Polizeikongress

26. Februar 2013

In Berlin fand in der letzten Woche das sich selbst anmaßend als “Europäischer Polizeikongress” bezeichnende Treffen von Polizei- und Behördenvertretern mit der Sicherheits- und Überwachungsindustrie statt. Veranstalter dieser Messe ist der behörden- und sicherheitskomplexfreundlich ausgerichtete Behörden-Spiegel – ein bereits für sich kritisch zu hinterfragendes Interessenkonglomerat.

Frans-vds-2011-de-1Die dort anwesenden konservativen und sozialdemokratischen Politiker und Polizeivertreter nutzten das Podium zu vielfachen Forderungen nach Wiedereinführung der umstrittenen verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten und anderer fragwürdiger Überwachungsmaßnahmen.

Die dafür gegebenen “Begründungen” erscheinen uns schon fast zu bizarr, als dass überhaupt sachlich darauf eingegangen werden kann. In einigen Punkten wiederholen die Befürworter der anlasslosen Vollerfassung und -speicherung aller Telekommunikationsverbindungsdaten Deutschlands ihre bereits unzählige Male vorgebrachten Scheinargumente. Eine große Anzahl davon haben wir bereits in der Publikation “Irrtümer und Populismen im Zusammenhang mit Vorratsdatenspeicherung” ausführlich widerlegt – leider zumindest in Hinsicht auf diesen Personenkreis offenbar erfolglos.

Die Wiederholung unrichtiger oder unsinniger Behauptungen macht diese nicht wahrer, wie auch der Bundesdatenschutzbeauftragte neulich treffend formulierte. Dies ist zudem kein ehrlicher und konstruktiver Umgang miteinander, wie wir meinen.

Um die vorgebrachten Statements nicht unkorrigiert im Raum stehen zu lassen, melden wir uns nun aber doch zu Wort, und zwar im Namen all derjenigen Menschen, die mit uns zusammen seit Jahren gegen die nicht zu vertretene Vorratsdatenspeicherung anstreiten und Widerstand leisten. Wir erinnern an die bislang größte erfolgreiche Verfassungsbeschwerde in der deutschen Geschichte der Republik mit über 34.000 Menschen, die mit Namen und Unterschrift hinter uns gestanden haben.

Zum Inhalt der Berichterstattung aus Berlin:

Ein Innenminister

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger bezeichnete die Haltung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als “nah an einer Strafvereitelung”.

Wir finden:
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat Rückgrat in einer nicht einfachen Situation bewiesen – und das nicht zum ersten Mal. Dafür zollen wir ihr unseren Respekt.

NRW-Innenminister Jäger war im Gegensatz dazu nicht in der Lage, auf konkrete Einwürfe zu seiner auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember 2011 dargestellten Haltung zur Vorratsdatenspeicherung einzugehen, oder auch nur darauf zu antworten. Ein konstruktives Streiten auf Sachebene scheint er nicht zu mögen oder zu können.

Wir meinen, dass er sich mit seinen populistischen Argumenten selbst diskreditiert  und sich aus dem Kreis der seriösen Stimmen zum Thema verabschiedet hat.

Ein Polizeipräsident
BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer meinte: “Egal wie man diskutiert, man muss sich hier entscheiden, ob man den Ermittlungserfolg will oder nicht.”

Wir finden:
Er hat damit durchaus Recht. Nur sind wir der Meinung, dass man auf Ermittlungserfolge gerade dann verzichten muss, wenn die Mittel, die dazu notwendig sind, übermäßig und unverhältnismäßig Menschen- und Grundrechte beschneiden bzw. verletzen, und die freiheitliche Konstitution einer Gesellschaft in Frage stellen.

Herr Maurer weiter:
Als mögliche Lösung des Problems sei vielleicht eine andere Sicht auf das Internet denkbar, die jeder Bürger verinnerlichen müsse: “Wer im Internet ist, hat die Privatheit verlassen.” Dementsprechend sei die Speicherung der IP-Adressen dann auch nicht problematisch.

Wir finden:
Wenn der Vizechef des Bundeskriminalamts hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Durchsetzung von Grundrechten im Internet aufgibt und alle Viere von sich streckt, dann ist er vielleicht ein Verfechter der post-privacy-Ideologie, aber für seine Position in der obersten Strafverfolgungsbehörde ungeeignet.

Herr Maurer mag resignieren und bereit sein, sein Recht auf Privatheit aufzugeben. Aber dem Rest der Bevölkerung vorschreiben zu wollen, was sie zu verinnerlichen haben und dass die IP-Vorratsdatenspeicherung unproblematisch sei, ist ebenso anmaßend wie unqualifiziert. Mit einer menschenfreundlichen und rechtsstaatlichen Einstellung ist das nicht vereinbar.

Ein parlamentarischer Geschäftsführer

Der parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundesfraktion Thomas Oppermann meinte, dass Deutschland mit einer sehr restriktiven Regelung der Vorratsdatenspeicherung die Chance habe, die Debatte in Europa zu beleben, und damit auf andere Staaten einen mäßigenden Einfluss haben könnte. Spätestens mit der drohenden Geldstrafe der EU-Kommission werde die Debatte zur Vorratsdatenspeicherung schnell vorbei sein, weil diese Zahlungen dem wählenden Steuerzahler nicht zu vermitteln seien.

Wir finden:
Zunächst gilt auch für Herrn Oppermann das gleiche wie für seinen Parteikollegen Herrn Jäger: Auf eine inhaltliche Sachdebatte bezüglich seiner Pro-Vorratsdatenspeicherung-Argumente wollte er sich bislang trotz mehrfachen Nachhakens nicht einlassen (siehe hier und hier). Soviel zur Frage, wie man eine Debatte beleben kann oder eben auch nicht.

Wenn Herr Oppermann mit einer angeblich “restriktiven” Variante der Vorratsdatenspeicherung Debatten auf EU-Ebene anregen will, vergisst er folgendes:

a.) Ein bißchen schwanger sein geht nicht. Jede Form von verdachtsloser Vorratsdatenspeicherung widerspricht fundamentalen Rechtsprinzipien, und zwar nicht nur in Deutschland. Dementsprechend sind hierzu auch Verfahren vor dem Europäischen Menschengerichtshof anhängig.

b.) Herr Oppermann und seine Parteikollegen haben seit Jahren die Gelegenheit, sich in Brüssel gegen eine Vorratsdatenspeicherung einzusetzen. Von einigen einzelnen SPD-Abgeordneten abgesehen, war davon aber bislang nicht viel zu bemerken. Das macht seine Argumentation insgesamt unglaubwürdig.

c.) Das Argument der drohenden Geldstrafen zieht aus mehreren Gründen nicht. Was ist mit den vielen anderen derzeit fälligen Strafen wegen Nichtumsetzung von EU-Richtlinien? Sind diese etwa besser zu vermitteln oder werden sie einfach nur totgeschwiegen? Und was sind die Höhen dieser irgendwann drohenden Strafzahlungen wegen Nichtumsetzung der Vorratsdatenspeicherung im Vergleich zu den tausendfach (oder sogar noch mehr?) höheren Geldzahlungen aufgrund des instablien Geld- und Wirtschaftssystems? Die von vielen Menschen als unsinnig empfundene Volkszählung kostete zum Beispiel mehr als eine Milliarde Euro. Wer spricht denn darüber? Und vor allem: Haben monetäre Gründe überhaupt eine Grundlage, wenn es im Gegenzug um die Aufgabe von grundlegenden Rechtsprinzipien und Grundrechten geht?

Wir finden:
Nein! Denn Grund- und Menschenrechte tragen das prädikat ‘unveräußerlich’, weil sie nicht zu verkaufen sind. Das sollte man auch nicht versuchen.

Was soll das nun alles?

Insgesamt ergibt sich das Bild, dass aus den Reihen der Befürworter von Überwachung im Allgemeinen und der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung im Speziellen zumindest bei dieser Veranstaltung überwiegend unseriös und populistisch argumentiert wurde. Es stellt sich angesichts der eigentlich anzunehmenden Expertise der Beteiligten die Frage, warum diese denn dauernd auf Plattitüden und Halb- bis Unwahrheiten zurückgreifen, wo doch diese Überwachungswerkzeuge angeblich so unverzichtbar und heilsbringend sein sollen. Wäre auch nur die Hälfte davon wahr, müsste die law&order-Fraktion doch spielend in der Lage sein, erdrückende Argumente ins Feld zu führen und die Diskussion zu beenden.

Aus der Tatsache, dass dies nicht passiert, sondern man uns statt dessen die Internetnutzung als Ende der Privatheit verkaufen will, möge jeder Leser seine eigenen Schlüsse ziehen.

[Crosspost von Vorratsdatenspeicherung (urheberrecht.wikimedia.de); Bilder Frans Jozef Valenta, Bonn, CC-BY-NC-ND]

800px-Frans-vds-2011-de-5

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..