zu spät

29. Januar 2013

McAllister„Erstmals hat der scheidende niedersächsische Ministerpräsident David McAllister die rigide Abschiebepolitik als wichtigen Grund für seine Wahlniederlage am 20. Januar genannt. In einem Interview der „Welt am Sonntag“  gesteht McAllister, dies sei ein Thema gewesen, dass er dem Gegner an die Hand gegeben habe. „Das hätte ich nach einem Wahlsieg geändert,“ räumt er weiter ein.

Dafür ist es nun zu spät. Gelegenheiten zum Eingreifen und zur Umkehr gab es genug. An eindringlichen Appellen, die harte Abschiebepolitik in Niedersachsen zu ändern, hat es nicht gemangelt. CDU-Größen wie Rita Süßmuth und Rudolf Seiters schrieben ihrem jungen, aufstrebenden  Parteifreund David McAllister im Frühjahr 2012 kritische Briefe, die Kirchen protestierten gegen Unmenschlichkeit, Bürgerinitiativen bildeten sich in der Provinz, um Abschiebungen zu verhindern bzw. wieder rückgängig zu machen.

Zwischen Juli und September 2012 fragte die Panorama-Redaktion mehrfach bei McAllister nach, ob er seinen Innenminister Uwe Schünemann weiter gewähren lassen wolle. Dieser hatte wiederholt umstrittene Abschiebungen ins Ausland gerechtfertigt, auch wenn diese zu Familientrennungen führten, wie im Falle der Familie Salame aus Hildesheim. Der Ministerpräsident reagierte nicht. Er ließ lediglich erklären, dass diese Dinge in der Zuständigkeit des Innenministeriums lägen.

Offenbar glaubte McAllister lange, dass er mit einer rigiden Ausländer- und Migrationspolitik beim Wahlvolk punkten werde. Auf der Internetseite der Staatskanzlei brüstete er sich damit, dass der Ausländeranteil in Niedersachsen mit sechs Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liege. Auf Schünemann angesprochen, betonte McAllister im Wahlkampf, dieser sei „ein hervorragender Innenminister“.

Jetzt klingt es ganz anders. Gegenüber…“ Fortsetzung hier

(Quelle: NDR, Panorama von Stefan Buchen; Foto: Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de)

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5. Oktober 2010

Gut, richtig und überfällig war es, den „Tag der Deutschen Einheit“ im Lingener Rathaus gebührend zu begehen. Das unterschied diesen Nationalfeiertag 2010 von den Vorjahren. Aber inhaltlich hat mich die Lingener Feierstunde am Samstagmorgen  doch enttäuscht. Zum Vergleich: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat in Münster die Verdienste politischer Laien für den Erfolg der Wiedervereinigung gelobt. Auf einer Feierstunde zum „Tag der Deutschen Einheit“ sagte er, die Wiedervereinigung sei nicht nur eine Veranstaltung der großen Politik, sondern vieler Menschen gewesen.

Ganz anders die persönlichen Erinnerungen von Rudolf Seiters, 1990 Kanzleramtsminister. Er sprach am Samstag auf der Feierstunde im Lingener Rathaus. Mit Seiters‘ historischern Einordnung hatte ich Samstagmorgen meine Probleme und fand auch sofort eine seiner Eingangsbemerkungen seltsam über die letzten „20 Jahre, die Frieden und Freiheit gebracht haben“. Gebracht hat er tatsächlich gesagt. Es war letztlich doch eine ungewöhnlich subjektive Einschätzung, die Seiters im Sitzungssaal des neuen Rathauses vor rund 100 Gästen abgab. Im Kern Für ihn war die deutsche Einheit in erster Linie eine Sache  von Männerfreundschaften in der großen Politik: Kohl, Bush d.Ä., Gorbatschow, Mitterand. Im Gegensatz zum Bericht der Lingener Tagespost kam die  Bürgerrechtsbewegung der DDR nur zwei, drei Mal am Rande, also nicht wirklich vor. Und Frauen schon gar nicht.

Parallel zum anschwellenden Strom von DDR-Flüchtlingen im Sommer 1989 nach Budapest, Prag und Warschau kam es aber doch in der DDR zu einer Neuformierung und starken Verbreiterung der oppositionellen Reformer. Es entstanden in wenigen Monaten viele neue und aus SED-Sicht politisch subversive Organisationen. Bekannte Bürgerrechtlerinnen waren vorn dabei: Angelika Barbe, Vera Lengsfeld, Erika Drees, Ulrike Poppe, Freya Klier, Marianne Birthler, Gisela Hartmann, Brigitte Moritz, Katja Havemann und Bärbel Bohley. Nicht eine von ihnen erwähnte Seiters (und die Männer unter den DDR-Bürgerrechtlern auch nicht). Es war ein Männer-in-der-großen-Politik-Rückblick.  Die Bürgerrechtsbewegung in der DDR war für Seiters offenbar nicht bedeutsam, nur am Rande wichtig.

Schließlich war für Rudolf Seiters auch alles, was 1989/90 geschah und was er mitzuverantworten hatte, ausnahmslos und völlig richtig. Da wurde es dann noch subjektiver: Falsch lagen beispielsweise, so Seiters, ZEIT-Herausgeber Theo Sommer und Egon Bahr (SPD), die beide Anfang Oktober 1989 die deutsche Einheit nur in einem europäischen Kontext sahen; Seiters erwähnte beide ausdrücklich. Dass Helmut Kohl acht Wochen später (!) und drei Wochen nach dem Fall der Mauer in seinem Zehn-Punkte-Programm dasselbe wollte, vergaß der Redner. Auch missglückte Punkte wie die wenig überzeugend gestaltete Währungsreform 1990 blendete er aus. Kurz gesagt: Ich hätte mir insgesamt mehr selbstkritische Distanz gewünscht.

Am Schluss nach seiner 45-minütigen Rede durfte sich Rudolf Seiters dann in das Goldene Buch der Stadt eintragen. (Protokoll-Anmerkung: Unklar ist, warum und wer das beschlossen hat.)

Noch eine weitere, kleine Protokoll-Anmerkung:
Der neugewählte OB Dieter Krone war  leider aus familiären Gründen verhindert, wie ich hörte, so dass die „Erste Bürgermeisterin“ Ulla Haar (CDU) kurzerhand beschloss, sich die Bürgermeisterkette umzuhängen. Dies steht ihr aber nicht zu, sondern seit 2000 allein dem von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Oberbürgermeister. Haar hat sich  seit dem Rücktritt von OB Heiner Pott nicht das erste Mal die OB-Amtskette umgehängt. Eitel und selbstherrlich.

Auch der billig wirkende Programmzettel und die fehlende Übersetzung der Reden für die Gäste aus Polen und Katalonien haben mich ebenso gestört, wie mich die Ausstellung „Lingen-Marienberg- Eine Städtepartnerschaft im Zeichen der Wiedervereinigung“ nicht überzeugt hat; denn sie wirkt eher wie ein touristisch-historischer Rückblick. Und schon Nachmittags flatterten statt den polnischen und der katalanischen Fahnen wieder  die städtischen Werbefahnen vor dem Rathaus.

Also: Es ist gut, dass es diesmal eine Feierstunde zum deutschen Nationalfeiertag gab, aber es kann manches verbessert werden. 2011 ist Gelegenheit dazu. Dieter Krone, übernehmen Sie.

Nationalfeiertag

29. September 2010

Dr. Rudolf Seiters, vor 20 Jahren „Kanzleramtsminister“ im Kabinett Helmut Kohl und Zeitzeuge der deutschen Wiedervereinigung,  hält am kommenden Samstag 2. Oktober um 11 Uhr  im Ratssitzungssaal  des Neuen Rathauses in Lingen einen Festvortrag  anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung Deutschlands.

Bei der Feierstunde im Rathaus dürfte  der neugewählte Lingener Oberbürgermeister Dieter Krone einen seiner ersten öffentlichen Auftritte haben. Dies gibt ihr einen besonderen Reiz. Auch Gäste aus Lingens Partnerstädten werden erwartet.

Anschließend eröffnet Lingens Stadtarchivar Dr. Stephan Schwenke im Rathaus-Foyer die Ausstellung „Lingen (Ems) – Marienberg. Eine Städtepartnerschaft im Zeichen der Wiedervereinigung“.  Die Ausstellung ist während der Öffnungszeiten des Rathauses bis zum 31. Oktober zu sehen.

Festvortrag und Ausstellungseröffnung sind öffentlich. Der Eintritt ist frei.

Zudem zeigt am Sonntag (3.10.) um 20 Uhr das Theater an der Wilhelmshöhe  „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“ – eine Wende-Revue der Komödie Dresden von Georg Wintermann:

Was wäre denn, wenn vor 20 Jahren der Sozialismus gesiegt hätte und die Bezirke des Westens in die DDR eingemeindet worden wären? Wir erleben einen fiktiven Parteitag der SED mit anschließendem Festakt, durch welchen Erich Honecker persönlich führt und zu dem viele Gäste aus Ost und West geladen sind. Eine musikalische Spaßrevue mit Gratulanten wie Udo Lindenberg, Rudolph Mooshammer, Nina Hagen, Erich Mielke, den Wildecker Herzbuben und vielen anderen. Diese witzige Version deutsch-deutscher Geschichte begeisterte Abend für Abend das Publikum in der Komödie Dresden, eine Meisterleistung vollbringt Dietmar Burkhard, der die Person Erich Honecker täuschend echt spielt. Jürgen Mai nötigt mit seiner Regie und Konzeption auch dem Skeptiker größten Respekt ab. Für das Musiktheater mit 10 Darstellern in rund 60 Rollen  sind noch Restkarten erhältlich.

Am Tag der deutschen Einheit findet übrigens in Bremen, also nicht allzu weit entfernt, die zentrale bundesdeutsche Veranstaltung zu „20 Jahre Wiedervereinigung“ statt. Gefeiert wird ein großes Bürgerfest. Auf einer Ländermeile in der Straße „An der Reeperbahn“ bis zum Kopf des Europahafens im Kaffee-Quartier der an die Stadtmitte angrenzenden südlichen Überseestadt präsentieren sich alle  16 Bundesländer, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Mehr

In Lingen scheiterten übrigens in den 1980er Jahre die Bemühungen für eine innerdeutsche Städtepartnerschaft am Nein der Lingener CDU. Wir sind also nicht hier vertreten. Erst 1990 gab es -ausgehend von der evangelischen Kirche in Lingen- Kontakte in das sächsische Marienberg, die dann in eine Städtepartnerschaft mündeten.

Seiters

21. Oktober 2009

PragerBotschaft_W.SchroederEx-Kanzleramtschef Rudolf Seiters (CDU) hat SPIEGEL-ONLINE ein Interview gegeben, wie es war vor 20 Jahren in Prag und Bonn und anderswo. Der CDU-Politiker aus Papenburg war unter CDU-Kanzler Helmut Kohl von 1989 bis 1991 Chef des Kanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben. Der gelernte Jurist führte in der Wendezeit die Verhandlungen mit der DDR-Regierung. Seiters ist seit November 2003 Präsident des Deutschen Rotes Kreuzes. Bei der Prager Balkon-Rede des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher am 30. September 2009 stand Kanzleramtsminister Seiters im Schatten der Scheinwerfer neben ihm. 
Die Antworten des CDU-Mannes finde ich sehr informativ, abgewogen und weise – also allemal lesenswert. Beeindruckend seine Bewertung der Leistung Willy Brandts und das offene Eingeständnis: „Wir hatten auch Glück!“

(Foto oben links: Prager Botschaft Herbst 1989; © DRK, W. Schroeder)