Syed S.
15. Dezember 2022
In einem Offenen Brief kritisiert der 58-jährige, aus Pakistan geflüchtete Syed S. unhaltbare Zustände in der Landesaufnahmebehörde Osnabrück: Konkret beklagt der Betroffene rassistische Übergriffen durch Mitarbeiter:innen des Sicherheitsdienstes. In dem Lager in der Sedanstraße sei er Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt und über Monate hinweg in einer sehr verletzlichen Situation gewesen. Deshalb habe er sich an die Betroffenenberatung Niedersachsen gewandt. Das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen die Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes sei nach kurzer Zeit eingestellt worden, weil die Täter angeblich nicht ermittelt werden konnten. Dabei habe er die Täter in seiner Aussage genau beschrieben. Er habe den Eindruck, es sei nur sehr oberflächlich ermittelt worden. Daher fordert Syed S. eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.
Mit seinem Offenen Brief will Syed S. auf weitere kritikwürdige Zustände in dem Standort Osnabrück der Landesaufnahmebehörde aufmerksam machen. Er beklagt unter anderem eine mangelhafte und unzureichende Essensversorgung, respektlose und beleidigende Behandlung durch Mitarbeiter:innen im Lager, Bedrohungen und Gewalt durch Sicherheitspersonal und die Ausbeutung geflüchteter Menschen im Rahmen der sogenannten 80-Cent-Jobs. Die Essensversorgung im Lager sei nicht angemessen und oft nicht ausreichend gewesen. Trotz seiner gesundheitlich kritischen Situation aufgrund einer Krebserkrankung sei er oft mit leerem Magen schlafen gegangen. Syed habe über den Sozialdienst zahlreiche Briefe an die Leitung des Standortes geschickt, doch er erlebe kein Bestreben, etwas zu verändern.
Seinen Brief schließt Syed S. mit einem Appell an die Öffentlichkeit:
„Wisst ihr, ich bin zu euch gekommen, um Schutz zu suchen, um Freiheit, Gerechtigkeit und Würde zu suchen. Um wieder atmen zu können. Denn ich bin nicht nur einem Ort, sondern auch tausend Erinnerungen entflohen. Ich möchte in Würde und Respekt leben. In diesem Moment bin ich der einsamste Mensch der Welt. Ich habe niemanden auf dieser Erde. Ich brauche eure Hilfe, bevor es zu spät ist.“
Der Niedersächsische Flüchtlingsrat hat die Landesaufnahmebehörde um eine Stellungnahme gebeten. Eine Rückmeldung erfolgte bislang nicht. Die No – Lager – Initiative Osnabrück hat sich mit Syed S. in einer Presseerklärung solidarisiert. Die Missstände, die Syed benennt, deckten sich mit den Erfahrungen zahlreicher anderer Menschen, die bei No Lager Osnabrück aktiv sind oder sich an die Initiative wenden. Viele Menschen seien eingeschüchtert und hätten große Angst, dass Beschwerden und Kritik negative Konsequenzen haben könnten. Vor wenigen Tagen wurde Syed in eine andere Unterkunft transferiert.
Foto: No-Lager-Osnabrück
Forderungen
9. September 2022
Einen Monat vor der kommenden Landtagswahl veröffentlicht der Nieders. Flüchtlingsratdiese Forderungen an die kommende Landesregierung
Der Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlicht uns allen erneut und auf eindringliche Weise, dass die Aufnahme von Geflüchteten eine Aufgabe und Herausforderung darstellt, der wir uns dauerhaft stellen wollen und auf die die Politik angemessene Antworten entwickeln muss. Wir stehen in Solidarität mit allen Menschen, die ihr Herkunftsland aufgrund von Krieg und Verfolgung verlassen müssen. Wir fordern einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der niedersächsischen Asyl- und Migrationspolitik für alle Geflüchteten: Weg von einer Politik, die Schutzsuchende durch Lagerunterbringung, Fremdbestimmung und Barrieren etwa beim Zugang zu Gesundheitsversorgung diskriminiert, hin zu einer Politik der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe, die Brücken baut, Chancen eröffnet und Bleibeperspektiven für alle Menschen schafft, die ihren Lebensmittelpunkt in Niedersachsen gefunden haben.
Geflüchtete Menschen aus der Ukraine werden auch in Niedersachsen mit offenen Armen empfangen und willkommen geheißen. Im Umgang mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine beweisen die deutsche und die niedersächsische Politik ihre Solidarität in beeindruckender Weise. In kürzester Zeit wurden gesetzliche und verwaltungstechnische Maßnahmen ergriffen, um tausenden Opfern von Krieg und Verfolgung unbürokratisch Aufenthaltssicherheit, eine Wohnung, Arbeitsangebote und volle soziale Leistungen zu verschaffen.
Wir begrüßen diese Politik. Allerdings fragen wir uns, warum die ergriffenen Maßnahmen nicht auch auf andere Schutzsuchende angewandt werden, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung in Deutschland ankommen. Daher fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen von der Bundes- und Landesregierung eine Neuorientierung der Flüchtlingspolitik.
Es wird Zeit, den Reformstau zu überwinden, der in den vergangenen fünf Jahren unter einer großen Koalition auch in Niedersachsen entstanden ist. Dazu gehört, dass Niedersachsen sich als vielfältiges Land definiert, in dem Diversität nicht als Manko, sondern als Stärke begriffen wird. Alle Geflüchteten sollen in Niedersachsen angenommen und wertgeschätzt werden. Unter Bezugnahme auf die konkreten Reformen, die gestartet wurden, um den geflüchteten Menschen aus der Ukraine einen Neustart in Niedersachsen zu erleichtern, und anknüpfend an die in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung ausgebreiteten Agenda wollen wir die Rechte von Geflüchteten stärken und Bleiberechtsperspektiven absichern.
An die neue Landesregierung haben wir hohe Erwartungen:
- Wir wollen eine Aufnahmepolitik, die Geflüchtete Willkommen heißt und ihnen nach kurzer Registrierung schnellstmöglich eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe (Wohnen, Arbeiten, Partizipation) ermöglicht
- Niedersachsen ist ein offenes Land. Viele Kommunen haben ihre Aufnahmebereitschaft erklärt. Es braucht ein niedersächsisches Aufnahmeprogramm für gefährdete Geflüchtete
- Familien gehören zusammen! Der Familiennachzug muss durch die Ausländerbehörden unterstützt statt aufgehalten und behindert werden.
- Familie ist mehr als die Ehe! So ist beispielsweise in vielen Ländern, aus denen Geflüchtete kommen, keine gleichgeschlechtliche Ehe möglich. Hier braucht es einen Übertrag in das deutsche Rechtssystem und eine Abkehr von der Fixierung auf den Ehebegriff als Grundlage der Familiendefinition, wenn es zum Beispiel um Familiennachzug geht.
- Wir brauchen Mindeststandards zur Gewährleistung von Gewaltschutz – auch für Geflüchtete. Vulnerable Geflüchtete müssen zeitnah identifiziert werden und haben Anspruch auf besondere Hilfen.
- Fragwürdige Beschränkungen der Freizügigkeit (durch Wohnverpflichtungen) und der Beschäftigung (durch Arbeitsverbote) für Geflüchtete lehnen wir ab.
- Die Diskriminierung von Asylsuchenden im Bereich des Leistungsrechts muss ein Ende haben: Alle Geflüchteten – und nicht nur die Vertriebenen aus der Ukraine – müssen einen Anspruch auf Hartz 4 – Leistungen und gleichberechtigte medizinische Leistungen erhalten.
- Die von der Bundesregierung angekündigte Bleiberechtsregelung muss unbürokratisch und vollständig in Niedersachsen umgesetzt werden. Die Ausländerbehörden sollen die Aufgabe erhalten, Langzeitgeduldete zu unterstützen statt zu behindern und Wege ins Bleiberecht zu eröffnen. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden.
- Es muss endlich Schluss sein mit überfallartigen Abschiebungen zur Nachtzeit. Familien dürfen durch Abschiebungen nicht getrennt werden. Humanität im Umgang mit Geflüchteten muss wiederhergestellt werden!
- Wir fordern, die Abschiebungshaftanstalt in Langenhagen zu schließen. Solange es sie gibt, müssen Abschiebungsgefangene Anspruch auf eine soziale, medizinische und juristische Beratung und Unterstützung haben. Rechtswidrige Inhaftierungen soll es nicht mehr geben.
Wir erkennen an, dass die Landesregierung durch Gewährleistung einer Migrationsberatung sowie die Bereitstellung von Sprachkursen für alle Asylsuchenden ohne Ansehen ihres Status wesentliche Bedingungen dafür geschaffen hat, dass ein Neustart in Niedersachsen gelingen kann. Das allein reicht aber nicht, wenn und solange Geflüchtete jahrelang in Unsicherheit über ihr Aufenthaltsrecht gehalten werden. Was jetzt gebraucht wird, ist ein Paradigmenwechsel weg von ordnungspolitisch motivierten Versuchen einer Reglementierung und Ausgrenzung, hin zu einer Politik der Ermöglichung und des Empowerments.
Anlass
12. Oktober 2021
Zahlreiche Migrantenvereine aus Niedersachsen haben sich heute mit einem Forderungskatalog zur Bekämpfung von Polizeigewalt an das Land gewandt. Viele Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte erlebten Gewalt durch die Polizei, teilten 18 Selbstorganisationen und Vereine, darunter der Flüchtlingsrat Niedersachsen, am Dienstag in Hannover mit. Dazu gehörten unverhältnismäßige Härte bei Polizeieinsätzen, der Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte oder Racial Profiling – also anlasslose Personenkontrollen von Menschen aufgrund äußerer Merkmale.
Der Hintergrund:
In der beim Niedersächsischen Landtag angesiedelten Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe fand am 12. Oktober 2021 eine mündliche Anhörung zum Thema „Gewalterfahrungen von Migrantinnen und Migranten durch die Polizei“ statt. Angehört werden unter anderem die Betroffenenberatung Niedersachsen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und Dr. Fatoş Atali-Timmer von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Die Organisationen fordern eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle, die Gewährleistung von mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit und die Entwicklung einer Fehlerkultur innerhalb der Polizei. Racial Profiling sollte explizit verboten werden. Außerdem verlangen die Vereine eine wissenschaftliche Rassismus-Studie über die Polizei und die Sensibilisierung von Polizei und Behörden für unbewussten und bewussten Rassismus:
Gemeinsame Stellungnahme zur Anhörung “Gewalterfahrungen von Migrantinnen und Migranten durch die Polizei“ in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe
In Niedersachsen erfahren viele Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte bzw. migrantisierte Menschen Gewalt durch die Polizei, etwa durch unverhältnismäßige Härte bei Polizeieinsätzen, beim Gebrauch von Schusswaffen durch Polizist*innen sowie durch Racial Profiling. Immer wieder kommt es dabei auch zu tödlichen Polizeieinsätzen. Mindestens vier Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen zwei Jahren in Niedersachsen in der Folge von Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst sowie Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade.
In Kombination verstärken gewaltvolle bzw. tödliche Polizeieinsätze, anlasslose Kontrollen, denen Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte häufig ausgesetzt sind, sowie fast täglich neue Enthüllungen von rechtsextremen Polizei-Chatgruppen bei den Betroffenen Angst, Misstrauen und ein Gefühl der Bedrohung durch Staatsbehörden. Zudem machen die Betroffenen immer wieder die Erfahrung, markiert und rassifiziert zu werden.
Diesen Umstand muss das Land Niedersachsen ernst nehmen und entsprechend handeln. Dafür stellen wir die folgenden Forderungen an die niedersächsische Landesregierung.
1. Eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle schaffen!
Das Land Niedersachsen muss eine unabhängige und niedrigschwellige Beschwerde- und Ermittlungsstelle schaffen. Die Stelle wäre dafür zuständig, Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten und Polizeigewalt entgegenzunehmen und eigenständig Ermittlungen durchzuführen. Diese Institution darf nicht der Innenverwaltung unterstehen, sondern muss außerhalb der polizeilichen Strukturen angesiedelt werden. Von einer solchen Stelle würde auch die Polizei profitieren. Eine transparente Fehlerkorrektur würde die Polizei vor unberechtigten Vorwürfen schützen. Wird berechtigten Vorwürfen ernsthaft nachgegangen, stärkt dies das Vertrauen in die Polizei, statt Misstrauen zu säen. Zugleich bedarf es weiterhin nicht-staatlicher Beschwerde- und Beratungsstellen, an die sich Betroffene jederzeit wenden können.2. Für mehr Transparenz sorgen und eine konstruktive Fehlerkultur schaffen!
Mit dem Gewaltmonopol der Polizei ist eine große Verantwortung und ein Vertrauensvorschuss durch die Gesellschaft verbunden. Um diesem Vertrauen gerecht zu werden, muss Polizeiarbeit transparent sein und permanenter unabhängiger Kontrolle unterliegen. Daher muss das Land Niedersachsen eine größere institutionelle Transparenz bei Ermittlungen und Beschwerdeeingängen gewährleisten. Insbesondere bei Ermittlungen von Fällen rassistischer Gewalt gegenüber Migranten*innen und migrantisch gelesenen Menschen muss die Polizeiarbeit im höchsten Maße transparent sein. Auch bei der einzurichtenden Beschwerde- und Ermittlungsstelle muss Transparenz über die Tätigkeiten herrschen. Entscheidend ist dabei, dass Fehlverhalten nicht vertuscht, sondern aufgearbeitet wird, dass also eine Fehlerkultur geschaffen wird.3. Racial Profiling explizit verbieten
Das Land Niedersachsen muss die rechtlichen Grundlagen für anlasslose und verdachtsunabhängige Kontrollen streichen. Stattdessen muss in den Polizeigesetzen ein explizites Verbot für die Anwendung von Racial Profiling verankert werden.4. Eine Rassimus-Studie über die niedersächsische Polizei in Auftrag geben
Fast wöchentlich gibt es Berichte über extrem rechte Netzwerke oder Chat-Gruppen in Sicherheits- und Landespolizeibehörden. Eine von unabhängigen Forscher*innen konzipierte und durchgeführte Studie zu strukturellem Rassismus und Racial Profiling in der niedersächsischen Polizei ist nötig, um mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen Gegenmaßnahmen zu entwickeln und zu ermöglichen.5. Sensibilisierung in Polizei, Politik und Behörden gewährleisten
Maßnahmen zur Gewährleistung einer selbstreflexiven, fehlertoleranten Praxis müssen nicht nur in der Ausbildung verankert sein, sondern auch im Alltag auf der Wache etabliert werden. Sowohl innerhalb der Polizei als auch in Politik und Behörden muss anerkannt werden, dass Migrant:innen und Schwarze Menschen sowie Personen of Color deutlich mehr Gewalt durch die Polizei erfahren als die Mehrheitsgesellschaft. Daraus müssen strukturelle Maßnahmen erwachsen, um entschieden gegen rassistische Erscheinungsformen anzugehen. So ist bereits in der Ausbildung von Polizist:innen, aber auch fortlaufend eine Sensibilisierung für unbewussten und bewussten Rassismus unerlässlich.Hannover, den 12. Oktober 2021
Afrikanischer Dachverband Norddeutschland e.V. (ADV-Nord)
AK Asyl Harsefeld
Amadeu Antonio Stiftung
Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen – amfn e.V.
Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e.V.
Asyl e. V. Hildesheim
Betroffenenberatung Niedersachsen
BI Menschenwürde Landkreis Stade
Bündnis in Erinnerung an Qosay
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Initiative Aman AlizadaInitiative für Internationalen Kulturaustausch Hannover/Nds. IIK e.V.
kargah e.V. – Verein für interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
MigrantInnenSelbstOrganisationen-Netzwerk (MiSO) Hannover e.V.
Refugium Flüchtlingshilfe e.V.
Roma Center e.V.
Seebrücke Niedersachsen
Verein zur Wahrung der Menschenrechte in Vietnam (MRVN) e.V.
Vietnamzentrum e.V.
WABE e.V.
Qosay
8. April 2021
In der Nacht vom 5. auf den 6. März 2021 starb der 19-jährige Qosay Khalaf, nachdem er im Polizeigewahrsam in Delmenhorst kollabiert war. Er war zuvor von Zivilpolizist_innen im Delmenhorster Wollepark kontrolliert und festgenommen worden. Die Polizist*innen setzten bei der Festnahme Pfefferspray und körperliche Gewalt ein. Auch einen Monat nach dem Tod des jungen Geflüchteten bleiben viele Fragen zum Geschehen offen.
„Woran starb Qosay Khalaf? Wie ist der Polizeieinsatz abgelaufen? Wurde Qosay Khalaf ärztliche Hilfe verweigert? Was geschah im Polizeigewahrsam und warum wurde der 19-Jährige überhaupt dorthin gebracht?“
Qosay K. bekam keine Luft, in: taz vom 6. April 2021
Nachdem es zunächst kein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizist_innen gegeben hatte, stellten die Anwält*innen der Familien Strafantrag, so dass die Staatsanwaltschaft Oldenburg mittlerweile Ermittlungen aufgenommen hat.
„Das Anwält*innen-Team der Familie wartet momentan noch auf Akteneinsicht. Es sei aber klar, sagt [Anwältin Lea] Voigt, dass der Sohn ihrer Mandant*innen gesund war und im Zuge des Polizeieinsatzes so schweren gesundheitlichen Schaden nahm, dass er starb. „Laut dem Obduktionsgutachten, welches die Familie in Auftrag gegeben hat, starb Qosay K. an einem sauerstoffmangelbedingten Herz-Kreislauf-Versagen“, so die Anwältin. Ein Zeuge hatte schon früher berichtet, Qosay K. habe bereits im Park gesagt, er bekomme keine Luft. „Ihm wurde offensichtlich nicht geholfen, das wurde nicht erkannt – oder man wollte das nicht erkennen“, sagt Voigt.“
Qosay K. bekam keine Luft, in: taz vom 6. April 2021
Am Ostersamstag organisierte das Bündnis in Erinnerung an Qosay eine weitere Demonstration in Delmenhorst, an der rund 250 Menschen teilnahmen und die Aufklärung des Polizeieinsatzes forderten. Auch die Eltern von Qosay Khalaf sprachen zum ersten Mal öffentlich.
Der Nieders. Flüchtlingsrat erwartet, dass die Umstände, unter denen der Jugendliche ums Leben kam, gründlich ermittelt werden. Allzu oft müssen wir erleben, dass in Fällen, in denen Menschen bei einem Polizeieinsatz zu Tode kommen, Ermittlungen frühzeitig eingestellt oder – wie in diesem Fall zunächst – gar nicht erst aufgenommen werden.
(Quelle: Nds. Fluechtlingsrat)
Wir schaffen das.
10. Oktober 2020
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. zieht – fünf Jahre nach 2015 – eine vorläufige Bilanz zur Flüchtlingsaufnahme (hier als pdf):
Das Bundesland Niedersachsen hat in den vergangenen fünf Jahren eine pragmatische und unaufgeregte Politik zur Gewährleistung der Grundversorgung von Geflüchteten sowie zur Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe verfolgt. Vielfach gelingt Teilhabe in Niedersachsen gut.
Noch immer werden Schutzsuchenden jedoch in zahlreichen Lebensbereichen unnötige Hürden in den Weg gestellt, sei es beim Wohnen, beim Zugang zu Sprache, Bildung und Arbeit oder bei der Gesundheitsversorgung. Restriktive Bundesgesetze, falsche politische Vorgaben oder unflexible Behörden verhindern oder erschweren Teilhabe in vielen Lebensbereichen. Bleiberechtsregelungen werden in Niedersachsen zu zögerlich angewendet.
Die Kernforderungen des Flüchtlingsrats Niedersachsen
1. Aufenthaltssicherheit
Wir fordern:
-
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Faire Asylverfahren, bei denen Qualität Vorrang vor der Schnelligkeit der Entscheidung hat (Fehlerquote Afghanistan über 50%)
-
ein Bleiberecht für alle Geflüchteten, die ihren Lebensmittelpunkt längst in Deutschland gefunden haben, aber weiterhin mit prekärem Aufenthalt in Niedersachsen leben.
-
vom Bundesgesetzgeber die Wiedereinführung eines Rechts auf Familienleben für Geflüchtete: Schutzberechtigte Familien müssen zusammengeführt werden.
2. Wohnen in Nachbarschaften statt Ausgrenzung in Lagern
Wir fordern:
- Die Perspektive aller Politik in Land und Kommunen muss es sein, ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden früh zu ermöglichen
- ein Ende von Politikkonzepten, die durch Ausgrenzung und Lagerunterbringung Schutzsuchende künstlich an den Rand der Gesellschaft drängen
- eine Streichung von Wohnsitzauflagen, die einen Zuzug in bestimmte Städte verbieten
- den Schutz der Privatsphäre und die Beendigung diskriminierender und entmündigender Praktiken in Gemeinschaftsunterkünften
3. Gesellschaftliche Teilhabe
Wir fordern:
- einen frühen und gleichberechtigten Zugang zu Sprachkursen für alle Schutzsuchenden
- die Gleichstellung beim Zugang zu Arbeit, Bildung und Ausbildung auf allen Ebenen
Tag des Flüchtlings
2. Oktober 2020
Ein langer Text an diesem Freitag:
Aus Anlass des heutigen Tags des Flüchtlings macht der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Situation der durch Flucht getrennten Flüchtlingsfamilien aufmerksam, die um ihr Recht auf ein Familienleben kämpfen: Jahrelang wurde die Umsetzung dieses Grundrechts durch politische Maßnahmen behindert und in die Länge gezogen. Es scheint, dass die Bundesregierung jede Gelegenheit zu nutzen versucht, um durch ihr Nichthandeln den Nachzug zu Schutzberechtigten zu verzögern, unabhängig davon, in welcher Lebenssituation diese Menschen sich befinden und welche Rechtsansprüche sie haben. Nach letzten Zählungen geht es bei den Angehörigen von in Deutschland subsidiär Geschützten um eine Zahl von gerade mal knapp 12.000 Personen. Die weitere Verzögerung eines Familiennachzugs nach oftmals jahrelanger erzwungener Trennung ist perfide und menschenverachtend. Am diesjährigen Tag des Flüchtlings sollten wir uns nochmals vor Augen führen, dass es sich hier um Menschen handelt, die in ihren Ländern teils mehrfach vertrieben worden sind und die sich in einer oftmals prekären und unsicheren, nicht selten auch lebensgefährlichen Lage befinden. Das Leid und Bangen der hier lebenden Geflüchteten und ihrer Angehörigen zieht sich weiter in die Länge.
———
Ein Opfer dieser Politik ist Mohammed K., dessen Schicksal der Flüchtlingsrat nachfolgend dokumentiert:
Nach fünf Jahren der Trennung: Mohammed wartet immer noch auf seine Familie
Der heute 15-jährige Mohammed K. flüchtete Ende 2015 als 10-Jähriger zusammen mit seinem Onkel und dessen Ehefrau nach Deutschland. Mohammeds Vater ist Mitglied einer kurdischen Partei und steht wegen seiner politischen Aktivitäten und der Verweigerung des Militärdienstes auf der Fahndungsliste des syrischen Regimes. Die Eltern wollten zumindest Mohammed in Sicherheit bringen und schickten ihn ins Exil nach Deutschland.
Im Februar 2017 hat Mohammed in Deutschland Schutz erhalten. Aber es geht ihm nicht gut: Mohammed vermisst seine Familie, die in einem Flüchtlingslager im Irak feststeckt und zu der neben seinen Eltern auch vier Schwestern im Alter zwischen sechs und 13 Jahren gehören. Der Vater leidet unter Nierensteinen, kann sich eine Operation jedoch finanziell nicht leisten. Sicher fühlt sich die Familie auch nicht: Die Terrororganisation IS fasst in der Region zunehmend wieder Fuß. Daher kämpft Mohammed zusammen mit PRO ASYL, dem Flüchtlingsrat Niedersachsen und seinen Unterstützer/innen vor Ort darum, dass seine Eltern und Geschwister zu ihm nach Deutschland nachziehen dürfen. Die von den Unterstützer/innen erstellte Petition vermittelt, was es für den Jungen heißt, ohne seine Familie aufzuwachsen.
Nach der gefahrvollen Flucht zu Fuß über die Türkei, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer und dann per Bus und Zug nach Deutschland wurde Mohammed als „unbegleiteter Minderjähriger“ mehrere Monate von seinem Onkel und seiner Tante getrennt untergebracht. Dem verstörten Kind waren die Gründe für die Trennung von seiner Familie zunächst kaum zu vermitteln. Als im im Februar 2017 endlich „subsidiärer Schutz“ gewährt wurde, hatte der Gesetzgeber das Recht auf Familiennachzug jedoch erst einmal ausgesetzt. Vergeblich bemühte sich PRO ASYL darum, beim Auswärtigen Amt ein Visum im Rahmen eines „Härtefallantrags“ zu bekommen.
Seit dem 01. August 2018 ist ein Familiennachzug theoretisch wieder möglich. Das Verfahren ist jedoch sehr kompliziert und bürokratisch gestaltet. Bis heute ist es seiner Familie nicht gelungen, ein Visum zu erhalten:
Schon die Antragstellung gestaltete sich schwierig: Da die Terminanträge aufgrund der veränderten Rechtslage zweimal für ungültig erklärt wurden, gelang es erst beim dritten Versuch, überhaupt einen Termin zur Vorsprache zu erhalten. Im Frühjahr 2019 durfte die Familie endlich ihr Begehren um ein Visum bei dem deutschen Generalkonsulat in Erbil vortragen. Gemäß dem von der Bundesregierung beschlossenen Verfahren wurde anschließend die für Mohammed zuständige, lokale deutsche Ausländerbehörde um ihre Stellungnahme zu dem Visumsantrag gebeten. Diese ließ sich für die Bearbeitung des Antrags acht Monate Zeit. Obwohl die Vormundin von Mohammed für die gesamte Familie Wohnraum zur Verfügung stellte, erklärte die Behörde schließlich ihre Zustimmung nur für den Familiennachzug der Eltern und verlangte als Voraussetzung für eine Zustimmung zur Einreise auch der vier Schwestern (4, 10, 11 und 13 Jahre) die Vorlage einer Verpflichtungserklärung für die Übernahme des Lebensunterhalts.
Die Lebenssituation der in einem Flüchtlingslager im irakischen Kurdistan lebenden Familie ist dramatisch schlecht. Allein ohne Eltern können die Kinder dort nicht verbleiben. Die Eltern können aber mangels finanzieller Mittel auch keine Verpflichtungserklärung für ihre Töchter abgeben. Daher wandte der Flüchtlingsrat Niedersachsen sich an das niedersächsische Innenministerium als Fachaufsicht und konnten schließlich erreichen, dass die Ausländerbehörde einem Familiennachzug zu Mohammed auch ohne die Vorlage einer „Verpflichtungserklärung“ zustimmte und die Akte an das „Bundesverwaltungsamt“ weiterleitete, welches den Fall erneut prüfte und schließlich an das Generalkonsulat zwecks Visumserteilung weiterleitete. Am 25.03.2020 wurde das Visumsverfahren endlich formal abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Generalkonsulat in Erbil seine Tätigkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie allerdings vorläufig eingestellt.
Inzwischen sind wieder Botschaftstermine in Erbil möglich. Einen Termin hat die Familie jedoch bis heute nicht bekommen. Die letzte Antwort des Konsulats vom 14. September 2020 lautet:
„Die Bearbeitungszeit der Visaanträge hat sich aufgrund der Schließung der Visastelle während der Corona Pandemie wesentlich verlängert. Das Generalkonsulat ist bemüht, laufende Visaverfahren so schnell wie möglich abzuschließen und abgelaufene Visa, die coronabedingt nicht genutzt werden konnten, neu auszustellen.“
Gemeinsam mit den engagierten Unterstützer/innen, die die o.g. Petition verfasst haben, werden wir im Namen von PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen weiter darauf drängen, dass die unsägliche Familientrennung fünf Jahre nach der Flucht endlich überwunden wird: Mohammed muss mit seinen Eltern und seinen Schwestern zusammen in Deutschland leben können.
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Hintergrund:
Für die Zeit von Februar 2016 bis Juli 2018 wurde ein Familiennachzug für subsidiär Geschützte vom Gesetzgeber grundsätzlich ausgeschlossen. Seit dem 01. August 2018 ist ein Familiennachzug zwar wieder möglich. Das Verfahren wurde jedoch sehr kompliziert und bürokratisch gestaltet: Bürokratische Auflagen und Nachweisforderungen sowie lange Wartefristen sorgten dafür, dass ein Familiennachzug oftmals über Jahre nicht stattfinden konnte. Dramatisch wurde die Lage vieler getrennter Flüchtlingsfamilien im Frühjahr 2020 durch die coronabedingte Schließung der deutschen Auslandsvertretungen und die Verhängung einer Einreisesperre auch für solche Angehörigen, die nach jahrelangem Kampf endlich ein Visum bekommen hatten (siehe hierzu den Bericht aus Juli 2020: Familiennachzug: Corona-Krise trifft getrennte Familien hart). Laut Aussage der Bundesregierung auf Anfrage der Grünen im Bundestag wurden im zweiten Quartal 2020 von allen deutschen Auslandsvertretungen weltweit nur 220 Visa erteilt, davon 42 zu subsidiär Schutzberechtigten.
Inzwischen sind Visumserteilungen zwar grundsätzlich wieder möglich. Die faktische Aussetzung von Familienzusammenführungen über Monate hat jedoch einen großen Stau unbearbeiteter Anträge bewirkt, und die Bundesregierung denkt nicht daran, für eine beschleunigte Abarbeitung dieser Anträge zu sorgen: Das Auswärtige Amt als die für die Durchführung von Visumsverfahren zuständige Behörde hat erklärt, dass in diesem Jahr keine Resourcen zur Verfügung stünden, um weiteres Personal in die chronisch unterbesetzten Visastellen abzuordnen. Familienangehörige, die sich um eine Neuvisierung ihrer coronabedingt verfallenen Visa bemühen, müssen sich erneut hinten in die Schlange stellen und monatelang auf einen Termin warten.
(Quelle. Flüchtlingsrat)

Neues aus der Bürokratie
1. August 2020
Der niedersächsische Landkreis Gifhorn zwingt eine alleinerziehende Mutter und ihre sieben Kinder zum Umzug aus eigener Wohnung in eine Sammelunterkunft. Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert:
Lasst die Familie weiter in ihrer Wohnung leben!
Der Landkreis Gifhorn zwingt die Familie in eine Sammelunterkunft – weil die Familie ihre Wohnung – auf eigene Kosten -, allerdings „ohne Erlaubnis“ renoviert hat. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert dies als „absurd“ und „rechtswidrig“ und fordert den Landkreis Gifhorn auf, die moldauische Familie N. „schlicht weiter in ihrer Wohnung leben zu lassen.“
Familie N.. wandte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolglos an den Landkreis Gifhorn und bat darum, ihre Wohnung in Osloß, die sie seit mehr als zwei Jahren bewohnt, renovieren zu dürfen. Dabei war der alleinerziehenden Frau N., die an schwergradigem Asthma leidet, vor allem daran gelegen, den bereits durch die Vormieter genutzten, stark verschmutzen und verstaubten Teppich, der sich trotz intensiver Bemühungen nicht mehr reinigen ließ, zu entfernen. Der Landkreis verweigerte dies, obwohl Frau N. diesem – wie verlangt – sogar ein ärztliches Attest vorlegte, wonach die Beschaffenheit des Teppichs ihre Atemwegsbeschwerden verstärke, weshalb es aus medizinischer Sicht geboten sei, ihn zu entfernen.
Nachdem es Frau N. gesundheitlich zunehmend schlechter ging, weil es ihr immer schwerer fiel, in ihrem eigenen Hause zu atmen, ersetzte sie den Teppich dennoch – auf eigene Kosten – durch Laminat, um einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vorzubeugen. Zudem tapezierte die Familie – ebenfalls auf eigene Kosten – sämtliche Wände, um ihr Zuhause wohnlicher zu gestalten. Nunmehr verlangt der Landkreis Gifhorn von Frau N. und ihren sieben Kindern im Alter zwischen zwei und 17 Jahren, die Wohnung spätestens bis zum 05. August 2020 zu räumen und in die Flüchtlingsunterkunft in Ehra-Lessien zu ziehen. Für den Fall, dass die Familie sich dem widersetzt, droht der Landkreis damit, die Wohnung gewaltsam räumen zu lassen.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent des Flüchtlingsrats Niedersachsen:
„Das Vorgehen des Landkreises ist absurd. Der Landkreis hat die gesundheitlichen Beschwerden der Frau N. monatelang ignoriert und bestraft die Familie nun dafür, ihre Wohnsituation eigenständig verbessert zu haben. Er zwingt die Familie inmitten in der Corona-Pandemie, in eine Sammelunterkunft zu ziehen – und dies, obwohl es für Menschen angesichts der Enge in solchen Unterkünften bekanntermaßen unmöglich ist, die Corona-Schutzmaßnahmen und Abstandsregeln einzuhalten.“
Das Vorgehen das Landkreises gegenüber der Familie N. ist nicht nur faktisch absurd und gesundheitsgefährdend, sondern steht auch juristisch auf sehr tönernen Beinen.
Muzaffer Öztürkyilmaz:
„Das Ganze ist auch rechtswidrig. Es unverhältnismäßig die Familie zum Auszug zu zwingen, weil sie die Wohnung ohne Erlaubnis renoviert und damit im Ergebnis aufgewertet hat. Da Frau N. alleinerziehend ist und ihre Kinder minderjährig sind, dürfen sie nach der EU-Aufnahmerichtlinie im Übrigen nur dann verpflichtet werden, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, sofern sie dort ausschließlich mit anderen Alleinerziehenden und ihren minderjährigen Kindern untergebracht werden. Solche eine spezifische Unterbringungsmöglichkeit existiert in Ehra-Lessien jedoch nicht.“
Ein Zwangsumzug von Osloß nach Ehra-Lessien würde für die Familie zugleich den Verlust ihres bisherigen Lebensumfeldes bedeuten und ihr den Alltag erschweren. Die Kinder haben sowohl in Osloß als auch im Kindergarten bzw. in der Schule schnell Anschluss gefunden, sich in Vereinen engagiert und Freundschaften geschlossen. All dies müssten sie hinter sich lassen. Die älteste Tochter würde bei einem Umzug täglich statt einer halben ca. 2 Stunden benötigen, um ihren Ausbildungsbetrieb in Wolfsburg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Muzaffer Öztürkyilmaz:
„Wir fordern den Landkreis Gifhorn auf, die Familie schlicht weiter in ihrer Wohnung leben zu lassen, anstatt sie durch absurde und rechtswidrige Maßnahmen zu schikanieren und ihre weitere Integration absichtlich zu erschweren.“
Für alles verantwortlich ist im Übrigen der Landrat Dr. Andreas Ebel. Ebel gehört der CDU an.
RKI-Empfehlungen, weichgespült
14. Juli 2020
Das Robert-Koch–Institut (RKI) hat seine überfällige Stellungnahme mit Empfehlungen für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Schutzsuchende (im Sinne von §§ 44, 53 AsylG) endlich herausgebracht (Stand: 8.7.2020). Monatelang zuvor kursierten zwischen den zuständigen Behörden der Bundesländer und dem RKI Entwurfsfassungen, die aus politischen Gründen geheim gehalten und nicht veröffentlicht wurden, weil sie der in den Bundesländern verfolgten Politik und Verwaltungspraxis offenkundig widersprachen. Ein Entwurf mit Empfehlungen vom 07. Mai 2020, wurde im Juni bekannt und führte zu ersten öffentlichen Diskussionen (siehe Fluechtlingsrat-Bericht vom 11. Juni 2020).
Die jetzt veröffentlichten Empfehlungen sind gegenüber der Entwurfsfassung vom 07. Mai 2020 deutlich verwässert worden. Das verwundert nicht, ist doch das RKI als Bundesoberbehörde und zentrale Einrichtung des Bundes im Bereich der Öffentlichen Gesundheit und nationales Public-Health-Institut direkt dem Bundesministerium für Gesundheit unterstellt. So hieß es z.B. in der Fassung vom 07. Mai noch:
„Während Familien und Paare weiterhin in einem Zimmer untergebracht sein können, sollte die Anzahl von anderen Personen, die sich ein Zimmer teilen, so gering wie möglich gehalten werden. Idealerweise sollte eine Einzelzimmerunterbringung angestrebt werden. Dies kann ggf. durch eine Reduzierung der Belegung der Unterkunft und/oder durch Nutzung weiterer Unterkünfte wie Wohnungen oder Hotels realisiert werden.“
Dagegen heißt es jetzt in der aktualisierten Fassung:
„In einem Zimmer sollten möglichst nur Personen aus einer Familie bzw. enge Bezugspersonen zusammen untergebracht werden. Die BewohnerInnen eines Zimmers sind dabei als Hausstand in Sinne der Coronaschutzverordnung des jeweiligen Bundeslandes zu verstehen. Es wird empfohlen, alle anderen Personen in weniger belegten Zimmern unterzubringen.“
In der Fassung vom 07. Mai 2020 forderte das RKI-Institut für den Fall einer Covid 19 – Infektion unter dem Stichwort „räumliche Trennung“ noch kategorisch:
„Die Möglichkeit der Einzelunterbringung sowie einer eventuell notwendigen Selbstisolation müssen gegeben sein. Die räumlichen Bedingungen sollten die Bildung kleiner Wohneinheiten (in der Regel Kohorten von max. 10 Personen) mit eigenem Sanitär- und ggf. Küchenbereich ermöglichen.“
In der weichgespülten Fassung vom 08.07.2020 heißt es nun:
„Es wird dringend empfohlen, Möglichkeiten der Einzelunterbringung sowie einer eventuell notwendigen Selbstisolation zu schaffen. Soweit die räumlichen Bedingungen es zulassen, wird die Bildung kleiner Kohorten mit jeweils eigenem Sanitär- und, je nach Art der Unterkunft, Küchenbereich dringend empfohlen.“
Den gewählten Formulierungen ist allerdings auch zu entnehmen, dass das RKI sich seine gesundheitspolitischen Empfehlungen nicht einfach unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten „rausverhandeln“ lassen wollte. Viele Empfehlungen des RKI haben auch weiterhin einen praktischen Nutzwert, wenn es darum geht, einen Gesundheitsschutz auch für Geflüchtete einzufordern:
Etliche Empfehlungen des RKI werden in niedersächsischen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften bis heute nicht eingehalten. Nachfolgend einige Hinweise des RKI, die sich in der Diskussion um die Ausgestaltung der Unterbringung von Geflüchteten mit Behörden und ggfs. auch in Gerichtsverfahren nutzen lassen:
- Die allgemeinen rechtlichen Kontaktbeschränkungen müssen auch für Menschen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfteumsetzbar sein.
- Die Geflüchteten haben ein Anrecht auf Zugang zu Informationen über COVID-19 sowie zu aktuellen Empfehlungen. COVID-19-Informationen sollten in möglichst allen von den BewohnerInnen in der AE oder GU verstandenen Sprachen sowie für Gehörlose und Sehbehinderte zur Verfügung stehen. (Nicht nur) im Hinblick auf Analphabetismus sollte Zugang zu Informationen und die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten auch durch Medien (z.B. Internet, Fernsehen, Printmedien) ermöglicht werden.
- Seife, Einwegpapiertücher, Desinfektionsspender, Mund-Nasen-Schutz/Mund-Nasen-Bedeckung bzw. Anleitung und Materialien zur Selbstherstellung von Mund-Nasen-Bedeckung sollten zur Verfügung gestellt werden bzw. beschaffbar sein.
- Es wird dringend empfohlen, dem erhöhten individuellen Bedarf an psychosozialer Versorgung durch psychosoziale und sozialbetreuerische Versorgungsangebote (auch telefonisch oder digital) Rechnung zu tragen. Dabei sollte insbesondere auch an zugängliche und altersgerechte Angebote für Kinder und Jugendliche gedacht werden.
- Zugehörige zu Risikogruppen sollen möglichst schon bei Ankunft z.B. durch Abfrage relevanter Vorerkrankungen identifiziert werden. Diese Personengruppen sollten, ggf. auch mit ihren engen Angehörigen, präventiv möglichst für die Dauer der gesamten Pandemie separat untergebracht werden, inkl. eigenem Sanitärbereich. Die räumlichen Bedingungen sollten eine physische Distanzierung (mind. 1,5 m Abstand), ausreichendes Lüften und eine Kontaktreduzierung zulassen. In einem Zimmer sollten möglichst nur Personen aus einer Familie bzw. enge Bezugspersonen zusammen untergebracht werden. Empfohlen wird die Bildung kleiner Kohorten mit jeweils eigenem Sanitär- und, je nach Art der Unterkunft, Küchenbereich.
- Um Fälle möglichst früh identifizieren zu können, sollten für alle Personen mit akuten respiratorischen Symptomen niedrigschwellig Tests auf COVID-19 angeboten werden. Die notwendige räumliche Trennung von a) labordiagnostisch bestätigten Fällen, b) Kontakten und Verdachtsfällen sowie c) Nicht-Fällen muss im Vorfeld gut vorbereitet sein.
- Sobald die Behörde in die Rechte einer der deutschen Sprache unkundigen Person eingreift (z. B. Anordnung einer Quarantäne, Absonderung o. Ä.), ist die Hinzuziehung von Sprachmittlung „dringend empfohlen“.
- Es wird dringend empfohlen, für die BewohnerInnen, die in Quarantäne müssen, eine möglichst kleinteilige Kohortierung vorzunehmen und eine Quarantäne der gesamten AE oder GU sowie das Errichten von (zusätzlichen) physischen Barrieren (Zäunen) zu vermeiden. Es empfehle sich eine aktive Einbindung und Beteiligung der BewohnerInnen an der Umsetzung der Maßnahmen, da Zwangsmaßnahmen eine (Re-)Traumatisierung auslösen könnten.
- Im Quarantänefall ist aufgrund der Ausgangssperre sicherzustellen, dass die Bewohner_innen Zugang zu zusätzlichen Lebens- und Hygienemitteln für den individuellen Bedarf sowie zu Gebrauchsmitteln (z.B. Internetkarten, Batterien, Spielsachen für Kinder, Lernmaterialien) haben.
(Quzelle: Nieders. Flüchtlingsrat)
Tod eines Guineers
25. Juni 2020
Gefunden auf der Webseite des Nieders. Flüchtlingsrat:
Nach dem Tod eines 23-jährigen asylsuchenden Guineers nach einem Polizeieinsatz in Twist (Landkreis Emsland; Wappen lks) gilt unser Beileid seinen Angehörigen und Freund_innen. Dem Mann wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft Osnabrück im Rahmen eines Polizeieinsatzes in den Oberschenkel geschossen und er verstarb später im Krankenhaus. Erneut starb damit in Niedersachsen ein junger Schutzsuchender im Rahmen eines Polizeieinsatzes. Im August 2019 wurde der 19-jährige Afghane Aman Alizada bei einem Polizeieinsatz in seiner Unterkunft in Stade erschossen.
Nach dem Todesfall in Twist protestierten am vergangenen Samstag Schwarze Menschen in einer Demonstration vor dem Polizeikommissariat in Meppen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Auf einem Plakat wurde die Version der Behörden in Zweifel gezogen, es habe sich um einen Oberschenkelschuss gehandelt. „Kein Oberschenkelschuss, sondern Bauchschuss“, hieß es darauf.
Laut Polizei sei die Versammlung sehr friedlich verlaufen, wurde aber in den sozialen Medien offenbar hart attackiert. Die Demonstration wurde nämlich zeitweise live über die sozialen Medien übertragen. Dabei sei es bei der Kommentierung im Internet zu teilweise deutlich rassistischen und volksverhetzenden Aussagen gekommen, sodass die Polizei sich entschieden hat, die Kommentarverläufe zu sichern und strafrechtlich zu prüfen.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird die weiteren Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen und erwartet eine umfassende Aufklärung des Polizeieinsatzes. Für Kontaktaufnahmen im Zusammenhang mit dem Todesfall stehen wir jederzeit zur Verfügung.
Die Ermittlungen führt die Staatsanwaltschaft Osnabrück gemeinsam mit der Polizeiinspektion in Leer. Zunächst wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen den beteiligten Polizeibeamten eingeleitet, wie die Staatsanwaltschaft Osnabrück mitteilte.
Presseberichte
Polizei ermittelt gegen Facebook-Nutzer nach Demonstration in Meppen, in: Neue Osnabrücker Zeitung online vom 22. Juni 2020.
20 Schwarzafrikaner prangern in Meppen tödlichen Polizeischuss an, in: Neue Osnabrücker Zeitung online vom 20. Juni 2020.
Von Polizei in Twist angeschossen: 23-Jähriger tot, in: NDR vom 19. Juni 2020.
Mann stirbt nach Schussverletzung durch die Polizei, in: SPIEGEL vom 19. Juni 2020.
Faizan in Deutschland
17. April 2020
Faizan in Deutschland 2020. Wie es ihm erging, als der Pakistani unter die deutschen Bürokraten mit ihrem „Funktionspostfach“ fiel. Ein Bericht des Niedersächsischen Flüchtlingsrats.
Faizan (Name geändert), der vor vielen Jahren vor den Taliban aus Pakistan flieht, stellt im Januar 2016 in Deutschland einen Asylantrag. Als nach über zwei Jahren bangen Wartens immer noch keine Entscheidung da ist, entscheidet er sich, Deutschland zu verlassen. „Ich hatte keine Hoffnung mehr“, erzählt er. Er zieht zu einer Freundin nach Italien. Er will arbeiten und die Chance auf eine Zukunft.
In Italien erwirbt Faizan ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis. In Deutschland lehnt das BAMF seinen Asylantrag jedoch in Abwesenheit ab. Faizan erfährt davon nichts, er ist in Italien. Am 22. Dezember 2019 reist er zu Besuch nach Deutschland, denn er möchte Silvester mit seinen Freunden hier verbringen. Doch dazu kommt es nicht. Als er sich am 23. Dezember bei seiner alten Unterkunft in Karlsruhe meldet, wird er festgenommen. Die Polizei stellt fest, dass er im Januar 2016 in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und seit Oktober 2018 zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben ist, da er seine Unterkunft verlassen hat, ohne sich bei der Ausländerbehörde zu melden. Dass dies Grund genug ist, um in Abschiebungshaft zu kommen, ist Faizan nicht bewusst.

Einen Tag nach seiner Festnahme kommt er vor das Amtsgericht Karlsruhe. Die Ausländerbehörde will ihn nach Pakistan abschieben, das Land, aus dem er vor vielen Jahren geflohen ist. Es gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Eine Abschiebung nach Pakistan kann angeblich frühestens Ende Februar erfolgen. Das Amtsgericht ordnet daher an Heiligabend Abschiebungshaft von zwei Monaten gegen Faizan an. Derweil versucht er den Polizist_innen und auch dem Gericht zu sagen, dass er in Italien ein Aufenthaltsrecht hat – wohl vergeblich. Nachdem wir Faizan Anfang Januar 2020 in der JVA Langenhagen aufsuchen, organisieren wir einen Rechtsanwalt, der Haftbeschwerde einlegt. Zugleich machen wir seine Anwältin in Italien ausfindig. Sie schickt uns Kopien seiner italienischen Aufenthaltserlaubnis und seines italienischen Ausweises, der bis 2029 gültig ist. Doch die Behörden wollen nicht darauf eingehen und verlangen Originaldokumente.
Mitte Februar wird…