Über das F-Wort

2. November 2022

Es geht um Faschismus und da ist jemand „kaum noch anders als mit dem F-Wort zu beschreiben“, titelt die Süddeutsche. Sie informiert über eine Entwicklung, die auch bei unseren Nachbarn Sorge macht. Die einst liberalen Niederlande müssen sich um Echsen und Hundepfeifen kümmern.

Thierry Baudet und sein Forum für Demokratie radikalisieren sich in der Niederlanden zusehends. „Experten halten die niederländische Partei inzwischen für eindeutig faschistisch. Doch das Land fragt sich, ob man ihr Einhalt gebieten sollte.

Während europaweit über die faschistischen oder neonazistischen Wurzeln von Parteien wie den Fratelli d’Italia oder den Schwedendemokraten debattiert wird, ist im niederländischen Parlament längst eine echte faschistische Partei vertreten: das Forum für Demokratie mit seinem Gründer Thierry Baudet an der Spitze. Was von Baudet und seinen Leuten besonders in jüngster Zeit zu hören war, lässt sich kaum noch anders als mit dem F-Wort beschreiben.

Das zumindest denkt ein in den Niederlanden großer Teil der linken bis liberalen politischen Öffentlichkeit. Aber stimmt der Befund überhaupt? Oder nur ein bisschen? Ist es sinnvoll, mit dem Faschismus-Begriff heute noch zu hantieren? Und soll man sich das Treiben des Forums gefallen lassen oder etwas tun dagegen? Darüber wird heftig diskutiert, und auch wenn die Partei derzeit nur fünf Abgeordnete stellt und giert nach solcher Aufmerksamkeit, sind das essenzielle Fragen, denn sie berühren grundsätzliche Aspekte der politischen Kultur und der wehrbaren Demokratie.

Baudet selbst bietet Anlässe en masse für eine entsprechende Charakterisierung. Erst seit 2016 in der Politik, hat der Ultranationalist sich über die Jahre radikalisiert und weit entfernt vom demokratischen Konsens. Wobei viel…

[weiter in der SZ]

In den Niederlanden werden am 14., 15. und 16. März die Kommunalvertretungen gewählt. Längst treten dort auch die Rechtspopulisten an: neben der Wilders-Partei PVV auch das Forum für Demokratie fast im ganzen Land an und treffen auc eine klar Absage.

Beim Auftakt des Stadtratswahlkampfes, den D66 und GroenLinks fast zeitgleich in Rotterdam führten, sprachen sich vor einigen Tagen beide Parteien gegen eine Zusammenarbeit mit den rechtsextremen Parteien PVV und FvD aus.

Jesse Klaver (GroenLinks) betonte, „GroenLinks wird sich nicht mit der extremen Rechten in einer Stadtverwaltung zusammentun“. Er fordert seine Kollegen der anderen Parteien auf, dies ebenfalls zu tun: Es sei Zeit, eine „demokratische Grenze zu ziehen“. Einige Stunden später hatte Sigrid Kaag (D66) eine ähnliche Botschaft: „Auf der Straße trägt der Extremismus Flaggen oder eine Fackel. Im Parlament trägt er eine Krawatte“. Die Metapher passt gut: Vor wenigen Wochen wurde Kaag von einem Mann mit einer Fackel bedroht. Er wollte mir ihr an ihrer Privatadresse über die Corona-Politik sprechen. Jetzt sagt Kaag, D66 wird „nicht mit dem Extremismus regieren“.

Später folgen auch VVD und CDA dem Vorbild. „Ich sehe nicht, dass unsere Abteilungen gemeinsam mit PVV und FvD regieren“, so VVD-Parteichef und Ministerpräsident Mark Rutte. CDA-Anführer Wopke Hoekstra bleibt vage: Er überlässt die Entscheidung den lokalen CDA-Abteilungen, hält eine Zusammenarbeit aber für unerwünscht.

Auch in Twente ist man zurückhaltend. Wenn Brian Geertshuis vom Forum voor Democratie (FvD) in Hengelo bei den Wahlen im März einen Sitz im Stadtrat gewinnt, werden die politischen Parteien nicht mit ihm zusammenarbeiten. „Seine Äußerungen sind beleidigend, bedrohlich und aufrührerisch.“ Eine klare Absage gibt es auch in Almelo, wo FvD zum ersten Mal antritt.

Das ist schon eine andere Einstellung als 2019, als CDA und VVD zusammen mit FvD die provinzielle Regierung in Noord-Brabant formten. Damals war die Parole: „Brabant ist Brabant, Den Haag ist Den Haag“ – die provinzielle Politik habe also nichts mit der nationalen Politik zu tun. So lässt sich eine Zusammenarbeit auf Provinzebene mit FvD rechtfertigen, zu einer Zeit, als der nationale Parteivorsitzende Thierry Baudet immer extremere Äußerungen machte. Die Koalition scheiterte jedoch nach einem Jahr.

Die Situation erinnert an  die Situation in Thüringen 2020, als FDP-Parlamentarier Thomas Kemmerich mithilfe von Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden war. Später wurden CDU und FDP von ihren nationalen Parteichefs zurückgepfiffen. Es scheint, dass Hoekstra und Rutte sich nicht in Den Haag verantworten wollen, falls ihre Parteien regional oder kommunal nochmals mit FvD oder PVV zusammenarbeiten wollen.

Quelle/Material: Niederlande.net

Zaunblick

21. März 2021

Mein sonntäglicher Zaunblick: In der abgelaufenen Woche haben die Niederlande ihr Parlamente, die sog. Tweede Kamer (Zweite Kammer) gewählt. Weil es im Nachbarland keine 5-Prozentklausel gibt, sind inzwischen 17 (!) Parteien in dem 150-Sitze-Parlament vertreten. 27 Sitze werden von ausgewiesen rechtsextremen Abgeordneten besetzt. Schon nach der letzten Wahl dauerte es ausgespochen lange, bis Wahlsieger Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD eine Regierungskoalition bilden konnte. Er hofft zwar, dass es dieses Mal schneller geht (O-Ton: „Bis zum Sommer“), aber was weiß ich schon. Mehr weiß jedenfalls Niederlande.Net, die NL-Plattform an der Uni Münster. Sie titelt ihren Hintergrundbericht: Welche Koalition wird die neue Regierung bilden?

Nach den Parlamentswahlen vom 17. März und dem erneuten Sieg der VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, muss sich dieser nun mit der Koalitionsbildung auseinandersetzen. Dabei liegen für die VVD einige Optionen auf dem Tisch, sie wird wohl allerdings auch auf einige Forderungen des wahrscheinlichen Koalitionspartners D66 eingehen müssen. Die Partei von Sigrid Kaag war der große Gewinner der Wahlen und landete vor PVV und CDA auf dem zweiten Platz.

Inzwischen haben sich die beiden größten Parteien VVD und D66 dazu bekannt, gemeinsam eine Koalition bilden zu wollen. Die VVD beauftragte Annemarie Jorritsma und die D66 Kajsa Ollongren damit, weitere Partner für eine mögliche Koalition auszuloten. Dieser Vorgang ist insofern ungewöhnlich, da es üblich ist, dass nur die größte Partei eine Person mit den Sondierungen beauftragt. Aufgrund der starken Gewinne von D66 sollen nun beide Parteien die Sondierungen führen.

Am Freitagmittag trafen sich die beiden mit der Vorsitzenden der Zweiten Kammer Khadija Arib (PvdA) zu einem ersten Gespräch. Im Anschluss daran betonte Jorritsma das Ziel, bis zum Sommer mit der Regierungsbildung fertig zu sein. Die beiden wollen bereits ab Montag mit den Fraktionsvorsitzenden verschiedener Parteien sprechen. Einen ersten Bericht über ihre Einschätzungen müssen die beiden Verhandlungsführerinnen spätestens am 30. März veröffentlichen. Darin werden sie wahrscheinlich empfehlen, welche Kombination von Parteien als erstes untersucht werden sollte.

Unterdessen wird in den niederländischen Medien bereits darüber diskutiert, wie das nächste Kabinett aussehen könnte. Gute Chancen sehen dabei viele für eine Weiterführung der aktuellen Koalition zwischen VVD, D66, CDA und ChristenUnie. Dafür spricht, dass VVD und CDA bereits vor der Wahl angedeutet haben, dass man sich eine erneute Koalition vorstellen könne. Außerdem hätte die Koalition eine breitere Mehrheit als bisher. Dagegen spräche, dass die Koalition in der Vergangenheit nicht immer reibungslos funktionierte, was häufig eine Blockade der ChristenUnie bei ethisch-moralischen Fragen, wie beispielsweise einer Reform der aktiven Sterbehilfe, geschuldet war. Außerdem könnte sich D66 dafür einsetzen, dass eine progressivere Partei in die Koalition eintritt.

Im linken Spektrum gibt es mehrere Parteien, die in Frage kommen würden. So suchte Ministerpräsident Rutte im Wahlkampf vorsichtige Annäherungen an Lilian Marijnissen und ihre SP. Diese spricht wiederum D66 wegen ihrer EU-kritischen Haltung nicht an. D66 würde sich eher eine Koalition mit GroenLinks wünschen, woran wiederum die VVD kein Interesse hat. Übrig bliebe eine Koalition mit der PvdA, welche sich bei neun Sitzen stabilisieren konnte, was von vier Jahren das historisch schlechteste Ergebnis der Partei war.

Die PvdA würde sich an sich perfekt eignen, um in die Koalition einzutreten. Die Partei ist ein verlässlicher Partner und hat bereits erfolgreich in einem Kabinett gemeinsam mit der VVD gearbeitet. Dennoch könnte es schwer werden, die Partei in die Regierung zu lotsen. Im Wahlkampf betonte die Partei nachdrücklich, dass man nur in ein Kabinett mit linken Parteien eintreten möchte. Besonders eng hat die PvdA mit GroenLinks zusammengearbeitet. Die beiden Parteien wollen nicht ohneeinander in eine Koalition eintreten. Es wird spekuliert, dass die beiden Parteien nach den enttäuschenden Wahlergebnissen eine Fusion anstreben könnten. Sollte eine der beiden Parteien allerdings in eine Koalition eintreten, wäre dieses Vorhaben auf absehbare Zeit nicht zu realisieren. VVD und D66 würde es mit Sicherheit einiges an Mühe kosten die beiden Partner voneinander loszueisen.

Dass es eine rechte Koalition ohne D66 geben wird, gilt als höchst unwahrscheinlich. Mark Rutte hatte eine Koalition mit der PVV von Geert Wilders im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Am Tag nach der Wahl brachte Thierry Baudet, der Parteiführer des rechtsextremen FvD, eine Koalition aus VVD, PVV, FvD und den Neulingen von JA21 ins Spiel. Baudet gehört selbst zu den großen Gewinnern der Wahl. Obwohl seine Partei im vergangenen Jahr von mehreren Rassismusskandalen und der Absplitterung von JA21 erschüttert wurde, konnte die Partei sechs Sitze hinzugewinnen. Eine realistische Möglichkeit stellt die von Baudet ins Spiel gebrachte Koalition allerdings kaum dar.

Die Koalitionsbildung wird auf alle Fälle ein komplexer Prozess, wie bereits Jorritsma und Ollongren festgestellt haben. Wahrscheinlich ist allerdings, dass die drei Koalitionsparteien VVD, D66 und CDA weiter zusammenarbeiten werden – mit oder ohne ChristenUnie. (Quelle: NiederlandeNet)

Weitere Informationen zu den Ergebnissen der Wahl gibt es hier:

Wahlergebnis – VVD größte Partei, gefolgt von D66 und PVV

So wählten die Provinzen Overijssel und Drenthe (Quelle GN, €)

Es ist ein parteipolitisches Erdbeben, das täglich neue pikante Schlagzeilen hervorbringt: Das Forum voor Democratie und sein inzwischen zurückgetretener Gründer und Vorsitzender Thierry Baudet befinden sich in einer Krise, die immer mehr zu einer öffentlichen Schlammschlacht mutiert. Ein Lagebild.

Gut zweieinhalb Jahre ist es her, da feierte das in den Kinderschuhen steckende Forum einen bis dahin beispiellosen Erdrutschsieg bei den Wahlen der Provinzparlamente in den Niederlanden. Nach dem im Vorjahr direkt erreichten Einzug in die Zweite Kammer, konnte man nun nicht nur seine Wählerschaft erheblich vergrößern, man avancierte sogar zur stärksten Partei im landesweiten Vergleich. Bereits vor den Europawahlen 2019 war allerdings ein Abstiegstrend erkennbar, der sich im Wahlergebnis bestätigte und auch im Folgenden keinen Abbruch nahm. Inzwischen sind die Rechtspopulisten in Umfragen bei etwa 4% angekommen – im Januar waren es noch fast 10%.

Nachdem Baudet am Montag vor einer Woche überraschend als Spitzenkandidat für die Parlamentswahlen 2021 zurückgetreten war und tags darauf in ebenso plötzlicher Manier auch seinen Rücktritt als Parteivorsitzender und -leiter verkündete, scheint es, als gäbe sich das Forum den eigenen Gnadenstoß nun selbst. Als Baudets Hauptantagonistin in der Fehde kann vor allem Erste Kammer-Senatorin Annabel Nanninga ausgemacht werden. Auf ihren und den Druck weiterer Parteimitglieder hin kommt es zum Konflikt mit Baudet, der später erklärt, die „allerletzte politische Verantwortlichkeit“ für das Handeln des FvD-Jugendverbands zu tragen, indem er seinen Platz in der Wahlliste zur Verfügung stellt. Damit rückt er letztlich nicht von seiner Meinung ab, die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses abwarten zu wollen und stellt sich demonstrativ vor den Vorsitzenden der Jugendorganisation, Frederic Jansen.

Dieser tut es ihm am darauffolgenden Dienstag gleich, indem er seine Positionierung an Stelle sieben der Liste ebenfalls aufgibt. Auch andere Politiker der Partei ziehen nun nach. Theo Hiddema, der zusammen mit Baudet die FvD-Fraktion in der Zweiten Kammer bildete, lässt sein Mandat fallen und auch Paul Cliteur, Senator und intellektueller Mentor des Parteibegründers, zieht sich mitsamt seinem Amt zurück.

Weil „die Ruhe nicht in die Partei zurückgekehrt“ sei, nachdem er zurückgetreten war, gibt Baudet am Mittwoch auf dem Twitter-Kanal des Forums bekannt, sich für bald anstehende Wahlen als Parteivorsitzender als Kandidat aufzustellen. Sein Vorgehen ist jedoch nicht mit der übrigen Führung abgesprochen. Indem nur er über die Zugangsdaten der Social Media-Kanäle und IT-Systeme verfügt, hat der Vorstand keinen Zugriff mehr auf selbige. Im Gegenzug tauscht die Leitung die Schlösser im Parteibüro in Amsterdam aus und droht Baudet mit rechtlichen Schritten. Darüber hinaus wenden sich drei der fünf Mitglieder des Vorstands gegen Baudet und erwägen, ihn aus der Partei auszuschließen. Dieser reagiert wiederum irritiert: „Sind diese Leute alle verrückt geworden? Ich habe Forum voor Democratie gegründet.“

Am Abend desselben Tages meldet sich die Erste Kammer-Abgeordnete Nicki Pouw-Verweij in einem Brief an die Parteileitung zu Wort. Darin behauptet sie, dass Baudet krude Verschwörungstheorien bei einem Dinner der Kandidaten für die Parlamentswahlen am vergangenen Freitag geäußert habe. So sei er der Auffassung, dass das Coronavirus vom amerikanisch-ungarischen Milliardär George Soros abstamme und solle gefragt haben, woher der „Kreuzzug gegen den Antisemitismus“ herrühre. Joost Eerdmans und Eva Vlaardingenbroek, weitere prominente Teilnehmer am Abendessen, bestätigen die Aussagen, während Baudet sie umgehend vehement leugnet.

Am Donnerstagmorgen plädiert Baudet schließlich in einer Fernsehsendung für eine „Gütertrennung“. Wie bei einer Ehescheidung sollten die Finanzen zwischen seinem und dem oppositionellen Lager geteilt werden. Dabei müsse sich jedoch die andere Seite einen neuen Namen suchen, da er als Parteibegründer ein Recht auf diesen habe. Diesem Vorstoß schlägt Lennart van der Linden, Vizevorsitzender des FvD, zunächst aber einen Riegel vor. Demnach wolle der Vorstand zunächst die Zugangsdaten zu den IT-Plattformen und Parteikanälen in den sozialen Medien zurück, erst dann könne man weiterverhandeln.

Die Situation scheint eingefahren und eine Lösung derzeit nicht in Sicht. Fakt dürfte aber sein, dass das Forum bereits jetzt einem schwer zu reparierenden Imageschaden unterlaufen ist. Ob der Vorschlag der Parteileitung von Dienstagmorgen noch auf dem Tisch liegt, für Baudet im Europäischen Parlament als Entschädigung für die Aufgabe seiner führenden Rolle innerhalb des Forums einen Platz freizuräumen, ist fraglich. Unabhängig davon scheint es aber auch unwahrscheinlich, dass sich der 37-Jährige mit dieser Lösung zufrieden geben wird. Weitere spannende Tage stehen in den Niederlanden bevor.

[UPDATE 27.11.2020]
Die Parteileitung des FvD hat am Donnerstagmittag in einer Pressemeldung bekannt gegeben, dass in einer bald anstehenden Mitgliederversammlung über die Position Thierry Baudets als Parteileiter abgestimmt und ein neuer Vorstand gewählt werden solle. Als Bedingung dafür müsse Baudet eine Medienpause einlegen und sich aus dem Führungsorgan zurückziehen. Die Maßnahmen sollten dazu beitragen, wieder Ruhe in die Partei einkehren zu lassen. Die Bekanntmachung erfolgte ohne Vorstandsmitglied Astrid de Groot, die sich dazu entschied, von ihrem Amt zurückzutreten, wodurch sich die Vorstehenden auf nunmehr 4 Mitglieder dezimiert haben. Die Parteimitglieder Eerdmans, Nanninga, Nicki-Verweij und Vlaardingerbroek erklärten der Öffentlichkeit etwas früher ebenfalls ihren Rückzug, indem sie aus der Partei austreten, nicht jedoch ihre Mandate ruhen lassen.

Insgesamt hat sich somit die Hälfte der ursprünglichen Kandidatenliste für die Parlamentswahlen bereits verabschiedet. Weitere Erste Kammer-Abgeordnete und die Forum-Fraktion im Gemeinderat Amsterdams folgten am Freitag. Nicht auszuschließen ist, dass auch mehrere Europaparlamentarier, die sich für eine Verbannung Baudets ausgesprochen hatten und die interne Abstimmung nun noch abwarten wollen, zu einem späteren Zeitpunkt nachziehen.


(Quelle: Niederlande.net; Foto: Thierry Baudet, CC FvD )

wie in Thüringen

19. Februar 2020

In Deutschland herrscht wegen der Vorkommnisse bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Aufruhr in der politischen Landschaft. Auch in den Niederlanden gibt es jetzt  eine ähnliche Entwicklung, da sich die rechtspopulistische Partei Forum voor Democratie derzeit in der Provinz Noord-Brabant in Koalitionsverhandlungen mit dem CDA und der VVD befindet. Das reißt bei vielen Mitgliedern des CDA alte Wunden wieder auf.

Nachdem der christlich-demokratische CDA im Dezember letzten Jahres aus der Regierungskoalition der südniederländischen Provinz Noord-Brabant austrat, stehen nun neue Verhandlungen zur Bildung einer Regierung an. Jedoch sorgte die Tatsache, dass der Verhandlungspartner von CDA und der rechts-liberalen VVD dieses Mal das rechtspopulistische FvD ist, für einen Aufschrei in der politischen Landschaft der Niederlande – vor allem innerhalb des CDA selbst. Gegner dieser Verhandlungen fühlen sich laut niederländischer Medien an das Jahr 2010 zurückerinnert, in dem CDA und VVD eine Minderheitsregierung mit der ebenfalls rechtpopulistischen PVV von Geert Wilders bilden wollten. Laut der Tageszeitung NRC Handelsblad rissen die damaligen Verhandlungen den CDA beinahe auseinander und sorgten für eine tiefe Wunde innerhalb der Partei.

Die Gegner der damaligen Zusammenarbeit mit der PVV melden sich auch nun wieder zu Wort. Der CDA war vor rund zwei Monaten aufgrund seiner Unzufriedenheit mit den Maßnahmen zur Regulierung des Stickstoffausstoßes aus der Regierung der Provinz Noord-Brabant ausgetreten. Dem CDA zufolge wären die aus diesen Maßnahmen resultierenden Konsequenzen für die Bauern der Provinz zu tiefgreifend gewesen. Folglich zerfiel die Provinzregierung Noord-Brabants, woraufhin der CDA sich entschied, die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit der VVD und dem FvD fortsetzen zu wollen. Das FvD war bei den Wahlen der Provinzialparlamente im März letzten Jahres überraschend als Sieger hervorgetreten, da die Partei aus dem Nichts heraus 12 Sitze in der Ersten Kammer der niederländischen Regierung erhielt. In Noord-Brabant sitzen derzeit 9 Abgeordnete für das FvD im Parlament. Nach CDA (8 Abgeordnete) und VVD(10) sind sie damit die drittstärkste Fraktion.

Thierry Baudet, Gründer und Parteivorsitzender des FvD, steht aufgrund seiner Haltung gegenüber Europa, Einwanderern und Frauen immer wieder in den Niederlanden in der Kritik. Zuletzt sorgte ein Tweet Baudets für Aufsehen, in denen er angebliche Einwanderer beschuldigte, zwei seiner Freundinnen in einen Zug belästigt zu haben. Als sich hinterher herausstellte, dass es sich dabei um Fahrkartenkontrolleure und einen Polizisten in Zivil handelte, denen die beiden Frauen ihre Tickets nicht vorzeigen wollten, wurde Baudet unter anderem scharf dafür kritisiert, dass er sich bei den Betroffenen nicht entschuldigte.

Laut Rob Jetten, Fraktionsvorsitzenden der D66, senden VVD und CDA durch die Verhandlungen mit dem FvD falsche Signale. Im NRC Handelsblad sagte er:

Baudet hat in den vergangenen Wochen die Unabhängigkeit unseres Rechtsstaates zur Debatte gestellt, Journalisten politischer Präferenzen und Fehlinformationen bezichtigt. […] Er hat in den vergangenen Wochen eine Gruppe unserer Bevölkerung zum soundsovielsten Mal über einen Kamm geschoren und lächerlich gemacht.

Will van der Kruijs, ehemaliger Vorsitzender des CDA in Noord-Brabant, sagte in einer Tageszeitung, es sei verständlich, dass der CDA in Den Haag die Regierungsverhandlungen in Noord-Brabant mit Argusaugen beobachte.

Formal stimmt es, dass die Provinz einen autonomen Status hat, aber es wäre doch schön, wenn wir uns Klarheit über unsere Haltung gegenüber dem Forum verschaffen.“ 

Zu welchem Ergebnis die Verhandlungen im Süden der Niederlande führen werden und welche Konsequenzen das für den CDAhaben wird, bleibt abzuwarten. Pieter Heerma, Fraktionsvorsitzender des CDA in der Zweiten Kammer der Niederlande, wolle die Abwägung über eine Zusammenarbeit mit dem FvD den Kollegen in Noord-Brabant überlassen. Viele Befürworter dieser Zusammenarbeit betonen, dass das provinziale FvD sich deutlich von Thierry Baudet und seinen Taten und Äußerungen unterscheide. Gegner wiederum fürchten laut dem NRC Handelsblad, dass Wähler die Taten des CDA in Brabant mit dem CDAauf Landesebene in Verbindung bringen.

Selbst wenn es zu einer Koalition zwischen CDA, VVD und FvD in Noord-Brabant kommen wird, so ist für eine Mehrheitsregierung immer noch die Zusammenarbeit einer vierten Partei notwendig, da den drei Parteien ein Sitz für eine Mehrheit fehlt.

Diese Diskussion in den Niederlanden erinnert an den Skandal rund um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, in der die AfD im dritten Wahlgang überraschend dem Kandidaten der FDP ihre Stimmen gab. Allerdings sind die niederländischen Provinzen nicht völlig mit den deutschen Bundesländern gleichzusetzen. Die Provinciale Staten (deutsch „Provinzialstaaten“) sind etwa das Organ der Volksvertretung in den Provinzen, aber die Provinzen verfügen nicht über dieselbe „Eigenstaatlichkeit“ wie deutsche Bundesländer. Sie bilden vielmehr Verwaltungstrukturen, die vom niederländischen Staat auch aufgehoben oder neu eingeteilt werden könnten. So wurde beispielsweise nach der Trockenlegung großer Teile des IJsselmeers die Provinz Flevoland neu gegründet.

(ein Beitrag von/auf Niederlande.net)

frühestens

29. April 2019

Niederlande.Net, die Internetseite von der Uni Münster, publiziert die  Binsenweisheit: „Nach der Wahl ist vor der Wahl“, und lässt uns dann etwas in die politische Entwicklung bei den niederländischen Nachbarn schauen. Dort wurden am  20. März die Provinzialparlamente gewählt, und  schon am 23. Mai werden die Niederländer erneut für die Europawahl zur Wahlurne gebeten. Die Parteien bringen sich daher in Stellung. Beim großen Wahlsieger der Provinzialwahlen, dem Forum voor Democratie (FvD), fordert Schatzmeister Henk Otten den Kurs des Vorsitzenden Thierry Baudet heraus. Otten wittert die Gefahr, dass das FvD mit ihrem Nationalismus auch Rassisten und Faschisten anlocken könnte. Lieber möchte sich Otten auf Sachthemen wie Steuern und Integration konzentrieren. Auch bei der VVD, der liberalkonservativen Partei, die mit Mark Rutte den Ministerpräsidenten der Niederlande stellt, stehen die Segel auf Kurswechsel. Der VVD-Fraktionsvorsitzende in der Zweiten Kammer Klaas Dijkhoff möchte sich künftig auf die gesellschaftliche Mitte konzentrieren.

Seit der Gründung im Jahre 2016 hat das FvD eine steile Karriere hingelegt: Bei den Parlamentswahlen 2017 errang die Partei noch 2 von 150 Sitzen, bei den vergangenen Provinzialwahlen konnte die Partei bereits die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Nicht zuletzt ist der Erfolg des FvD mit dem Spitzenmann Thierry Baudet zu erklären. Er gilt als schillernde Medienpersönlichkeit und ist häufiger Gast in Talkshows. Darüber hinaus beherrscht er Social Media wie Facebook und Instagram wie kein Zweiter. Baudet polarisiert mit seinem Auftreten. Oft hat er sich in der Vergangenheit zu der Idee eines „weißen Nationalismus“ bekannt. Europa solle nach Baudets Vorstellungen mehrheitlich von weißen Menschen bewohnt werden. Zudem pflegt er Kontakte zu rechten Bewegungen wie der US-amerikanischen Alt Right. All das bescherte Baudet reichlich Kritik: Er sei Rassist, heißt es vom politischen Gegner.

Eine Eigenart Baudets ist, dass er gerne seine Belesenheit zur Schau stellt. So zitiert er öffentlich Philosophen, nimmt Worte wie Oikophobie oder Kulturmarxismus in den Mund und hält seine erste Parlamentsrede zum Teil auf Latein. Sein Intellekt stößt dabei nicht immer auf Gegenliebe, auch nicht in eigenen Reihen. Henk Otten, Mitgründer des FvD, macht Baudet seine Verkopftheit sogar zum Vorwurf: „Es ist schön und gut, gewagte Thesen in den Mund zu nehmen, aber wir sind jetzt eine große Partei. (…) Worte haben Konsequenzen. Man muss Verantwortung für andere Menschen übernehmen“, sagt Otten gegenüber der Tageszeitung Trouw.

Ottens Ziel ist aber ein anderes: Er will das FvD dem Verdacht entziehen, extrem rechte Positionen zu besetzen. „Faschismus, Rassismus, damit will ich nichts zu tun haben“, gibt Otten im Interview mit dem NRC Handelsblad zu. Er will keine Fundamentalopposition, sondern fordert Pragmatismus ein: „Wir wollen nicht wie die Sozialisten von der SP mit Tomaten werfen und gegen alles stimmen“, sagt er. Doch genau das drohe seiner Meinung nach. In den Provinzen Flevoland und Overijssel verweigert sich beispielsweise die sozialdemokratische PvdA einer Zusammenarbeit mit dem FvD. Auch möchte Otten weg vom EU-Bashing. In Anbetracht des Brexit-Chaos könne man einen EU-Austritt der Niederlande nicht mehr vertreten, so Otten, doch genau darauf pocht sein Gegenspieler Baudet.

Das NRC-Interview von Otten erhitzt auf Social Media die Gemüter. „Betreibt der Schatzmeister Otten einen Coup gegen den Vorsitzenden Baudet? Will er die rechtsextremen Ränder der Partei entfernen und einen neue VVD gründen? Oder war das Interview ein mit Baudet ausgeheckter Plan, um verschiedene Wählergruppen anzusprechen?“, fasst Politikjournalist Philipp de Witt Wijnen den Zwist zusammen. Klar ist: Die Kursdebatte und der Erfolg des FvD setzt auch andere Parteien unter Druck, allen voran die liberale VVD. Umfragen zufolge ist es im Moment schlecht um die VVD bestellt. Auch mussten die Konservativliberalen den Platz 1 bei den Provinzialwahlen an das FvD abgeben. Nicht zuletzt haben zahlreiche enttäuschte VVD-Wähler ihr Kreuzchen beim FvD gemacht. Das soll sich bei den Europawahlen nicht wiederholen, so viel steht für die VVD fest.

Klaas Dijkhoff, VVD-Fraktionschef, möchte deshalb den aktuellen Parteikurs zur Debatte stellen. Mit einem Debattenbeitrag unter dem Titel Liberalismus, der für alle Menschen funktioniert plädiert Dijkhoff für einen Kurs der Mitte. Das bedeutet: keine Zugeständnisse für FvD und auch nicht für Konkurrenten von links. Stattdessen möchte Dijkhoff der Mittelschicht und den kleinen und mittelständigen Unternehmen unter die Arme greifen. Die Marktmacht von Großkonzernen wie Google und Amazon gelte es aus seiner Sicht zu beschneiden. Gleichzeitigt verteidigt er seine zurückhaltende Haltung in der Klimapolitik. Dijkhoff geriet des Öfteren in die Schlagzeilen, weil er kostspielige Klimamaßnahmen ablehnt: „Man braucht nicht kürzer zu duschen, das Wasser ist genauso warm wie jetzt, man braucht kein Schuldgefühl im Flugzeug zu haben und der Klecks Mayo schmeckt auch immer noch genauso lecker wie vorher“, schreibt Dijkhoff mit gewisser Polemik.

Auffallend an Dijkhoffs Schrift ist sein Lobgesang auf „ein starkes Europa, in dem die Länder zusammenarbeiten“. Bisher kannte man derartige Hymnen auf Europa eher aus dem Mund von Premier Rutte. Vielleicht möchte sich Dijkhoff aber genau dadurch vom FvD im Europawahlkampf abgrenzen: „Es liegt an der VVD, eine Alternative für den Lockruf der populistischen Rhetorik anzubieten“, so Dijkhoff in seinem Debattentext.

Wie und ob dies gelingen wird, zeigt sich frühestens (im O-Text von Niederlande.net lese ich spätestens)  am 23. Mai.