Konservative Themen

4. Juni 2023

Die EU will die Gefahren von politischem Microtargeting und verdeckten Online-Kampagnen endlich entschieden begrenzen. Doch damit die neue Verordnung ihr Versprechen einlösen kann, muss sich das Parlament gegen Rat und Kommission durchsetzen. Ein Netzpolitk.org-Kommentar.

Eine Hand wirft einen Brief in eine Box

Neue Regeln für politische Online-Werbung sollen schon zur EU-Wahl 2024 gelten Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Element5 Digital

Das Europäische Parlament hat gestern ein Verhandlungsmandat für eine Verordnung angenommen, die die Auswertung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften stark einschränken soll. Noch vor der Europawahl im kommenden Jahr soll so transparenter werden, wer Werbeanzeigen schaltet und Kampagnen finanziert. Außerdem soll die neue Verordnung die Nutzung persönlicher Daten einschränken, mit denen politische Werbebotschaften zielgenau auf Gruppen und einzelne Menschen zugeschnitten werden können.

Eine solche Regulierung ist seit langem überfällig. Denn die vergangenen Jahre haben allzu deutlich gemacht, dass weder Parteien und Politiker:innen noch Social-Media-Plattformen und andere Werbefirmen willens oder in der Lage sind, sich selbst zu kontrollieren. Das Geschäft mit der Werbemanipulation ist offenkundig zu lukrativ – für alle Beteiligten.

Auch haben verschiedene Skandale immer wieder gezeigt, wie groß das Missbrauchspotential von Microtargeting und verdeckten Kampagnen in der politischen Kommunikation ist. So nahm das Team des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2016 die Dienste von Cambridge Analytica in Anspruch. Das britische Unternehmen sollte dabei helfen, mit Hilfe zielgerichteter Online-Werbung Schwarze US-Bürger:innen von ihrer Stimmabgabe abzuhalten. Derweil verkaufte die Österreichische Post Information über die politische Affinität von Millionen Österreicher:innen an Parteien. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren fragwürdige Online-Kampagnen, deren Urheber:innen und Sponsor:innen verschleiert wurden.

Das Parlament muss sich im Trilog durchsetzen

Vor diesem Hintergrund ist heute ein besonderer Tag – auch für mich persönlich. Seit Jahren schreibe ich über die Gefahren von datengetriebenem Targeting in der politischen Kommunikation. Ich habe zu dem Thema Vorträge auf Konferenzen und Fachsymposien gehalten sowie Medien und Wissenschaftler:innen als Experte Rede und Antwort gestanden. Noch vor dem Cambridge-Analytica-Skandal habe ich den Einfluss der umstrittenen Kommunikationstechnik auf den Bundestagswahlkampf 2017 untersucht. Und gemeinsam mit anderen habe ich die Methoden von Cambridge Analytica und Donald Trumps Erfolgskampagne analysiert sowie den  und der in Europa beleuchtet.

Man sollte als Journalist die eigene Wirksamkeit nicht überschätzen. Neben mir gibt es viele andere Menschen in Medien, Forschung, Zivilgesellschaft und Politik, die das Thema kontinuierlich bearbeiten. Immer wieder kamen wir alle zu dem Schluss: Die Folgen von gezielter Werbung sind zu gravierend, um sie weitgehend unkontrolliert den Plattformen und Parteien zu überlassen. Deshalb war ich gespannt, als die EU-Kommission die neue Verordnung vorgeschlagen hat. Nach der heutigen Entscheidung geht der Entwurf nun in die finalen Verhandlungen, also in den Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Uneingeschränkt freuen kann ich mich aber erst, wenn dabei am Ende auch ein vernünftiges Gesetz herauskommt. Denn der Aufschlag der EU-Kommission hat zwar die Hebel an den richtigen Stellen angesetzt. Doch ihm fehlte die Kraft. Die halbherzigen Vorschläge der Kommission wollen die Mitgliedstaaten im Rat obendrein noch weiter aufweichen. Will die EU aber Ernst machen und mit der neuen Verordnung einen weiteren Cambridge-Analytica-Skandal verhindern, dann muss sich vor allem das Parlament im Trilog durchsetzen.

Weniger Daten, mehr Transparenz

Denn im Vergleich zu Kommission und Rat will nur das Europäische Parlament das Targeting deutlich einschränken. Bedauerlicherweise strebt die Mehrheit der Abgeordneten zwar kein umfassendes Verbot gezielter Werbung an. Die vorgeschlagenen Regeln sind aber immerhin so streng formuliert, dass sie deren Missbrauch in der politischen Online-Kommunikation deutlich verringern könnten.

Kommission und Rat hingegen möchten den Status quo in weiten Teilen beibehalten. Ging es nach ihnen, wäre mit der informierten Einwilligung“ als Rechtsgrundlage weiter alles möglich, von dem wir längst wissen, dass es der Demokratie schadet. In Zeiten von Dark Patterns und Plattformmonopolen, die die Autonomie von Nutzer:innen und Bürger:innen gezielt untergraben, ist dies jedoch unzureichend.

Auch beim Thema Transparenz sind Rat und Kommission auf halber Strecke stehengeblieben. Geht es nach ihnen, soll politische Online-Werbung künftig zwar mit weitergehenden Informationen versehen werden. Auf diese Weise soll unter anderem leichter erkennbar werden, wer die jeweilige Werbung finanziert. Doch nur das Parlament fordert, auch Informationen über die Zielgruppenkritierien zu veröffentlichen. Dank dessen könnten Bürger:innen dann ermessen, aus welchen Gründen ihnen eine Anzeige angezeigt wird und Rückschlüsse auf die Absichten der Politiker:innen ziehen.

Und nur das vom Parlament geforderte Transparenzregister, das sämtliche politische Anzeigen auflisten soll, böte den Bürger:innen künftig einen Überblick darüber, mit welchen Botschaften sich politische Parteien an bestimmte Zielgruppen wenden.

Eine Chance für die Demokratie

In den vergangenen Monaten war die Sorge gewachsen, dass die Verordnung auch für herkömmliche Tweets oder Videos gelten könnte, in denen sich Menschen zu Wahlen oder Abstimmungen äußern. Das Parlament entzieht diesen Befürchtungen nun den Boden. Es will klarer definieren, dass von der Verordnung nur Werbung im engeren Wortsinn erfasst wird.

Gewiss, auch der Entwurf des Parlaments ist nicht perfekt. Google und eine Anzahl von Nichtregierungsorganisationen haben sich für ein engen Anwendungsbereich der Verordnung eingesetzt. Sie bezieht sich nun beispielsweise nicht auf die internen Abläufe von Parteien. Diese haben damit weiterhin die Möglichkeit, eigene Datensammlungen für Targeting-Kampagnen zu nutzen, die keinen weitergehenden Transparenzanforderungen unterliegen. Auch das übliche Vorgehen von Plattformen, bestimmte Inhalte gezielt zu forcieren und damit politische Diskurse zu prägen, lässt das Parlament weitgehend unangetastet.

Dennoch kann diese Verordnung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, demokratische Prozesse nachhaltig zu schützen. Für politische Akteur:innen bietet sich damit auch eine Chance: Sie können Nutzer:innen künftig wieder weniger als Datenpunkte, sondern wieder mehr als Bürger:innen betrachten, mit denen sie auch online den Austausch suchen sollten. Wenn wir alle uns wegen der neuen Regelung fortan weniger Gedanken um Datenmissbrauch und intransparente Manipulation machen müssen, bleibt mehr Zeit, um die Möglichkeiten der Digitalisierung in den Dienst von Teilhabe und Demokratie stellen können.


Ein Kommentar von  auf Netzpolitik.org / Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Nachsatz von mir:
Auch die CDU nutzt übrigens ein Programm („connect„) und vertreibt es an ihre Funktionäre, das das Micro-Targeting zum Inhalt hat. Im letzten Bundestagswahlkampf 2021 wurde die Frage danach, weichgespült, so beantwortet:“Wir verfolgen in unserer Kampagne und Ansprache einen wählerzentrierten Ansatz und steuern unsere thematischen Angebote daher auch zielgerichtet aus. Im wesentlichen richten wir uns dabei nach Regionen (Postleitzahlgebieten). Nur im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards nutzen wir die Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache, um mit Menschen in den Dialog zu treten.“ (FR)

Angesichts seiner Gefahren für die demokratische Willens- und Meinungsbildung findet sich Microtargeting auf der Website der Landesmedienanstalt NRW unter dem Menupunkt „Desinformation“. Zu recht.  Mehr …

frühestens

29. April 2019

Niederlande.Net, die Internetseite von der Uni Münster, publiziert die  Binsenweisheit: „Nach der Wahl ist vor der Wahl“, und lässt uns dann etwas in die politische Entwicklung bei den niederländischen Nachbarn schauen. Dort wurden am  20. März die Provinzialparlamente gewählt, und  schon am 23. Mai werden die Niederländer erneut für die Europawahl zur Wahlurne gebeten. Die Parteien bringen sich daher in Stellung. Beim großen Wahlsieger der Provinzialwahlen, dem Forum voor Democratie (FvD), fordert Schatzmeister Henk Otten den Kurs des Vorsitzenden Thierry Baudet heraus. Otten wittert die Gefahr, dass das FvD mit ihrem Nationalismus auch Rassisten und Faschisten anlocken könnte. Lieber möchte sich Otten auf Sachthemen wie Steuern und Integration konzentrieren. Auch bei der VVD, der liberalkonservativen Partei, die mit Mark Rutte den Ministerpräsidenten der Niederlande stellt, stehen die Segel auf Kurswechsel. Der VVD-Fraktionsvorsitzende in der Zweiten Kammer Klaas Dijkhoff möchte sich künftig auf die gesellschaftliche Mitte konzentrieren.

Seit der Gründung im Jahre 2016 hat das FvD eine steile Karriere hingelegt: Bei den Parlamentswahlen 2017 errang die Partei noch 2 von 150 Sitzen, bei den vergangenen Provinzialwahlen konnte die Partei bereits die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Nicht zuletzt ist der Erfolg des FvD mit dem Spitzenmann Thierry Baudet zu erklären. Er gilt als schillernde Medienpersönlichkeit und ist häufiger Gast in Talkshows. Darüber hinaus beherrscht er Social Media wie Facebook und Instagram wie kein Zweiter. Baudet polarisiert mit seinem Auftreten. Oft hat er sich in der Vergangenheit zu der Idee eines „weißen Nationalismus“ bekannt. Europa solle nach Baudets Vorstellungen mehrheitlich von weißen Menschen bewohnt werden. Zudem pflegt er Kontakte zu rechten Bewegungen wie der US-amerikanischen Alt Right. All das bescherte Baudet reichlich Kritik: Er sei Rassist, heißt es vom politischen Gegner.

Eine Eigenart Baudets ist, dass er gerne seine Belesenheit zur Schau stellt. So zitiert er öffentlich Philosophen, nimmt Worte wie Oikophobie oder Kulturmarxismus in den Mund und hält seine erste Parlamentsrede zum Teil auf Latein. Sein Intellekt stößt dabei nicht immer auf Gegenliebe, auch nicht in eigenen Reihen. Henk Otten, Mitgründer des FvD, macht Baudet seine Verkopftheit sogar zum Vorwurf: „Es ist schön und gut, gewagte Thesen in den Mund zu nehmen, aber wir sind jetzt eine große Partei. (…) Worte haben Konsequenzen. Man muss Verantwortung für andere Menschen übernehmen“, sagt Otten gegenüber der Tageszeitung Trouw.

Ottens Ziel ist aber ein anderes: Er will das FvD dem Verdacht entziehen, extrem rechte Positionen zu besetzen. „Faschismus, Rassismus, damit will ich nichts zu tun haben“, gibt Otten im Interview mit dem NRC Handelsblad zu. Er will keine Fundamentalopposition, sondern fordert Pragmatismus ein: „Wir wollen nicht wie die Sozialisten von der SP mit Tomaten werfen und gegen alles stimmen“, sagt er. Doch genau das drohe seiner Meinung nach. In den Provinzen Flevoland und Overijssel verweigert sich beispielsweise die sozialdemokratische PvdA einer Zusammenarbeit mit dem FvD. Auch möchte Otten weg vom EU-Bashing. In Anbetracht des Brexit-Chaos könne man einen EU-Austritt der Niederlande nicht mehr vertreten, so Otten, doch genau darauf pocht sein Gegenspieler Baudet.

Das NRC-Interview von Otten erhitzt auf Social Media die Gemüter. „Betreibt der Schatzmeister Otten einen Coup gegen den Vorsitzenden Baudet? Will er die rechtsextremen Ränder der Partei entfernen und einen neue VVD gründen? Oder war das Interview ein mit Baudet ausgeheckter Plan, um verschiedene Wählergruppen anzusprechen?“, fasst Politikjournalist Philipp de Witt Wijnen den Zwist zusammen. Klar ist: Die Kursdebatte und der Erfolg des FvD setzt auch andere Parteien unter Druck, allen voran die liberale VVD. Umfragen zufolge ist es im Moment schlecht um die VVD bestellt. Auch mussten die Konservativliberalen den Platz 1 bei den Provinzialwahlen an das FvD abgeben. Nicht zuletzt haben zahlreiche enttäuschte VVD-Wähler ihr Kreuzchen beim FvD gemacht. Das soll sich bei den Europawahlen nicht wiederholen, so viel steht für die VVD fest.

Klaas Dijkhoff, VVD-Fraktionschef, möchte deshalb den aktuellen Parteikurs zur Debatte stellen. Mit einem Debattenbeitrag unter dem Titel Liberalismus, der für alle Menschen funktioniert plädiert Dijkhoff für einen Kurs der Mitte. Das bedeutet: keine Zugeständnisse für FvD und auch nicht für Konkurrenten von links. Stattdessen möchte Dijkhoff der Mittelschicht und den kleinen und mittelständigen Unternehmen unter die Arme greifen. Die Marktmacht von Großkonzernen wie Google und Amazon gelte es aus seiner Sicht zu beschneiden. Gleichzeitigt verteidigt er seine zurückhaltende Haltung in der Klimapolitik. Dijkhoff geriet des Öfteren in die Schlagzeilen, weil er kostspielige Klimamaßnahmen ablehnt: „Man braucht nicht kürzer zu duschen, das Wasser ist genauso warm wie jetzt, man braucht kein Schuldgefühl im Flugzeug zu haben und der Klecks Mayo schmeckt auch immer noch genauso lecker wie vorher“, schreibt Dijkhoff mit gewisser Polemik.

Auffallend an Dijkhoffs Schrift ist sein Lobgesang auf „ein starkes Europa, in dem die Länder zusammenarbeiten“. Bisher kannte man derartige Hymnen auf Europa eher aus dem Mund von Premier Rutte. Vielleicht möchte sich Dijkhoff aber genau dadurch vom FvD im Europawahlkampf abgrenzen: „Es liegt an der VVD, eine Alternative für den Lockruf der populistischen Rhetorik anzubieten“, so Dijkhoff in seinem Debattentext.

Wie und ob dies gelingen wird, zeigt sich frühestens (im O-Text von Niederlande.net lese ich spätestens)  am 23. Mai.