Die EU will die Gefahren von politischem Microtargeting und verdeckten Online-Kampagnen endlich entschieden begrenzen. Doch damit die neue Verordnung ihr Versprechen einlösen kann, muss sich das Parlament gegen Rat und Kommission durchsetzen. Ein Netzpolitk.org-Kommentar.

Eine Hand wirft einen Brief in eine Box

Neue Regeln für politische Online-Werbung sollen schon zur EU-Wahl 2024 gelten Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Element5 Digital

Das Europäische Parlament hat gestern ein Verhandlungsmandat für eine Verordnung angenommen, die die Auswertung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften stark einschränken soll. Noch vor der Europawahl im kommenden Jahr soll so transparenter werden, wer Werbeanzeigen schaltet und Kampagnen finanziert. Außerdem soll die neue Verordnung die Nutzung persönlicher Daten einschränken, mit denen politische Werbebotschaften zielgenau auf Gruppen und einzelne Menschen zugeschnitten werden können.

Eine solche Regulierung ist seit langem überfällig. Denn die vergangenen Jahre haben allzu deutlich gemacht, dass weder Parteien und Politiker:innen noch Social-Media-Plattformen und andere Werbefirmen willens oder in der Lage sind, sich selbst zu kontrollieren. Das Geschäft mit der Werbemanipulation ist offenkundig zu lukrativ – für alle Beteiligten.

Auch haben verschiedene Skandale immer wieder gezeigt, wie groß das Missbrauchspotential von Microtargeting und verdeckten Kampagnen in der politischen Kommunikation ist. So nahm das Team des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2016 die Dienste von Cambridge Analytica in Anspruch. Das britische Unternehmen sollte dabei helfen, mit Hilfe zielgerichteter Online-Werbung Schwarze US-Bürger:innen von ihrer Stimmabgabe abzuhalten. Derweil verkaufte die Österreichische Post Information über die politische Affinität von Millionen Österreicher:innen an Parteien. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren fragwürdige Online-Kampagnen, deren Urheber:innen und Sponsor:innen verschleiert wurden.

Das Parlament muss sich im Trilog durchsetzen

Vor diesem Hintergrund ist heute ein besonderer Tag – auch für mich persönlich. Seit Jahren schreibe ich über die Gefahren von datengetriebenem Targeting in der politischen Kommunikation. Ich habe zu dem Thema Vorträge auf Konferenzen und Fachsymposien gehalten sowie Medien und Wissenschaftler:innen als Experte Rede und Antwort gestanden. Noch vor dem Cambridge-Analytica-Skandal habe ich den Einfluss der umstrittenen Kommunikationstechnik auf den Bundestagswahlkampf 2017 untersucht. Und gemeinsam mit anderen habe ich die Methoden von Cambridge Analytica und Donald Trumps Erfolgskampagne analysiert sowie den  und der in Europa beleuchtet.

Man sollte als Journalist die eigene Wirksamkeit nicht überschätzen. Neben mir gibt es viele andere Menschen in Medien, Forschung, Zivilgesellschaft und Politik, die das Thema kontinuierlich bearbeiten. Immer wieder kamen wir alle zu dem Schluss: Die Folgen von gezielter Werbung sind zu gravierend, um sie weitgehend unkontrolliert den Plattformen und Parteien zu überlassen. Deshalb war ich gespannt, als die EU-Kommission die neue Verordnung vorgeschlagen hat. Nach der heutigen Entscheidung geht der Entwurf nun in die finalen Verhandlungen, also in den Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Uneingeschränkt freuen kann ich mich aber erst, wenn dabei am Ende auch ein vernünftiges Gesetz herauskommt. Denn der Aufschlag der EU-Kommission hat zwar die Hebel an den richtigen Stellen angesetzt. Doch ihm fehlte die Kraft. Die halbherzigen Vorschläge der Kommission wollen die Mitgliedstaaten im Rat obendrein noch weiter aufweichen. Will die EU aber Ernst machen und mit der neuen Verordnung einen weiteren Cambridge-Analytica-Skandal verhindern, dann muss sich vor allem das Parlament im Trilog durchsetzen.

Weniger Daten, mehr Transparenz

Denn im Vergleich zu Kommission und Rat will nur das Europäische Parlament das Targeting deutlich einschränken. Bedauerlicherweise strebt die Mehrheit der Abgeordneten zwar kein umfassendes Verbot gezielter Werbung an. Die vorgeschlagenen Regeln sind aber immerhin so streng formuliert, dass sie deren Missbrauch in der politischen Online-Kommunikation deutlich verringern könnten.

Kommission und Rat hingegen möchten den Status quo in weiten Teilen beibehalten. Ging es nach ihnen, wäre mit der informierten Einwilligung“ als Rechtsgrundlage weiter alles möglich, von dem wir längst wissen, dass es der Demokratie schadet. In Zeiten von Dark Patterns und Plattformmonopolen, die die Autonomie von Nutzer:innen und Bürger:innen gezielt untergraben, ist dies jedoch unzureichend.

Auch beim Thema Transparenz sind Rat und Kommission auf halber Strecke stehengeblieben. Geht es nach ihnen, soll politische Online-Werbung künftig zwar mit weitergehenden Informationen versehen werden. Auf diese Weise soll unter anderem leichter erkennbar werden, wer die jeweilige Werbung finanziert. Doch nur das Parlament fordert, auch Informationen über die Zielgruppenkritierien zu veröffentlichen. Dank dessen könnten Bürger:innen dann ermessen, aus welchen Gründen ihnen eine Anzeige angezeigt wird und Rückschlüsse auf die Absichten der Politiker:innen ziehen.

Und nur das vom Parlament geforderte Transparenzregister, das sämtliche politische Anzeigen auflisten soll, böte den Bürger:innen künftig einen Überblick darüber, mit welchen Botschaften sich politische Parteien an bestimmte Zielgruppen wenden.

Eine Chance für die Demokratie

In den vergangenen Monaten war die Sorge gewachsen, dass die Verordnung auch für herkömmliche Tweets oder Videos gelten könnte, in denen sich Menschen zu Wahlen oder Abstimmungen äußern. Das Parlament entzieht diesen Befürchtungen nun den Boden. Es will klarer definieren, dass von der Verordnung nur Werbung im engeren Wortsinn erfasst wird.

Gewiss, auch der Entwurf des Parlaments ist nicht perfekt. Google und eine Anzahl von Nichtregierungsorganisationen haben sich für ein engen Anwendungsbereich der Verordnung eingesetzt. Sie bezieht sich nun beispielsweise nicht auf die internen Abläufe von Parteien. Diese haben damit weiterhin die Möglichkeit, eigene Datensammlungen für Targeting-Kampagnen zu nutzen, die keinen weitergehenden Transparenzanforderungen unterliegen. Auch das übliche Vorgehen von Plattformen, bestimmte Inhalte gezielt zu forcieren und damit politische Diskurse zu prägen, lässt das Parlament weitgehend unangetastet.

Dennoch kann diese Verordnung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, demokratische Prozesse nachhaltig zu schützen. Für politische Akteur:innen bietet sich damit auch eine Chance: Sie können Nutzer:innen künftig wieder weniger als Datenpunkte, sondern wieder mehr als Bürger:innen betrachten, mit denen sie auch online den Austausch suchen sollten. Wenn wir alle uns wegen der neuen Regelung fortan weniger Gedanken um Datenmissbrauch und intransparente Manipulation machen müssen, bleibt mehr Zeit, um die Möglichkeiten der Digitalisierung in den Dienst von Teilhabe und Demokratie stellen können.


Ein Kommentar von  auf Netzpolitik.org / Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Nachsatz von mir:
Auch die CDU nutzt übrigens ein Programm („connect„) und vertreibt es an ihre Funktionäre, das das Micro-Targeting zum Inhalt hat. Im letzten Bundestagswahlkampf 2021 wurde die Frage danach, weichgespült, so beantwortet:“Wir verfolgen in unserer Kampagne und Ansprache einen wählerzentrierten Ansatz und steuern unsere thematischen Angebote daher auch zielgerichtet aus. Im wesentlichen richten wir uns dabei nach Regionen (Postleitzahlgebieten). Nur im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards nutzen wir die Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache, um mit Menschen in den Dialog zu treten.“ (FR)

Angesichts seiner Gefahren für die demokratische Willens- und Meinungsbildung findet sich Microtargeting auf der Website der Landesmedienanstalt NRW unter dem Menupunkt „Desinformation“. Zu recht.  Mehr …

Todesstrafe

15. Januar 2021

Nachdem die US-Regierung ab Juli 2019 nach fast zwei Jahrzehnten Hinrichtungsstopp voller Tatendrang wieder Gefangene auf Bundesebene hinrichten ließ, will Donald Trump nun im Endspurt seiner Amtszeit offenbar noch einen Zahn zulegen.

Eine 52-jährige Frau starb bereits vor wenigen Tagen mit dem Segen des Präsidenten. Hintergrund für Trumps Hinrichtungseifer könnte sein, dass der neue Präsident Joe Biden eher ein Gegner der Todesstrafe ist – weshalb die Verurteilten auf Gnadenerweise hoffen könnten.

Bei der 52-Jährigen handelte sich um eine psychisch schwer kranke Frau, die nicht mehr in der Verfassung war, ihre Lage überhaupt zu begreifen. 2004 wurde sie wegen Mordes zum Tode verurteilt. Zuvor war sie seit ihrem 8. Lebensjahr extremen, teils sexuellen Misshandlungen und Zwangsprostitution ausgesetzt. Deshalb hatte ihre Schwester in einem Brief an Präsident Trump inständig um die Umwandlung der Strafe in eine lebenslange psychiatrische Unterbringung gebeten. Vergebens.

Die weiteren beiden Todeskandidaten sind schwarze Männer, jeweils wegen Mordes verurteilt. Sie sollen heute und morgen hingerichtet werden. Einer der beiden hat einen Intelligenzquotienten unter 70. Beide sind derzeit mit dem Corona-Virus infiziert. Die Anwälte der beiden begründeten die letzten Anträge auf Umwandlung der Strafe unter anderem mit der Virusinfektion, da die Hinrichtung wegen der geschwächten Lungen grausam sei. Hintergrund ist, dass die Verfassung der USA grausame Strafen verbietet – wobei eine „normale“ Hinrichtung aber nicht als grausam gilt.

Dass Donald Trump auf der anderen Seite noch schnell Angehörige, politisch Gleichgesinnte, Polizisten und Söldner, die wegen Tötungsdelikten verurteilt wurden und Wirtschaftsstraftäter begnadigt hat oder dies zumindest erwägt, macht die Sache nicht gerade besser.

Hintergrundbericht

(Quelle: LawBlog, 15.01.21)

Wochenende

10. Januar 2021

An diesem Wochenende befassten sich die politisch denkenden Mitbürger/innen mit dem vom US-Präsidenten Donald Trump initiierten Sturm seiner Anhänger auf das Capitol in Washington („Let’s walk down“). Ein unfassbarer Vorgang, der dann fünf Menschen das Leben kostete und die Demokratie beschädigte.

Dazu gab es drei Analysen, die ich wichtig finde.

  1. Erst einmal Arnold Schwarzeneggers Twitter-Botschaft mit viel Pathos (für mich zu viel) und dem Conan-Schwert (für mich auch viel zu viel) aber mit einem am Ende  überzeugenden Beitrag.

2. Dann heute früh (da hab ich ihn gelesen) Timothy Snyder’s Essay „The Amercian Abyss“ im Magazin der New York Times.

„Post-truth is pre-fascism, and Trump has been our post-truth president. When we give up on truth, we concede power to those with the wealth and charisma to create spectacle in its place. Without agreement about some basic facts, citizens cannot form the civil society that would allow them to defend themselves. If we lose the institutions that produce facts that are pertinent to us, then we tend to wallow in attractive abstractions and fictions. Truth defends itself particularly poorly when there is not very much of it around, and the era of Trump — like the era of Vladimir Putin in Russia — is one of the decline of local news. Social media is no substitute: It supercharges the mental habits by which we seek emotional stimulation and comfort, which means losing the distinction between what feels true and what actually is true.“

(Wie schön, dass es mit Hilfe von google schnell eine Übersetzung gibt…)

3. Und fast dieselbe Analyse in „Die Lage der Nation“ von Ulf Buermeyer und Philipp Banse. Ein politisch-gesellschaftliches Muss.

 

 

 

 

Viel Ruhe zum Zusehen und Zuhören.

Weltpremiere!

17. Dezember 2020

Leute, endlich. Heute am späten Abend und jetzt (via ARD-Mediathek) schon hier in diesem kleinen Blog. Günther Jauch interviewt (Peter) Trump. Das muss echt sein, diese Weltpremiere.

07.11.2020 #BidenBeatsTrump

7. November 2020

approve

22. September 2020

Genialer Wahlkampfspot.

inability to negotiate

4. Januar 2020

Dieser unberechenbare Präsident hat alles vorher gesagt, als er noch nicht Präsident war:

Geheimdienste

1. Dezember 2019

„Die frisch gewählte EU-Kommission unter der Präsidentin Ursula von der Leyen nimmt ihre Arbeit auf und will sich in den nächsten Wochen gleich mal um die innere Sicherheit und die Geheimdienste kümmern. Dazu hat der frisch abgetretene Präsident Jean-Claude Juncker in seinem Abschieds-Blogbeitrag eine kleine, aber feine Anekdote erzählt. Junker nutzte offenbar in seinem Amt ein altes, nicht verschlüsselndes Nokia-Telefon wie das 3310. Kurz nach einem Telefonat mit seinem Freund Bill Clinton klingelte das Handy und Jacques Chirac war am Apparat. „Was hast du da gerade zu Clinton gesagt, Jean-Claude?“ Wie war das noch mit dem Abhören unter Freunden, das gar nicht geht? Es geht, es ging und es wird weiter gehen, weil es ja um unser aller Sicherheitsphantasma geht.“ (aus wwww / Hal Faber)

Mir hat er zunehmend gefallen, der gewesene EU-Präsident Juncker, wiewohl ich 2014 Schulz besser gefunden habe. Das Präsidenten-Amt hat Juncker in diesen Zeiten jedenfalls ordentlich gemacht, finde ich. Selbst von diesem besch…-gefährlichen, ungebildeten Mr. Trump hat er sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen…

Fake News

10. Oktober 2019

Anlass für dieses exzellente, über soziale Netzwerke verbreitete Deep-Fake-News-Video der französischen Solidarité SIDAinternational besser bekannt als AIDS Solidarity-  ist die „Global Fund’s Sixth Replenishment Conference“ heute in Lyon. Dort werden Vertreter aus vielen Nationen bekannt geben, wieviel ihr Land künftig in die Bekämpfung von AIDS und anderen Infektionskrankheiten wie Malaria und Tuberkulose investieren wird. Das erklärte Ziel der Solidarité SIDA ist es, für künftige Generationen eine Welt ohne AIDS zu schaffen. Mehr…

wisdom

8. Oktober 2019

Es gibt Äußerungen, die lassen mich 😲 dastehen.