Folter!

17. Februar 2017

Amtsgericht LingenEs liegt in der Natur der Sache, dass man als Strafverteidiger immer in einem gewissen Spanunngsverhältnis zu den Richtern des lokalen Amtsgerichts steht, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Das gilt auch für mich und das wenige Schritte von meinem Büro entfernte Amtsgericht Lingen. Doch heute ziehe ich den Hut vor den klaren Worten, mit denen der Vorsitzende das Urteil des Schöffengerichts gegen zwei Wachmänner begründet hat, die dort vor Gericht standen.

Das Lingener Amtsgericht hat die angeklagten Wachmänner eines Sicherheitsdienstes nach dreitägiger Verhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung  verurteilt. Ein 28-jähriger Angeklagter bekam zwei Jahre Haft auf Bewährung, ein 36-Jähriger, der bereits wegen Gewaltdelikten vorbestraft ist, muss für zwei Jahre und drei Monate hinter Gitter. Beide Männer hatten im Dezember 2015 in der Flüchtlingsunterkunft im Gymnasium Georgianum drei pakistanische Flüchtlinge in einer Umkleidekabine eingeschlossen und geschlagen, so der Vorsitzende des Gerichts, Florian Kienle, in der mündlichen Urteilsbegründung. Mit dem Strafmaß ging das dreiköpfige Schöffengericht über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Für das Gericht begründete Kienle dies u.a. damit, dass es sich bei der Tat um Folter gehandelt habe. Die Wachmänner hätten den Flüchtlingen eine Abreibung verpassen wollen. Gegen das Urteil können die angeklagten Männer Rechtsmittel einlegen.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. begrüßte heute die „erstinstanzlich abgeschlossene strafrechtliche Aufarbeitung der Misshandlungen in einer ehemaligen Lingener Notunterkunft.“

„Die Misshandlungsvorwürfe haben sich bestätigt. Der Richter spricht sogar von Folter“, sagte Sebastian Rose vom  Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Für uns ist der Fall damit nur strafrechtlich abgeschlossen; es bleiben die Fragen nach der Verantwortung der Aufsichtsbehörden. Wie ein einschlägig wegen Gewaltdelikten vorbestrafter Mann von einem Unternehmen mit dem Wachdienst einer Unterkunft von Asylsuchenden beauftragt werden kann, bedarf jetzt der sofortigen Aufklärung.“

Seit langem drängt der Flüchtlingsrat die Landesregierung, landesweite Mindeststandards für alle Unterkünfte in Niedersachsen einzuführen, die mithelfen könnten solche Vorfälle zu verhindern. „Die damalige besondere Situation der hohen Zahl von Schutzsuchenden und der damit erforderlich gewordenen Amtshilfe durch die Landkreise kann hier keine Ausrede sein. Das Land muss jetzt dafür sorgen, dass in der Zukunft solche Exzesse verhindert werden“, so Rose. „Dazu zählen etwa regelmäßige Kontrollen und ein betreiberunabhängiges Beschwerdemanagement. Auch für die in Niedersachsen tätigen Sicherheitsdienste müssen Standards geschaffen werden. Das Land kann sich hier nicht auf die Zuständigkeit der kommunalen Ebene zurückziehen.“ Die Forderungen sind bisher nicht erfüllt worden.

Zu den weiterhin erforderlichen Standards gehören auch gültige Gewaltschutzkonzepte, Maßgaben für die Unterbringung besonders schutzbedürftiger Personen oder Regelungen für die Qualität der Personalauswahl. Diese festen Regeln würden auch für kurzfristig entstehende Notunterkünfte Geltung beanspruchen.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert das Land und den Landkreis Emsland außerdem auf, sich auch um die drei Opfer zu kümmern. Ihnen muss jedwede Unterstützung angeboten werden, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Dass dies bisher geschehen ist, ist nicht erkennbar. So hatte sich keiner der Geschädigten an dem Verfahren als Nebenkläger beteiligt oder sonst anwaltliche Hilfe erhalten. Dem Geflüchteten, dem die Nase zerschlagen worden war, sieht man die schwere Verletzung bis heute an. Außerdem hatte der Landkreis Emsland bislang nur unbefriedigend Stellung zum eigenen Versagen und Verschweigen genommen. Einen Sicherheitsdienst zu beauftragen, der vorbestrafte Gewalttäter beschäftigt wirft die Frage nach der Verantwortung der Behörde auf. 

Hintergrund:
Das Land Niedersachsen hat im Oktober 2015 die Landkreise und kreisfreien Städte zur Amtshilfe herangezogen zur Unterbringung von neu einreisenden Schutzsuchenden, da die eigenen Kapazitäten in der Erstaufnahme erschöpft waren. Die Sporthalle des Gymnasiums Georgianum in Lingen war im Rahmen dieser Amtshilfe durch den Landkreis Emsland als vorübergehende Notunterkunft für Schutzsuchende eingerichtet worden. Der Landkreis Emsland hat auf Anfrage des Flüchtlingsrats Niedersachsen mitgeteilt, dass ein „bundesweit renommiertes Sicherheitsunternehmen für die Wachdienstaufgaben beauftragt“ worden sei, das den gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsvorschriften unterliegt. Nach Recherchen der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte dieses Unternehmen ein Subunternehmen beauftragt. Da liegt der Hase im Pfeffer.

(Foto: Amtsgericht Lingen, © milanpaul via flickr)

vergaloppiert

12. Januar 2017

Dr. Fabian Schwartze, Vorsitzender des Jugendschöffengerichts beim Amtsgericht in Lingen, saß heute über den inzwischen 22jährigen zu Gericht, der im letzten Frühsommer mit einer Luftdruckwaffe auf Flüchtlinge geschossen hatte. Für den Straftäter, vor nicht langer Zeit Vorstandsmitglied der NPD, gab es keine harte Strafe, nachdem er unerwartet gestern doch ein Geständnis ablegte. Aber es gab zwischendrin einen Beitrag des Vorsitzenden an meine Adresse:

Kritik an Anwalt

Ohne sein Geständnis hätte der Angeklagte keine Chance auf eine Bewährung gehabt, erklärte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Er wies zudem auf die Vorverurteilung in sozialen Medien hin, die beim Angeklagten eine erhebliche Drucksituation aufgebaut hätte. Schon im Verlauf der Verhandlung hatte der Richter kritisiert, dass ein Anwalt aus Lingen, der sonst für Rechtsstaatlichkeit eintrete, in seinem Blog ein Foto des Angeklagten veröffentlichte.“ (Quelle)

Richter Dr. Schwartze hat es bisweilen mit Urteilen gegenüber Lingener Advokaten. So verurteilte er im vorletzten Jahr einen erfahrenen  anwaltlichen Kollegen wegen Nötigung, nachdem dieser einen Brief an eine notorische Schuldnerin unterschrieben hatte, sie solle doch nicht nur einen Teil sondern die ganze Schuld bezahlen. Der Brief enthalte mit dem falschen Hinweis, sonst werde der Staatsanwalt aktiv, die rechtswidrige  Drohung mit einem empfindlichen Übel, entschied der Amtsrichter, sprach – am Ende einer Hauptverhandlung in schneidender Atmosphäre – schuldig und verhängte eine hohe Geldstrafe. Der Kollege wurde später vom Landgericht überzeugend freigesprochen.

So schlecht ist es mir gestern mit dem Münsteraner Juristen nicht ergangen. Doch sollte er sich auch diesmal vergaloppiert haben, der „Vorsitzende Richter“ (O-Ton Lingener Tagespost)? Denn er kritisierte eine gepixelte  Fotoaufnahme in diesem kleinen Blog, die Sie links im Original sehen. Hier findet sich zum Vergleich die Aufnahme, die die LT heute vom Angeklagten veröffentlicht. Sie dürfen die Pixelei gern vergleichen. Und auf die Idee muss man erst mal kommen, dass eine strafmildernde (!) Vorverurteilung (!) vorliegt, wenn sich in sozialen Medien (und auch in einem Gebet in der Kreuzkirche) die Bürgerschaft über die Tat empört und der Betreiber dieses kleinen Blogs darüber, dass die Polizei keinen rechtsradikalen Tathintergrund bei dem NPD-Neonazi feststellen wollte, der er übrigens heute nicht mehr sein will.

Es gibt noch andere Besonderheiten, die mir aufgefallen sind. So werden eigentlich immer  Geschädigte gehört, wie sehr sie durch einen Täter verletzt worden sind. Nicht nur wegen einer Schramme am Bein sondern an ihrer Psyche. Gestern war das anders. Kein einziger Geschädigter sagte als Zeuge aus. Seltsam auch, dass die Tat des zur Tatzeit Erwachsenen Angeklagten vor dem Jugendschöffengericht verhandelt wurde, weil gegen ihn auch eine, zur Tatzeit längst angeklagte Urkundenfälschung verhandelt wurde, die er in völlig anderem Zusammenhang noch als Heranwachsender begangen hatte.


update:
Ausgerechnet heute hatte ich einen nachmittäglichen Termin bei Richter Dr. Schwartze. Das ist dann meist eine Gelegenheit, sich auszusprechen. So auch heute. Er meinte, ich hätte von dem Verfahren gegen den Luftgewehrschützen viel zu wenig Ahnung, um mich zu äußern. Damit wird er wohl recht haben. Denn sich bei Kritik zu einem Gerichtsverfahren nur auf einen Zeitungsbericht zu stützen, ist grundsätzlich voreilig. Beispielsweise sei die länger zurückliegende Urkundenfälschung eben nicht schon angeklagt gewesen, sondern habe in der Anklage gestanden. Dass Dr. Schwartze und seine Schöffen mit dem Urteil richtig lagen, hat hier auch Simon Böhm schon kommentiert.

Trotzdem war der Seitenhieb in der Verhandlung auf den anwaltlichen Blogger, der rechtsstaatlich zweifelhaft ein Bild veröffentlicht habe, nicht in Ordnung. Das hab ich so gesagt und mich schließlich lächelnd mit dem Satz verabschiedet, man treffe sich vor Gericht wieder. Es kam ein Lächeln zurück.

Freispruch

3. Juli 2016

Cannabis_sativaSchon wieder was in diesem kleinen Blog aus unserem Anwaltsbüro:

Heinz K.* hatte zwar auf dem REWE-Parkplatz den polizeilich von ihm geforderten Urintest absolviert, obwohl er dies besser nicht gemacht hätte; denn mit seinem „positiven“ Urintest hatte Heinz K. den Polizeibeamten erst den Verdacht geliefert, dass er bekifft sein Auto gefahren hatte. Daher musste er anschließend mit zur Polizeiwache. Polizeikommissar R. verlangte eine  Blutprobe, doch damit war Heinz K. ganz und gar nicht einverstanden. Er lehnte es ab, eine eigens vorbereitete Zustimmungserklärung zu unterschrieben.

Soll einem Autofahrer Blut entnommen werden, eine Autofahrt unter dem Einfluss von Betäungsmitteln (Kürzel: BtM)  nachzuweisen, ist der ermittelnde Polizeibeamte verpflichtet, hierfür die Anordnung des zuständigen Richters zu erwirken. Ausnahmen davon gelten eigentlich nur zur Nachtzeit, wobei übrigens § 104 Abs. 3 Strafprozessordnung genau festlegt, wann das ist. Ordnet außerhalb der Nachtzeit ohne richterlichen Beschluss ein Polizeibeamter eine Blutentnahme an, kann dieser Umstand zu einem sog. Verwertungsverbot der Blutprobe führen. Das heißt: Das Ergebnis der Blutprobe darf dann nicht zulasten eines Autofahrers verwertet werden. Emsländisch: Ihr Resultat gilded nicht. Bei Heinz K. ist das jetzt mit dem Nichtgilden so gekommen, und das kam so:

Die Blutprobe sollte ihm tagsüber entnommen werden und wurde es letztlich auch. Polizeikommissar R. ordnete sie nämlich an. Sie ergab später eine ausgesprochen geringe und daher völlig ungefährliche Wirkstoffkonzentration genossenen Cannabis, aber eben doch THC-Rückstände im Blut. Das hätte möglicherweise für ein hohes Bußgeld plus Fahrverbot für jede Art motorisiertes Fahrzeug gereicht, wenn nicht mein Kollege Daniel Halver der Verwertung der Blutprobe als Beweismittel widersprochen hätte. Sie war nämlich rechtswidrig entnommen worden, obwohl sich Polizeibeamter R. alle Mühe gegeben hatte, vor seiner Anordnung den notwendigen Richter zu finden und von einem Beschluss zu überzeugen, dass Heinz K. eine Blutprobe entnommen werden sollte.

Polizist R. fand sogar zwei Richter. Doch beide wollten nicht. Der Richter am Sitz der Bußgeldbehörde in Meppen verwies auf den Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft in Osnabrück. Und der Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft in Osnabrück verwies auf den Richter am Sitz der Bußgeldbehörde in Meppen. „Nicht zuständig!“ sagten also beide und zeigten auf den jeweils anderen. Da platzte Polizeikommissar R. offenbar der sprichwörtliche Kragen, und er ordnete die Blutprobe selbst an.

Das aber hätte er besser nicht getan, sondern das übergeordnete Landgericht um Klärung gebeten. Denn er selbst durfte die Blutentnahme nicht mehr anordnen, begründete mein Kollege seine Position. Genauso sah dies jetzt das Oberlandesgericht Oldenburg und sprach Heinz K. frei. Dabei hatte ihn noch das Lingener Amtsgericht entgegen dem Antrag des Kollegen Halver schuldig gesprochen, wohl weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte (Palmström-Prinzip). Immerhin war ja THC im Blut gefunden worden, und der Hinweis meines Kollegen Halver auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfing nicht in der Amtsgerichtsverhandlung gegen den schweigenden Heinz K..

Damit überzeugte er jetzt aber das Oberlandesgericht Oldenburg. Das zitierte genau die Verfassungsgerichtsentscheidung vom 15.06.2015 (mehr…), die Daniel Halver für Heinz K. ins Feld geführt hatte:

Haben die Ermittlungsbehörden den zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichter durch Antragstellung mit der Sache befasst, endet ihre Eilzuständigkeit.…Auch soweit die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil der Richter schriftliche Antragsunterlagen oder eine Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt.

Also Verwertungsverbot und weg mit dem Urteil des Amtsgerichts, also Freispruch, weil es sonst kein Beweismittel gegen den schweigenden Heinz K. gab. So hat das Oberlandesgericht „durchentschieden“ (Juristensprache). Soweit die gute Nachricht für Heinz K., der sich vorgestern herzlich beim Kollegen Daniel Halver bedankte.

Jetzt die schlechte:
Polizeikommissar R. hatte über die „Fahrt unter THC-Einfluss“ längst das Straßenverkehrsamt informiert. Das hatte dann Heinz K.  die Fahrerlaubnis entzogen, weil er -wie die Blutprobe beweise- unter Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug gefahren sei. Für die Verwaltung gilt nämlich das verfassungsrechtliche Beweisverwertungsverbot nicht, sagen landauf, landab beharrlich die Verwaltungsrichter. Dass hiergegen das Bundesverfassungsgericht erhebliche Bedenken geäußert hat (Beschl. v. 28.06.2014 – 1 BvR 1837/12), interessiert bislang -soweit ich es sehe- die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht. Ihnen ist es auch schnurz, dass bei geringen THC-Werten die Grenzwerte-Kommission aus wissenschaftlicher Sicht Entwarnung gegeben hat.

Weil also der behauptete Zweck und nicht die Verfassung gilt, sind die Mittel heilig – auch wenn es nicht gefährlich war, was Heinz K. da mutmaßlich vorzuwerfen war. Doch es war eben eine Winzigkeit Cannabis im seinem Blut. Da kennen deutsche Verwaltungsrichter kein verfassungsrechtliches Zaudern. Das wird, glaube ich, auch deshalb so bleiben, weil Betroffene erst einmal jahrelang vor Verwaltungsgerichten klagen müssten, bevor sie die Chance auf ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgerichts und dort dann mit ihrer Darstellung Recht bekämen. Angesichts dieser faktischen Rechtsblockade ziehen es alle Betroffenen vor, ein Jahr THC-Abstinenz nachzuweisen und anschließend -nach erfolgreich vorbereiteter MPU – die Fahrerlaubnis zurückzuerhalten; die gibt es nämlich erst zurück, nachdem der Betroffene die Entziehung akzeptiert hat und sie bestandskräftig ist. Zur Tages- wie zur Nachtzeit.

(OLG Oldenburg, Aktenzeichen 2 Ss (Owi) 152/16)

Anwalt-Tipp:
Keine Urinkontrolle abliefern, keinen Wischtest akzeptieren,
keine Unterschrift, dass man auf einen richterlicher Beschluss verzichtet,
Und: Sagen Sie dann besser nichts. Stattdessen Schweigen! Strikt Schweigen!

 

(*Name verändert)

Nebenkachelmann

28. Februar 2011

Ich muss sagen, dass mich Veränderungen in der lokalen Strafgerichtsbarkeit zunehmend beschäftigen. Es sieht nämlich ganz nach einem Paradigmenwechsel aus. Nach mehr als 40 Jahren vorsichtig-abwägenden richterlichen Entscheidens unter den Vorsitzenden des Lingener Schöffengerichts Josef Haakmann und Werner Keck, praktiziert der seit Jahresfrist amtierende Schöffengerichtsvorsitzende Peter Reichenbach mit seinen ehrenamtlichen Schöffen anderes – ganz so, als ob er bei Verrdachtsmomenten keine Zweifel an der Schuld von Angeklagten haben will und  dann, wenn sich Zweifel aufdrängen, sich ihrer flugs entledigt. Nun sagt der fundamentale rechtsstaatliche Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ bekanntlich nicht, wann Richter Zweifel haben müssen, sondern wie sie zu entscheiden haben, falls sie Zweifel haben. Eine neu aufkommende Generation von Strafjuristen lässt indes  gar keine Zweifel mehr zu. Zweifel versteht sie offenbar als intellektuelle und justizielle Schwäche. Haben womöglich deshalb Schöffenrichter Reichenbach und seine jeweiligen Schöffen im Zweifel eben keine Zweifel mehr?

Aktuelles Beispiel: Das Lingener Schöffengericht verurteilte jetzt einen inzwischen 50-jährigen Angeklagten wegen eines zehn Jahre (!) zurück liegenden Vorfalls. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten -aufgrund einer erst jüngst erstatteten Anzeige- vorgeworfen, am Rosenmontag 2001 in Emsbüren (Foto re.) eine heute 34-jährige Frau vergewaltigt zu haben. Der Mann räumte Zärtlichkeiten ein, wie sie an Karneval gang und gäbe sind. Nachdrücklich bestritt er die Vergewaltigung oder irgendetwas getan zu haben, was die Frau seinerzeit nicht wollte.

Ein vom Gericht bestellter psychologischer Sachverständiger, der die Aussage der Geschädigten auf ihre Glaubhaftigkeit hin untersucht hatte, hatte dazu am dritten Verhandlungstag sein Gutachten erstattet. Es könne, so sein Resumee, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der sexuelle Kontakt zunächst nicht doch einvernehmlich zustande gekommen sei. Er sagte, die Frau sei „aufgrund einer Hypothese jahrelang wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung medizinisch behandelt worden, die unter Umständen nicht zutrifft, weil bereits in der Erstdiagnostik Fehler gemacht worden sind.“ Es sei experimentell und erfahrungswissenschaftlich vielfach belegt, dass sich Gedächtnisinhalte aufgrund einer therapierten Erinnerung veränderten. Der Gutachter: „Es ist schon irritierend, dass das von der Nebenklägerin geschilderte Geschehen in der Klinik vorbehaltlos und sofort als Tatsache anerkannt und auf dieser Grundlage anstandslos ein Trauma diagnostiziert wurde.“ Also: Zweifel! Wie bei Kachelmann.

Folgerichtig beantragten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung nach viertägiger Hauptverhandlung aufgrund bestehender Zweifel an der Schuld des Angeklagten Freispruch, nur die Nebenklage wollte den Mann drei Jahre hinter Gitter.

Das Gericht verurteilte trotz der Freispruchsanträge von Anklage und Verteidigung unseren lokalen Nebenkachelmann – wie es bekanntlich auch bei seinem Namensgeber von zahlreichen Prozessbeobachtern vorhergesehen wird. Man habe es sich „mit dem Urteil nicht leicht getan“, unterstrich in seiner mündlichen Urteilsbegründung Dr. Peter Reichenbach eine gerichtliche Selbstverständlichkeit und resumierte „Letztendlich sieht das Gericht den Tatvorwurf der Vergewaltigung jedoch als bewiesen an.“

Das Schöffengericht verdrängte auf diese Weise die ermittelten, sachverständig begründeten Zweifel und die logische Konsequenz dieses Gutachtens – den Freispruch. Es ersetzte, legt man diesen Pressebericht mit seinen Zitaten zugrunde, sorgfältige Richterarbeit durch eine Bauchentscheidung: „Für das Gericht ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Geschädigte den Angeklagten zu Unrecht einer so schwerwiegenden Tat beschuldigt, diese Geschichte konstruiert und sie zudem mit so erheblicher Konsequenz verfolgt hat“. Natürlich durfte in der mündlichen Urteilsverkündung auch „die allgemeine Lebenserfahrung“ nicht fehlen, die wie „forensische Erkenntnisse“ -also u.a. Reichenbachs eigene- „belegen, dass Sexualtaten für eine Frau sehr prägend sind und eine große Belastung für das weitere Leben darstellen“. Gemeint war wohl Sexualstraftaten.

Auf den Verurteilten warten jetzt wegen Vergewaltigung zwei Jahren und neun Monate Haft, wenn das Landgericht Osnabrück als Berufungsinstanz die Entscheidung bestätigt. Allerdings sind auch dort im vergangenen Jahr zwei erfahrene, kluge Strafkammer-Vorsitzende pensioniert worden…

Notabene
An der geschilderten Strafsache habe ich von Berufs wegen keine Anteile; dies sei klar gestellt. Allerdings hat der kritisierte Schöffenvorsitzende in einem anderen Fall, in dem ich verteidige, eine Anklage zugelassen, bei der ein von ihm in Auftrag gegebenes, ausführliches Gutachten der Anzeigeerstatterin die Glaubhaftigkeit abspricht. Sie war inflagranti von ihrem unverhofft heimkehrenden Mann erwischt worden, um dann zu behaupten, sich unbekleidet im Schlafzimmer an der gleichfalls unbekleideten Schulter des besten Freundes der Familie ausgeweint zu haben, weil sie ihr Mann tags zuvor vergewaltigt habe. Nun, zur Verhandlung zugelassen werden darf eine Anklage nur, wenn ein Gericht einen Angeschuldigten für „hinreichend verdächtig“ hält, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben. Dafür ist bei einem negativen Glaubhaftigkeitsgutachten regelmäßig kein Raum.  Mein Bauchgefühl sagt mir nun, dass in dem Inflagranti-Verfahren vor dem Aufruf der Sache doch noch einmal die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden geprüft werden sollte…

Nachtrag vom 18.04.2011:
Ich weiß zwar nicht, wie eine abwesende Redakteurin einen Bericht über ein Urteil schreiben kann.Mit mir hat sie nicht geswprochen. Das Urteil jedenfalls war ok. Was ich als Verteidiger und Staatsbürger aber jetzt erwarte, ist ein Strafverfahren gegen die Anzeigeerstatterin und ihren damaligen Liebhaber, übrigens einen Polizeikommissar, wegen falscher Verdächtigung und Falschaussage. Denn nicht immer erlebt man  so lügenhafte Aussagen wie in dieser Sache.

(Fotos: Emsbüren – © Joachim K. Löckener CC; Amtsgericht Lingen (Ems) © pittigliani2005 CC)

Verurteilt

31. Januar 2011

Am 20.01.2011 fand vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Lingen (Ems) die Verhandlung gegen Thomas Stratmann aus Emsbüren statt. Das berichtet indymedia.org, die den gelernten Metzger als Neonazi tituliert. Stratmann wurde  durch die Staatsanwaltschaft Osnabrück vorgeworfen, am 07.07.2010 nach dem WM-Spiel Deutschland gegen Spanien eine Körperverletzung, eine versuchte gefährliche Körperverletzung sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Form eines „Hitlergrußes“ und des Rufens von „Sieg Heil!“ begangen zu haben.
Nach dem WM-Halbfinale beschimpfte der Angeklagte am Lingener Bahnhof mehrere Personen als „Zeckenpack“. Ohne weitere große Worte schlug er einer der beleidigten Personen an den Kopf, entwendete dessen Bierflasche und warf diese in Richtung einer anderen Person aus derselben Gruppe. Dann zeigte er der Gruppe den Hitlergruß,  brüllte dabei „Sieg Heil!“ und „Heil Hitler!“ Er entfernte sich vom Tatort, bevor die Polizei eintraf. Sie konnte ihn aber anschließend als Tatverdächtigen ermitteln. 

Vor Gericht bestritt Stratmann die ihm vorgeworfenen Taten. Er habe  nichts dergleichen getan. Er sei  er nur auf dem Weg zum Bahnhof gewesen, um mit dem Zug nach Hause zu fahren, und sei von den Anzeigeerstattern beleidigt und geschubst worden. Die Flasche habe er nur entwendet, um sich selbst zu schützen, nicht jedoch, um damit zu werfen.

Nach Vernehmung mehrerer Zeugen  wurde der mehrfach wegen Körperverletzung vorbestrafte Emsbürener schließlich zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Strafrichter sah eine positive Zukunftsprognose, nachdem der Bewährungshelfer sich für den Angeklagten eingesetzt hatte;  der absolviere seit einiger Zeit  eine Verhaltenstherapie bei „Männer gegen Männergewalt„. Allerdings soll gegen den 30-jährigen bereits wieder wegen Körperverletzung ermittelt werden; er soll in einer Lingener Gastwirtschaft mehrere Gäste geschlagen haben…
Quelle indymedia.org (Indymedia-Logo oben re)

Hölle

1. November 2010

Das Gericht will mit diesem Urteil ein deutliches Zeichen setzen, dass der Versuch, eine parallele Subkultur zu schaffen, in der die Regeln menschlichen Zusammenlebens nur noch eingeschränkt gelten, vom Staat nicht toleriert und konsequent unterbunden wird. Der Angeklagte war kein aggressiver Verkäufer von Drogen, aber er hat die Süchte befriedigt, die von außen an ihn herangetragen wurden, um seinen Platz in der Szene halten zu können. Seine Wohnung war eine Drogenhölle im Weichdrogenbereich.

So berichtet die Lokalpresse über ein aktuelles Urteil des Schöffengerichts Lingen, an dem ich übrigens von Berufs wegen nicht beteiligt bin. Die Entscheidung verurteilt einen 24-jähriger Lingener zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Haft. Ihm hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zwischen Mai 2009 und April 2010 in Lingen an verschiedene Personen Marihuana verkauft zu haben, um damit auch seinen eigenen Konsum zu finanzieren. Zudem habe er einem damals 14-Jährigen mehrfach Cannabis verschafft.

Keine Frage: Die Abgabe von Drogen an einen 14-jährigen ist inakzeptabel. Der Gesetzgeber hat dafür im Betäubungsmittel-Strafrecht harte Strafen bestimmt. Geht es übrigens um Alkohol, sieht unser Staat die Sache reichlich anders: Die Abgabe der Droge  Alkohol an 14-jährige ist grundsätzlich nämlich  eine Ordnungswidrigkeit; nur falls ein Jugendlicher leichtfertig durch die Alkoholabgabe körperlich schwer gefährdet wird, der Abgebende „aus Gewinnsucht“ handelt oder die Abgabe „beharrlich wiederholt“ wird daraus eine Straftatmit einer Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis; handelt es sich aber um Cannabis ist die Mindeststrafe ein Jahr Gefängnis. Auch diese Ungleichbehandlung ist inakzeptabel und zwar schon deshalb, weil Cannabis nicht zum Tode führt, relativ geringe Mengen Alkohol aber schon. Nach allem, was die Wissenschaft heute weiß, wird Cannabis nur zum Problem, wenn es im Übermaß genossen wird. Der Widerspruch ist also ebenso offensichtlich wie unbefriedigend.

Überreichlich daneben ist das Lingener Urteil dann mit seinem Satz, dass Cannabis-Konsumenten „eine parallele Subkultur schaffen, in der die Regeln menschlichen Zusammenlebens nur noch eingeschränkt gelten„. Sollte das wirklich so gesagt worden sein,  wäre  dies in der Sache dröhnender Unfug.

Der Angeklagte in dem Lingener Strafverfahren wird nämlich bestraft,  weil er die geltenden Normen verletzt hat. Die Strafe soll verhindern, dass er weitere Normenverletzungen begeht. Und sie soll andere davon abhalten, seinem Beispiel zu folgen. Cannabis-Konsumenten wie der Angeklagte sind aber nicht Menschen, die in einer Parallelgesellschaft die „Regeln menschlichen Zusammenlebens“ missachten, weil sie kiffen oder Cannabis entgeltlich abgeben. Sie missachten nur die –nicht unumstrittenen– Regeln des deutschen Betäubungsmittelrechts, aber keineswegs  die Regeln des menschlichen Zusammenlebens! Auch ein Coffeeshop in den benachbarten Niederlanden ist nicht das Fegefeuer oder  der Vorhof zur Unterwelt der Dämonen. Selbst in Lingen ist eine Wohnung, in der Cannabis konsumiert und abgegeben wird, genauso wenig Hölle wie eine lokale Kneipe mit Alkoholausschank. Einen Straftäter als Höllenbetreiber und damit quasi als Teufel zu dämonisieren, ist in einem aufgeklärten Rechtsstaat ein nicht zu duldender Missgriff. Ich nehme an, dass dies auch das Landgericht Osnabrück so sehen wird, wenn der so etikettierte Verurteilte gegen das Lingener Urteil Berufung einlegt.

Ein Nachtrag
noch zu dem Urteilssatz „vom Staat nicht toleriert und konsequent unterbunden wird“ – Konsequent ist die Strafverfolgung bei Weichdrogen von Verfassungs wegen gerade auf ganze andere Weise: 1994 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Cannabisverbot nicht gegen die Verfassung verstößt, solange bei geringen Mengen keine Strafverfolgung stattfinde. In den darauffolgenden Jahren wurde die Grenze der geringen Menge von den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich oder auch gar nicht gesetzt. Bundeseinheitliche Regelungen zur Anwendung des § 31 a BtMG gibt es nicht. In NRW hat die neue rot-grüne Regierung die Menge durch Erlass von 6 g auf 10 g heraufgesetzt, in Niedersachsen liegt die Grenzmenge grundsätzlich bei 15 g. Allerdings findet  immer eine Strafverfolgung statt und die Einstellung ist immer  eine „Kann-Einstellung“ – es kann also eingestellt werden, muss nicht (und wird auch -Verfassungsgericht hin oder her- oft nicht).

(Foto oben:  Darstellung der Hölle im Hortus Deliciarum, Manuskript (um 1180) – CC; Foto unten: illegales Polizeienblem in Niedersachsen)

Umgangsformen

2. September 2010

Zuschauer, die im Fußballstadion pöbeln, riskieren ein Strafgeld. Denn der Verein, der die Strafe aufgebrummt bekommt, kann das Geld von dem Zuschauer zurück verlangen.

Das geht aus einem Urteil des Amtsgerichts Lingen hervor (Aktenzeichen: 4 C 1222/09), auf das die Deutsche Anwaltauskunft in Berlin hinweist. In diesem Fall hatte ein Sportverein sein Stadion für das Fußballspiel von zwei Jugendmannschaften kostenlos zur Verfügung gestellt. Während des Spiels beleidigte der Vater eines Spielers dann Mitglieder der gegnerischen Mannschaft mit derben Worten.

Für diese Beleidigung wurde der Sportverein durch das Verbandssportgericht zu einer Strafe von 400 Euro verurteilt. Der Sportverein forderte die Summe von dem Vater zurück. Das Gericht gab dem Verein recht. Der Sportverein durfte davon ausgehen, dass die Besucher die allgemein gültigen Umgangsformen beachten und die Interessen des Vereins wahren. Nur weil der Vater zuvor von den Jugendlichen angepöbelt worden sei, könne er nicht einfach zurückpöbeln. Ein Notwehrrecht gegenüber verbalen Attacken gebe es nicht.

ps An diesem Samstag ist Tag der offenen Tür im ansonsten reichlich zugeschlossenen Amtsgericht in der Burgstraße 28. Fragen Sie ruhig den Richter der Abteilung 4 C, wenn Sie das Urteil (nicht oder doch) überzeugt.

100. Geburtstag III.

4. September 2008

Lieber Hanskarl Vent,

heute  hab ich mich an frühere Leserbriefe von Dir erinnert – damals vor 30 Jahren, als Du die Esskastanien  im Amtsgerichtshof aufsammeltest und Amtsgerichtsrat Weinhold Dich ob dieses Treibens dingfest machen wollte, weil das doch so unerhört war. Inzwischen ist die Esskastanie weg, Amtsgerichtsrat Weinhold sitzt nicht mehr in seinem Eckzimmer im Dankelmann’schen Palais, doch Du bist noch aktiv. Ich lese eben von Dir in der Lingener Tagespost Deine Leserzuschrift- zwar nichts über Esskastanien,  aber dazu, ob und wie man im nächsten Jahr  an den Lingener Autorennfahrer Bernd Rosemeyer erinnern soll, wenn sich sein Geburtstag zum 100. Mal jährt. Bekanntlich mehr als ein  Schönheitsfehler: Rosemeyer war in der SS. Er war ihr früh und freiwillig beigetreten.

Das stört Dich nicht. Denn Du schreibst nun so vor Dich hin:

„Bernd Rosemeyer vorzuhalten, er sei der SS beigetreten, bedeutet nichts anderes, als dass man ihm zum Vorwuf macht, er habe 1933 nicht vorausschauend gesehen, was sich erst nach seinem Tod 1938 ereignen würde.“

Und schwadronierend setzt Du nach:

„(Die SS-)Mitgliederlisten lesen sich wie das „Who is Who“ der feinen Gesellschaft. Dort prägten Männer wie der Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont, die Grafen von Wedel und von Bassewitz-Behr, der Prinz von Hessen, die Freiherren von Eberstein, von Holzschuher, von Malsen-Ponikau, von Schade, von Kanner, von Schele und wie sie alle hießen das Bild der NS-Gliederung… Wer dort Mitglied wurde, setzte sich gleichsam betont ab von den niveaulosen Horden der SA. Alles, was wir heute der SS anlasten müssen, geschah durchweg erst ab 1939.“

Als Fazit rufst Du:

Feiert euren Rosemeyer so wie in 50 Jahren heutige Sportspitzen.“

Ich war, ehrlich gesagt, verblüfft über diese Zeilen. Sie haben so gar nichts, ähm, sagen wir mal, Anarchistisches mehr an sich, wie damals Dein Kampf um den freien Zugang zu deutschen Esskastanien unter Gerichtsbäumen. Das „Who is Who“ hat mich dann beschämt. Denn –sorry- ich kannte keinen der feinen Spitzenherren. Nicht einmal den Prinz von Hessen. 

Dann erinnerte ich mich an eine andere, die wirkliche Liste des „Who is Who“ 1933. Diese Esterwegener Liste nämlich:

  • Carl von Ossietzky, Redakteur
  • Bernhard Bästlein, KPD- Politiker. Kam aus dem KZ Dachau nach Esterwegen. Danach in das KZ Sachsenhausen deportiert.
  • Fritz Husemann, Bergmann, Gewerkschafter und Mitglied des Reichstages für die SPD
  • Otto Eggerstedt, Politiker der SPD, als Altonaer Polizeipräsident wurde er auf Grund der Ereignisse beim Altonaer Blutsonntag, an dem er selbst nicht anwesend war, seines Amtes enthoben und nach der Machtergreifung bereits am 12. Oktober 1933 im KZ Esterwegen von den Nationalsozialisten ermordet.
  • Johann Schellheimer, Politiker der KPD
  • Werner Finck, Kabarettist
  • Adolf Bender, Maler
  • Julius Leber, SPD-Politiker. Später vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.
  • Günther Lüders, deutscher Schauspieler, der im Film vornehmlich das komische Fach bediente.
  • Ernst Heilmann, SPD-Politiker, in verschiedenen KZ inhaftiert. Schließlich in Buchenwald am 3. April 1940 durch Injektion ermordet.
  • Theodor Neubauer, KPD-Politiker. Kam aus dem KZ Papenburg. Später in verschiedenen KZ verschleppt. Vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Hingerichtet am 5. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden
  • Hans Litten, Jurist. 1938 im KZ Dachau am 4. Februar 1938 in den Selbstmord getrieben.
  • Georg Diederichs, späterer niedersächsischer Ministerpräsident (SPD)
  • Ernst Walsken, deutscher Maler, dessen Bilder zu den wenigen erhaltenen künstlerischen Dokumenten aus Konzentrationslagern der Nazizeit gehören.

Diese Liste bekannter KZ-Häftlinge ist nicht vollständig, wie jeder weiß. Sie umfasst in Wahrheit Zehntausende von Namen aus den Konzentrationslagern der Nazis, die Ermordeten, Gequälten, Erniedrigten. Und alles schon 1933.

Tja, und wie schreibst Du so schön:

„Ohne Sponsorengelder ließen und lassen sich gewisse Sportarten nun einmak nicht betreiben. Und Hitler als bekennender Technik-Freak…“ 

Hanskarl, soll ich Dir was verraten? Ganz ehrlich?! Du hättest nach Deinen Esskastanienbriefen aufhören sollen. Das hätte Dir und uns gut getan.

Dein irritierter Robert Koop

Gaspreis II

22. November 2006

Pfiffig gemacht: Die „Lingener Tagespost“ von heute stellt meine Position zur Gaspreiserhöhung und die der SPD gegeneinander. Der unbefangene Leser muss daher glauben, es bestehe ein Gegensatz. Den aber gibt es tatsächlich nicht. Wenn die SPD stets für die Offenlegung der kompletten Gaspreiskalkulation gestritten hat, dann wollte sie die Kalkulation intern offenlegen, also im Aufsichtsrat der Stadtwerke erfahren.
Die Kalkulation genau zu kennen ist zweifellos Voraussetzung dafür, dass der Aufsichtsrat seine Aufsicht führt. Nur dann kann er aktiv die Grundlagen für günstigere Preise schaffen und für sie sorgen. Zur Erinnerung: Bisher wurden dem Aufsichtsrat unserer Stadtwerke diese Informationen verweigert. Dies war und ist stets der Kritikpunkt der SPD und auch meiner.
Das von mir mit Unverständnis aufgenommene Amtsgerichtsurteil verlangt nun die Offenlegung der kompletten Kalkulation nach außen und nicht nur die der Preissteigerung. Die Offenlegung der ganzen Kalkulation für Jedermann, so meine Überzeugung, bereitet in unserem Wirtschaftssystem aber bloß den Boden für die „feindliche Übernahme“ eines Stadtwerkes durch die Konzerne. Sie muss verhindert werden.
Günter Helle schreibt in seiner heutigen Zuschrift an die „Lingener Tagespost“ dazu etwas sehr wichtiges: „Die Stadtwerke gehören dem Bürger!“ Das muss nach meinem Eindruck auch so bleiben. Daher müssen sie gestärkt und nicht geschwächt werden, damit sie bei uns in Lingen viel mehr Aufgaben erfüllen können als „nur“ die Gasversorgung. Das Urteil des Amtsgerichts ist kein geeigneter Beitrag dazu – im Gegenteil.

Gaspreis I

19. November 2006

Morgen berichtet die „Lingener Tagespost“ über ein Urteil des Amtsgerichts Lingen (Ems) (Aktenzeichen 12 C 423/06 –X-). Amtsrichter Markus Hardt hat am 13.11.2006 der Klage eines Laxtener Kunden der Lingener Stadtwerke stattgegeben und die Gaspreiserhöhungen zum 1.1.2005, 1.10.2005 und 1.1.2006 als unbillig qualifiziert „und bis auf eine Erhöhung von jeweils 2%“ für unwirksam erklärt. Das Urteil liegt jetzt schriftlich vor und findet sich hier.
Es sagt aus, dass die Stadtwerke die „Billigkeit“ der Gaspreiserhöhungen im Prozess „nicht hinreichend dargelegt haben“. Nach § 315 Abs. 3 BGB unterlägen die einseitigen Erhöhungen aber der gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Deshalb träfe die Stadtwerke aber „vie vollständige Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei der Festsetzung des Leistungsentgelts und zwar für den „gesamten Preis“. Der Amtsrichter meinte, dass die Stadtwerke die Billigkeit ihres Gaspreises nicht hinreichend offen gelegt haben und gab der Klage statt.
Die Entscheidung wird nach meinem Eindruck schwerlich die Berufungsinstanz vor dem Landgericht Osnabrück überstehen. Bundesweit urteilen die Gerichte mehrheitlich anders, und noch jüngst hat bespielsweise das Landgericht Oldenburg ein ähnliches Verfahren ausgesetzt. Denn um die Jahreswende entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Musterverfahren, ob in derartigen Verfahren überhaupt die gesamte Kalkulation zu prüfen ist und nicht nur die Preissteigerungen. Nach diesem Urteil des Kartellsenats des BGH wird also feststehen, ob nicht auch ein Preisvergleich der Anbieter ausreicht, um die Angemessenheit der Tarife zu beurteilen. Erst wenn dies die Bundesrichter genau so sehen wie Amtsrichter Hardt, müssen die Energieversorger ihre gesamte Kostenkalkulation offen legen. Meine Sorge ist: Diese Offenlegung wäre für die kleinen Stadtwerke, von denen es bundesweit rund 700 gibt, wohl der Anfang vom Ende der Selbständigkeit, würden doch so große Mitbewerber die Preiskalkulationen in allen Details erfahren können. Mit einem solchen Blick in das Innerste wäre auch die Existenz der Lingener Stadtwerke gefährdet, die für die Stadt und die Einwohner viel mehr tun, als nur Gas zu verteilen. Die Energiekonzerne, allen voran Mitgesellschafter RWE, würden sich die Hände reiben und stünden zur Übernahme unserer Stadtwerke bereit. Es liegt nahe, dass dann die Gasversorgung mittelfristig von drei, vier Konzernen monopolisiert würde – so wie es beim Strom schon ist. Solche Monopole führten aber erst recht zu steigenden Preisen. Ich meine also, dass der Erfolg des Klägers beim Lingener Amtsgericht ein wirklicher Pyrrhussieg ist.
Zur Erinnerung: Immerhin 9 Mio Euro jährlich müssen die Stadtwerke aufgrund der Preiserhöhungen der letzten beiden Jahre an die Gaslieferanten mehr zahlen. Der Einkaufspreis für Gas ist so brutal gestiegen, weil bisher in ganz Deutschland der Einkaufspreis für Gas an den Erdölpreis gekoppelt ist. Zum Vergleich: Die gesamten Personalkosten der Stadtwerke betragen knapp 4 Mio Euro. Der teurere Einkauf von Erdgas muss daher an die Kunden weitergegeben werden.
Dies ist für alle Bezieher eine Ausgabe, die immer mehr belastet: Doppelt so viel an Heizkosten als vor fünf Jahren zahlt nämlich heute eine 4-köpfige Familie, die durchschnittlich 3500 Kilowattstunden verbraucht, was einer Menge von etwa 3000 Litern Heizöl entspricht. Dies ist viel mehr als ärgerlich, zumal auch die Strompreise heftig angestiegen sind.
Trotzdem liegt der Gaspreis der Lingener Stadtwerke nicht an der Spitze, allerdings im oberen Drittel der Preise in Niedersachsen. Dies zeigt der bundesweite Preisvergleich von plusminus.
Dieser Vergleich ist, wie das Amtsgericht Oldenburg (Urteil vom 19.12.2005- E7 C7289/05) geurteilt hat, auch im Prozess ausreichend, um die „Billigkeit“ des teueren Gaspreises zu begründen. Und er ist auch ein Ansporn an die Ratskollegen im Aufsichtsrat der Stadtwerke, für günstigere Preise im Vergleich zu sorgen und die Geschäftsführung der Stadtwerke aufzufordern, dazu die Grundlagen zu schaffen.

(Foto: © pittigliani2005 auf flickr.com Creative commons)