erwachsen

6. Mai 2013

Zu 15 Monaten Freiheitsstrafe wegen Cannabisdelikten hat das Jugendschöffengericht Meppen einen zur Tatzeit 18 Jahre alten Mann aus Meppen verurteilt, die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Als ich den Bericht in der Meppener Tagespost las, habe ich mich gewundert. Fast immer wird nämlich auf 18jährige das Jugendstrafrecht angewendet, nicht das Erwachsenenstrafrecht. Hier war es anders. Dazu berichtet die Meppener Tagespost:

„…Die Jugendgerichtshilfe gab zu Protokoll, dass der Versuch eines Gesprächs von dem Angeklagten abgelehnt wurde. Damit habe er verdeutlicht, dass er sich erwachsen fühle. Für den Staatsanwalt der Grund, Erwachsenenstrafrecht anzuwenden….

Der Verteidiger plädierte für Anwendung des Jugendstrafrechts, konnte sich aber nicht durchsetzen….

Das Jugendschöffengericht erkannte auf die vom Staatsanwalt beantragten 15 Monate…“

Der Angeklagte war also zur Tatzeit 18 Jahre, hatte seine Ausbildung abgebrochen, diverse strafrechtliche Verurteilungen, es gab  Betäubungsmittelprobleme –  und dann Erwachsenenstrafrecht, weil der Angeklagte trotzig nicht zur Jugendgerichtshilfe (des Landkreises) ging, „weil er sich erwachsen fühlte“, wie die MT berichtet.

HandschellenNun ist das Jugendstrafrecht ein Sonderstraf- und  Sonderstrafprozessrecht für junge Täter, die sich zur Zeit ihrer Tat im Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsenenalter befinden, so weiß es wikipedia, das auch einen aufschlussreichen geschichtlichen Abriss über das Jugendstrafrecht hinzufügt. Jugendstrafrecht ist Ausdruck  der Besonderheiten in der psychologischen Entwicklung des Menschen. Außerdem erfordern jugendliche Sozialisationsprozesse spezielle Reaktionen auf Straftaten, die  sogar Ausdruck der (im Prinzip notwendigen) Abgrenzung und Selbstfindung sind. Auch auf 18 bis 20jährige („Heranwachsende“) wird Jugendstrafrecht angewendet, wenn -wie meist- Reiferückstände in der Person  vorhanden sind oder die abzuurteilende Tat jugendtypische Züge aufweist.

Ich habe keine große Kenntnis der vom Jugendschöffengerichts Meppen entschiedenen Anklage. Doch es liegt auf der Hand, dass es nicht richtig ist, das Strafrecht für Erwachsene auf diesen unreifen, jungen Kiffer anzuwenden, der sich mit all seinen Problemen so „erwachsen fühlte„. Das zeigt eindrucksvoll auch gerade seine Weigerung, mit der Jugendgerichtshilfe zu reden. Kein Zeichen von Qualität des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ist es, wenn er daraufhin genauso trotzig meinte, dass dieser Angeklagte ob seines Trotzes erwachsen sei. Genauso bedenklich ist folglich das gesprochene Urteil.

Aber man erkennt: Die Verurteilung eines 18jährigen Heranwachsenden zu Erwachsenenstrafe entspricht dem rigorosen Zeitgeist, von Trash-TV, Rache und Gnadenlosigkeit geformt. Man hört allenthalben  dessen Protagonisten tönen: „Wenn ’se volljährig sind, müssen ’se wie Erwachsene bestraft werden.“

Diese Stammtischposition überzeugt aber schon deshalb nicht, weil in Deutschland ein junger Mensch vieles eben nicht darf, obwohl er volljährig ist. Guckst du hier [Quelle], was ihm erst gestattet ist

ab Vollendung des 21. Lebensjahres

ab Vollendung des 23. Lebensjahres

ab Vollendung des 25. Lebensjahres 

ab Vollendung des 27. Lebensjahres

  • Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit möglich. (in Bayern zum 1. April 2009 mit Einführung des BayBG neu und des BeamtStG weggefallen)
  • Wählbarkeit zum Bürgermeister oder Landrat in Schleswig-Holstein (§ 57 Gemeindeordnung Schl.-Holstein, § 43 Kreisordnung Schl.-Holstein)
  • Wählbarkeit zum Landrat in Sachsen (§ 45 Sächs. Landkreisordnung)

ab Vollendung des 30. Lebensjahres

ab Vollendung des 35. Lebensjahres

ab Vollendung des 40. Lebensjahres

Das Fazit:
Beamter auf Lebenszeit wird kein 18jährige, er darf auch keinen Zug führen und keinen  Bus fahren, niemanden adoptieren und er muss gar mehr als doppelt so alt werden, um Ministerpräsident im Amigo-Freistaat Bayern zu sein.  Es ist schon verflucht richtig, dass wir mit 18 Jahre jungen Menschen anders umgehen als mit Erwachsenen – auch und gerade wenn sie Ungesetzliches tun wie ein Erwachsener.

 

עין תּחת עין

31. Mai 2012

In Emden ist gestern ein junger Mann zu einem zweiwöchigen Jugendarrest verurteilt worden. Er hatte nach der Festnahme eines unschuldigen, nach Meinung der Ermittlungsbehörden aber dringend des Mordes verdächtigen 17jährigen  auf einer Facebook-Seite geschrieben: „Aufstand! Alle zu den Bullen. Da stürmen wir. Lasst uns das Schwein tothauen.“ Für diesen Aufruf zu Straftaten gab es jetzt also Jugendarrest; den haben die Nationalsozialisten durch Verordnung vom 4. Oktober 1940 eingeführt, in Fachkreisen ist er ob seiner zweifelhaften Wirkung umstritten. Dabei hatte eine Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe in der Gerichtsverhandlung betont, der Angeklagte habe „alles zur Wiedergutmachung getan, was denkbar“ sei.

Ob das Urteil richtig ist, kann ich mangels Kenntnis des Angeklagten und der Akten nicht sagen. Aber ich habe gesehen, dass der 18jährige im Gerichtssaal des Amtsgerichts Emden wie ein Stück Vieh den versammelten Medien präsentiert und geradezu vorgeführt wurde. Hemmungslos wurden Kameras und Fotoapparate auf ihn gerichtet und „die Medien“ knippsten und filmten, was das Zeug hielt. Das erinnerte angesichts des Vorwurfs an alttestamentarische Vergeltungsgrundsätze á la עין תּחת עין aber nicht an einen Strafprozess vor einem bundesdeutschen Jugendgericht. Irgendjemand muss dem Angeklagten einen Aktendeckel in die Hand gedrückt haben, den er sich vors Gesicht hielt. Doch niemand schützte den Schlosserlehrling wirklich vor den Medienleuten, die ihn „umzingelten“ (NDR). Kein Wunder! Der 18-Jährige Angeklagte hatte keinen Verteidiger und verzichtete später auf ein Schlusswort, wie Spiegel-online berichtet.  Er war sichtlich eingeschüchtert, überfordert und nicht imstande, seine prozessualen Rechte zu wahren. Es fehlte ein Verteidiger. Das Gericht hatte keinen bestellt und die Staatsanwaltschaft Aurich hatte dies offenbar auch nicht beantragt, obwohl dessen Anwesenheit greifbar notwendig war.

Ein Strafverteidiger hätte im Vorfeld beantragt, die Öffentlichkeit auszuschließen. Im Strafprozess gegen einen 18 – 20jährigen  kann dies geschehen, wenn es im Interesse des Heranwachsenden geboten ist. Das betreffende Jugendgericht muss eine Ermessensentscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu in schlechtem Juristendeutsch, dass den Belangen des Angeklagten besonderes Gewicht zukommt, wenn die „vom Gesetzgeber typisiert festgelegten personenbezogenen Voraussetzungen für den Ausschluss selbst der Saalöffentlichkeit vorliegen“. Das Verfassungsgericht unterstreicht, dass zu den zu wahrenden Schutzinteressen vor allem das Persönlichkeitsrecht der Beteiligten gehört. Es verweist ausdrücklich auf Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende.

Eine der vornehmsten Aufgaben jedes Gerichts ist es, einen Angeklagten vor seelischen Verletzungen zu schützen. Kein Angeklagter darf in einem Rechtsstaat bloß gestellt werden. Das gilt für jeden Täter. Auch in Emden. Zurschaustellungen sind inakzeptabel. Doch die gestrige Verhandlung in Emden gegen den Heranwachsenden stellte ihn zur Schau, war damit unfair und nicht rechtsstaatlich.

Noch dies: Bislang habe ich es nicht gesehen, dass der Vorsitzende eines Gerichts die Entscheidung seines Gerichts nach Schluss der Verhandlung vor laufenden Kameras rechtfertigt und begründet. Auch dies fand gestern statt.

Warum hat man in Emden eigentlich immer noch nichts dazu gelernt?

(Foto: Rathaus Emden CC Tim Schreder)