KI im Landgericht

3. Juli 2023

Seit Jahren belasten Massenverfahren die deutschen Gerichte – auch in Niedersachsen. Deshalb hat das Justizministerium in Hannover zu Jahresbeginn die Entwicklung einer KI-gestützten Richterassistenz in Auftrag gegeben, die seit Mai 2023 für erste Tests zur Verfügung steht. Das neue Assistenzprogramm soll helfen, vergleichbare Verfahren effizienter zu bearbeiten. Das Ziel: Mithilfe künstlicher Intelligenz („KI“)  wird es Richterinnen und Richtern ermöglicht, gleich gelagerte Verfahren, insbesondere Massenverfahren, effektiver zu bearbeiten. Der Ansatz ist bisher bundesweit einzigartig.

Begleitet wird das Projekt „Künstliche Intelligenz und richterliche Entscheidungsfindung“ interdisziplinär durch die Georg-August-Universität Göttingen.

Das Konzept für „die Assistenz“ haben niedersächsische Zivilrichterinnen und -richter erarbeitet. Als Trainingsgrundlage der künstlichen Intelligenz werden ausschließlich die von dem nutzenden Richter oder der nutzenden Richterin getroffenen Verfügungen und Entscheidungen herangezogen, erläuterte das Justizministerium. „Die Trainingsdaten dienen dazu, den persönlichen Assistenten zu individualisieren“, hieß es weiter. Die Assistenz könne so für jede Art von Massenverfahren trainiert werden.

Am Landgericht Osnabrück (Foto) und am Landgericht Hildesheim wird die neue KI jetzt getestet. Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sprach laut Presseerklärung von einem wichtigen Schritt, schränkte jedoch ein: „Am Ende muss es immer der Mensch sein, der die Entscheidungen fällt.“ Gerade durch europäische Vorgaben, aber auch vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Justiz, seien – neben den Chancen der KI – auch mögliche Risiken im Blick zu behalten.


Foto: Landgericht (C) s Vermerk v. 15.11.2022

Die Stunde des Nazi-Richters

23. November 2022

Tausende von Polizisten fahnden Mitte der 1960er Jahre nach Bruno Fabeyer, dem „Moormörder“, der nahe Osnabrück einen Polizeibeamten erschossen hat. Schließlich wird Fabeyer gefasst und zu lebenslangem Zuchthaus und Sicherungsverwahrung verurteilt. Ist Fabeyer der geborene, unverbesserliche Verbrecher, als der er dargestellt wird? Das Problem: Sein Richter ist ein Ex-Nazi.​  

Es war die bis dahin größte Fahndung in der Geschichte der Bundesrepublik. Tausende von Polizisten, aber auch Schützen- und Jagdvereine, Feuerwehrleute und sogar Besitzer von Privatflugzeugen beteiligten sich über 18 Monate an der Suche nach Bruno Fabeyer- dem „Moormörder“, der sein Leben zwischen Knast und Landstraße verbracht hatte.

Bei einem Einbruch in dessen Haus in Gretesch schießt Fabeyer am 29. November 1965 den Postbeamten Alois Broxtermann nieder.  Auf der anschließenden, monatelangen Flucht erschießt Fabeyer in Bohmte-Hunteburg den Polizisten Heinrich Brüggemann. Der Gesuchte findet Unterschlupf im Unterholz oder in abgelegenen Scheunen. Auf norddeutschen und westfälischen Bauernhöfen, aber auch in der Eifel stiehlt er vor allem Lebensmittel, Geld und Kleidung; er gesteht später Hunderte von Einbrüchen.

Als er schließlich in Kassel verhaftet und später vom Osnabrücker Schwurgericht zu lebenslangem Zuchthaus verurteiltet wird, ist die öffentliche Meinung eindeutig: Fabeyer war der geborene, unverbesserliche Verbrecher.

Doch stimmt dieses Bild? Denn die Geschichte lässt sich auch ganz anders erzählen. Und sie hat dann viel mit der deutschen NS-Vergangenheit zu tun. Einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Nachkriegszeit erweist sich nach WDR-Recherchen nämlich als Justizskandal, weil ein ehemaliger NS-Wehrmachtsrichter über das NS-Opfer Fabeyer urteilte.

Es war ein kurzer Prozess 1967: Ganze vier Tage brauchte die Große Schwurgerichtskammer des Landgerichts Osnabrück für das heute vor 55 Jahren verkündete Urteil wegen versuchten Mordes und Totschlag in besonders schwerem Fall. Bruno Fabeyer (Foto im Schwurgerichtssaal des Landgerichts) wurde zu lebenslänglich Zuchthaus und anschließender  Sicherungsverwahrung verurteilt.

Im Strafprozess spielt neben den Taten vor allem der Lebenslauf des 1926 geborenen Bruno Fabeyer eine entscheidende Rolle. Schon als 11-jähriger kommt der schwer stotternde Junge in ein berüchtigtes Erziehungsheim der Nazis, als 18-Jähriger wird er 1944 zur Wehrmacht eingezogen. Als er vor dort zu seiner Mutter flieht, wird er zu schwerer Zwangsarbeit in verschiedenen Konzentrationslagern verurteilt. Ende November 1944 wird Fabeyer zunächst in das KZ Buchenwald eingewiesen und ab Dezember 1944 im KZ Mittelbau-Dora inhaftiert wurde. 1945 befreit ihn dort  die US-Armee.

Nach Kriegsende zieht Fabeyer umher und stiehlt. Immer wieder kommt er deshalb in Haft. Auf seinen Raubzügen erbeutet er selten mehr als das, was er für den nächsten Tag braucht. Wenn ihm die Fahnder zu nahe kommen, versteckt er sich im Moor oder auch im Matsch eines Schweinestalls.

Als Fabeyer im November 1967 in  Osnabrück der Prozess gemacht wird, steht nicht nur für die breite Öffentlichkeit seine Schuld längst fest. Auch das Gericht hält sich nicht lange mit juristischen Feinheiten auf. Zu eindeutig erscheint das Bild vom gefährlichen Gewohnheitsverbrecher von Kindheit an. Dabei fügen sich für das Gericht die frühen Einweisungen in Erziehungsheime und KZs nahtlos in die Strafakte des Angeklagten ein – als handele es sich hier nicht um Unrechtsmaßnahmen der Nazis.

„Recherchen für die [heutige] WDR-Sendung ZeitZeichen belegen nun: Landgerichtsdirektor Friedrich Jagemann, der den Prozess leitete, war nicht nur Mitglied von NSDAP und SA, sondern begann seine juristische Laufbahn 1935 in der „Gauleitung Münster“. Ein wesentliches Detail, das Jagemann sowohl im Entnazifizierungsverfahren, als auch in den Personalakten des Landgerichts Osnabrück verschwieg. Bekannt war dort allerdings, dass Jagemann von 1937 bis Kriegsende als Wehrmachtsrichter Karriere gemacht hatte. Das bestätigte ein Gerichtssprecher auf WDR-Nachfrage.

In einer Beurteilung der „Division Hermann Göring“ aus dem Jahre 1944, die im Militärarchiv Freiburg abgelegt ist, heißt es über Jagemann: „Zum nationalsozialistischen Staat überzeugt eingestellt. Diensteifer sehr lobenswert. Seine Urteile treffen in knapper Begründung stets das Richtige.“

Ein…“

[weiter beim WDR]


Quellen: WDR, SWR, wikipedia, HAZ

Wahlkampfdurchsuchung 3

16. November 2022

Viel Text heute früh über ein rechtsstaatliches Lehrstück:

Wir erinnern uns: Niedersächsische Ermittler durchsuchten kurz vor der Bundestagswahl das damals von Olaf Scholz geführte Finanzministerium in Berlin. Nicht nur die Sozialdemokraten witterten seinerzeit wegen der zeitlichen Nähe der Razzia zur Bundestagswahl politische Absichten dieser Wahlkampfdurchsuchung. Das Justizministerium in Hannover wurde vor Jahresfrist von der CDU-Politikerin Barbara Havliza geführt und der Chef der Staatsanwaltschaft Osnabrück ist eingeschworener CDU-Mann. Beide bestritten allerdings die Vorwürfe, die Aktion im Wahlkampf könnte parteipolitisch motiviert gewesen sein.

Die Anordnung für die Durchsuchung war aber jedenfalls rechtswidrig, wie jetzt auch die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück entschieden hat: Die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Osnabrück vom 10. August 2021 betreffend das Bundesministerium der Finanzen in Berlin für Diensträume sowie Papierarchive und elektronische Archive, die beim Bundesministerium der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit, kurz: FIU) zugeordnet sind, durften nicht ergehen. Der Beschluss des Landgerichts listet gleich mehrere rechtswidrige Punkte des Durchsuchungsbeschlusses auf.

Einen weiteren, im Wesentlichen gleichlautenden Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 25. August 2022 betreffend das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte bereits die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück mit deutlichen Worten einem Beschluss vom 09.02.2022 aufgehoben (Geschäftszeichen 12 Qs 32/21 –, veröffentlicht in der Neuen Juristischen Wochenschrift 2022, S. 882; siehe dazu die PM 5/22 vom 10. Februar 2022).

Der Sachverhalt:
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück führte seit dem Februar 2020 ein „Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt“ wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Mitarbeitern der nunmehr als Direktion X in die Generalzolldirektion integrierten FIU wurde vorgeworfen, übermittelte Geldwäscheverdachtsmeldungen verschiedener Bankinstitute nicht, verzögert oder nicht vollständig den Strafverfolgungsbehörden bekannt gemacht zu haben.

Unter dem 06.08. 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft Osnabrück beim örtlichen Amtsgericht die Durchsuchung der der FIU zuzuordnenden Diensträume nebst Papierarchiven sowie elektronischen Archiven sowohl in den Räumlichkeiten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz als auch des Bundesministeriums der Finanzen. Im Laufe der Durchsuchung im Bundesfinanzministerium erwirkte die Staatsanwaltschaft zudem noch telefonisch eine Beschlagnahmeanordnung betreffend „einzelne E-Mail-Postfächer von Mitarbeitern der Arbeitsebene“ des Bundesfinanzministeriums.

Nach dem Beschluss vom Februar dieses Jahres legte auch das Bundesministerium der Finanzen Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 10.08.2021 sowie gegen die telefonisch getroffene, ergänzende Beschlagnahmeanordnung ein. Das Amtsgericht Osnabrück bestätigte trotz der Entscheidung des Landgerichts vom 09.02.2022 seine ursprüngliche Entscheidung und legte das Verfahren dem Landgericht Osnabrück zur Entscheidung vor.

Auch die 1. Große Strafkammer erklärte jetzt den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgericht für rechtswidrig und dies gleich aus mehreren Gesichtspunkten:

Der Gang des Verfahrens und der angefochtene Beschluss ließen nicht hinreichend erkennen, dass dem Richtervorbehalt genüge getan worden sei; der legt fest, dass grundsätzlich nur mit richterlicher Gestattung durchsucht werden darf. So sei maßgeblicher Grund für den Antrag auf Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ein Schreiben vom 15. Mai 2020 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an das Bundesministerium der Finanzen gewesen. Dieses Schreiben sei aber nicht nur bereits Gegenstand der Akte gewesen, sondern auch in polizeilichen Ermittlungsberichten erwähnt. Ferner sei im Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich auf eine erste Auswertung gesicherter E-Mail-Korrespondenz zwischen den Bundesministerien der Finanzen sowie der Justiz und für Verbraucherschutz und der FIU verwiesen worden. Insoweit hätten die Ermittlungsergebnisse dem Ermittlungsrichter konkreter benannt werden müssen.

Daneben seien bei einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO die Unterlagen, die als Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden sollen, konkret zu benennen. Auch dieser Anforderung werde der Beschluss nicht gerecht. Zwar lasse die Anordnung eine detaillierte Aufzählung verschiedenster Beweismittel der Gattung nach erkennen, ermögliche jedoch zugleich faktisch die Suche nach jeglichem Gegenstand, der überhaupt im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen bei der FIU stehe, und noch darüber hinausgehend generell von allen E-Mail-Accounts, dienstlichen Mobiltelefonen und Datenspeichern. Die „viel zu unbestimmten Formulierungen“ des Beschlusses seien von § 103 StPO nicht gedeckt.

Schließlich sei vor der Anordnung der Durchsuchung auch ein an das Ministerium gerichtetes Herausgabeverlangen durch die Ermittlungsbehörden erforderlich gewesen. Hierauf hatte schon die 12. Große Strafkammer des Landgerichts – bezogen auf die Durchsuchung im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – hingewiesen. Ein solches Herausgabeverlangen sei auch vor der Durchsuchung im Bundesfinanzministerium notwendig gewesen; denn es habe kein Grund zur Annahme bestanden, dieses Ministerium werde einem entsprechenden Gesuch der Staatsanwaltschaft nicht nachkommen.

Hinsichtlich der gegen die mündlich erlassene Beschlagnahmeanordnung bezüglich einzelner dienstlicher „E-Mail-Accounts von Mitarbeitern der Arbeitsebene“ im Bundesministerium der Finanzen gerichteten Beschwerde hat übrigens die 1. Große Strafkammer des Landgerichts das Verfahren an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Osnabrück zurückgegeben, da nach Auffassung der Kammer mit jener Anordnung noch keine wirksame Beschlagnahme vorliege. Sie lasse bislang nicht in ausreichendem Maße erkennen, weshalb und inwieweit sämtliche – beziehungsweise welche – Inhalte der E-Mail-Postfächer als Beweismittel von Bedeutung seien.

(Landgericht Osnabrück, Beschluss vom 10. 11. 2022, Aktenzeichen 1 Qs 24/22)


Quellen; SPON, PM Landgericht, Blog

zu viele Links

7. Januar 2022

Das Landgericht Osnabrück hat die Rechte von Verbrauchern unterstrichen. Autohändler müssen bei einer Online-Werbung für ein konkretes Auto direkt Verbrauchs-Angaben machen und dürfen diese Informationen nicht erst in weiteren Links mitteilen, urteilte das Gericht. Im konkreten Fall hatte ein Autohaus aus Menslage (Landkreis Osnabrück) auf seiner Facebook-Seite einen Wagen beworben. Die Werte über den Kraftstoff-Verbrauch oder CO2-Ausstoß erschienen aber erst nach einem Extra-Klick in einem weiteren Textfeld. Das ist laut Gericht nicht zulässig.

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe gegen das Autohaus auf Unterlassung unlauterer Werbung. Die 1. Kammer für Handelssachen des Osnabrücker Gerichts folgte der Argumentation der DUH indem jetzt bekannt gewordenen Urteil .

Der Deutsche Umwelthilfe e.V. hatte einen durch das Autohaus auf seiner Facebookseite geteilten Post des Automobilherstellers als unlautere Werbung beanstandet: „Glänzende Nachrichten für alle Fahrzeugmodell Y Fans! Unser praktischer Fahrzeugmodell Y 1.2 Benziner konnte beim ADAC Autokosten-Check für Kleinwagen ein … Mehr ansehen“. Die Werte über den offiziellen Kraftstoffverbrauch sowie die CO2-Emissionen erschienen dabei aber nicht direkt sondern erst durch einen gesondert zu tätigenden Klick in einem weiteren Textfeld. Zusätzlich erschien beim erstmaligen Aufrufen der Internetseite ein 25 Sekunden langes Video, bei dem nach 17 Sekunden ebenfalls die Angaben zum Kraftstoffverbrauch sowie den CO2-Emissionen angezeigt wurden. Ein Autohändler muss aber bei einer Online-Werbung für ein konkretes Auto direkt Verbrauchsangaben machen und darf diese Informationen nicht erst in weiteren Links mitteilen, stellte die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts fest. Das Autohaus habe mit seiner gegenteiligen Praxis den Verbrauchern Pflichtangaben vorenthalten und sie so in ihrem gesetzlich geschützten Informationsinteresse benachteiligt

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe gleich gegen 26 Autohändler  in Deutschland in deren jeweiligen Gerichtsbezirken, nachdem diese nicht zur Abgabe einer geforderten Unterlassungserklärung bereit gewesen waren. Alle Händler hatten auf ihren Internetseiten den Spot des Herstellers verlinkt. Die beklagten Autohäuser hatten die Deutsche Umwelthilfe nicht darüber informiert, dass sie sich mit dem Hersteller abgestimmt hatten und vom gleichen Prozessbevollmächtigten vertreten wurden.

Der unterlegene Autohändler hatte deshalb unter anderem argumentiert, dass die Vielzahl der Klagen rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Die Klagen hätten vor einem einzigen Gericht „gebündelt werden müssen“, um zu einer Musterentscheidung für alle Autohäuser zu kommen. Das Osnabrücker Landgericht folgte dieser Argumentation nicht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Berufung zum Oberlandesgericht Oldenburg ist möglich. (LG Osnabrück, Urt. v. 17.12.2021, Az. 13 O 230/21).


Quellen: SZ, NDR, PM LG Osnabrück

 

 

kein Anfangsverdacht

5. Oktober 2021

Im Rahmen von Polizeieinsätzen kommt es bekanntlich bisweilen zu heftigeren Auseinandersetzungen. Dürfen solche Auseinandersetzungen durch eine Handyaufnahme in Bild und Ton festgehalten werden? Oder ist die Polizei berechtigt, in einem solchen Fall das Handy zu beschlagnahmen, mit dem derartige Aufnahmen gemacht worden sind? Mit diesen Fragen hatte sich jetzt die 10. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück in einer Beschwerdeentscheidung zu befassen

Der Anlass: Am 13.06.2021 war es in der Osnabrücker Innenstadt zum Einsatz einer Funkstreifenbesatzung gekommen, bei dem u.a. eine sich widersetzenden Person auf dem Boden fixiert wurde. Während dieser Maßnahmen wurden die Einsatzkräfte wiederholt durch umstehende Personen – u.a. auch durch den Beschwerdeführer – gestört. Die Beamten versuchten, die Situation zu beruhigen und sprachen hierzu Platzverweise aus. Der Beschwerdeführer fertigte währenddessen mit seinem Handy Video- und Tonaufzeichnungen der Situation an. Die Polizeibeamten forderten den Beschwerdeführer auf, die Aufzeichnungen zu unterlassen, weil derartige Tonaufnahmen strafbar seien. Im weiteren Verlauf wurde das Mobiltelefon des Beschwerdeführers wegen des Verdachts einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gegen dessen Willen sichergestellt.

Das Amtsgericht Osnabrück bestätigte mit Beschluss vom 14.07.2021 die Beschlagnahme. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer.

Das Landgericht hob jetzt die amtsgerichtliche Entscheidung auf und gab dem Beschwerdeführer recht. Es liege kein Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung vor, so dass das Handy nicht hätte beschlagnahmt werden dürfen.

Die von den Polizeibeamten vorgenommenen Diensthandlungen seien im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommen worden. Die insoweit gesprochenen Worte seien in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, weil der Ort frei zugänglich gewesen sei. Die Strafvorschrift des § 201 StGB, die die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Strafe stelle, erfasse solche Äußerungen nicht. Die Vorschrift schütze die Unbefangenheit der mündlichen Äußerung. Diese Unbefangenheit sei bei dienstlichem Handeln, das rechtlich gebunden sei und der rechtlichen Überprüfung unterliege, nicht berührt. Darüber hinaus sei gem. § 201 a StGB das Anfertigen von Bildaufnahmen im öffentlichen Raum – von wenigen Ausnahmefällen abgesehen – straffrei. Es sei kein Grund ersichtlich, warum das Aufnehmen von Tonaufnahmen im öffentlichen Raum strenger geahndet werden sollte als die Fertigung von Bildaufnahmen in demselben Umfeld.

(Landgericht Osnabrück, Beschl. v. 24.09.2021, Az. 10 Qs 49/21)

den falschen

30. Juli 2020

Da hat ein Kollege (m/w/d) daneben geschossen. Das Landgericht Osnabrück hat nämlich die Klage eines Lingeners wegen eines falschen Fahndungsfotos der Polizei zurückgewiesen. Der Mann hatte von seiner Bank deswegen Schmerzensgeld und weiteren Schadenersatz in Höhe von 500.000 Euro verlangt. Das Gericht lehnte dies ab – der Mann habe für ein Schmerzensgeld schlicht den Falschen verklagt, sagte ein Gerichtssprecher. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, meldet der NDR.

Der Vorfall hatte sich im Sommer vor drei Jahren ereignet: Damals hatte der Mann die Filiale seiner Bank aufgesucht. Am selben Tag kam es dort zu einer Straftat. Die Bank händigte der Polizei Aufnahmen der Videoüberwachung aus. Aus ungeklärten Gründen kam die Polizei zu dem Schluss, der Kläger komme als Täter infrage und fahndete mit Lichtbild in der örtlichen Tageszeitung nach dem Mann. Nachdem sich der Irrtum aufgeklärt hatte, wurde der Fahndungsaufruf zurückgezogen.

Schön finde ich besonders di Formulierung, der (grobe) Fehler sei „aus ungeklärten Gründen“ geschehen. Das sind so diese phänotypischen Sätze, mit denen sich die öffentliche Hand immer aus ihrer Verantwortung zu ziehen sucht.

Und dann noch meine Frage, wer denn wohl hätte verklagt werden müssen? Hat jemand einen Vorschlag?


(Foto: Landgericht Osnabrück, CC wie am 15.06.2013/Archiv)

 

besonders Rücksicht

25. Januar 2020

Gescheitert ist eine Frau vor dem Amtsgericht Lingen (Ems) mit ihrer Klage  auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls im Mai vor zwei Jahren.
Damals befuhr die 71jöhrige mit ihrem E-Bike den Theo-Lingen-Platz in Lingen (Ems), als sie -auch im wörtlichen Sinne- auf den Beklagten  traf. Dieser fuhr mit seinem Rollstuhl auf die dort befindliche Bahnunterführung zu, während sich die Klägerin ihm von hinten näherte. Als sie den Beklagten links zu überholen versuchte, schwenkte er mit seinem Rollstuhl nach links, um zum dortigen Fahrstuhl zu den Bahngleisen zu begeben. Dabei kam es zur Kollision, bei der  die Klägerin stürzte und sich verletzte.
Das Amtsgericht Lingen (Ems) hatte die Klage mit Urteil vom 14.05.2019 – übrigens exakt ein Jahr nach dem Un%all- abgewiesen. Die Klägerin habe als Radfahrerin auf die Belange des Fußgängerverkehrs besonders Rücksicht nehmen müssen. Fußgänger, zu denen von Gesetzes wegen auch der einen Rollstuhl nutzende Beklagte zähle, dürften weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, müsse der Fahrverkehr warten. Das gelte besonders gegenüber hilfsbedürftigen Personen, zu denen auch Rollstuhlfahrer zählten, so das Amtsgericht.
Diesen Anforderungen habe die Klägerin nicht genügt. Sie sei schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren. Zudem sei am Eingang der Unterführung der zu den Bahngleisen führende Fahrstuhl erkennbar gewesen. Die Klägerin habe daher jede rechnen müssen, dass der Fahrstuhl von Passanten zum Erreichen der Gleise genutzt werden würde.
Die Klögerin hatte das Urteil nicht akzeptiert und Berufung eingelegt. Ohne neue Verhandlung bestätigte das zuständige Landgericht Osnabrück jetzt aber durch Beschluss vom 9. Dezember 2019 das Urteil des Amtsgerichts und wies dabei das Argument der Klägerin zurück, der Rollstuhlfahrer habe die Pflicht gehabt, vor seinem Richtungswechsel anzuhalten, auf der eigenen Achse zu wenden und sich umzublicken. Eine solche Pflicht gebe es für Rollstuhlfahrer ebenso wenig wie für Fußgänger. Das Urteil des Amtsgerichts Lingen (Ems) ist damit rechtskräftig.

(Altenzeichen: AG Lingen (Ems) 4 C 804/18; LG Osnabrück 4 S 181/19)

 

(Textquelle: PM; Foto: Amtsgericht Lingen (Ems) © milanpaul via flickr)

Emsbüren

26. Oktober 2018

Ein Junge im aus dem niedersächsischen Emsbüren (Foto lks) soll über Jahre von seiner Mutter schwer misshandelt worden sein. Wie der SPIEGEL berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück in dem Fall Anklage erhoben. Demnach musste der Junge sich, wenn er von der Schule nach Hause kam, bis auf die Unterhose ausziehen und in zwei gelbe Müllsäcke kleiden…

inzwischen liegt die Anklage der Staatsanwaltschaft Osnabrück bei der Jugendkammer des dortigen Landgerichts vor. Hier gehts zum SPIEGEL-Beitrag. 

This sucks

6. August 2017

Stillen in der Öffentlichkeit scheint immer noch ein heikles  Thema zu sein. Laut einer Studie steht jeder Vierte dem Stillen im öffentlichen Raum zwiespältig oder ablehnend gegenüber. Jon Lawton kann die Bedenken nicht nachvollziehen. Im Kurzfilm „This sucks“ stellt der Regisseurklar, dass Erwachsene beim Essen eigentlich viel unappetitlicher aussehen als Babies.

Allein der Titel des Spots „This sucks“ ist ein Statement. Aber auch die Bilder, die der Spot anlässlich der Weltstillwoche (1. bis 7. August) zeigt, überzeugen. Wir sehen eine stolze Mutter, die ihr Baby stillt. Abwechselnd dazu werden in Zeitlupe Menschen eingeblendet, die geradezu wüst eine fettige Speise verzehren – vom dick belegten Hot Dog bis zum Burger. Der Spot spricht für sich. Die deutsche Übersetzung der US-Webseite übrigens nicht; sie ist -wohl automatisch generiert- eher peinlich.

Nun, ich erinnere mich lächelnd an einen bisweilen seltsam-sonderlich agierenden Lingener Advokaten, der vor etwas mehr als 30 Jahren mit harschen und kleinbürgerlichen Schriftsätzen meinte, den Landgerichtspräsidenten in Osnabrück bemühen zu müssen, als eine Mutter ihrem Neugeborenes im damaligen Sitzungssaal 31 kurzerhand die Brust gab. Er fiel mit seiner Protestnote auf die Nase, und das war gut so.

Volksverhetzung

29. Juni 2014

Tobias RichterZurückgewiesen hat das Landgericht Osnabrück am Donnerstag die Berufung von Tobias Richter (Jg. 1981), seit 2013 Vorsitzender des niedersächsischen NPD-Unterbezirks Emsland/Grafschaft Bentheim. Das Amtsgericht Meppen hatte den Rechtsextremen wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt.

Auch das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der letztjährige NPD-Bundestagskandidat im Wahlkreis Mittelems (Plakatfoto lks) seine Facebook-Seite im Sommer 2013 auf das Youtube-Video einer Neonazi-Band verlinkt hatte. In dem Film wurde die Ermordung eines Juden als „gute Tat“ beschrieben. Mit der Verurteilung bestätigte das Landgericht Osnabrück das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtes Meppen in vollem Umfang. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte aus Haselünne kann bis Donnerstag Revision gegen das Urteil einlegen.

Im Oktober vergangenen Jahres war Richter auch Organisator eines Auftritts des Berliner Neonazi-Sängers Michael Regener („Lunikoff“), ehemals Sänger der verbotenen kriminellen Band „Landser“, in der Gaststätte „Zur Singenden Wirtin“ im emsländischen Groß Berßen. Richter zeichnet auch verantwortlich für den Neonazi-Online-Shop „Das Zeughaus“, der schwerpunktmäßig Devotionalien des wegen Volksverhetzung verurteilten Meppener Neonazi-Musikers Daniel Giese („Stahlgewitter“) vertreibt. Als „Zeughaus“-Anschrift ist auf der Homepage eine Postfachadresse in Santa Ponsa, einem Ort im Südwesten von Mallorca, angegeben. (Quelle)