Sonderstatus

31. März 2017

Ein taz-Beitrag:

Menschen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen, sind nicht automatisch krankenversichert. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regelungen. In Niedersachsen müssen Asylbewerber in den ersten 15 Monaten meist erst zur Kommune gehen und sich dort einen Behandlungsschein holen, mit dem sie dann einen Arzt besuchen können. Das ist auch bei uns im Emsland so. Eine Rahmenvereinbarung für die elektronische Gesundheitsversorgung hat Niedersachsen mit den Landesverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen getroffen. „Sie auszugestalten obliegt aber den Kommunen“ – bei uns dem Landkreis. Der will von der elektronischen Gesundheitskarte nichts wissen und beschäftigt oder beauftragt stattdessen eignene Bürokraten, die prüfen, ob ein Kranker wirklich krank ist und zum Arzt darf und ihm einen Krankenschein aushändigen – wie 1975.

Mal schnell zum Arzt – für Geflüchtete ist das also hierzulande nicht möglich. Der Grund ist einfach: Die flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge im Land funktioniert nicht. Für die medizinische Versorgung von Asylbewerbern sind die Kreise zuständig. Und ein Jahr nach dem offiziellen Startschuss der elektronischen Karte hat nur eine Kommune sie tatsächlich in Gebrauch. Allein Delmenhorst nutzt sie seit Jahresbeginn. Mit der Karte können Geflüchtete in den ersten 15 Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland ohne weitere Formalitäten zum Arzt gehen. Später wird die Behandlung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ohne Gesundheitskarte aber müssen Geflüchtete sich vor jedem Arztbesuch erst im Rathaus einen Behandlungsschein holen, um ärztlich versorgt zu werden.

Ein zeit- und arbeitsaufwendiges Prozedere, das sich besonders bei akut auftretenden Beschwerden als unpraktikabel erwiesen hat. „Wenn Flüchtlinge erst zum Sozialamt müssen, geht Zeit verloren, was den Krankheitsverlauf verschlimmern kann“, kritisiert Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Zudem würden auf den Sozialämtern oft medizinische Laien über den Behandlungsbedarf der Flüchtlinge entscheiden.

Trotzdem kommt die Karte nicht voran. Der Grund für die landesweite Schneckennummer: Viele Kommunen befürchten höhere Kosten und sehen den Verwaltungskostenbeitrag für die Krankenkasse in Höhe von acht Prozent pro Rechnung als unangemessen hoch an. Auch haben Flüchtlinge laut Gesetz nur Anspruch auf eingeschränkte medizinische Leistungen – sie sind Patienten dritter Klasse.

Doch ob vom Arzt nur die Behandlungen vorgenommen werden, die unter die „Standards“ des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, lässt sich mit Einführung der Karte für die Kommunen nicht mehr kontrollieren. „Das System ist zu teuer und in der aktuellen Ausgestaltung eine zusätzliche Belastung für die Kommunen“, bringt der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Max Matthiesen, die Bedenken der Landkreise auf den Punkt.

In Delmenhorst teilt man diese Bedenken nicht. „Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist hier insgesamt erfolgreich verlaufen“, teilt eine Sprecherin der Stadt mit. Seit dem 1. Januar seien 517 Krankenkassenkarten in Zusammenarbeit mit der Barmer GEK ausgegeben worden….

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Spielerkabine

30. März 2017

Kaum etwas hat auf den ersten Blick weniger miteinander zu tun als Theater und Fußball. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Denn was ist ein mit Flutlicht beleuchteter Fußballplatz anderes als eine Bühne? Auf der sich wahre Dramen abspielen, in denen Helden gemacht und fallen gelassen werden. Und wo es auf der einen Seite die TrainerInnen mit der Mannschaft gibt, sind es auf der anderen die Regie und ihre SchauspielerInnen.

Doch wie sagte einst Sepp Herberger? „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Mit anderen Worten: Das Drama endet nie. Gerade im Fußball kamen in den vergangenen Jahren hässliche Untiefen ans Licht. Es gab DFB-, Fifa- und Wettskandal. Geld und Ruhm waren offenbar wichtiger als der Fußball selbst.

Da liegt es doch nahe, ein Stück über Fußball hinter die Kulissen zu verlegen. Das Theater Osnabrück macht genau das und führt Patrick Marbers „Der rote Löwe“ in einer Spielerkabine auf. Das ist auch der Ort, den T in seinen Regieanweisungen vorgibt. Doch während das Staatstheater Nürnberg das Fußballdrama bei der deutschen Erstaufführung auf die Bühne holte, bringt Osnabrück das Theater nun ins VfL-Stadion….

[weiter hier bei der taz...]

Nächste Termine: 6., 11., 20., 27. und 28. April., jeweils 19.30 Uhr, Kassenhäuschen Nord, Stadion Bremer Brücke

„Klein-Ochtrup“

29. März 2017

Da erhielt ich, rechtzeitig zur heutigen Sitzung des zuständigen kommunalen Planungs- und Bauausschusses, der nach nur kurzer Debatte die modifizierte BvL-Planung per Grundsatzbeschluss abgesegnet hat (BN enthielt sich, Grüne dagegen, CDU/SPD dafür), diese Zuschrift:

Zur Sache: So gerne ich Edeka mag und in Lingen vermisse, ich halte das ‚Klein-Ochtrup‚ am BvL-Kreisel für eine Fehlentwicklung. Mittelfristig wird es ein wichtiges Geschäft aus der Innenstadt ersetzen und/oder abwerben, so wie Joachim das schon mal prognostiziert hat.
Die Idee mit den Wohnungen ist charmant, kann aber nicht alles andere ausgleichen.“

So ist es. Dasselbe gilt für den Erhalt des Winkel-Bunkers, der natürlich als Mahn- und Denkmal wichtig für unsere Stadt ist und der als Baudenkmal in jedem Fall stehen bleibt, auch wenn man „Klein-Ochtrup“ nicht zulässt. Und für die Frage, ob man die benötigten 5000 qm städtischer Flächen nicht nach Verkehrswert bezahlen lässt, sondern zum Buchwert veräußert, also fast verschenkt.

Aktuell zieht bereits das Gerücht die Runde, dass als erstes der Spiele-Max im ehemaligen Haus Adelmann, Marienstraße, in das BvL-Vorhaben wechselt. Später droht der Media-Markt zu folgen. Es fällt auf, dass die BvL-Center Entscheidung zu einer Zeit fällt, wo kein einziger Kaufmann oder Handwerker aus dem Stadtzentrum mehr im Lingener Stadtrat Sitz und Stimme hat. Da konnten die Kaufleute Hermann Klaas, Stefan Nottbeck, Torsten Thoben, Stephanie Albers und Stefanie Neuhaus-Richter noch so engagiert am Montagabend in der CDU-Fraktion für eine vitale Innenstadt streiten. Doch die CDU hat ihnenn, fast ausnahmslos CDU-Anhänger, nicht einmal deutlich gesagt, dass sich die christdemokratische Ratsmehrheit schon vor zwei Wochen festgelegt hatte: Für das BvL-Projekt. Ein Projekt, das nur Familie van Lengerich nutzt, der Innenstadt aber schadet und zwar massiv, weil dringend benötigte Kaufkraft abfließt. Denn wie sagte es schon das -damals noch objektive- Gutachten der Stadtforscher von Junkers und Kruse vor 11 Jahren:

„Die Ansiedlung von Einzelhandel, vor allem zentrenrelevantem Einzelhandel, im Bereich städtischer Einfallstraßen, vor dem Hin-tergrund der definierten Zielvorstellungen zur künftigen Einzel-handelsentwicklung, im Sinne einer geordneten Stadtentwicklung sowie zum Schutz bestehender Versorgungsbereiche, ist auszu-schließen. Dabei handelt es sich insbesondere um folgende Straßenzüge: Lindenstraße...“

Die von Experten befürworteten negativen Folgen durch das BvL-Center werden eintreten. Dabei werden natürlich aufgrund des Kaufkraftabflusses nicht die starken Innenstadtstandorte leiden sondern die schwachen B-Lagen, beispielsweise die Große Straße. Das belegt auch die Absage von Investor Hermann Klaas, der eigentlich mit Millionen Euro den überwiegend ungenutzten Sparkassenkomplex vitalisieren wollte und jetzt das Projekt aufgibt. Warum auch sollte er in dieses Vorhaben investieren, wenn OB Krone und seine politischen Unterstützer nicht einmal erkennen, wie sehr sie mit ihren Edeka-BvL-DM-Plänen dem Stadtzentrum allgemein und seinen Plänen im Besonderen zu Leibe rücken. Und was glaubt CDU-Fraktionsvorsitzender Uwe Hilling, wird die Firma Netto tun? Glaubt er tatsächlich, dass das Unternehmen angesichts der kommunal subventionierten Edeka/DM-Lindenstraßenkonkurrenz á la „Klein-Ochtrup“ am geplanten Standort Reuschberge festhalten wird, wo der Kommunalpolitiker wohnt?

Das Ja zum BvL-Center ist kurzsichtig und aktionistisch, also das Gegenteil nachhaltiger Politik. Das geschieht unter der Ägide eines Oberbürgermeisters, der in seinen bisher fast 70 Monaten Amtszeit nicht viel  (man könnte auch schreiben nichts) Wegweisendes für unsere Stadt auf den Weg gebracht hat. Profitiert hat er in seiner Amtszeit vor allem von den Vorarbeiten seines Vorgängers. Sein Nachfolger wird jedenfalls auf Vorleistungen des jetzigen OB nicht zurückgreifen können.

Trost

29. März 2017

An dem Tag, an dem die Familie Berning just für ein mutiges 15-Mio-Möbel-Ding in unserem Städtchen der erste Spatenstich (nein, leider nicht hier) erfolgen ließ, traute sich gestern dieser Ikea-Spot vor meine Augen. Die Kunden der schwedischen Einrichtungskette, die bekanntlich die Wegwerfeinrichtung erfand, kennen das Problem: Eigentlich wollte man „nur“ ein paar Teelichter kaufen, doch am Ende ist die blaue Ikea-Tasche trotzdem wieder knallvoll. In der neuen Frühjahrswerbekampagne (Thema Deko) spendet die Ikea-Agentur Thjnk diesen Möbelhausfans nun Trost: Was sie immer für eine kleine persönliche Schwäche gehalten haben, soll in Wahrheit ihre Fähigkeit sein, den Moment zu genießen….

Europa

28. März 2017

“Europe is not a market, it is the will to live together. Leaving Europe is not leaving a market, it is leaving shared dreams. We can have a common market, but if we do not have common dreams, we have nothing. Europe is the peace that came after the disaster of war. Europe is the pardon between French and Germans. Europe is the return to freedom of Greece, Spain and Portugal. Europe is the fall of the Berlin Wall. Europe is the end of communism. Europe is the welfare state, it is democracy,” Esteban González Pons (EPP) reminds us today [25th of March], on the 60th anniversary of the Treaties of Rome.

6:7

28. März 2017

Das ist kein Fußballergebnis, was die geschätzte Leserschaft in der Überschrift lesen kann. Es ist das Abstimmungsresultat, mit dem gestern Nachmittag im Schulausschuss der Stadt ein Antrag des FDP-Mannes Jens Beeck (Foto lks) abgelehnt wurde, sofort zwei Doppelcontainer an der Lingener Friedensschule aufzustellen. Die einzige kommunale Schule für die Klassenstufen 5 bis 10 platzt nämlich aus allen Nähten. Das ist logische Folge der Schließung der Gebrüder-Grimm-Schule, bis vor drei Jahren zweite städtische Sekundarstufe. Denn nun konzentrieren sich 67 Flüchtlingskinder allein in der Friedensschule. Zum Vergleich: In der dem katholischen Bistum Osnabrück gehörenden privaten Marienschule sind es aktuell gerade einmal 15. Hinzu kommen inklusionsbedingt viele „Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf“.

Ein wenig unglücklich, so scheint mir, agierte in der Folge Schulleiterin Ulla Maaß-Brüggemann auf die seit dem vergangenen Sommer bekannten Missstände. Sie versuchte, die Stadtverwaltung auf dem Dienstweg davon zu überzeugen, das etwas getan werden müsse, und scheiterte. Das ganze Thema wurde nämlich erst Ende Februar durch die Brandrede von Lehrervertreterin Magdalena Voß im Lingener Schulausschuss bekannt.

Dort beanstandete sie die beengte Raumsituation an der Friedensschule „auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen“. Obwohl die Schule baulich nur über 34 allgemeine Unterrichtsräume verfüge, unterrichte man derzeit 36 Klassen an der Schule. Ein Kursgruppenraum/Inklusionsraum sei daher zum Klassenraum umfunktioniert worden, ebenso einer von zwei Kunsträume. Eine weitere Teilung von Klassen sei bei der jetzigen Raumsituation nicht mehr möglich. Und wo sie gerade dabei war, auch das Lehrerzimmer sei für die jetzige Größe des Kollegiums viel zu klein und die Akustik dort viel zu schlecht.

Gestern nun machte sich der alarmierte Schulausschuss ein Bild vor Ort und alles war noch deutlich schlimmer. Die Mensa, erfuhren die Mitglieder des Gremiums, biete nur Platz für 48 Schüler, so dass mittags manche auf Tischtennisplatten essen müssten. 60 Lehrer brächten in den Pausen im kleinen Lehrerzimmer zu und müssten dann mangels Stühlen sogar auf Fensterbänken sitzen. Inklusionsklassen seinen in Geräteräumen und der Hausmeister habe seinen Raum verloren. Alles sei ausgesprochen beengt.

Allerdings hatte sich wohl Schulleiterin Ulla Maaß-Brüggemann im Vorfeld mit dem Angebot der CDU-Stadträte zufrieden gegeben, die (nur) zwei Mobilklassen wollten. Es war dann Ratsmitglied Jens Beeck (FDP), der bessere Nägel für klügere Köpfe machte und vier Mobilklassen („zwei Doppelcontainer“) forderte, prägnant die -geringen- Kosten pro Schüler ausrechnete und eine Abstimmung verlangte. Allerdings sah die Ratsmehrheit-CDU keinen Grund auf den Vorschlag einzugehen, selbst nach einer Sitzungsunterbrechung nicht, in der CDU-Fraktionsvorsitzender Uwe Hilling die Seinen noch einmal auf Bruder Schmalhans einstimmte.

Dann wurde abgestimmt. Das war spannend, denn im Schulausschuss haben auch Eltern-, Schüler- und Lehrervertreter Sitz und Stimme, weshalb die CDU sich nicht -wie sonst- des Erfolgs ihres Vorschlags („zwei Container sollten reichen“) sicher sein konnte. Ausgerechnet die Elternvertreterin im Schulausschuss Dr. Karin Funke-Rapp verhinderte dann den Erfolg für die Schülerinnen und Schüler und stimmte mit der CDU, die Beecks Antrag ablehnte und dafür sieben Stimmen bekam. Die siebte Nein-Stimme war die von Elternvertreterin Funke-Rapp. Die mag eine kluge Frau „mit fundiertem journalistischen Hintergrund (ZDF, NDR, dpa und NHK/Tokio) sowie internationaler Arbeitserfahrung“ sein. Sie mag auch 1996 über die japanische Automobilwirtschaft („Die Investitionen japanischer Automobilhersteller in den ASEAN-Staaten: Eine empirische Studie über die Investitionen in Thailand unter besonderer Berücksichtigung des Transfers von Human Resour­ces Management Praktiken“) promoviert haben. Doch den Bedürfnissen der Schüler der Lingener Friedensschule, der Flüchtlingskinder dort und derjenigen, die von der Inklusion profitieren sollen, hat sie am Montagnachmittag einen wirklichen Bärendienst erwiesen und eine notwendige Zwischenlösung verhindert – aus welchen Gründen auch immer.

Hätte die Elternvertreterin nämlich für den Beeck-Antrag gestimmt, wäre der mehrheitlich angenommen und sofort geholfen worden. So half sie dem hart- und halbherzigen CDU-Vorschlag („Die Verwaltung soll zum kommenden Schuljahr eine Lösung finden…“) zur Mehrheit und und Beecks Antrag  scheiterte bei 6 Ja und 7 Neinstimmen.

Zusatz:
Elternvertreterin Dr. Karin Funke-Rapp hat mir inzwischen mitgeteilt, sie habe so entschieden, weil seitens der Schulleitung der Friedensschule kein schlüssiges Container/Schulhof-Konzept vorgelegt wurde: „Einen ohnehin beengten Schulhof mit Container zuzustellen, kann nicht die Lösung sein.“

(Foto: Jens Beeck, via twitter)

Jazzfest Gronau (29)

27. März 2017

Brönner, Doldinger, Porter & Co. – es sind alle wieder da und noch ein paar mehr, selbst nationale Popgrößen. Vom 29. April bis 7. Mai steht die 29. Ausgabe des Jazzfestes Gronau an, das sich im Internet in komplett neuem Gewand präsentiert. Inhaltlich knüpfen die Macher auch bei der aktuellen Ausgabe dieses Musikspektakels an die bekannte und erfolgreiche Programmstruktur der vergangenen Jahre an und präsentieren auch in diesem Jahr sowohl die großen Stars der Szene als auch unbekannte Amateurgruppen präsentiert.

Weitere Informationen zu den Bands, Spielorten und Spielzeiten, Ticketverkauf und Vorverkaufsstellen können hier heruntergeladen werden. Aktuelles findet sich auch auf Facebook. Auf ein Neues: „Groove in the Green!“

Disco Ensemble

26. März 2017

Disco Ensemble
Afterlife Tour 2017
Lingen (Ems) – Alter Schlachthof, Konrad-Adenauer-Ring 40
Fr 31.03.17 – 21 Uhr
Karten: 14 Euro + VVK

Das finnische Quartett DISCO ENSEMBLE veröffentlichte vor zwei Monaten sein fünftes Studioalbum „Afterlife“. DISCO ENSEMBLE existiert seit rund 20 Jahren und die Musiker haben ihren Stil seither immer wieder dezent, aber deutlich gewandelt. Das macht die Vielfalt der Jungs aus: Dass sie Punkrock genauso beherrschen wie klassische Rock’n’Roll-Rhythmen, Post-Hardcore genauso im Repertoire haben wie Riffrock-Bretter. Sie haben in der Heimat vier Alben in den Top Ten platzieren können und klingen wie die Hausband auf einer Party, bei der die Getränke nie zur Neige gehen und auf dem Swimmingpool immer genug Gummitiere treiben, um jederzeit für einen weichen Fall zu sorgen. „Afterlife“ ist eine weitere Rock’n’Roll-Injektion, deren Bestandteile sich im Wesentlichen aus Rollsplitt und Chrom zusammensetzen, um mal geschickt auf das Verhältnis zwischen Rauheit und Melodie anzuspielen.

DISCO ENSEMBLE haben ein Faible für Gitarrenschneisen, sie mögen aber auch Synthesizer, weil man damit so schön musikalisch airbrushen kann, bis man das Gefühl bekommt, sein Leben in einem Kinofilm zu verbringen. Und dann ist da noch die Stimme von Miikka, die in entscheidenden Momenten in den Turbo-Boost schaltet und fast schon opernhaft an derselben Decke herumschwirrt, wo auch schon der ein oder andere Metal-Sänger sein Graffito hinterlassen hat. Kurz gesagt: Wenn DISCO ENSEMBLE auf der Bühne stehen, steht innerhalb kürzester Zeit der Saal unter Strom. Denn erst live kondensiert die geballte Kompetenz an lautstärkeorientiertem E-Gitarren-Krach, und hymnischer Melodieführung und treibender Rhythmus-Gruppe zu einer grandiosen Party. Jetzt hat das DISCO ENSEMBLE bestätigt, dass sie neben ihren Auftritten beim Southside und dem Hurricane Festival eine ausgedehnte Deutschlandtour antreten werden und unter anderem auch in Lingen im Alten Schlachthof einen Tourstopp einlegen. Die Tickets dafür sind ab sofort im VVK erhältlich. (Quelle)

groß was anderes

25. März 2017

An diesem, kurzen Wochenende bin ich auf dem alljährlichen Strafverteidigertag, der  2017 in Bremen über den „Schrei nach Strafe“ verhandelt. Den gab es zwar auch schon früher, aber er wird, so scheint es mir, doch unerbittlich lauter. Da passt inhaltlich, was Kollege Udo Vetter in seinem Lawblog gerade über das „Recht zu lügen“ schreibt, das Beschuldigte haben – über einige, bei weitem nicht alle Grenzen dieses Rechts und die Empfindungen, wenn man damit konfrontiert wird. Also, zum Samstag dieses rechtliche Crossposting:

„Heute ist für einen meiner Mandanten eine Welt zusammengebrochen. Und ich war schuld. Oder sagen wir, ich war der Überbringer der traurigen Botschaft. Für die ich allerdings nun wirklich nichts kann.

Mein Mandant fühlte sich – zu Recht – als Opfer eines tätlichen Angriffs. Zum Glück ist nicht viel passiert. Deshalb geht es auch insgesamt in Ordnung, dass die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Amtsgerichts das Ermittlungsverfahren gegen den Bechuldigten einstellte. Und zwar gegen Zahlung einer Auflage von einigen hundert Euro. Immerhin.

Aber selbst wenn die Einstellung nicht in Ordnung ginge, müsste der Mandant damit leben. Gegen die Einstellung nach § 153a StPO mit einer Auflage für den Beschuldigten hat der Geschädigte kein Rechtsmittel. Im Gegensatz zu einer Einstellung mangels Tatverdachts.

Was den Mandanten aber wirklich aufregte, war folgendes: Der Beschuldigte hatte in einer schriftlichen Stellungnahme den Sachverhalt schön verdreht, fleißig Ausflüchte gebraucht und sich insgesamt als Unschuldslamm dargestellt. Alles falsch, fand der Mandant. Fand übrigens auch der Staatsanwalt, sonst hätte er dem Angeklagten ja keine Auflage gemacht. Was den Mandanten aber enorm ärgerte war der Umstand, dass der Beschuldigte nicht auch für seine „Falschaussage“, die den Mandanten in einem schlechteren Licht dastehen lassen, zur Rechenschaft gezogen wird.

Ich habe dem Mandanten erklärt, dass ein Beschuldigter nicht zur Wahrheit verpflichtet ist. Vielmehr kann er bedenken- und folgenlos lügen. Jedenfalls so lange, wie er nicht andere zu Unrecht beschuldigt. Das könnte dann strafbar sein, etwa als falsche Verdächtigung (§ 164 StGB). Außerdem geht ein Beschuldigter bei schwereren Vorwürfen das Risiko ein, dass er einen Grund für Untersuchungshaft gegen sich zimmert. Stichwort: Verdunkelungsgefahr.

Aber ansonsten ist es eben das Privileg des Beschuldigten, dass er lügen darf. (Gleichzeitig ist das auch ein Fluch, denn schon deshalb wird ihm in der Praxis viel weniger geglaubt.) Aber der Rechtsstaat will das halt so. Das habe ich auch dem Mandanten erklärt. Der allerdings blieb dabei, dass nun eine Welt für ihn zusammenbricht. Womit er wohl meinte, dass er mir das alles jetzt mal nicht so recht glaubt und hofft, dass seine Welt weiter heile ist.

Gut möglich, dass er sich noch mal von einem Anwaltskollegen beraten lässt. Ich bin allerdings guter Dinge, dass der ihm nicht groß was anderes erzählt.“

 

prima Obst und Gemüse

24. März 2017

Hardy Kloßek hat zu diesem rassistischen, nationalistischen, anonymen Scheiß gestern auf Facebook Wichtiges gepostet: „Ich bin froh, dass mich der „deutsche Demokrat“ daran erinnert hat, dass ich mal wieder bei der Familie Yavuz einkaufen muss.“

Die reagierte gestern auf das Schreiben fassungslos:

Liebe Kunden,

soeben erreichte uns dieser Brief und löste Entsetzen in uns aus. Wir sind nun seit 25 Jahren als Familienunternehmen hier etabliert und fühlen uns auch als Teil von Lingen. Wir haben uns immer von politischen, kulturellen und religiösen Diskussionen distanziert. Und gerade deshalb möchten wir diesen Brief nicht anerkennen. Trotz dessen möchten wir alle, die derselben Meinung sind, bitten von einem weiteren Besuch bei uns abzusehen.

Allen anderen Kunden und Freunden, die uns wirklich kennen, möchten wir uns für die langjährige Treue und Freundschaft danken.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen die Familie Yavuz

Dabei ist klar, das der anonyme, rechtschreibsichere Schreiberling weder das Deutscsein noch die Demokratie für sich in Anspruch nehmen kann. So sehen und sahen es auch Tausende in ganz Deutschland, die sich binnen weniger Stunden für Familie Yavuz solidarisierten. Am gestrigen Abend äußerte sich Familie Yavuz

überwältigt von dem großen Zusammenhalt. Uns haben Hunderte von Kommentaren aus ganz Deutschland erreicht, in denen man uns Solidarität bekundet hat. 99% aller Kommentare bestehen aus wirklich netten und liebevollen Worten, welche die unsinnigen Kommentare in Vergessenheit geraten lassen.“

Auf ihrer Facebookseite nahm sie zugleich zu einigen Kommentaren Stellung und formulierte die Hoffnung, „diese ‚Sache‘ ein für alle Mal abschließen“ zu können. 

Doch da widerspreche ich. Denn so sehr ich mich für die tausendfache Solidarität mit Familie Yavuz freue und sie begrüße: Ich bin überzeugt, dass man sich nicht immer von politischen, kulturellen und religiösen Diskussionen distanzieren“ kann und darf, was Familie Yavuz spontan betont. im Gegenteil: Man muss die Debatte gegen Rassismus, Dummheit und Vorurteile, also gegen Rechts, immer wieder offen und entschlossen führen, auch wenn man sonst vor allem prima Obst und Gemüse verkauft – andernfalls überließe man unsere Welt den Antidemokraten, mögen sie nun Höcke, Assad oder Erdoğan heißen. Daher war es wichtig und richtig, das rechte Geschmiere öffentlich zu machen. Danke dafür an Familie Yavuz und an Hardy Kloßek für seine ganz konkrete, notwendige Handlungsempfehlung.