Nichtgeltendmachung

28. Januar 2012

„Der 7. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 24. Januar 2012 – 7 LA 91/10 – einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 16. Juli 2010 – 2 A 58/08 – abgelehnt, mit dem dieses eine Klage mehrerer Kommunen gegen die Nutzung des militärischen Übungsgeländes „Nordhorn Range“ abgewiesen hatte. Das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ist damit rechtskräftig geworden.

Bei dem Übungsplatz „Nordhorn Range“ handelt es sich um einen Luft-Boden-Schießplatz in der Nähe von Nordhorn, der 2001 von der britischen Royal Air Force an die Bundeswehr übergeben wurde. Die Nutzung wurde nach der Übergabe von der Bundeswehr im bisherigen Rahmen fortge-führt. Im März 2008 erhoben die Landkreise Grafschaft Bentheim und Emsland, die Städte Nordhorn und Lingen, die Samtgemeinde Schüttorf sowie die Gemeinden Wietmarschen, Emsbüren und Geeste Klage gegen die weitere Nutzung von „Nordhorn Range“. Vorangegangen waren er-folgreiche Klageverfahren brandenburgischer Kommunen und Bürgervereinigungen gegen das Übungsgelände Wittstock („Bombodrom“) in Brandenburg, das seit Ende 2000 aufgrund von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 14.12.2000 – 4 C 13.99 -, juris) und des Verwaltungsgerichts Potsdam (Urt. v. 31.7.2007 – 3 K 2498/03 -, juris) von der Bundeswehr nicht mehr genutzt werden durfte.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hatte die Klage gegen „Nordhorn Range“ abgewiesen, weil die klagenden Kommunen ihr Abwehrrecht verwirkt hätten. Aufgrund der langjährigen Nichtgeltendmachung des Abwehrrechts (von 2001 bis 2008) stelle sich dessen Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben dar; die beklagte Bundesrepublik Deutschland hätte davon ausgehen dürfen, dass sich die Kommunen gegen die Nutzung von „Nordhorn Range“ als Luft-Boden-Übungsschießplatz nicht mehr zur Wehr setzen würden. Dieses Urteil hat der 7. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nunmehr bestätigt. Die von den Klägern geltend gemachten Berufungszulassungsgründe greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat das Klagerecht der Kläger zu Recht als verwirkt angesehen. Insbesondere können sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie zunächst den Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hinsichtlich des „Bombodroms“ in Brandenburg abwarten wollten. Ihre langjährige Untätigkeit war jedenfalls geeignet, auf Seiten der Beklagten den Eindruck zu erwecken, der Übergang von „Nordhorn Range“ auf die Bundeswehr werde zumindest mit rechtlichen Mitteln nicht angegriffen.“

Soweit die Pressemitteilung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts („OVG“). Der Beschluss selbst liegt noch nicht vor. Erstaunlich finde ich die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts schon, nach lediglich gut sechs Jahren behaupteter  rechtlicher (!) Untätigkeit (verquaster Fachbegriff: „Nichtgeltendmachung“) sei ein Rechtsanspruch verwirkt. Bei wikipedia findet sich diese zutreffende Verwirkung-Definition:

Ein Recht ist verwirkt, wenn (1) der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und (2) der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und (3) sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.

Würde man sich angesichts dessen nicht bis auf die juristischen Knochen blamieren, verträte man als Anwalt in einem Prozess nach gut sechs Jahren vielfältiger Debatten und Diskussionen um einen Anspruch die Auffassung, nun sei alles verwirkt, jeder Anspruch perdú? Denn genau das war hier der Fall: Nie konnte sich der Verteidigungsminister darauf einrichten, dass die Menschen und ihre Gebietskörperschaften an Ems und Vechte ihr Recht nicht mehr geltend machen, Nordhorn Range zu schließen. Alle in der Region haben dies von 2001 bis zur Klageerhebung 2008 vielfach und von jedem Verteidigungsminister gefordert.

Mir erscheint der Beschluss fern der Realität. Zu keiner Zeit konnte sich die Bundesregierung auch nur im Ansatz darauf einrichten, dass die klagenden Gemeinden und Landkreise den Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn-Range akzeptiert hätten. Das Gegenteil wusste das Verteidigungsministerium. Von Verwirkung kann in Sachen Nordhorn-Range beileibe keine Rede sein.

Das für seine stringent obrigkeits- d.h. verwaltungsfreundliche Rechtsprechung bekannte OVG im ruhigen Lüneburg hat also  nicht nur formal zweifelhaft sondern vor allem bürgerfeindlich entschieden. Denn mit seiner Entscheidung haben die  Oberverwaltungsrichter um ihren Vorsitzenden Wolfgang Kalz auch die vielfachen Aktivitäten der Bürger der Region beiseite gewischt und nicht nur unseren Gemeinden und Landkreisen sondern uns allen, die wir hier leben, jede inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Anachronismus eines Luft-Boden-Schießplatzes inmitten eines dicht besiedelten Raumes verweigert. Die Grafschaft, das Emsland, Nordhorn, Lingen & Co sollten also allemal gegen diese, mir willkürlich erscheinende Verweigerung rechtlichen Gehörs die Hilfe des Verfassungsgerichts suchen. Zumal ein rechtswidriger Zustand nicht durch bloße Untätigkeit rechtmäßig wird.

Aber ich frage heute auch besorgt, wie das Verteidigungsministerium jetzt angesichts der  reagiert: Wird es die Zahl der Schießeinsätze auf Nordhorn-Range wieder erhöhen? Wer könnte es daran hindern, wo doch die Rechte dagegen rechtlich verwirkt sein sollen?

Allerdings:  Selbst wenn in Zukunft das deutsche Verfassungsgericht den sehr arbeitsökonomisch durch das OVG gesetzten  rechtlichen Schlusspunkt durch das OVG absegnen sollte, auf der politischen Tagesordnung steht weiterhin ganz oben die Forderung  „Nordhorn-Range muss weg!“

(Foto: (c) Notgemeinschaft Nordhorn Range)