Rassismus in Lingen. Ein Fallbeispiel.

Flüchtling zweiter Klasse

28. Dezember 2022

Deutsche Behörden werfen den Doktor raus! „Aus der Ukraine geflüchtet, aber ohne ukrainischen Pass: Dem in Hamburg lebenden und als Pfleger tätigen Ghanaer Dr. Emmanuel Keson droht die Ausweisung.

Mit angespannter Miene kommt er die Treppe herunter. Das goldene Schild auf seiner Brust fällt direkt ins Auge. In dicken Buchstaben steht dort: „Dr. Emmanuel Israel Keson“. Darunter in dünner Schrift „Pflegehelfer“. Warum arbeitet ein Arzt als Pflegehelfer? Sein Abschluss werde in Deutschland nicht anerkannt, erklärt Keson. Er hat in der U­kraine studiert und ist Ende April von dort nach Hamburg geflüchtet. Als einer von fast 3.000 Drittstaatenangehörigen in Hamburg durfte sich der gebürtige Ghanaer zunächst sechs Monate in Deutschland aufhalten. Diese Erlaubnis ist am 21. November ausgelaufen.

Ein dauerhafter Aufenthalt stellt sich als unerreichbar heraus. Statt ihn über seine Möglichkeiten aufzuklären, hätten ihn die Mitarbeiter des Amtes für Migration ignoriert und weggeschickt, sagt er. Nun soll er das Land verlassen. Dass er keine ukrainische Staatsbürgerschaft besitzt, macht ihn zum Geflüchteten zweiter Klasse.

Keson wirkt niedergeschlagen. Die letzten Monate haben ihm offensichtlich stark zugesetzt. Trotz alledem begrüßt er lächelnd und freundlich die Patienten des Pflegeheims der Philipp F. Reemtsma Stiftung, in dem er heute seinen letzten Arbeitstag hat. Am 7. November wurde er bei der Ausländerbehörde vorgeladen. Dort hat man ihm den Ausweisungsbescheid in die Hand gedrückt. Binnen zwei Wochen sollte er Deutschland verlassen.

Elf Jahre hat Keson in der U­kraine gelebt, sein Studium abgeschlossen und als Chirurg gearbeitet. „Ich bin in die Ukraine gekommen, um Arzt zu werden und eine bessere Person aus mir zu machen“, sagt er nachdenklich. Er zückt sein Handy. Darauf hat er Videos, die zeigen, wie er Operationen durchführt. Wenn er sich so im Arztkittel auf den Aufnahmen betrachtet, wirkt er stolz.

Ein Bruder und zwei Schwestern waren ihm in die Ukraine gefolgt und studierten dort ebenfalls Medizin. Sie standen kurz vor ihrem Abschluss, als ein russischer Bombenangriff Kesons Wohnort Vinnytsia traf. Da war ihnen klar: Sie würden aus der Ukraine fliehen.

Auf dem Weg habe er viele traumatische Erfahrungen gemacht, sagt Keson. Eine Woche lang mussten sie vor der EU-Ostgrenze im Schnee ausharren und draußen in der Kälte übernachten. Grenzbeamte hätten sie mit Waffen bedroht. „Sie sagten uns, dass Ukrainer Priorität haben“, erzählt Keson. Immer wieder hätten die Beamten ihn und seine Geschwister nach hinten gestoßen. „Es war purer Rassismus“, meint Keson. „Wir waren denen egal.“

An der Grenze hätten Aktivisten sie angesprochen. „Sie sagten, dass sie uns helfen, nach Deutschland zu kommen“, erzählt…“

[weiter in der taz]

 

(Ein taz-Artikel von Tatjana Smudzinski)

 

Syed S.

15. Dezember 2022

In einem Offenen Brief kritisiert der 58-jährige, aus Pakistan geflüchtete Syed S.  unhaltbare Zustände in der Landesaufnahmebehörde Osnabrück: Konkret beklagt der Betroffene rassistische Übergriffen durch Mitarbeiter:innen des Sicherheitsdienstes. In dem Lager in der Sedanstraße sei er Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt und über Monate hinweg in einer sehr verletzlichen Situation gewesen. Deshalb habe er sich an die Betroffenenberatung Niedersachsen gewandt. Das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen die Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes sei nach kurzer Zeit eingestellt worden, weil die Täter angeblich nicht ermittelt werden konnten. Dabei habe er die Täter in seiner Aussage genau beschrieben. Er habe den Eindruck, es sei nur sehr oberflächlich ermittelt worden. Daher fordert Syed S. eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.

Mit seinem Offenen Brief will Syed S. auf weitere kritikwürdige Zustände in dem Standort Osnabrück der Landesaufnahmebehörde aufmerksam machen. Er beklagt unter anderem eine mangelhafte und unzureichende Essensversorgung, respektlose und beleidigende Behandlung durch Mitarbeiter:innen im Lager, Bedrohungen und Gewalt durch Sicherheitspersonal und die Ausbeutung geflüchteter Menschen im Rahmen der sogenannten 80-Cent-Jobs. Die Essensversorgung im Lager sei nicht angemessen und oft nicht ausreichend gewesen. Trotz seiner gesundheitlich kritischen Situation aufgrund einer Krebserkrankung sei er oft mit leerem Magen schlafen gegangen. Syed habe über den Sozialdienst zahlreiche Briefe an die Leitung des Standortes geschickt, doch er erlebe kein Bestreben, etwas zu verändern.

Seinen Brief schließt Syed S. mit einem Appell an die Öffentlichkeit:

Wisst ihr, ich bin zu euch gekommen, um Schutz zu suchen, um Freiheit, Gerechtigkeit und Würde zu suchen. Um wieder atmen zu können. Denn ich bin nicht nur einem Ort, sondern auch tausend Erinnerungen entflohen. Ich möchte in Würde und Respekt leben. In diesem Moment bin ich der einsamste Mensch der Welt. Ich habe niemanden auf dieser Erde. Ich brauche eure Hilfe, bevor es zu spät ist.“

Der Niedersächsische Flüchtlingsrat hat die Landesaufnahmebehörde um eine Stellungnahme gebeten. Eine Rückmeldung erfolgte bislang nicht. Die No – Lager – Initiative Osnabrück hat sich mit Syed S. in einer Presseerklärung solidarisiert. Die Missstände, die Syed benennt, deckten sich mit den Erfahrungen zahlreicher anderer Menschen, die bei No Lager Osnabrück aktiv sind oder sich an die Initiative wenden. Viele Menschen seien eingeschüchtert und hätten große Angst, dass Beschwerden und Kritik negative Konsequenzen haben könnten. Vor wenigen Tagen wurde Syed in eine andere Unterkunft transferiert.


Foto: No-Lager-Osnabrück

In nur drei Wochen haben sich SPD und Bündnis’90/Grüne auf einen Koalitionsvertrag in Niedersachsen verständigt. Das ist ein rekordverdächtiges Tempo. Mir wäre etwas mehr Verhandeln, grüne Hartnäckigkeit und Sorgfalt lieber gewesen. So nämlich sind manche Verabredungen im Koalitionsvertrag doch arg vage. Ich denke da an die Autobahnklauseln, dass alles in der Verantwortung des Bundes liegt, oder daran, dass das Wort Strafvollzug im Koalitionsvertrag nicht vorkommt, aber das hohe Pistorius-Lied auf die Polizei, über deren Probleme -zB den latenten Rassismus- der Vertrag nichts sagt, aber über die bedarfsgerechte Anpassung des Bekleidungsgelds. Nichts lese ich zur Herstellung von AKW-Brennelementen im Land. Zugleich wird aber gaaaanz viel geprüft, hier und da und dort auch, ohne übrigens zu sagen, wer denn wen auf welche Weise prüft. Außerdem lese ich beeindruckend viel Unterstützung für den öffentlichen Dienst in allen Bereichen – vor allem finanziell.

Aber handeln statt prüfen und verbindliche Mindeststandards wären wichtiger. Mein Eindruck: Modernität und Fortschritt sind in sozialdemokratische Watte verpackt. In Wahrheit aber sind beide anders. Mir scheint, dass sich die Grünen über den Tisch haben ziehen lassen. Sie haben sich sehr schnell auf die SPD als einzigen Koalitionspartner festgelegt und hatten danach offenbar keine Chance, mehr herauszuholen. Schade – lest selbst:

Neu im Landtag

16. Oktober 2022

Zum ersten Mal sind im Niedersächsischen Landtag schwarze Frauen vertreten. Djenabou Diallo-Hartmann wird auch den Koalitionsvertrag mitverhandeln.

Die taz berichtet: „Es ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits weiß Djenabou Diallo-Hartmann (Grüne) ganz genau, wie wichtig sie als Repräsentantin für Schwarze, BIPoC, Menschen mit Migrationsgeschichte ist.

Allein, dass sie es geschafft hat, ist ein Triumph. Sie sei dankbar und sich ihrer Verantwortung bewusst, sagt die 37-Jährige freundlich – bei jeder der Dutzenden Medienanfragen, die sie nun erreichen.

Andrerseits braucht man ein dickes Fell: Mit der Sichtbarkeit steigen auch die Anfeindungen und das ständige Wiederkäuen der eigenen Rassismus-Erfahrungen in Interviews macht das Leben nicht schöner. Und natürlich ist ­Diallo-Hartmann mehr als nur Rassismus-Betroffene, auch wenn diese Erfahrungen ein Motor für ihr politisches Engagement sind.

2005 kam sie aus Guinea zum Studieren nach Deutschland – und landete im Osten. Das war keine gute Zeit, am Studienkolleg in Halle, sagt sie. Und natürlich hinterlässt das Spuren. Als sie an die Universität Hannover wechselte, wo sie Politikwissenschaft studiert hat, wurde manches besser, aber…“

[weiter in der taz]

Leer ist eine wirklich schmucke Stadt in Weser-Ems. Meiner Meinung nach einer der schönsten in Deutschlands Nordwesten. Aber hinter den Mauern gibt es (auch) dort Diskriminierung und Probleme.

Charmaine Wagner aus Ostfriesland ist alleinerziehende Mutter und Sinteza. Die Minderheit der Sinti ist seit 600 Jahren hier heimisch – doch viele Sinti fühlen sich noch immer ausgegrenzt. Wagner will das ändern. Nur wie? fragt der SPIEGEL in einem Sittengemälde über Leer und seine Menschen.
„Leer ist eine Kleinstadt. Hier kennt man sich – und wer einmal einen schlechten Ruf hat, wird den nur schwer wieder los. Der Judolehrer von Charmaine Wagners Tochter lebte jahrelang im 25 Kilometer entfernten Aurich. Er berichtet, dass er dort weniger Probleme bei der Job- und Wohnungssuche gehabt habe, weil sein Nachname bei Auricher Vermietern und Arbeitgebern nicht dieselben Assoziationen ausgelöst habe. Ein Sinto aus Nienburg erzählt, dass es dort mit den Nachnamen Claasen und Schmidt schwer sei. Aus Celle ist zu hören, es sei der Name Dettmer.“
Was die beiden SPIEGEL-Journalistinnen zusammengetragen haben und schildern, berührt  und nicht nur wegen der Zeilen zu Nienburg und Celle ist sofort klar, dass es in anderen kleinen deutschen Städten genauso oder zumindest sehr ähnlich ist.
Also: Das ist mein herzlicher, sonntäglicher Lesebefehl.

Foto: Leer, Altstadt pixabay

enttäuscht

15. Juli 2020

 

gestern das

8. Juli 2020

„Vor 15 Jahren, das werden viele noch heute nicht wissen, starb der in Deutschland lebende Oury Jalloh, ein Mann aus Sierra Leone, in einer Dessauer Polizeizelle. Er war zuvor schwer alkoholisiert und unter dem falschen Verdacht, Frauen belästigt zu haben, in Polizeigewahrsam genommen. Er soll sich dann auf dem Polizeirevier derart gewehrt haben, dass die Beamten ihn an allen vier Gliedmaßen auf einer Pritsche fixierten. Stunden später war er tot. Er soll, so die Beamten, die feuerfeste Matratze, auf der er gefesselt lag, selbst in Brand gesetzt haben und dann lebendig verbrannt sein.“ (weiter bei der ZEIT)

Das Geschehen wird jetzt noch einmal untersucht, und es gibt Hinweise, dass diese Untersuchung behindert wird. Und dann gestern das: Eine Pressemitteilung, mit der das Justizministerium in Sachsen-Anhalt den Toten verhöhnt :

auch nicht dick

6. Juli 2020

8:46

6. Juni 2020