17 Ratsmitglieder haben gestern den Haushaltsentwurf der Stadt Lingen (Ems) für das Jahr 2023 abgelehnt. Nur 22 aus der Gruppe CDU-FDP und der OB stimmten mit Ja, vier Ratsmitglieder fehlten. Ein (fast) historisches Ergebnis.  Mit Nein stimmten jeweils geschlossen die BürgerNahen, die Fraktion von Bündnis’90/Die Grünen mit der FWL und die SPD-Vertreter, um sich zeitgleich von der CDU/FDP-Gruppe und OB Krone anzuhören, dass ihre Kritik unberechtigt sei und sie sich an beide hätten wenden müssen, um „im Gespräch außerhalb der Ausschusssitzungen“ mehr von den eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Die nämlich hatte die CDU/FDP-Gruppe in den Asschussberatungen zuvor fast vollständig abgelehnt. Mit dieser Art des „Victim-Blaming“ überzeugte die müde wirkende Ratsmehrheit aber inhaltlich nicht.

Robert Koop, Fraktionschef der Fraktion „Die BürgerNahen“, hatte zuvor das Votum der BN so begründet:

„(Anrede)

Lassen Sie mich -in der gebotenen Kürze- unsere Stellungnahme zum Haushalt abgeben:

1.  Wir wissen sehr wohl, dass eine Haushaltssatzung nicht automatisch dazu führt, dass sich binnen eines Jahren die Verschuldung der Stadt um 36 Mio Euro erhöht. Aber dies kann der Fall sein. Und hinzu kommen die noch offenen Kreditermächtigungen aus 2021 und 2022 in Millionenhöhe. Eine solche Etatwirtschaft ist nicht richtig.

2. Sie geht einher mit einer enormen Ausweitung des Personaletats. Alles in allem übersteigen die Personalkosten aktuell  geradezu unerhörte 35 Millionen Euro – rund 6 Millionen mehr als noch 2021. Zur Erinnerung: Das Jahr 2021 liegt  gerade einmal  15 Monate zurück. Diese Politik nimmt die Kraft zu Investitionen. Das ist falsch.

3. Wir halten auch den Beschluss für grundfalsch, den Etat zu einem Großteil mittels sogenannter Liquiditätsdarlehen auszugleichen, die ja in Wahrheit Kontokorrentdarlehen sind. Das nämlich höhlt das Kontrollrecht des Rates aus. Nicht mehr ein Darlehen wird aufgenommen sondern der OB erhält einen erheblichen Freiraum, die Stadt zu verschulden, ohne dass dem Rat die genauen Konditionen bekannt sind. Diese Art der Verschuldung steht mit 40 Millionen Euro im Beschlussvorschlag. 40 Millionen ! Das ist doppelt so viel wie in den letzten Jahren und bereits das war nicht in Ordnung.

4. Auch der Haushalt der zu 100% städtischen Grundstücks- und Erschließungsgesellschaft macht uns große Sorge. Die Gesellschaft schiebt Darlehen von 22 Millionen Euro vor sich her Das ist der Stand vom 31.12.2021, also nicht einmal aktuell. Der Haushalt enthält trotzdem keinen Vorschlag, diese Gesellschaft zu entschulden, obwohl allein die Schuldenlastfür 22 Mio Verbindlichkeiten den Etat dieser Gesellschaft mit knapp 1 Mio Euro Zinsen belasten wird.

5.  Auch in diesem Jahr sind wieder fast alle Sachanträge der BürgerNahen abgelehnt worden.

Erfolgreich war dabei allerdings die fraktionsübergreifende Balkonkraftwerk-Initiative der BN und der Grünen für  mehr Photovoltaik. Allerdings ist die Zielgruppe natürlich eine andere als die, die wir als BN vor Jahresfrist vorgeschlagen haben:  Die BN wollte arme Lingener Haushalte entlasten und ihnen kostengünstig, quasi zum Nulltarif Balkonkraftwerke zur Verfügung stellen,. Das ist damals abgelehnt worden. Jetzt kommen zwar Balkonkraftwerke, aber nur für solche Haushalte, die mal eben einige Hundert Euro ausgeben können. Das ist zwar nicht schlecht, aber der erste BN-Vorschlag war besser und da müssen wir auch wieder hin.

Ohnehin reicht das Ja zu Balkonkraftwerken oder auch zu Großbaumverpflanzungen ebenso wenig aus, zu überzeugen, wie die Annahme des rein organisatorischen Vorschlags der BN, für 2024/2025 einen Zweijahreshaushalt aufzustellen. Damit können wir dann den Haushalt 2026 wieder zum Jahresbeginn vorlegen, so wie es das Gesetz verlangt und wie es auch notwendig ist, um nicht erst dann die Etat-Investitionsmittel zur Verfügung haben, wenn nach Genehmigung des Haushalts das Jahr zur Hälfte oder drei Viertel rum ist.

Abgelehnt wurden leider auch alle Perspektivanträge der BürgerNahen. Also Anträge, die etwas für die Zukunft zu tun. Geradezu körperlich unangenehm und statisch empfinden wir dabei das Nein zu der von uns vorgeschlagenen Stabsstelle Gesundheitsförderung – angesichts der drängenden Sorgen im Bereich der Gesundheitsförderung und ärztlichen Versorgung muss die Kommune so schnell wie möglichhandeln. Weil dieser Antrag so wichtig und ein Herzensanliegen war und ist noch einmal die Formulierung:

„Lingen braucht angesichts seiner Größe und immer weiter steigender, vielfältiger gesundheitlicher Problemstellungen unterhalb der Landkreisebene eine qualifizierte örtliche Ansprech- und Clearingstelle zur Gesundheitsförderung.

Ihre Aufgaben sollen Sicherung und Verbesserung der ärztlichen und fachärztlichen Versorgung in der Stadt sein, der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern, gesetzlichen Krankenversicherungen, Ärztevereinen, Apotheken und Kammern, betriebsärztlichen Stellen, Hilfsorganisationen sowie die Prävention – auch in Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeauftragten und der Gleichstellungsbeauftragten und von Vereinen, die sich um Menschen kümmern, die infolge ihres seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

Die Stabsstelle soll gesundheitsfördernde Entwicklungsprozesse in der Stadt anstoßen, koordinieren und begleiten, insbesondere in Kitas und Schulen sowie Senioreneinrichtungen. Sie soll die Stadtplanung aus gesundheitspräventiver Sicht begleiten, insbesondere mit Bereitstellung/Unterhaltung von Sport- und Grünflächen, Fahrrad- und Fußwegen etc. Sie soll Vereine fördern (insbesondere Sportvereine) zur Gewährleistung niedrigschwelliger Zugänge zu Bewegungsangeboten unddie Schaffung von Bewegungsgelegenheiten, -räumen und sonstigen infrastrukturellen Voraussetzungen für Bewegung (z. B. Fahrradstellplätze, Umkleidemöglichkeiten) anregen und fördern.

Sie soll Gesundheitsnetzwerke bilden und fördern sowie MultiplikatorInnen gewinnen.“

Und was ist bei dieser Initiative herauskommen? Erst einmal der nicht sonderlich intelligente Versuch des OB, das Thema in der nicht-öffentlichen Sitzung verschwinden zu lassen, weil es ja um eine neue Stelle im Rathaus gehe. Da aber gehört es natürlich überhaupt nicht hin. Dann wurde der Antrag abgelehnt, weil doch der Landkreis für das Gesundheitsamt zuständig sei und man ggf. für die Ansiedlung von Ärzten Wirtschaftsförderungsmittel einsetzen werde. 

Doch stell dir bloß vor, du bist krank und musst nach Osnabrück oder Münster, Oldenburg oder gar Bremen, um mit einem Doc zu sprechen. Das ist leider die Realität, weil wir uns nicht vorbereiten, da ja Andere zuständig sein sollen. Ich frage: Auch für und in Lingen?

Wenn ja, dann sagt das bitte öffentlich den Menschen in Lingen, die unter der unzureichenden Gesundheitspolitik im wahrsten Sinne leiden. Keiner der Punkte, die wir vorschlagen wird jedenfalls aktuell vom Landkreis gelöst oder angegangen. Was wir vorschlagen, fehlt bisher völlig und muss unterhalb der Landkreisebene für unsere Stadt mit den vom OB immer wieder zitierten „knapp 60.000 Einwohnern“ angegangen werden. Die Ratsmehrheit aber nimmt diese, sich aufdrängenden  Notwendigkeiten leider aus dem Blick.

Abgelehnt wurden auch unsere BN-Vorschläge für Machbarkeitsstudien, etwa die für den vom Rat beschlossenen zweiten, barrierefreien Zugang zum Bahnhofsgleis 2, zur Verbesserung der Bahnverbindungen nach Westfalen und Osnabrück, der LiLi-Busse und die deutliche Verbesserung des Engagements für Europa. Zu allem Nein. Und unsere BN-Punkte zur Verbesserung des Fahrradverkehrs allesamt ebenso.

Mit diesen Nein gibt die Ratsmehrheit Entwicklungsmöglichkeiten aus der Hand, die für unsere Stadt wichtig sind. Unlängst hat der OB gradezu vorwurfsvoll an unsere BN-Adresse formuliert, man brauche für eine Verbesserung des Zugverkehrs „viel mehr Zeit“. Das habe er jetzt in Münster bei Gesprächen um besseren Nahverkehr gesehen. Seine Aussage war erkennbar keine Selbstkritik, weil er der Verbesserung keine Priorität eingeräumt hatte und einräumt. Er kritisierte stattdessen uns, die wir auf die offenkundigen Defizite hinweisen. Bei so viel achselzuckender Resignation  schlagen wir demOBein Praktikum bei seinem Nordhorner Amtskollegen vor. Der zeigt nämlich, wie es mit dem Zugverkehr so gehen kann, und dass man sich mit dem IST-Zustand nicht abfinden darf. Um ihn zu ändern und zu verbessern, muss nämlich irgendwann anfangen. Endlich anfangen.Alles andere ist Stillstand und Stillstand ist, worauf der Ratskollege Hermann Gebbelen (CDU) oft hinweist, schlecht.

Wie die Verbesserung bei der Bahn in Ost/West-Richtung zeigt, ist das natürlich völlig falsch. Wenn der Zugverkehr aus den Niederlanden Richtung Berlin schneller wird, werden das Emsland und auch unsere Stadt einmal mehr abgehängt, gnadenlos abgehängt und zwar deshalb, weil es keine Vorschläge gibt und weil Sie und der OB solche auch nicht einmal entwickeln lassen wollen. 

Die Menschen in Lingen brauchen jedenfalls die Änderungen im Verkehrswesen, zumindest schon aus Klimagründen.  Apropos Klima: Dazu enthält der Etat 2023 fast nichts. Auch der Hinweis des Kollegen Gebbeken, auf der EmslandArena würden nun Photovoltaik installiert, bestätigt dies. Es ist ein Investment der Stadtwerke, nicht der Stadt.

Der Weltklimarat hat in dieser Woche unterstrichen, dass es nicht mehr 5 vor 12, sondern später ist. Der OB ernennt uns zwar gerade zur Wasserstoffhauptstadt. Das aber machen ganz viele andere Städte auch. Googlen Sie mal Wasserstoff und Hauptstadt. Wasserstoff ist zu begrüßen, aber es reicht nicht aus. Dabei opfern wir gleichzeitig Klimaziele oder einfach auch wichtige Ressourcen., zum Beispiel unsere Bäume. Reihenweise fallen sie wegen ihres wichtigsten Attributs, der Beschattung,  zum Opfer. Wie jüngst am Christophoruswerk. Auch das standen sie auf privatem Grund und wir als Stadt verhinderten die Fällarbeiten einfach nicht, weil sie angeblich die PV-Anlage beschatteten. Damit sägen wir mit. Wohin führt das? Wann entschließen wir uns zu effektiven Schutzmaßnahmen? Wie lange lassen wir das Fällen der Bäume zu, weil sie vermeintlich im Weg stehen. Welch doppelte Moral!

6. Zum Abschluss noch dies: Ich bedanke mich beim OB für eine gewonnene Flasche Wein. Sie, Herr OB hatten nämlich im vergangenen Jahr informell meinen Fraktionskollegen erklärt, die BN habe in 2022 „viel zu viel“ gefordert. Nur deshalb seien alle Punkte abgelehnt worden. Wenn sich die BN aber  auf „10-12 gute Vorschläge“ beschränke, werde das völlig  anders aussehen. Dann werde die Ratsmehrheit den Vorschlägen zustimmen. Da habe ich sehr geschmunzelt, als ich das hörte, und dann um eine Flasche guten Spätburgunder gewettet, dass das Nein der Ratsmehrheit genau so bliebe, auch wenn wir unsere Vorschläge auf 10-12 beschränkten,

Was soll ich sagen, ich habe recht behalten. 12 BN-Vorschläge und 9 mal Nein. Sie sagen nämlich immer Nein und das nur deshalb, weil die Vorschläge von der BN kommen.

7. Was wir daraus heute schlussfolgern, ist damit klar:  

Diesem Etatwerk können wir nicht zustimmen. Dafür ist er nicht gut genug. Nicht ansatzweise. Wir lehnen den Beschlussvorschlag daher ab. „

Spoiler:
Zu unserem Antrag Gesundheitsstab meinte übrigens FDP-Mann Jens Beeck, dass die gesundheitliche Versorgung in Lingen so gut sei, wie nirgendwo anders in der Region „und in Niedersachsen“. Er lobte sie damit über den grünen Klee. Wird das die Menschen freuen und überzeugen, die Probleme mit ihrer Gesundheitsversorgung haben?


Links zum Etat der Stadt Lingen (Ems) 2023:

– Haushalt 2023: Haushalt 2023: – Teil 1 (Haushaltssatzung, Vorbericht, Haushaltsvermerke, Ergebnis- und Finanzhaushalt, Teilhaushalte, Stellenplan)
– Teil 2 (Anlagen)

-.-.-.-.

Der Beitrag ist ein Crossposting von bnlingen.de

Die EU will die Gefahren von politischem Microtargeting und verdeckten Online-Kampagnen endlich entschieden begrenzen. Doch damit die neue Verordnung ihr Versprechen einlösen kann, muss sich das Parlament gegen Rat und Kommission durchsetzen. Ein Netzpolitk.org-Kommentar.

Eine Hand wirft einen Brief in eine Box

Neue Regeln für politische Online-Werbung sollen schon zur EU-Wahl 2024 gelten Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Element5 Digital

Das Europäische Parlament hat gestern ein Verhandlungsmandat für eine Verordnung angenommen, die die Auswertung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften stark einschränken soll. Noch vor der Europawahl im kommenden Jahr soll so transparenter werden, wer Werbeanzeigen schaltet und Kampagnen finanziert. Außerdem soll die neue Verordnung die Nutzung persönlicher Daten einschränken, mit denen politische Werbebotschaften zielgenau auf Gruppen und einzelne Menschen zugeschnitten werden können.

Eine solche Regulierung ist seit langem überfällig. Denn die vergangenen Jahre haben allzu deutlich gemacht, dass weder Parteien und Politiker:innen noch Social-Media-Plattformen und andere Werbefirmen willens oder in der Lage sind, sich selbst zu kontrollieren. Das Geschäft mit der Werbemanipulation ist offenkundig zu lukrativ – für alle Beteiligten.

Auch haben verschiedene Skandale immer wieder gezeigt, wie groß das Missbrauchspotential von Microtargeting und verdeckten Kampagnen in der politischen Kommunikation ist. So nahm das Team des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2016 die Dienste von Cambridge Analytica in Anspruch. Das britische Unternehmen sollte dabei helfen, mit Hilfe zielgerichteter Online-Werbung Schwarze US-Bürger:innen von ihrer Stimmabgabe abzuhalten. Derweil verkaufte die Österreichische Post Information über die politische Affinität von Millionen Österreicher:innen an Parteien. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren fragwürdige Online-Kampagnen, deren Urheber:innen und Sponsor:innen verschleiert wurden.

Das Parlament muss sich im Trilog durchsetzen

Vor diesem Hintergrund ist heute ein besonderer Tag – auch für mich persönlich. Seit Jahren schreibe ich über die Gefahren von datengetriebenem Targeting in der politischen Kommunikation. Ich habe zu dem Thema Vorträge auf Konferenzen und Fachsymposien gehalten sowie Medien und Wissenschaftler:innen als Experte Rede und Antwort gestanden. Noch vor dem Cambridge-Analytica-Skandal habe ich den Einfluss der umstrittenen Kommunikationstechnik auf den Bundestagswahlkampf 2017 untersucht. Und gemeinsam mit anderen habe ich die Methoden von Cambridge Analytica und Donald Trumps Erfolgskampagne analysiert sowie den  und der in Europa beleuchtet.

Man sollte als Journalist die eigene Wirksamkeit nicht überschätzen. Neben mir gibt es viele andere Menschen in Medien, Forschung, Zivilgesellschaft und Politik, die das Thema kontinuierlich bearbeiten. Immer wieder kamen wir alle zu dem Schluss: Die Folgen von gezielter Werbung sind zu gravierend, um sie weitgehend unkontrolliert den Plattformen und Parteien zu überlassen. Deshalb war ich gespannt, als die EU-Kommission die neue Verordnung vorgeschlagen hat. Nach der heutigen Entscheidung geht der Entwurf nun in die finalen Verhandlungen, also in den Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Uneingeschränkt freuen kann ich mich aber erst, wenn dabei am Ende auch ein vernünftiges Gesetz herauskommt. Denn der Aufschlag der EU-Kommission hat zwar die Hebel an den richtigen Stellen angesetzt. Doch ihm fehlte die Kraft. Die halbherzigen Vorschläge der Kommission wollen die Mitgliedstaaten im Rat obendrein noch weiter aufweichen. Will die EU aber Ernst machen und mit der neuen Verordnung einen weiteren Cambridge-Analytica-Skandal verhindern, dann muss sich vor allem das Parlament im Trilog durchsetzen.

Weniger Daten, mehr Transparenz

Denn im Vergleich zu Kommission und Rat will nur das Europäische Parlament das Targeting deutlich einschränken. Bedauerlicherweise strebt die Mehrheit der Abgeordneten zwar kein umfassendes Verbot gezielter Werbung an. Die vorgeschlagenen Regeln sind aber immerhin so streng formuliert, dass sie deren Missbrauch in der politischen Online-Kommunikation deutlich verringern könnten.

Kommission und Rat hingegen möchten den Status quo in weiten Teilen beibehalten. Ging es nach ihnen, wäre mit der informierten Einwilligung“ als Rechtsgrundlage weiter alles möglich, von dem wir längst wissen, dass es der Demokratie schadet. In Zeiten von Dark Patterns und Plattformmonopolen, die die Autonomie von Nutzer:innen und Bürger:innen gezielt untergraben, ist dies jedoch unzureichend.

Auch beim Thema Transparenz sind Rat und Kommission auf halber Strecke stehengeblieben. Geht es nach ihnen, soll politische Online-Werbung künftig zwar mit weitergehenden Informationen versehen werden. Auf diese Weise soll unter anderem leichter erkennbar werden, wer die jeweilige Werbung finanziert. Doch nur das Parlament fordert, auch Informationen über die Zielgruppenkritierien zu veröffentlichen. Dank dessen könnten Bürger:innen dann ermessen, aus welchen Gründen ihnen eine Anzeige angezeigt wird und Rückschlüsse auf die Absichten der Politiker:innen ziehen.

Und nur das vom Parlament geforderte Transparenzregister, das sämtliche politische Anzeigen auflisten soll, böte den Bürger:innen künftig einen Überblick darüber, mit welchen Botschaften sich politische Parteien an bestimmte Zielgruppen wenden.

Eine Chance für die Demokratie

In den vergangenen Monaten war die Sorge gewachsen, dass die Verordnung auch für herkömmliche Tweets oder Videos gelten könnte, in denen sich Menschen zu Wahlen oder Abstimmungen äußern. Das Parlament entzieht diesen Befürchtungen nun den Boden. Es will klarer definieren, dass von der Verordnung nur Werbung im engeren Wortsinn erfasst wird.

Gewiss, auch der Entwurf des Parlaments ist nicht perfekt. Google und eine Anzahl von Nichtregierungsorganisationen haben sich für ein engen Anwendungsbereich der Verordnung eingesetzt. Sie bezieht sich nun beispielsweise nicht auf die internen Abläufe von Parteien. Diese haben damit weiterhin die Möglichkeit, eigene Datensammlungen für Targeting-Kampagnen zu nutzen, die keinen weitergehenden Transparenzanforderungen unterliegen. Auch das übliche Vorgehen von Plattformen, bestimmte Inhalte gezielt zu forcieren und damit politische Diskurse zu prägen, lässt das Parlament weitgehend unangetastet.

Dennoch kann diese Verordnung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, demokratische Prozesse nachhaltig zu schützen. Für politische Akteur:innen bietet sich damit auch eine Chance: Sie können Nutzer:innen künftig wieder weniger als Datenpunkte, sondern wieder mehr als Bürger:innen betrachten, mit denen sie auch online den Austausch suchen sollten. Wenn wir alle uns wegen der neuen Regelung fortan weniger Gedanken um Datenmissbrauch und intransparente Manipulation machen müssen, bleibt mehr Zeit, um die Möglichkeiten der Digitalisierung in den Dienst von Teilhabe und Demokratie stellen können.


Ein Kommentar von  auf Netzpolitik.org / Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Nachsatz von mir:
Auch die CDU nutzt übrigens ein Programm („connect„) und vertreibt es an ihre Funktionäre, das das Micro-Targeting zum Inhalt hat. Im letzten Bundestagswahlkampf 2021 wurde die Frage danach, weichgespült, so beantwortet:“Wir verfolgen in unserer Kampagne und Ansprache einen wählerzentrierten Ansatz und steuern unsere thematischen Angebote daher auch zielgerichtet aus. Im wesentlichen richten wir uns dabei nach Regionen (Postleitzahlgebieten). Nur im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards nutzen wir die Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache, um mit Menschen in den Dialog zu treten.“ (FR)

Angesichts seiner Gefahren für die demokratische Willens- und Meinungsbildung findet sich Microtargeting auf der Website der Landesmedienanstalt NRW unter dem Menupunkt „Desinformation“. Zu recht.  Mehr …

Schon mal eine andere Suchmaschine anstelle des ewigen Google versucht? Netzpolitik hat sich angesehen, welche Suchmaschinenanbieter empfehlenswert sind. Bei den Alternativen ist zwar auch nicht nur eitel Sonnenschein in Sachen Tracking und Privatsphäre, aber einen Versuch sind einige wert: „Wir geben eine Übersicht und Suchmaschinen-Tipps für Smartphones.

Suchen sind ein bedeutender Bestandteil der täglichen Internetnutzung. Richtiges Kartoffelpflanzen, sexuelle Vorlieben, Anwaltskosten, Schuldnerberatung, psychologischer Notfalldienst, Krankheitsverläufe: Zu unserer Suchmaschine sind wir maximal ehrlich, denn wir wollen ja passgenaue Ergebnisse angezeigt bekommen. Und die Suchmaschine in fast allen Fällen heißt Google.

Das Verb „googeln“ ist in den vergangenen zwanzig Jahren zum landläufigen Sprachgebrauch geworden. Google veränderte die Internetsuche nachhaltig und legte damit den Grundstein für sein Wachstum zu einem der einflussreichsten internationalen Tech-Konzerne.

Ohne Konkurrenz

Konkurrenz in dem Sinne, dass ein anderer Anbieter signifikante Anteile am Suchmaschinenmarkt hätte, gibt es derzeit nicht: So lagen Googles Marktanteile 2021 im Suchmaschinenmarkt global bei 92 Prozent, in den Vereinigten Staaten bei rund 88 Prozent und in Deutschland bei über 90 Prozent. Dadurch bestimmt der Konzern heute, was die allermeisten Menschen in der westlichen Welt im Netz finden. Auch deswegen raten Mahner von der Nutzung von Googles Suchmaschine ab: Denn dass ein Werbekonzern die Hoheit darüber hat, was ein Großteil der Menschen finden oder eben nicht finden kann, stößt auf berechtigte Kritik.

Betrachtet man das Geschäftsmodell, ist aus dem einstigen Suchmaschinenanbieter ein Werbekonzern geworden, der achtzig Prozent seines Umsatzes mit Werbung macht. Die gigantischen Werbe-Einnahmen belaufen sich auf derzeit etwa zweihundert Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Ohne die Dominanz im Suchmaschinenmarkt könnte das Werbegeschäft des Konzerns nicht blühen. Es laufen allerdings allein in den Vereinigten Staaten mehr als vierzig kartellrechtliche oder Wettbewerbsverfahren gegen Google und den Mutterkonzern Alphabet. Auch das deutsche Bundeskartellamt hat vergangenes Jahr wegen der marktübergreifenden Bedeutung Verfahren eingeleitet.

In den zurückliegenden Jahren konnte dem Konzern nachgewiesen werden, dass er bewusst die eigenen Suchergebnisse manipuliert – etwa auf Druck von Anzeigenkunden oder auf Initiative von Regierungen. Und nicht zu vergessen: Der Konzern besitzt den mit Abstand größten Video-Dienst der Welt, rammte durch den Kauf von Android auch im Mobilmarkt einen riesigen Werbepfosten ein und bietet zahlreiche weitere digitale Dienstleistungen an, die fast alle auf der Auswertung von Nutzerdaten basieren.

Für diese Datenbasis sind die eingegebenen Suchwörter oder die per Spracheingabe angegebenen Begriffe bares Geld wert. Die Personenprofile – egal ob einem Google-Account zugeordnet oder einem Schattenprofil einer Person ohne eigenen Google-Account – sind gefüllt mit Einblicken in die Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse der suchenden Menschen.

Für die typische Nutzerin der Google-Suchmaschine hat das mehrere Konsequenzen:

  • Individuell zugeschnittene Inhalte halten sie in ihrer Filterblase und erschweren, dass sie Inhalte außerhalb ihrer Filter- und Komfortzone findet,
  • jede Suchanfrage wird mit dem Profil verknüpft: neben Geschlecht, Alter sowie Informationen zu Beruf und Karriere sind auch Informationen zu Interessen, Hobbys, Beziehungs- und Gesundheitsstatus enthalten,
  • Informationen zu Standort, geographischen Bewegungen und Interessen werden kontinuierlich erfasst und auch an zahlende Dritte weitergegeben, ohne dass man dagegen eine Handhabe hat.

Es gibt Mitbewerber und Alternativen auf dem Suchmaschinenmarkt, die keine oder andere Geschäftsmodelle als die Datenauswertung über Menschen haben. Das überrascht regelmäßig all jene Menschen, die noch nie eine andere Suchmaschine als Google verwendet haben oder gar nicht wissen, womit sie in ihren Browsern oder mobilen Apps im Netz suchen. Ein Blick auf die anderen Suchmaschinen lohnt sich, wenn man die Abhängigkeit von Google reduzieren oder den eigenen Suchhorizont erweitern möchte.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es gibt leider keine ideale Alternative. Die Wahl wird immer ein Kompromiss zwischen dem Komfort bei der Suche, der Qualität der Ergebnisse und der Wahrung der Privatsphäre des Nutzers sein. Suchmaschinen und ihre Businessmodelle unterscheiden sich, darauf sollte man bei der Auswahl und Nutzung achten.

Wenn man über Alternativen spricht, muss ein Trend erwähnt werden, der an Googles Dominanz kratzt: T…“

[weiter bei Netzpolitik.org]


Ein Beitrag von Constanze Kurz auf netzpolitik.org. Sie ist promovierte Informatikerin, Autorin und Herausgeberin von mehreren Büchern, zuletzt zum Cyberwar. Ihre Kolumne „Aus dem Maschinenraum“ erschien von 2010 bis 2019 im Feuilleton der FAZ. Sie lebt in Berlin und ist ehrenamtlich Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Sie forschte an der Humboldt-Universität zu Berlin am Lehrstuhl „Informatik in Bildung und Gesellschaft“ und war Sachverständige der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags. Sie erhielt den Werner-Holtfort-Preis für bürger- und menschenrechtliches Engagement, den Toleranz-Preis für Zivilcourage und die Theodor-Heuss-Medaille für vorbildliches demokratisches Verhalten.  Kontakt: constanze(at)netzpolitik.org (PGP).

Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Das geht gerade viral, und es ist eine gute Idee. Wer also etwas Zeit hat, ist gerne eingeladen zu helfen:

„Geh zu Google Maps. Geh nach Russland. Am besten Moskau, St. Petersburg, Omsk, Tomsk, Irkutsk, Wladiwostok, Jekaterinburg. Und Weißrussland sollte mit einbezogen werden.

Finde dort ein Restaurant oder ein Lokal und schreib deine Bewertung. Wenn Du die Bewertung schreibst, erkläre zugleich, was aktuell in der Ukraine passiert. Hier ein Beispielstext, den Du kopieren kannst:

„Еда была отличной! К сожалению, Путин испортил наши аппетиты, вторгшись в Украину. Противостаньте своему диктатору, прекратите убивать невинных людей! Ваше правительство лжет вам. Вставай!“

DeepL-Übersetzung:

„Das Essen war großartig! Leider hat uns Putin mit dem Einmarsch in die Ukraine den Appetit verdorben. Widersetzt euch eurem Diktator, hört auf, unschuldige Menschen zu töten! Ihre Regierung belügt Sie. Steht auf!“

Und natürlich immer die Bewertung mit 5 Sternen geben!

Werberichtlinie

9. Oktober 2021

Die Anpassung von allerlei Richtlinien gehört für Google und YouTube inzwischen zum Tagesgeschäft. In den vergangenen Monaten hatten beide Plattformen hier vor allem mit Inhalten von Corona-Leugner:innen oder Impfgegner:innen zu kämpfen. Jetzt passt Google erneut seine Werberichtlinien an und geht einen weiteren Schritt gegen Desinformation. Künftig verdienen Inhalte, die sich mit der Klimawandel-Leugnung beschäftigen, kein Geld mehr bei Google und YouTube.

Aktuell nimmt sich der Konzern also die nächsten großen Desinformationslieferanten zur Brust und sagt Klimawandel-Leugner:innen den Kampf an. Der Tech-Gigant schließt Inhalte, die den menschengemachten  Klimawandel leugnen, von Werbeeinnahmen bei Google und YouTube aus:

Aus diesem Grund kündigen wir heute eine neue Monetarisierungsrichtlinie für Google-Werbekunden, Publisher und YouTube-Creator an, die Anzeigen für und die Monetarisierung von Inhalten verbietet, die dem etablierten wissenschaftlichen Konsens über die Existenz und die Ursachen des Klimawandels widersprechen.

Dazu zählt Google  Inhalte, die den Klimawandel als Schwindel oder Betrug bezeichnen sowie die globale Erwärmung leugnen. Auch sind künftig Aussagen von Werbeeinnahmen ausgeschlossen, die behaupten, Treibhausgasemissionen oder menschliche Aktivitäten würden nicht zum Klimawandel beitragen.

Google will dafür zwischen zwei Schwerpunkten entscheiden. Auf der einen Seite stehen Inhalte, die „falsche Behauptungen als Tatsache darstellen“. Auf der anderen Seite sieht Google „Inhalte, die über diese Behauptung berichten oder sie diskutieren“. Die Monetarisierung von klimabezogenen Inhalten soll weiterhin möglich sein. Dazu sollen unter anderem öffentliche Debatten über Klimapolitik, die Auswirkungen des Klimawandels sowie neue Forschungsergebnisse zählen.

Für die Umsetzung der neuen Werberichtlinie kombiniert Google den Einsatz automatisierter Tools mit menschlicher Überprüfung von Inhalten. Ab November 2021 will der Suchmaschinenriese die neue Richtlinie zur Klimawandel-Leugnung dann umsetzen.

Google wolle mit der Änderung nicht nur das Umfeld für Werbeanzeigen stärken, heißt es am Ende des Statements. Die Neuerung stehe außerdem „in engem Zusammenhang mit der Arbeit, die wir als Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten geleistet haben, um Nachhaltigkeit zu fördern und dem Klimawandel entgegenzutreten“.

Passend dazu hat Google in dieser Woche weitere „nachhaltige Optionen“ vorgestellt. Diese sollen „bis 2022 eine Milliarde Menschen dabei unterstützen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen.“

Dafür erhält unter anderem Google Maps ein Update, das in den USA sofort und ab 2022 auch in Europa zum Einsatz kommt. Die App sucht dann standardmäßig die Route mit den geringsten CO2-Emissionen heraus – vorausgesetzt sie ist mit der geschätzten Ankunftszeit der schnellsten Route vergleichbar.

Das Unternehmen schätzt, dass so mehr als eine Million Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden können, schreibt Google-Chef Sundar Pichai in seinem Blog-Beitrag.

Auch Reisen mit dem Flugzeug sollen nachhaltiger werden. So will Google Flights künftig die CO2-Emissionen pro Sitzplatz genau anzeigen. So sollen sich „schnell Optionen mit geringerem Schadstoffausstoß finden“ lassen.

 

Freitagabend sind in Bielefeld die diesjährigen Big Brother Awards verliehen worden. Die Negativauszeichnung wird durch den Datenschutzverein Digitalcourage verliehen. Die Preise werden, so die Stifter, an die verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Personen beeinträchtigen oder Dritten persönliche Daten zugänglich gemacht haben oder machen. Eine Jury aus prominenten Bürgerrechtlern sucht jährlich besonders dreiste Firmen, Organisationen und Politiker:innen aus.

Der Big Brother Award in der Kategorie Gesundheit ging 2021 an das Berliner Unternehmen Doctolib. Doctolib vermittelt Termine für Arztpraxen. Dabei missachtet das Unternehmen dem Verein zufolge jedoch völlig die Vertraulichkeitspflicht und verarbeitet die Daten von Nutzern und Patienten aus Arztpraxen laut Datenschutzvereinbarung für kommerzielle Marketingzwecke.

So bitte Doctolib die teilnehmende Ärzte „um Zugriff auf den gesamten im Arztinformationssystem gespeicherten Patientenstammdatensatz“, erklärte Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz in seiner Laudatio. Danach sei ein regelmäßiger Datenabgleich der Termintabelle des Arztsystems mit dem Vermittlungssystem von Doctolib nötig. Dabei würden auch Daten von Patienten übermittelt, die gar kein Konto bei Doctolib haben, geschweige denn über die Datenübermittlung informiert wurden.

Neben 150.000 Ärzten und Gesundheitsfachkräften nehmen auch die Berliner Impfzentren die Dienste von Doctolib in Anspruch. Im vergangenen Jahr berichteten Sicherheitsforscher auf dem Chaos-Computer-Kongress rC3 von einem Datenleck bei dem Unternehmen. Demnach war ihnen ein Zugriff auf rund 150 Millionen Terminvereinbarungen bei Doctolib möglich, die teils bis in das Jahr 1990 zurückreichten.

Dabei dürfe Doctolib die Daten der verschiedenen Ärzte als deren Auftragsverarbeiter nach der sogenannten Mandantentrennung eigentlich überhaupt nicht zusammenführen, betonte Weichert. Zudem kritisierte er die Einbindung von Google Analytics und weiteren Diensten, durch welche die Daten der Patienten auch bei Unternehmen wie Google landeten.

In der Kategorie Verkehr zeichnete Digitalcourage die EU-Kommission aus. Kritisiert wird die seit 2021 für Neuwagen verpflichtende Einführung des Verfahrens On-Board Fuel Consumption Meter (OBFCM). Dabei würden erhebliche Mengen an technischen Informationen eines Autos aufgezeichnet und zusammen mit der Fahrzeugidentifikationsnummer an den Hersteller übermittelt, kritisierte Frank Rosengart vom Chaos Computer Club (CCC).

Der Negativpreis in der Kategorie Public Intellectual ging an den stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Julian Nida-Rümelin. Ausgezeichnet wurde er für seine mehrfach „öffentlich geäußerte unhaltbare Behauptung, dass Datenschutz die Bekämpfung von Corona erschwert und Tausende von Toten zu verantworten habe“.

Im Bereich Bildung ging die Auszeichnung an die Firma Proctorio mit ihrem vollautomatischen Prüfungsaufsichtsservice, der letztlich eine Totalkontrolle von Studierenden bei Online-Prüfungen ermöglichen soll. Während der Prüfung soll die KI-basierte Software insbesondere Blicke von Prüflingen erkennen, die auf einen Täuschungsversuch hindeuten, und dann automatisch Alarm schlagen. Sie wird in Deutschland unter anderem an der Universität Bielefeld (!) und der Johann-Wolfgang-von-Gothe-Universität in Franlkurt(Main) verwendet.

In der Kategorie „Was mich richtig wütend macht“ wurde Google -zum zweiten Mal seit 2013- für „massive Manipulation des Internet-Werbemarktes, Aushungern von Kreativen und Medien sowie Enteignung unserer digitalen Persönlichkeiten“ ausgezeichnet.

Mehr…

(Quellen: Heise, Golem, BBA)

Umbau

11. Februar 2021

In Europa sollte der Privatsphäre-Standard im Netz durch ein neues Gesetz deutlich steigen. Doch einige EU-Staaten bauten die dringend notwendige Reform zugunsten von Google und Facebook um. EU-Staaten verwässern so das digitale Briefgeheimnis. Die Reform soll die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vollenden und Nutzer/innen im Netz vor den neugierigen Augen von Staaten und Firmen schützen. Den Gesetzesvorschlag für die ePrivacy-Verordnung machte die Kommission bereits 2017, doch blockierten bislang die EU-Staaten.

Nun hat sich der Rat der EU-Staaten auf eine Position geeinigt, was den Weg zu Verhandlungen über den finalen Text öffnet. Dort dürfte es zu Krach zwischen den EU-Staaten und den Verhandler/innen des EU-Parlaments kommen.

Die neue EU-Verordnung soll es Nutzer/innen im Netz ermöglichen, Tracking besser zu kontrollieren. Ausspähen von Nutzer/innen über Cookies sollte ohne Einwilligung verboten werden und starker Schutz der Privatsphäre müsse zur Standardeinstellung in Browsern werden. Kommunikation über Messengerdienste wie WhatsApp müsse rechtlich gleich gut vor kommerzieller Auswertung geschützt sein wie herkömmliche Anrufe und SMS, fordert das EU-Parlament. Effekt der Regeln sollte eine Art digitales Briefgeheimnis sein.

Doch die EU-Staaten unter der Führung der portugiesischen Ratspräsidentschaft halten nun mit einem Entwurf dagegen, der Schlüsselpassagen deutlich abschwächt und Raum für invasives Tracking offenlässt. Tech-Konzerne wie Google und Facebook könnten damit weiter massiv Nutzer:innendaten abschöpfen.

Eine breite Mehrheit der EU-Staaten unterstützte den portugiesischen Vorschlag, Deutschland und Österreich enthielten sich laut Bericht des Insidermediums Politico.eu.

Der neue Entwurf des Rates erlaubt es, Metadaten von Nutzenden ohne deren ausdrückliche Einwilligung zu verarbeiten. Stattdessen sollen mit der Verarbeitung „kompatible Gründe“ ausreichen (Artikel 6c). Dieser Gummiparagraph würde es WhatsApp und Telefonanbietern gleichermaßen ermöglichen, die Gewohnheiten von Nutzenden für Werbezwecke auszuspähen.

Ermöglicht wird durch neue Formulierungen auch, dass weiterhin durch Cookies persönliche Daten für Werbezwecke gesammelt werden. Während ursprünglich die ePrivacy-Verordnung Cookie-Tracking stark einschränken sollte, gibt Artikel 8 des neuen Entwurfs nun grünes Licht.

Komplett gestrichen sind hingegen die Möglichkeit für Nutzer:innen, ihre Einwilligung in die Verarbeitung ihrer persönlichen Daten jederzeit zu widerrufen. Ebenso fehlt ein Artikel aus den Entwürfen von Kommission und Parlament, der Einwilligungs-Management über den Browser ermöglichen und starken Schutz der Privatsphäre zur Standardeinstellung machen sollte.

Zwar gibt es auch im neuen Entwurf der EU-Staaten klare Verbesserungen für den Schutz der Privatsphäre, für alle Bestimmungen soll allerdings eine Ausnahme für nationale Sicherheit und Verteidigung gelten. Damit kann die Verordnung keinen Schutz vor Massenüberwachung durch Geheimdienste bieten.

Auf den Entwurf der EU-Staaten folgte umgehend Kritik. „Aus Verbrauchersicht ist die Position der EU-Mitgliedsstaaten ein Skandal“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Die Position der EU-Staaten bleibe deutlich hinter früheren Entwürfen zurück, was eine Schwächung des Datenschutzes und der Vertraulichkeit der Kommunikation darstelle.

Einen finalen Text müssen nun die EU-Staaten mit Kommission und Parlament aushandeln. Wortführerin der Abgeordneten ist die SPD-Politikerin Birgit Sippel. Sie lässt wissen, dass sie wenig vom Entwurf des Rates hält. Dieser zeige, „dass die Aushöhlungsversuche der Industrie während der vergangenen Jahre Früchte getragen haben“ – eine Anspielung auf das Lobbying von Tech-Konzernen und der Verlagsbranche.

Sippel möchte möglichst rasch mit den Verhandlungen starten, möchte dabei aber keine faulen Kompromisse eingehen. „Einen Wettlauf nach unten und eine Untergrabung des aktuellen Schutzniveaus bei Datenschutz und Privatsphäre werde ich aber in keinem Fall akzeptieren.“

Bemerkenswerterweise hat heute am gleichen Tag die Bundesregierung den Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz für den Bereich der digitalen Kommunikation beschlossen. Im Telekommunikations-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG) wird mit mehr als zehn Jahren Verspätung eine Tracking-Regelung der ePrivacy-Richtlinie aus dem Jahr 2009 umgesetzt.

Die Richtlinie ist die immer noch gültige Vorgängerin der nun angestrebten ePrivacy-Verordnung. Schon die Richtlinie besagt, dass Tracking ausschließlich nach expliziter Einwilligung der Nutzer:innen erfolgen darf. Das wurde im deutschen Recht bislang nie umgesetzt, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zwingen die Bundesregierung nun zum Handeln. Ausgerechnet jetzt könnte die Neuregelung auf EU-Ebene nach dem Willen des Rates nun eine Schwächung des Tracking-Schutzes bringen.


Ein Beitrag von Alexander FantaCC BY-NC-SA 4.0., auf netzpolitik.org

Desinformation, gezielt

11. Juni 2020

Die Pandemie verschafft Verschwörungsmythen neuen Auftrieb. Mehr noch, in Coronazeiten erreichen gefährliche Falschbehauptungen von Politiker:innen über soziale Netzwerke breite Bevölkerungsschichten. Staaten wie China und Russland verbreiten nach Angaben der deutschen Bundesregierung gezielt Desinformation über die Pandemie. Was lässt sich dagegen unternehmen?

Die EU-Kommission wünscht sich stärkeres Vorgehen gegen Desinformation im Netz. Eine Mitteilung, die gestern veröffentlicht wurde, fordert neue Maßnahmen von Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter. „Wir wissen [über Desinformation] nur so viel, wie die Plattformen uns sagen. Das ist nicht gut genug“, klagt EU-Kommissarin Věra Jourová.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell spricht von einer „Infodemie“ an Falschinformationen zu Corona. Als Beispiel nannte er Aufrufe, als Gegenmittel gegen den Virus Bleichmittel zu trinken. Es brauche gegen solche Behauptungen „entscheidende Schritte“, sagte er gestern bei der Vorstellung der Mitteilung.

Wunschkatalog aus Brüssel

Die Europäische Union vereinbarte 2018 in einem Verhaltenskodex freiwillige Schritte mit den Plattformen. Seither legen Youtube, Facebook und andere Plattformen regelmäßige Transparenzberichte über die Verbreitung von Desinformation und Falschmeldungen vor. Auch versprachen die Plattformen die Offenlegung einiger Informationen über Kund:innen bei politischer Werbung.

Die Kommission möchte den Verhaltenskodex angesichts der Desinformation über Covid-19 nachschärfen. Transparenzberichte sollen die Plattformen künftig monatlich und nach EU-Mitgliedsstaaten aufgegliedert liefern statt jährlich. Sie sollen darin genauer schildern, wie sie die Verbreitung von Desinformation in User:innen-Inhalten und Werbung beschränken.

Außerdem sollen die Plattformen und Werbenetzbetreiber „Daten übermitteln über Maßnahmen zur Begrenzung der Platzierung von Werbung auf Websites Dritter, die Desinformationen rund um COVID-19 nutzen, um höhere Werbeeinnahmen zu erzielen“. Das ist vor allem auf Google gemünzt, das zuletzt in die Kritik geriet, weil sein Werbenetzwerk Anzeigen neben offenkundige Falschinformationen platziert.

Auf Anfrage von netzpolitik.org wollte Google dazu nicht direkt Stellung nehmen. „Wir sind dem Verhaltenskodex und unserer gemeinsamen Arbeit verpflichtet, neue und kreative Wege zu finden, um den Kampf gegen Desinformation fortzusetzen“, sagte Google-Manager Matt Brittin nach Angaben eines Pressesprechers.

Außerdem sollen die Plattformen enger mit Factchecking-Organisationen und Forschungsgruppen zusammenarbeiten, wünscht sich Kommissarin
Věra Jourová. Forscher:innen hatten sich in vergangenen Jahren über mangelhaften Datenzugang insbesondere bei Facebook beklagt. Erst im Februar hatte Facebook angekündigt, sein langjähriges Versprechen einzulösen und zumindest einer Forschungsgruppe Zugang zu gewähren.

Die Kommission bevorzugt beim Thema Factchecking den Zugang, Falschinformationen zu kontextualisieren statt zu entfernen. EU-Kommissarin Jourová hob vor Journalisten positiv die Schritte Twitters gegenüber US-Präsident Donald Trump hervor. Der Kurznachrichtendienst hatte einen Aufruf zur Gewalt des US-Präsidenten durch einen Warnhinweis ergänzt. Facebooks Gründer Mark Zuckerberg eiert hingegen bisher bei der Frage, ob Facebook bei solchen Falschbehauptungen eingreifen möchte.

Vorerst nur freiwillige Schritte

Während sogenannte „Fake News“ und gezielte Desinformation bereits seit der Ukraine-Krise 2014 von den EU-Institutionen als Problem erkannt wurden, erhielt die Frage durch die Coronakrise neue Dringlichkeit.

Die EU-Kommission und einige Staaten betonen die Gefahr nicht nur durch kommerzielle Akteure und einzelne Verbreiter von Verschwörungsmythen, sondern auch durch gezielte Desinformation aus Russland und China. Der Auswärtige Dienst der EU betreibt seit längerem mit East Stratcom eine eigene Abteilung, die sich mit staatlich verbreiteter Desinformation aus Russland beschäftigt. Auch die Rolle China rückt zunehmend in den Fokus der EU-Institutionen. Der EU-Außenbeauftragte Borrell betont aber, es gehe aber nicht darum „einen kalten Krieg gegen China“ zu führen.

Die EU bleibt vorerst bei freiwilligen Schritten. Die Plattformen sind weder verpflichtet, falsche und schädliche Informationen zu entfernen noch Zugang zu Daten über ihre Verbreitung zu gewähren.

Das könnte sich aber durch ein neue EU-Gesetz ändern. Die Kommission möchte bis zum Jahresende ein Digitale-Dienste-Gesetz vorschlagen. Darin könnte die EU etwa ein Regelwerk für die Moderation von problematischen und illegalen Inhalten vorschlagen, das auch den Umgang mit Desinformation behandelt. Bis dahin liegt es an den Plattformen, wie sie die Abwägung zwischen freier Meinungsäußerung und öffentlicher Gefährdung vornehmen, etwa bei politischer Manipulation oder medizinisch fragwürdigen Falschinformationen.


Ein Beitrag von Netzpolitik.org CC BY-NC-SA 4.0.

nicht vorausgefüllt

28. Mai 2020

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat manipulatives Design in den Blick genommen: Cookie-Einwilligungen dürfen nicht vorausgefüllt werden, stellte das Gericht heute unter anderem klar. Notwendig geworden war die Entscheidung, weil Bundesregierung und Große Koalition seit Jahren eine Gesetzesaktualisierung verschleppen.

Wer sich eine Einwilligung von Nutzer:innen holen möchte, um auf ihren Geräten Werbe-Cookies zu speichern, darf das Ankreuzkästchen nicht vorher für sie ausfüllen. Das hat am heutigen Donnerstag der Bundesgerichtshof nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und dem Glücksspiel-Unternehmen Planet 49 entschieden.

Planet 49 wollte bei einem Online-Gewinnspiel die Einwilligung der Teilnehmenden dafür einholen, auf ihren Geräten Cookies zu speichern. Mit diesen können Werbepartner/innen ihre Nutzer/innen wiedererkennen und Informationen über ihr Online-Verhalten sammeln, um Werbung auf sie zuzuschneiden. Der vzbv hatte argumentiert, dass dieses Vorausfüllen nicht den Vorgaben von EU-Datenschutzgesetzen entspricht, nach denen Einwilligungen aktiv, informiert und freiwillig erteilt werden müssen.

Der BGH hat sich nun auf die Seite der Verbraucherschützer:innen gestellt. Er folgt damit der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes, der 2019 mehrere Grundsatzfragen zu dem Fall entschieden hat. Das Gericht sieht in vorausgefüllten Cookie-Einwilligungen eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer:innen. Dies gelte sowohl unter der EU-Datenschutzgrundverordnung als auch unter älteren Datenschutzregeln der EU. Nicht von der Entscheidung betroffen sind Cookies, die für den Betrieb von Websites notwendig sind.

BGH kritisiert manipulatives Design

Auch eine zweite Einwilligung von Planet 49 war laut dem BGH nicht rechtskonform. Mit dieser sollten Teilnehmer/innen des Gewinnspiels bestätigten, dass sie von diversen Firmen telefonisch und schriftlich für Werbezwecke kontaktiert werden dürfen. Dabei bestand die Möglichkeit, die Werbefirmen aus einer verlinkten Liste von 57 Unternehmen selbst auszuwählen. Sofern man keine Auswahl getroffen hat, behielt sich Planet49 das Recht vor, selbst die Entscheidung zu treffen.

Diese Einwilligung habe nicht den rechtlichen Vorschriften an die Informiertheit der Nutzer:innen entsprochen, „weil die beanstandete Gestaltung der Einwilligungserklärung darauf angelegt ist, den Verbraucher mit einem aufwendigen Verfahren der Auswahl von in der Liste aufgeführten Partnerunternehmen zu konfrontieren, um ihn zu veranlassen, von dieser Auswahl abzusehen und stattdessen der Beklagten die Wahl der Werbepartner zu überlassen“, so der BGH.

Mit der Entscheidung rücken einmal mehr die Gestaltungsfragen von Nutzungsoberflächen in den Vordergrund. Datenschützer:/nnen kritisieren seit langem, dass durch manipulatives Interface-Design, auch „Dark Patterns“ genannt, die Entscheidungshoheit von Nutzer/innen eingeschränkt werde. Die Datenethikkommission der Bundesregierung hatte 2019 empfohlen, wirksamer gegen die Masche vorzugehen. 2018 hatten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen Datenschutzbeschwerden wegen der Verwendung von Dark Patterns durch Google eingelegt. Erst vor wenigen Tagen hatte ein Think Tank mehrere konkrete Vorschläge gemacht, wie Politik und Behörden das Thema aktiver angehen können.

Wie das Telemediengesetz zum Problem wurde

Das Gericht setzt mit seiner Entscheidung zur Gestaltung von Online-Einwilligungen auch einen Schlussstrich unter eine jahrelange Debatte zwischen Werbeindustrie und Daten- sowie Verbraucherschützer:innen. Denn auch wenn die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) klare Anforderungen an die Einwilligung formuliert, herrscht beim Thema Online-Tracking in Deutschland bisher Chaos, weil Parlament und Regierung die Aktualisierung des Telemediengesetzes jahrelang verschlafen haben.

In dem Gesetz heißt es nämlich heute noch, dass die Betreiber/innen von Websites und anderen Telemediendiensten für Werbezwecke individuelle Nutzungsprofile erstellen dürfen. Einzige Einschränkung: Die Daten dürfen nicht unter Klarnamen gespeichert werden, sondern unter einem Pseudonym. Nutzer/innen haben außerdem ein Widerspruchsrecht.

Für Seitenbetreiber/innen ist das eine ziemlich komfortable Regelung, doch mit der Datenschutzgrundverordnung ist sie nicht vereinbar.

Das jedenfalls sagen die deutschen Datenschutzbehörden. Einen Monat vor Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 veröffentlichte die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder eine Positionsbestimmung zum Online-Tracking [PDF]. Die entsprechenden Regelungen des Telemediengesetzes seien unter der DSGVO nicht mehr anwendbar. Stattdessen bräuchten Tracking-Dienste, die individuelle Profile erstellen wollen, eine explizite und vorherige Einwilligung – Opt-In statt Opt-Out.

Zwischen Einwilligungsmüdigkeit und Entmündigung

Wenig überraschend lehnt die Online-Werbewirtschaft diese Sichtweise der Datenschutzkonferenz ab. Viele Websites haben daher ihre Praxis nicht geändert. Selbst wenn Einwilligungs-Banner erscheinen, sind sie oft vorausgefüllt oder lassen Nutzer:innen gar keine Entscheidungsmöglichkeit. Die Folge: allgemeine Einwilligungsmüdigkeit. Fast automatisch klicken wohl die meisten auf „Zustimmen“, sobald sich der Cookie-Hinweis ins Bild schiebt.

Ein Jahr später hat die Datenschutzkonferenz deshalb nochmal nachgelegt. In einer ausführlichen Orientierungshilfe [PDF] stellten die Aufsichtsbehörden im April 2019 dar, unter welchen Bedingungen Tracking erlaubt ist. Wieder kommen die Datenschützer zu dem Ergebnis: In den allermeisten Fällen benötigen Anbieter eine explizite Einwilligung der Betroffenen. Eine Abwägung zwischen den Interessen der Betroffenen und denen der Werbetreibenden müsse in den meisten Fällen ergeben, dass das Schutzbedürfnis der Nutzer:innen überwiege.

Außerdem könne es nicht als Einwilligung angesehen werden, wenn Menschen nicht auf das Tracking-Banner reagieren, sondern einfach weiter auf der Seite surfen. Auch vorausgefüllte Kästchen seien nicht erlaubt.

Irreführende Rechtslage seit 2009

Es gibt zudem bereits eine EU-Richtlinie, die das Thema Online-Tracking seit 2009 explizit regelt: die 2002 verabschiedete und 2009 überarbeitete ePrivacy-Richtlinie. Als kleine Schwester der Datenschutzgrundverordnung ergänzte und spezifizierte sie die alte EU-Datenschutzrichtlinie von 1995.

Eigentlich sollte sie im Anschluss an die Verabschiedung der Datenschutzgrundverordnung generalüberholt und spätestens im Frühjahr 2018 verabschiedet werden. Gerade in Sachen Online-Tracking sollte die Richtlinie, die dann zur ePrivacy-Verordnung aufgewertet worden wäre, Nutzer/innen mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Verabschiedet wurde die Verordnung jedoch bis heute nicht, zu groß ist der Druck der Werbeindustrie.

Das führt zu der bizarren Situation, dass die Datenschutzgrundverordnung dem Online-Tracking nach Auslegung der Datenschutzbehörden engere Grenzen setzt als es das deutsche Datenschutzrecht formell tut.

Aktive Zustimmung oder aktive Ablehnung?

Noch dazu kommt, dass bereits die deutsche Umsetzung der alten ePrivacy-Richtlinie mangelhaft gewesen ist. Denn schon in ihr heißt es seit 2009, dass Nutzer:innen Online-Tracking bewusst zustimmen müssen. Die deutsche Opt-Out-Regelung hat dieser Vorgabe nicht entsprochen. Das sagen die deutschen Datenschutzbehörden und das sagte auch der EuGH in seiner Erklärung zum Fall Planet 49.

Der BGH ermöglicht der Bundesregierung mit seiner kreativen Rechtsauslegung nun aber ihr Gesicht zu wahren. Er bestätigt zwar, dass Werbe-Cookies ein aktives Opt-In voraussetzen, sagt aber, dass dies auch aus der alten Formulierung im Telemediengesetz hervorgehe. Dort steht zwar, dass Nutzer/innen aktiv widersprechen müssen, wenn sie mit der Sammlung ihrer Daten nicht einverstanden sind, der Gesetzgeber habe damit aber in Wirklichkeit gemeint, dass sie aktiv zustimmen müssen.

Für die Praxis ist diese Frage am Ende egal. Denn so oder so stellt der BGH mit seinem Urteil klar: Wer Nutzer/innen heute noch Cookie-Einwilligungen unterjubelt, handelt illegal.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 2805.2020 – I ZR 7/16 – Cookie-Einwilligung II)

En Beitrag von Ingo Dachwitz auf Netzpolitik.org – Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
(Foto: BGH in Karlsruhe, ComQuat CC BY-SA 3.0)

Superbowl I

1. Februar 2020

Ich liebe diese kraftvolle Kreativität der Werbeleute, die wohl kein einziges Mal im Jahr so aufbricht, wie bei den Commercials vor und beim Superbowl – dem Endspiel der US-Footballer am kommenden Wochenende – hier zum Beispiel gleich mit zwei Spots google…