde in Papenburg. Dort wurde sie sorgfältig wieder aufgebaut und vor einem Jahr am 9. September 2020 eingeweiht (mehr…). Und jetzt wird sie neuerlich durch die Uraufführung geadelt.
Musikfest Bremen
Premiere
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen , Leitung Tarmo Peltokoski
Christian Schmitt, Orgel, Matthias Höfs, Trompete
26781 Papenburg – St. Antonius Kirche, Kirchstr. 12
Sonntag, 28.08.22 – 19:00 Uhr
Tickets: € 35 / 28 / 22 (Ermäßigung 20%)
Tickets & Info unter www.musikfest-bremen.de und www.nordwest-ticket.de
Programm:
Ralph Vaughan Williams: Fantasia on a Theme by Thomas Tallis
Fazıl Say: Konzert für Trompete und Orgel op. 98 (Uraufführung)
Peteris Vasks: »Musica Dolorosa« für Streichorchester
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Serenade für Streicher C-Dur op. 48