0,5%-Initiative

13. Januar 2024

Zu den aktuellen Hochwasserproblemen hat jetzt in Niedersachsen auch der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) Stellung genommen. Der Verband fordert, dass durch die Revitalisierung von Auen entlang der Flüsse „aus Hochwasser wieder Breitwasser“ gemacht werden müsse.

Angesichts der Hochwasserkatastrophe von 1997 an der Oder mit 39 Todesopfern hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) erklärt: „Wir müssen den Flüssen
ihren Raum lassen. Sie holen ihn sich sonst — mit schlimmen Folgen für die betroffenen Menschen — zurück.“

Umweltverbände hatten schon lange zuvor gefordert, dass man die Revitalisierung der Auen durchsetzen müsse. Bei jedem neuen „Megahochwasser“ – wie 2002 an der Elbe, 2013 an der Donau und 2021 an Ahr, Erft und Wupper – war sich die Politik einig, dass dazu dem Hochwasserrückhalt in der Fläche ein Vorrang eingeräumt werden müsse. Bis auf wenige Deichrückverlegungen und beispielhafte Projekte zur Revitalisierung von Flussauen ist aber in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig passiert. Inzwischen wird in Fachkreisen die Notwendigkeit nicht nur von „Schwammstädten“, sondern von ganzen „Schwammlandschaften“ diskutiert – ebenfalls eine Forderung, die von Umweltverbänden seit weit mehr als einer Dekade erhoben wird. Aber auch die Realisierung von „Schwammstädten“ mit möglichst hoher Rückhaltekapazität für Regenwasser kommt aus der Nische nicht heraus.

Um endlich in die Breite zu kommen, schlägt der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) deshalb vor, nach Schweizer Vorbild in den deutschen Kommunen „0,5-Prozent-Initiativen“ ins Leben zu rufen. Es geht dabei darum, jährlich 0,5 Prozent des Straßenraums und der Parkplätze zu entsiegeln und mit Bäumen zu bepflanzen. Damit
würde der Weg zur „Schwammstadt“ verbindlich, quantifizierbar und messbar.

BBU-Vorstandsmitglied Udo Buchholz erklärt: „In vielen deutschen Städten steht in den nächsten Jahren der Ausbau der Fern- und Nahwärmenetze an. Wenn deshalb die Straßenbeläge sowieso aufgerissen werden, können gleich im Anschluss zeit- und kostensparend in passenden Straßenabschnitten Bäume gepflanzt werden. Das wäre nicht nur ein Beitrag zur Realisierung des Schwammstadt-Konzeptes, sondern auch der längst fällige Beitrag zu mehr Klimaschutz, Stadtgrün, Verkehrswende, sauberer Luft, Abschattung und Kühlung sowie urbaner Artenvielfalt.“

Währungsunion

1. Juli 2015

Heute vor 25 Jahren „am 01. Juli 1990 kam die DM in die DDR“. Dazu empfehle ich dieses hörenswerte Feature vom Deutschlandradio Kultur, das so beginnt:

„Noch vor der politischen Einheit Deutschlands kam am 1.7.1990 die Währungsunion: Sie war die ökonomische Antwort auf revolutionäre Ereignisse, so der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Der große Verlierer war dann aber die ostdeutsche Wirtschaft.

„Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Guten Abend, meine Damen und Herren. Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung und der Aufhebung der Grenzkontrollen ist die Einheit Deutschlands seit heute, Null Uhr, praktisch vollzogen. Der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Sozial- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ist in Kraft getreten.“

Die Tageschau am Sonntag, dem Ersten Juli 1990 – dem Tag, als die D-Mark in die DDR kam. Nachdem zum Jahreswechsel 89 – 90 die erste Euphorie von Mauerfall und Grenzöffnung verflogen war, bemerkten die bundesrepublikanischen Statistiker, dass die Gründe, aus denen die Mauer einst gebaut worden war, wieder wirksam waren. Allein im Januar 1990 verließen 200 Tausend Menschen die DDR, um in der Bundesrepublik Arbeit zu suchen. Das waren durchschnittlich drei Mal so viele wie vor dem Mauerbau 1961, als etwa 1.000 Menschen täglich der Systemwechsel gelang.

Die Wanderungsbewegung von 1990 war völlig legal und erwünscht. Da aber vor allem die Jungen und Leistungsfähigen die DDR verließen, konnte sich jeder ausrechnen, wann sie wirtschaftlich zusammenbrechen würde – nach etwa einem Jahr. Am 6. Februar unterbreitete Bundeskanzler Helmut Kohl dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow völlig überraschend…“ [weiter beim DeutschlandRadio]

(Foto: Peer Grimm fürs Bundesarchiv, CC-BY-SA 3.0)

angesprochen

12. September 2013

Joachim schreibt: „In unserem Urlaub haben uns unsere Freunden in Barcelona – Katalonien – auf  einen Artikel in „El Pais“ angesprochen. Hintergrund: Der Besuch von Frau Merkel im KZ Dachau  ein paar Tage zuvor. Der Autor des Artikels fragte sich, warum seit Bestehen der BRD so wenige Bundespräsidenten und Bundeskanzler dieses KZ besucht haben und nach den Gründen dafür.

Eine überzeugende Erklärung ist uns, Anita und mir, nicht eingefallen. Nach dem Kniefall von Willy Brandt 1970 im Warschauer Ghetto scheuen sich offensichtlich unsere höchsten Repräsentanten „Flagge“ zu zeigen. Scham? Wahltaktik?

Ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Im Jahr 1985 besuchte der amerikanische Präsident Ronald Reagan zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Kanzler Helmut Kohl das KZ Dachau. Reagan ließ sich von dem Besuch nicht abhalten. 1985 fanden Teile der Regierung Kohl und Teile der deutschen Bevölkerung den Besuch in Dachau als unerfreulich und unangebracht.

Wir haben unseren Freunden versprochen, unsere Familie und Freunde um ihre Meinung zu bitten.

Was meint Ihr, woran liegt es?“

Rückblick

1. Oktober 2012

Der 1. Oktober 1982 war ein schöner Tag.  Ich hatte unterrichtsfrei. Der Grund war die Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler.

Fast alle schauten sie betroffen, ängstlich und auch ein wenig wütend, nur der dicke Müller nicht, der war in der CDU. Als Geschichtslehrer! Für die Lehrer meines Gymnasiums, die meisten waren sozialdemokratischer Gesinnung, war der 1. Oktober 1982 ein schwerer Tag: Nun ging sie endgültig zu Ende, die sozialliberale Koalition. Die CDU würde mit Hilfe der verräterischen FDP die Macht zurück erringen, die sie 13 Jahre zuvor an Willy Brandt verloren hatte. Zwar…“

Fortsetzung des Beitrags von Stefan Laurin (Ruhrbarone) hier

Übernehmen

5. Oktober 2010

Gut, richtig und überfällig war es, den „Tag der Deutschen Einheit“ im Lingener Rathaus gebührend zu begehen. Das unterschied diesen Nationalfeiertag 2010 von den Vorjahren. Aber inhaltlich hat mich die Lingener Feierstunde am Samstagmorgen  doch enttäuscht. Zum Vergleich: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat in Münster die Verdienste politischer Laien für den Erfolg der Wiedervereinigung gelobt. Auf einer Feierstunde zum „Tag der Deutschen Einheit“ sagte er, die Wiedervereinigung sei nicht nur eine Veranstaltung der großen Politik, sondern vieler Menschen gewesen.

Ganz anders die persönlichen Erinnerungen von Rudolf Seiters, 1990 Kanzleramtsminister. Er sprach am Samstag auf der Feierstunde im Lingener Rathaus. Mit Seiters‘ historischern Einordnung hatte ich Samstagmorgen meine Probleme und fand auch sofort eine seiner Eingangsbemerkungen seltsam über die letzten „20 Jahre, die Frieden und Freiheit gebracht haben“. Gebracht hat er tatsächlich gesagt. Es war letztlich doch eine ungewöhnlich subjektive Einschätzung, die Seiters im Sitzungssaal des neuen Rathauses vor rund 100 Gästen abgab. Im Kern Für ihn war die deutsche Einheit in erster Linie eine Sache  von Männerfreundschaften in der großen Politik: Kohl, Bush d.Ä., Gorbatschow, Mitterand. Im Gegensatz zum Bericht der Lingener Tagespost kam die  Bürgerrechtsbewegung der DDR nur zwei, drei Mal am Rande, also nicht wirklich vor. Und Frauen schon gar nicht.

Parallel zum anschwellenden Strom von DDR-Flüchtlingen im Sommer 1989 nach Budapest, Prag und Warschau kam es aber doch in der DDR zu einer Neuformierung und starken Verbreiterung der oppositionellen Reformer. Es entstanden in wenigen Monaten viele neue und aus SED-Sicht politisch subversive Organisationen. Bekannte Bürgerrechtlerinnen waren vorn dabei: Angelika Barbe, Vera Lengsfeld, Erika Drees, Ulrike Poppe, Freya Klier, Marianne Birthler, Gisela Hartmann, Brigitte Moritz, Katja Havemann und Bärbel Bohley. Nicht eine von ihnen erwähnte Seiters (und die Männer unter den DDR-Bürgerrechtlern auch nicht). Es war ein Männer-in-der-großen-Politik-Rückblick.  Die Bürgerrechtsbewegung in der DDR war für Seiters offenbar nicht bedeutsam, nur am Rande wichtig.

Schließlich war für Rudolf Seiters auch alles, was 1989/90 geschah und was er mitzuverantworten hatte, ausnahmslos und völlig richtig. Da wurde es dann noch subjektiver: Falsch lagen beispielsweise, so Seiters, ZEIT-Herausgeber Theo Sommer und Egon Bahr (SPD), die beide Anfang Oktober 1989 die deutsche Einheit nur in einem europäischen Kontext sahen; Seiters erwähnte beide ausdrücklich. Dass Helmut Kohl acht Wochen später (!) und drei Wochen nach dem Fall der Mauer in seinem Zehn-Punkte-Programm dasselbe wollte, vergaß der Redner. Auch missglückte Punkte wie die wenig überzeugend gestaltete Währungsreform 1990 blendete er aus. Kurz gesagt: Ich hätte mir insgesamt mehr selbstkritische Distanz gewünscht.

Am Schluss nach seiner 45-minütigen Rede durfte sich Rudolf Seiters dann in das Goldene Buch der Stadt eintragen. (Protokoll-Anmerkung: Unklar ist, warum und wer das beschlossen hat.)

Noch eine weitere, kleine Protokoll-Anmerkung:
Der neugewählte OB Dieter Krone war  leider aus familiären Gründen verhindert, wie ich hörte, so dass die „Erste Bürgermeisterin“ Ulla Haar (CDU) kurzerhand beschloss, sich die Bürgermeisterkette umzuhängen. Dies steht ihr aber nicht zu, sondern seit 2000 allein dem von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Oberbürgermeister. Haar hat sich  seit dem Rücktritt von OB Heiner Pott nicht das erste Mal die OB-Amtskette umgehängt. Eitel und selbstherrlich.

Auch der billig wirkende Programmzettel und die fehlende Übersetzung der Reden für die Gäste aus Polen und Katalonien haben mich ebenso gestört, wie mich die Ausstellung „Lingen-Marienberg- Eine Städtepartnerschaft im Zeichen der Wiedervereinigung“ nicht überzeugt hat; denn sie wirkt eher wie ein touristisch-historischer Rückblick. Und schon Nachmittags flatterten statt den polnischen und der katalanischen Fahnen wieder  die städtischen Werbefahnen vor dem Rathaus.

Also: Es ist gut, dass es diesmal eine Feierstunde zum deutschen Nationalfeiertag gab, aber es kann manches verbessert werden. 2011 ist Gelegenheit dazu. Dieter Krone, übernehmen Sie.

Seiters

21. Oktober 2009

PragerBotschaft_W.SchroederEx-Kanzleramtschef Rudolf Seiters (CDU) hat SPIEGEL-ONLINE ein Interview gegeben, wie es war vor 20 Jahren in Prag und Bonn und anderswo. Der CDU-Politiker aus Papenburg war unter CDU-Kanzler Helmut Kohl von 1989 bis 1991 Chef des Kanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben. Der gelernte Jurist führte in der Wendezeit die Verhandlungen mit der DDR-Regierung. Seiters ist seit November 2003 Präsident des Deutschen Rotes Kreuzes. Bei der Prager Balkon-Rede des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher am 30. September 2009 stand Kanzleramtsminister Seiters im Schatten der Scheinwerfer neben ihm. 
Die Antworten des CDU-Mannes finde ich sehr informativ, abgewogen und weise – also allemal lesenswert. Beeindruckend seine Bewertung der Leistung Willy Brandts und das offene Eingeständnis: „Wir hatten auch Glück!“

(Foto oben links: Prager Botschaft Herbst 1989; © DRK, W. Schroeder)