Die EU-Kommission möchte mit einer Chatkontrolle unsere Kommunikation im Internet umfassend überwachen. So sollen sämtliche Nachrichten in sozialen Medien, Chats und Webseiten, aber auch bisher Ende-zu-Ende-verschlüsselte Messengernachrichten kontrolliert werden. Durch die Überwachung all unserer Nachrichten möchte die EU-Kommission Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen finden. Doch statt Kindesmissbrauch zu verhindern, schafft die EU-Kommission damit eine Reihe neuer Probleme für uns alle.

Eine massenhafte Kontrolle der gesamten digitalen Kommunikation ist nichts anderes als eine Massenüberwachung und stellt uns alle unter Generalverdacht. Damit schafft die EU-Kommission de facto eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und damit jede private Kommunikation und ein wichtiges demokratisches Grundrecht einfach ab. Denn verschlüsselte und sichere Kommunikation ist nicht nur Grundlage für politischen Aktivismus, für kritischen Journalismus, Whistleblowing und Anwältinnen- und Ärztegeheimnis sondern für jede vertrauliche und intime Kommunikation und das Leben in einer demokratischen Gesellschaft.

Der Juristische Dienst des EU-Rats bezeichnet jetzt die Chatkontrolle als rechtswidrig und erwartet, dass Gerichte das geplante Gesetz wieder kippen. Die EU-Staaten nehmen das Gutachten zur Kenntnis und verhandeln trotzdem einfach weiter. Wir (netzpolitik.org) veröffentlichen ein eingestuftes Verhandlungsprotokoll.

Vor einem Jahr hat die EU-Kommission eine Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgeschlagen. Das Gesetz soll Anbieter von Internetdiensten verpflichten, per Anordnung die Inhalte ihrer Nutzer:innen zu durchsuchen und strafbare Kinderpornografie sowie Grooming an ein EU-Zentrum weiterzuleiten – die Chatkontrolle.

Im Bundestag kritisierten alle Sachverständigen bis zum Kinderschutzbund: Die Chatkontrolle ist nicht notwendig, nicht effektiv und nicht verhältnismäßig. Jurist:innen bezeichnen die Maßnahmen als grundrechtswidrig und erwarten, dass Gerichte die Chatkontrolle kippen. Das sagen die deutschen und europäischen Datenschutzbeauftragten, die Wissenschaftlichen Dienste von Bundestag sowie EU-Parlament und jetzt auch der Juristische Dienst des EU-Rats.

Die EU-Staaten verhandeln den Gesetzentwurf in der Ratsarbeitsgruppe Strafverfolgung. Ende April ging es erneut ausschließlich um die geplante Verordnung. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Verhandlungsrunde im Volltext.

Besonders schwerer Eingriff in Grundrechte

Zu Beginn der Sitzung stellte der Juristische Dienst des EU-Rats sein Gutachten vor. Demnach verstößt das geplante Gesetz gegen die Grundrechtecharta. Die Chatkontrolle betrifft alle Nutzer:innen der verpflichteten Kommunikationsdienste, „ohne dass diese Personen auch nur indirekt in eine Situation geraten, die eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen könnte“. Diese allgemeine und unterschiedslose Kontrolle ist unverhältnismäßig und erfüllt die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe nicht.

Der Europäische Gerichtshof hat mehrmals klargestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit der Grundrechtecharta ist. Die Chatkontrolle geht noch über die Vorratsdatenspeicherung hinaus: Sie betrifft nicht nur Verkehrs- und Standortdaten, sondern auch Kommunikationsinhalte. Und sie richtet sich nicht nur gegen Terrorismus und Gefahren nationaler Sicherheit, sondern gegen Straftaten. Wenn das oberste EU-Gericht die Vorratsdatenspeicherung kippt, dann die Chatkontrolle erst recht.

Die Jurist:innen des EU-Rats wählen starke Worte. Die Chatkontrolle „beeinträchtigt den Wesensgehalt der Grundrechte“. Das Grundrecht auf Vertraulichkeit der Kommunikation könne „unwirksam und inhaltsleer“ werden. Es besteht „die ernsthafte Gefahr, sogar den Kern des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens“ zu verletzen. Um irgendwie rechtmäßig zu werden, müsste sich die Chatkontrolle auf Personen beschränken, die mit sexuellem Missbrauch in Verbindung stehen.

Zehn Staaten ignorieren Rechtsgutachten

Die EU-Kommission, die den Gesetzentwurf vorgeschlagen hat, widerspricht der juristischen Bewertung des Rats ausdrücklich. Die Kommission geht „von einer grundlegend anderen rechtlichen Bewertung aus“. Sie kündigte an, eine schriftliche Stellungnahme zu erarbeiten, um die Perspektive der Rats-Jurist:innen zu kontern. Die EU-Staaten kündigten ebenfalls an, das Gutachten des EU-Rats zu prüfen. Dann verhandelten sie weiter.

Zehn EU-Staaten haben sich in einer Gruppe gleichgesinnter Staaten zusammengetan und eine gemeinsame Position formuliert, die Irland vortrug. Sie fordern explizit, persönliche Kommunikation anlasslos zu durchsuchen, auch wenn die Nutzer:innen nicht im Verdacht stehen, mit Straftaten in Verbindung zu stehen. Die zehn Staaten wollen nicht nur nach bekannten strafbaren Inhalten suchen, sondern auch nach „unbekanntem Material“ sowie nach „Anwerbung von Kindern/Grooming“ – auch wenn dafür keine angemessene Technologie existiert.

Nach langem Streit fordert die deutsche Bundesregierung, nur unverschlüsselte Kommunikation zu scannen und verschlüsselte Kommunikation auszunehmen. Dieser Forderung widersprechen die zehn Staaten, sie wollen Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste nicht ausnehmen. Die Staatengruppe fordert zudem, das Gesetz möglichst noch dieses Jahr zu beschließen.

Undifferenzierte Gesamtüberwachung

Andere Staaten sind kritischer. Österreich äußerte „datenschutzrechtliche und grundrechtliche Bedenken“, der Gesetzentwurf beinhalte eine „undifferenzierte Gesamtüberwachung“. Deutschland verwies auf die Stellungnahme der Bundesregierung und forderte „wesentliche Änderungen“ des Gesetzes, will sich aber „weiterhin aktiv und konstruktiv“ einbringen. Polen betonte: „Verschlüsselung darf nicht gebrochen werden“.

Tschechien fordert, auch neues Missbrauchsmaterial zu suchen, dafür dürfe man die Chatkontrolle nicht auf potenzielle Straftäter beschränken. Die Niederlande hingegen haben mit Blick auf die aktuell existierenden Technologien „erhebliche Zweifel“, ob die Suche nach unbekanntem Material und Grooming verhältnismäßig ist. Estland und Malta fordern, „grundlegende Fragen zu klären, um geeignete, rechtlich tragbare Lösungen für dieses Dilemma zu finden“.

Im weiteren Verlauf diskutierten die Staaten die aktuellen Kompromissvorschläge der schwedischen Ratspräsidentschaft. Schweden kündigte an, dass sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten auf seiner heutigen Tagung mit der geplanten Verordnung und insbesondere mit „Umfang und Umgang mit Verschlüsselung“ befassen wird. Der Punkt wurde jedoch wieder von der Tagesordnung gestrichen – die EU-Staaten streiten weiter.

Hier findet man die von netzpolitik.org angesprochenen Schriftstücke (bitte nach unten scrollen)

Hier geht es zur Website von CHAT-Kontrolle stoppen.

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Ein Beitrag von Andre Meister auf netzpolitk.org /
CC BY-NC-SA 4.0
Foto: DGB in Europa, CC hier im Blog vom 29.4.2019

Zwang

18. März 2023

Der Zwang zur Abgabe von Fingerabdrücken für den Personalausweis ist umstritten. In Luxemburg fand am Dienstag dieser Woche  eine Sitzung dazu vor dem Europäischen Gerichtshof statt. Ein Bürgerrechtler hatte geklagt. Netzpolitik.org informiert:

Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler (rechts) und sein Mandant, der Kläger Detlev Sieber im Verhandlungssaal
Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler (rechts) und sein Mandant, der Kläger Detlev Sieber CC-BY 4.0 Konstantin Macher

Schon deutsche Gerichte hatten darauf hingewiesen, jetzt zeichnet sich auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein ähnliches Bild ab: Der Fingerabdruckzwang steht auf wackeligen Rechtsbeinen. Gestern wurde der Fall mündlich in Luxemburg verhandelt.

Geklagt hatte Detlev Sieber von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden: Sieber verlangte von der Stadt einen Personalausweis ohne dafür biometrische Daten in Form von Fingerabdrücken zu hinterlassen. Die Richter hatten den Fall dann an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergegeben (Beschl. v. 13.01.2022, Az. 6 K 1563/21.WI).

Dass die rechtlichen Bedenken aus Wiesbaden kein Einzelfall sind, hat sich in der Zwischenzeit bestätigt: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am 22. Februar angeordnet, dass einer Person ein Personalausweis ohne gespeicherte Fingerabdrücke ausgestellt werden soll [Az 20 E 377/23]

Zweifel aus den eigenen Reihen

Die Sitzung am EuGH fand nun vor der Großen Kammer statt – ein Zeichen, dass das Gericht sich der Dimension bewusst ist. Mehr als 300 Millionen EU-Bürger:innen sind von der Verordnung 2019/1157 betroffen. Sie verpflichtet seit 2021 alle EU-Bürger:innen, zwei Fingerabdrücke abzugeben, sobald sie einen neuen Personalausweis beantragen. Die biometrischen Daten werden anschließen auf einem Chip im Personalausweis gespeichert.

Die EU sagt, die Verordnung diene dem Fälschungsschutz und soll es den Behörden einfacher machen, eine verlässliche Verbindung zwischen einer Person und ihrem Ausweis herzustellen. Laut dem Europäischen Datenschutzbeauftragten ist das allerdings nicht notwendig.Schon 2018 hat dieser empfohlen, auf Alternativen zurückzugreifen, die in gleichem Maße Fälschungen vorbeugen – dabei aber das Grundrecht auf Datenschutz schonen.

Neben dem Fälschungsschutz gibt es noch eine zweites Argument: Mit dem neuen Perso könnten sie EU-Bürger:innen frei in und zwischen den Staaten bewegen. Für Kritiker:innen ist auch diese Begründung vorgeschoben. Schließlich besitzen die meisten EU-Bürger:innen bereits einen Reisepass. Und bei Reisen innerhalb der EU wird der Perso ohnehin kaum kontrolliert.

Vorgeschobene Gründe

Jetzt also Luxemburg. Die Parteien trugen ihre Rechtsansicht am Dienstagvormittag im Grande Salle Palais vor den 15 anwesenden Richter:innen vor. Wilhelm Achelpöhler, der Anwalt des Klägers, begann mit seinem Hauptangriffspunkt: Die Fingerabdrücke dienten nicht ausschließlich dem Zweck, dass sich Unionsbürger:innen frei in und zwischen den Staaten bewegen könnten. Im Gegenteil: Die Verordnung ließe es ausdrücklich zu, dass nationale Behörden aus beliebigen Gründen – beispielsweise für die Strafverfolgung – auf die biometrischen Daten zugreifen. „Die Verordnung begrenzt die Verwendung der Daten nicht auf das erforderliche Maß“, sagte Achelpöhler.

Der Anwalt erklärte auch noch mal, welchen Weg die Daten nehmen. Sobald EU-Bürger:innen einen Antrag für einen neuen Personalausweis stellen, nimmt die zuständige Behörde biometrische Daten in Form von zwei Fingerabdrücken. Danach verbleiben die hochsensiblen Daten bis zu 90 Tage bei der Behörde sowie beim Unternehmen, das den Ausweis anschließend erstellt. Im Regelfall sollen die Daten zwar schon bei Abholung des Ausweises gelöscht werden. Doch auf der Grundlage von nationalen Gesetzen kann der Staat in diesem Zeitraum auf die Daten zugreifen.

Nach 90 Tagen verringert sich die Gefahr eines Zugriffs: Die Daten sind dann nur noch auf einem kleinen Chip im Personalausweis. Auf diesen können Behörden nur noch mit einem speziellen Lesegerät zugreifen. Und nur zu dem Zweck, um den Ausweis und die Identität der Person auf Echtheit zu überprüfen.

90 Tage Wilder Westen

90 Tage sind dennoch eine lange Zeit für die EU, die sich sonst gerne als Vorreiter in Fragen des Datenschutzes positioniert. Achelpöhler sagt in der Verhandlung dazu: „Warum soll man bei der Ausstellung eines Personalausweises Fingerabdrücke der Bürger erheben und diese für 90 Tage zu jedem potentiellen Zweck des nationalen Rechts verwenden?“ Ein solche Regelung verunsichere die Bürger:innen und führe zu der Befürchtung, dass der Staat anlasslos die Daten gegen sie verwendet.

Konstantin Macher, ein Sprecher von Digitalcourage, erhob in einer Pressemitteilung nach der Verhandlung noch einmal ganz grundsätzliche Kritik: „Auch auf mehrere Nachfragen hin konnten EU-Kommission und Rat nicht erklären, wie eine Gefahr für die biometrischen Daten der betroffenen Bürger.innen ausgeschlossen werden soll. Das lässt sich auch gar nicht verhindern: wenn die Daten einmal erhoben werden besteht das Risiko des Datenlecks und des Missbrauchs. Darum sollte es erst gar keine Fingerabdruckpflicht geben.“

Vertreter:innen von Kommission, Parlament und Rat verteidigten den Fingerabdruckzwang vor dem EuGH vehement. Das ist wenig überraschend, schließlich geht die Verordnung auf diese Institutionen zurück. Eine Vertreterin des Rats der Europäischen Union betonte in ihrem Statement immer wieder, dass die Daten vor Zugriff sicher seien.

Der nächste Schritt im Verfahren ist jetzt die Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin am 29. Juni. In den allermeisten Fällen folgt das Gericht diesen Anträgen. Ein Termin für die endgültige Urteilsverkündung steht noch nicht fest.


Ein Beitrag von Jan Lutz auf netzpolitik.org, Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Nicht anlasslos

21. September 2022

Die Verbindungs- und Standortdaten der Kommunikation dürfen nicht anlasslos weggespeichert werden – ein Sieg für die Grundrechte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung sollte aber auch Anlass sein, über die inhärenten Gefahren von massenhaften Datenhalden nachzudenken. Ein Kommentar von Constanze Kurz (netzpolitik.org)

symbolbild ueberwachung
Durchdigitalisiert. (Symbolbild) Vereinfachte Pixabay Lizenz Gerd Altmann

Die Idee war von jeher monströs: das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung wegzuspeichern, um in Kriminalfällen mit diesen Daten ermitteln zu können. Das höchste Gericht Europas hat die Rechtswidrigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung nun erneut festgestellt. Das Urteil ist ein klarer Sieg für die Grundrechte. Aber dass es so viele Jahre, mehrere höchstrichterliche Urteile, massive Proteste und einen wirklich langen juristischen Atem gebraucht hat, um die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorerst zu begraben, ist fatal. Denn es ist ein Zeichen dafür, dass ein Teil der politischen Parteien den Kompass in Fragen massenhafter Überwachung verloren hat. Es sind die drei ehemaligen Volksparteien CDU, CSU und SPD, die über Jahre hinweg die anlasslose Vorratsdatenspeicherung protegiert haben.

Wider besseren Wissens hatten sie 2015 eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Es war nur ein Jahr, nachdem der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur anlasslosen Datenspeicherung gekippt hatte. Dass eine solche Speicherung rechtlich nicht mit den Werten der EU vereinbar ist, war schon damals klar. Die Große Koalition hat sich aber entschieden, das zu ignorieren.

Der Justizminister muss Wort halten

Rechtlich ist die anlasslose Vorratsdatenspeicherung schon länger begraben. Nun muss die massenhafte Speicherung der Telekommunikationsdaten auch politisch beerdigt werden. Nach Ende der Merkel-Ära ist die Chance dafür nun gegeben. Der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Urteils bereits an, die Vorratsdatenspeicherung „endgültig“ aus dem Gesetz zu streichen. Dieses Wort muss er halten.

Doch das Urteil sollte Anlass sein, auch andernorts das milliardenfache Horten von Daten zu hinterfragen. Denn dass sich aus Vorratsdaten aussagekräftige Profile errechnen lassen, ist unumstritten. Das ist aber längst nicht auf Telekommunikationsdaten beschränkt: Detaillierte Bewegungs- oder Sozialprofile lassen sich aus anderen massenhaften Informationshäppchen gewinnen. Beispiele dafür liegen auf der Hand: etwa die kürzlich als rechtswidrig gebrandmarkte Vorratsdatenspeicherung der Passagierdaten oder die zwangsweisen massenhaften Biometrie-Sammlungen. Auch aus ihnen und weiteren Datensammlungen können aussagekräftige Profile und Zusatzinformationen über Personen hervorgehen.

Und nicht zuletzt muss erneut darauf hingewiesen werden: Abgespeicherte Massendaten sind immer auch ein inhärentes Sicherheitsproblem. Denn wir leben nicht nur in einer Zeit, in der einigen Politikern offenbar der Sinn dafür fehlt, dass wegen der allseitigen Digitalisierung die anfallenden Daten nicht etwa zu ihrer freien Verfügung stehen, sondern auch in einer Zeit einer strukturellen IT-Sicherheitskrise. Jeden einzelnen Tag können wir nachlesen, wo wieder diese und jene Sicherheitslücken entdeckt wurden oder wo massenhaft Daten abflossen. Es ist so häufig geworden, dass selbst bei Millionen Betroffenen kaum mehr ein Hahn danach kräht. So sind solche Datenhalden wie bei der Vorratsdatenspeicherung eben auch ein Sicherheitsrisiko. Schon deswegen sollte man sich von der Idee des massenhaften Wegspeichern ohne Anlass tunlichst verabschieden.


Ein netzpolitk.org-Beitrag Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

(EuGH, Urt. v. 20.09.2022, Rs. C-793/19, C-794/19 u.a., juris)

ohne konkreten Verdacht

5. April 2022

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat es mehrfach klargemacht: Es verstößt gegen Grundrechte, wenn Provider pauschal alle Kommunikationsdaten speichern sollen. Doch nun gibt das Gericht grünes Licht für Massenüberwachung an vielbesuchten Orten.

Polizei im Einsatz
Anlasslose Datenspeicherung? Behörden wollen Zugriff (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jonas Augustin

Der Europäische Gerichtshof hat einmal mehr der Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. Das Urteil vom heutigen Dienstag stellt erneut klar, dass Staaten nicht anlasslos und unbegrenzt das Sammeln von Daten über die private Kommunikation anordnen dürfen. Allerdings nennt das Gericht laut einer Pressemitteilung Bedingungen, nach denen mit gewissen Einschränkungen doch die anlasslose Speicherung von Daten angeordnet werden darf.

Gerichte in Deutschland, Frankreich und Irland hatten dem EuGH zuletzt Fragen über die massenhafte Speicherung von Daten auf Verdacht vorgelegt. Im November kam der EU-Generalanwalt in seinem rechtlich nicht bindenden Gutachten zu dem Schluss, dass die konkret beanstandeten nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung nicht rechtens sind. Bereits davor hatte der EuGH immer wieder entschieden: Die pauschale Speicherung der Daten von Millionen Menschen auf Vorrat, bloß weil jemand eine Straftat begehen könnte, ist nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbar.

Kein Hinweis auf konkrete Straftat nötig

Wie schon in früheren Urteilen nannte das Gericht nun grundsätzliche Kriterien, nach denen eine vorab angeordnete Speicherung von Kommunikationsdaten zulässig sein kann. Etwa dann, wenn sie auf konkrete Personen oder Standorte beschränkt ist. Das Gericht stellt im aktuellen Urteil klar, dass dafür keine konkreten Anhaltspunkte auf Straftaten nötig sind – also etwa ein Verweis auf dieKriminalitätsrate an einem bestimmten Ort reicht. Auch dürfe die Vorratsdatenspeicherung für vielbesuchte Orte wie Flughäfen und Bahnhöfe angeordnet werden.

Ebenfalls zulässig ist es laut Gericht, wenn nationale Gesetze dazu verpflichten, die Identität von Inhaber:innen einer Prepaid-Sim-Karte zu speichern. Erlaubt ist auch ein Quick-Freeze, also die umgehende Sicherung von Vorratsdaten, wenn ein Verdacht auf eine konkrete Straftat vorliegt. Allerdings dürfen aus Sicht des Gerichts alle diese Maßnahmen nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder zur Verhütung der Bedrohung der nationalen Sicherheit angeordnet werden.

Das heutige Urteil bezieht sich allein auf einen irischen Fall. Darin geht es um die Nutzung von auf Vorrat gespeicherten Daten in einem mehr als ein Jahrzehnt zurückliegenden Mordfall. Der EuGH weist in einer Pressemitteilung darauf hin, dass die Zulässigkeit der durch eine solche Vorratsspeicherung erlangten Beweismittel „dem nationalen Recht unterliegt“. Konkret bedeutet das: Irische Gerichte müssen entscheiden, ob es verhältnismäßig ist, aus einer später kassierten Vorratsdatenspeicherung verwendete Daten noch in Strafverfahren auszuwerten. Ein Urteil in den französischen und deutschen Fällen soll bald folgen.

EuGH setzt Datenspeicherung immer wieder Grenzen

Im vergangenen Jahrzehnt setzte das EU-Gericht der Vorratsdatenspeicherung immer wieder Grenzen. Schon 2014, 2016 und 2020 entschied der EuGH, dass eine anlasslose Speicherung aller Kommunikationsverbindungen rechtswidrig ist – entsprechende Gesetze aus europäischer und nationaler Ebene müssten geändert werden.

Eine Ausnahme sah das Gericht in seinem Urteil 2020 allerdings für „ernsthafte Bedrohungen der nationalen Sicherheit“ vor. Selbst dann müsse die Datenspeicherung jedoch zeitlich begrenzt werden, und es müsse eine richterliche Überprüfung stattfinden. 2021 präzisierte der EuGH in einem weiteren Urteil, dass nationales Recht klare und präzise Regeln für die Datenspeicherung festlegen und Mindesterfordernisse aufstellen müsse, um Missbrauchsrisiken zu vermeiden.

In Deutschland hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) angekündigt, die Vorratsdatenspeicherung „endgültig aus dem Gesetz zu streichen“. Stattdessen brachte er Quick-Freeze ins Gespräch. Die EU-Staaten arbeiten allerdings seit einiger Zeit an einem neuen EU-Gesetz, dass die Vorratsdatenspeicherung wieder europaweit einführen soll. Dokumente aus Beratungen hinter verschlossenen Türen zeigen, dass in Brüssel nach Möglichkeiten gesucht wird, die massenhafte und anlasslose Datenspeicherung rechtskonform zu gestalten – selbst dann, wenn der EuGH das Prinzip immer wieder für mit den Grundrechten nicht vereinbar erklärt hat.

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Ein Beitrag auf netzpolitik.org von Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Leitplanken

15. März 2022

PRO ASYL und  der Flüchtlingsrat Niedersachsen haben am vergangenen Donnerstag ein Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) begrüßt. Darin haben die Luxemburger Richter das erste Mal Leitplanken  für die Unterbringung von Menschen vorgegeben, die abgeschoben werden sollen. die Folge: Die Bundesregierung muss jetzt Konsequenzen ziehen. Alle Bundesländer sind gefordert, ihre Haftanstalten zu überprüfen und zum Teil umzubauen.

Die Luxemburger Richter waren zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Inhaftierung von Menschen zum Zwecke der Abschiebung Mindeststandards zu beachten sind. So dürfen Abschiebehäftlinge nicht in Gefängnis-ähnlichen Einrichtungen untergebracht werden. Sollten sie aufgrund mangelnder Kapazitäten in eine Haftanstalt eingesperrt werden, auf deren Gelände sich auch Strafgefangene befinden, so muss vorab vom Haftrichter überprüft werden, ob tatsächlich eine unvorhersehbare Notlage vorliegt, die das nötig macht. Anders als von der Bundesregierung vor drei Jahren mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beschlossen, ist dies vorab zu prüfen. Der EuGH macht nun klar: Deutschland darf nicht pauschal eine Notlage verkünden und Abschiebehäftlinge deshalb mit Straftätern zusammen einsperren. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung gibt es hier also keinen justizfreien Raum!

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover, der das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof führte, PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass § 62a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz nun infolge des Urteils entsprechend geändert wird. Die im Sommer 2019 eingeführte Regelung, die es erlaubt, Abschiebungsgefangene bis 30. Juni 2022 zusammen mit Strafgefangenen in ein- und derselben Einrichtung unterzubringen, muss nach der heutigen Entscheidung unverzüglich ausgesetzt werden.

Geflüchtete, die keine kriminelle Tat begangen haben, dürfen nicht hinter meterhohen Gefängnismauern verschwinden

Im konkreten Fall, über den der EuGH entschied, hatte sich ein Mann aus Pakistan gegen den Abschiebungshaft angeordnet worden war, mit einer Beschwerde gegen seine mehrere Wochen dauernde Unterbringung in der Haftanstalt Hannover an das dortige Amtsgericht gewandt. Er war in einem Gefängnis untergebracht, das zwar für Abschiebehäftlinge vorgesehen war, in dem aber im fraglichen Zeitpunkt auch Strafgefangene waren. In diesem Fall spielt der EuGH den Ball an die Bundesrepublik zurück. Aber: „Das Urteil ist ein Appell an die Landesregierungen, sich bestehende Hafteinrichtungen genau anzusehen und diese gegebenenfalls umzubauen“, sagt Rechtsanwalt Fahlbusch. Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei PRO ASYL, kommentiert:

„Haftanstalten wie die im bayerischen Hof oder in Glücksstadt in Schleswig-Holstein sind von meterhohen, stacheldraht-bewehrten Mauern umgeben und haben damit eindeutig den Charakter eines Gefängnisses. Der EuGH hat klar gemacht, dass Abschiebehäftlinge dort nicht eingesperrt werden dürfen. Denn es geht hier um Personen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, sondern lediglich ausreisepflichtig sind. Diese Menschen sind keine Kriminellen und sollten auch nicht so behandelt werden.“

Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen ergänzte: „Zudem müssen jetzt alle Bundesländer eigene Gesetze erlassen, die die Rechte der Abschiebehäftlinge regeln und sich klar unterscheiden von denen zum Strafvollzug. Auch das Land Niedersachsen darf nicht so weiter machen wie bisher. Ohne eine solche Regelung ist eine Inhaftierung rechtswidrig.“ Das trifft insbesondere auch auf Bayern zu, das in der Abschiebepolitik besonders restriktiv vorgeht.

Rechtsanwalt Fahlbusch wies darauf hin, dass weitergehende Veränderungen nötig sind. „Die gegenwärtige Praxis, Betroffene ohne anwaltliche Unterstützung teilweise monatelang einzusperren, nur um sie von A nach B zu verbringen, ist eines Rechtsstaats unwürdig und muss dringend geändert werden.“ Nicht alles, aber vieles würde besser, wenn die Gefangenen vom Tag der Festnahme an einen Rechtsanwalt zur Seite gestellt bekämen. Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, Kinder und Jugendliche nicht mehr in Abschiebungshaft zu nehmen. Das heutige Urteil macht erneut deutlich, dass das nicht ausreicht.


Hintergrund

In Abschiebungshaft kommt nur jemand, der ausreisepflichtig ist und bei dem die Sorge einer Fluchtgefahr besteht. Das bietet viel Interpretationsspielraum. Ob Fluchtgefahr vermutet wird oder nicht, ist sehr subjektiv und hängt auch mit den persönlichen und politischen Einstellungen derjenigen Mitarbeiter*innen in der Ausländerbehörde oder im Regierungspräsidium zusammen, die das entscheiden. Obwohl nur Menschen in Abschiebungshaft festgehalten werden dürfen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie untertauchen, landen auch Alte, Kranke, Schwangere oder Mütter mit Kleinkindern in Abschiebegefängnissen.

Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, es nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen. Das vorlegende Gericht und alle folgenden Instanzen sind an die Entscheidung des EuGH gebunden.

5 Jahre illegal

21. Dezember 2021

Heute treffen sich der Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder, um etwas gegen die sich auftürmende Omikron-Wand zu tun, die sich vor uns aufbaut. Heute begehen wir aber auch den fünften Jahrestags eines wegweisenden Urteils.

In gänzlich unpandemischer Zeit urteilte der Europäische Gerichtshof am 21.12.2015, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung illegal ist. Nach diesem Urteil setzte die Bundesnetzagentur die Vorratsdatenspeicherung aus, doch die alte, freiheitsfeindliche Schlange zuckte weiter. Seitdem der EU-Rat „alle Optionen“ offenhalten wollte, kam die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung immer wieder regelmäßig auf die Tagesordnung der Großen Koalition.

Gelingt zum 5. Jahrestag vielleicht das Umdenken mit der Ansicht, dass sämtliche Überwachungspläne von Vorratsdatenspeicherung bis zur Überwachung verschlüsselter Messenger-Kommunikation, wie sie auf EU-Ebene vorangetrieben wird, eingestellt werden müssen. Es zeichnet sich ab, dass tatsächlich ein Umdenken eingesetzt hat. Bekanntlich verfolgt die Ampel-Regierung Pläne, neben der Überwachungsgesamtrechnung ein Überwachungsbarometer einzurichten, wie es das Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht vorgeschlagen hat.

„Gegenstand des Überwachungsbarometers ist die reale Überwachungslast, der die Bürger*innen aufgrund der tatsächlichen Nutzung der verschiedenen rechtlichen Befugnisse zur Erhebung bzw. zum Abrufen bereits anderweitig vorhandener Daten in der behördlichen Routine ausgesetzt sind.“ Gut möglich, dass auch Menschen, die angeblich niemals etwas zu verbergen haben, erkennen können, was für ein Tief an Freiheitsbeschränkungen sich da zusammenbraut.

Und damit ist nicht der Quatsch der „Querdenker“ gemeint, die ihre „Freiheit“ bedroht sehen, ungeimpft zu bleiben und Scharlatanen zu folgen.


Foto: Sitzungssaal des EuGH, GNU Free Documentation License
Euelle: ER, WA, wwww/heise.de

Hierzulande ist es mit dem formellen Recht meist so eine Sache. Es wird oft nur beim Sport ernst genommen: Pfeift der Schiri ab, zählt das Tor nicht. Aber sonst… Dabei ist formelles Recht starkes Recht, und das bestätigt sich gerade wieder: Nach Ansicht des Landgerichts Berlin hätte das „sehr schlechte Gesetz“ nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG notifiziert, d.h.vor seinem Inkrafttreten der Europäischen Kommission vorgelegt und mehrere Monate evaluiert werden müssen. Diese Sicht hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt. Netzpolitik berichtete gestern:

„Sechs Jahre nach seiner Einführung durch die schwarz-gelbe Koalition heben die EU-Richter das Leistungsschutzrecht wieder auf. Der Grund: Deutschland hat das Gesetz nicht ordnungsgemäß in Brüssel gemeldet. Dabei hätte es die damalige Regierung besser wissen müssen.

Sie taten es, obwohl sie es hätten wissen müssen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das deutsche Leistungsschutzrecht sechs Jahre nach seiner Einführung für unwirksam erklärt. Das Gesetz sei nicht ordnungsgemäß bei der EU-Kommission gemeldet worden und deshalb nicht anzuwenden, teilte der EuGH mit.

Die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP hätte das Gesetz eigentlich in Brüssel notifizieren müssen – die Regierung nahm offenkundig wissentlich ein gerichtliches Scheitern des Leistungsschutzrecht in Kauf, um ihren Gesetzesentwurf noch vor der Wahl 2013 durch den Bundestag zu bringen.

Die schwarz-gelbe Koalition führte das Leistungsschutzrecht 2013 auf Druck deutscher Verlage ein. Das Gesetz sollte Google dazu bringen, für kurze Anreißertexte zu Artikeln auf Nachrichtenseiten Urheberrechtsabgaben an die Verlage abzuführen. Ein ähnliches Leistungsschutzrecht wurde erst dieses Jahr im Rahmen der umstrittenen Urheberrechtsreform EU-weit eingeführt.

In Deutschland zerpflückt seit Jahren eine breite Gegeninitiative das Leistungsschutzrecht. Sie befürchtet, das Leistungsschutzrecht schränke die Urheberrechte von Journalistinnen und Journalisten ein. Auch beeinträchtige es die Kommunikationsfreiheit aller Internet-Nutzenden, da es selbst kurze Textausschnitte und einzelne Wortfolgen wie Sätze oder Überschriften zu vergütungspflichtigen Inhalten mache. Auch wenden Kritiker:innen ein, dass das Gesetz nur großen Verlagen helfe, da diese den Großteil der Einnahmen daraus ziehen würden.

EuGH entschied nach Klage der VG Media

Ausgangspunkt für die nun getroffene Entscheidung des EuGH ist ein Rechtsstreit zwischen Google und VG Media. Die deutsche Verwertergesellschaft hatte Google geklagt. Der US-Konzern sollte auf Basis des Gesetzes zu Schadenersatzzahlungen für die Verwendung von kurzen Teasertexten verpflichtet werden.

Das zuständige Landgericht Berlin spielte in der Klage den Ball allerdings an das oberste EU-Gericht weiter. Vor einer Entscheidung sollte geklärt werden, ob das Gesetz überhaupt gültig ist (Beschl. v. 09.05.2017, Az. 16 O 546/15).

Bereits davor erwies sich das Gesetz als wenig praxistauglich. Die deutschen Presseverlage knickten bereits kurz nach Einführung des Leistungsschutzrechts gegenüber Google ein und stimmten der vergütungsfreien Verwendung ihrer Texte zu. In Spanien wiederum drehte das Unternehmen den dortigen Google-News-Dienst ganz ab, um keine Lizenzgebühren entrichten zu müssen. Auf diese erprobte Taktik setzt Google nun europaweit. Der Konzern drohte mit einem Ende für Google News in ganz Europa, wenn das auf EU-Ebene beschlossene Leistungsschutzrecht wirksam wird.“

(Aktenzeichen: EuGH C‑299/17)


Mehr heute in SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Michael Hanfeld)und im Tagesspiegel (Kurt Sagatz)


der netzpolitik.org-Beitrag stammt von Alexander Fanta auf netzpolitik.org. Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Rote Karte

11. September 2019

Der Europäische Gerichtshof hat im vergangenen Jahr festgestellt, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen zum Schutz des Grundwassers im Rahmen der Nitratrichtlinie verstoßen hat. Die Europäische Kommission hatte daraufhin jetzt im Juli 2019 gegen Deutschland wegen des andauernden Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie ein Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 260 des EU-Vertrags von Lissabon übermittelt. Sie mahnt Deutschland erneut, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Juni 2018 umzusetzen. Geschieht dies nicht, können Strafzahlungen verhängt werden.

Niedersachsen ist ein rotes Land. Nicht politisch, das bundesdeutsche Agrarland Nummer eins hat eine schwarze Landwirtschaftsministerin: Barbara Otte-Kinast von der CDU. Sie präsentierte am Dienstag allerdings eine rote Landkarte. Diese zeigt die Wasserqualität in Niedersachsen – und wirkt bedrohlich: Rot steht für alarmierend. Und rot ist auf dieser Landkarte der größte Teil Niedersachsens: 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen sind belastet – mit Nitraten, Phosphaten und anderen für den Menschen gefährlichen Chemikalien, wenn zu viele davon im Grundwasser sowie in Seen und Teichen enthalten sind.

Deshalb…

[weiter bei der taz]

Krämerseelen

22. Juli 2019

Das oberste Verfassungsorgan der Niederlande, der Raad van State (in deutsch: Staatsrat) in Den Haag, hat am vergangenen Mittwoch einen Bebauungsplan für das Industriegebiet Oosterhorn bei Delfzijl aufgehoben. In der Entscheidung heißt es, dass die Baupläne für das Gebiet südöstlich von Delfzijl zu unzulässig hohen Stickstoffwerten in der Natur, speziell im geschützten Wattenmeer führen könnten. Damit ist der Bebauungsplan, den der Stadtrat von Delfzijl bereits 2017 beschlossen hatte, erst einmal vom Tisch.

Hintergrund ist eine, an Krämerseelen erinnernde Praxis im Nachbarland: Bisher konnten dort Überschreitungen von Immissionen toleriert werden, sofern dadurch andernorts die Natur entlastet wurde. Seit 2015 gab es dazu das Anti-Stickstoff-Programm PAS. Dies ermöglichte es, nahe von Naturschutzgebieten emittierende Betriebe zuzulassen, sofern die Natur in der Zukunft wiederhergestellt wird. Da jedoch unklar ist, ob diese Abhilfemaßnahmen Auswirkungen haben, verstößt die PAS gegen europäische Vorschriften. Dieses Urteil macht es unmöglich, neue Naturgenehmigungen auf der Grundlage der PAS zu erteilen, wie dies jetzt in Delfzijl der Fall war.

Eine solche Kompensation ist jetzt -so der Raad van State – nicht mehr möglich. Dieser hatte zuvor eine Reihe von Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vorgelegt. Der EuGH hatte daraufhin in seiner Vorab-Entscheidung vom 7.11.2018 (C 293/17 und 294/17) unterstrichen, dass solche Projekte unzulässig sind, sofern nicht „anhand objektiver Umstände mit Gewissheit jede Möglichkeit ausgeschlossen“ werden kann, dass sie einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Projekten diese Gebiete erheblich beeinträchtigen können, was das vorlegende Gericht -hier also der Raad van State, zu prüfen habe.

Diese Prüfung hat der Raad van State jetzt offenbar vorgenommen und eine klare Entscheidung getroffen. Durch sie werden zahlreiche Bauleitpläne obsolet, darunter der Schwerindustrieplan für Delfzijl.

Erfolgreich geklagt hatten die Bürgerinitiative „Saubere Luft Ostfriesland“, auf der deutschen Dollartseite in Wybelsum beheimatet, und die Vereniging van Zuivere Energie Westerwolde, als sich herausstellte, dass künftig am Standort in Delfzijl große Mengen an Schwermetallen, Stickstoffen und Phosphor in die Außenems und darüber ins Naturschutzgebiet Wattenmeer eingeleitet werden können. Das widersprech der Europäischen Habitatsrichtlinie (FFH), lautete das Argument. Eine Auffassung, die jetzt in Den Haag bestätigt wurde. Mit Erfolgen hat die BI übrigens Erfahrung. Gegründet hatte sie sich, als der dänische Energiekonzern DONG Energy  ein 1600 MW Kohlekraftwerk auf dem „Rysumer Nacken“ beu Emden bauen wollte. Dieses Vorhaben ist seinerzeit glücklicherweise gescheitert.

Matratzenfrage

27. März 2019

Während gerade die Briten Brexit basteln, der mich nachdrücklich in meiner Meinung erschüttert hat, plebiszitäre Elemente zulasten der indirekten Demokratie stärker werden zu lassen, lebt Europa den normalen Weg der Einigung. Heute ging es dabei um Schutzhüllen und Matratzen:

Das Widerrufsrecht bei Online-Kaufverträgen gilt nicht uneingeschränkt, schreibt Udo Vetter im LawBlog und berichtet. „So ist eine Rückgabe bei Produkten unzulässig, die die aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind – sobald der Kunde die Versiegelung entfernt hat. Auf diese Regelung berief sich ein Online-Händler gegenüber einem Kunden; er wollte das gute Stück nicht zurücknehmen. Zu Unrecht, entschied nun der Europäische Gerichtshof.

Matratzen seien vergleichbar mit Kleidungsstücken, heißt es in dem Urteil. Auch diese dürften anprobiert werden. Auch hier sei es für den Händler nicht von vornherein ausgeschlossen, diese Produkte weiter zu verkaufen. Das Gericht sieht ausreichende Möglichkeiten zur „Reinigung und Desinfektion“. Auch die Anprobe von Kleidungsstücken führe zu Hautkontakt, ohne dass diese hierdurch von einem Weiterverkauf ausgeschlossen werden.

Außerdem weist das Gericht darauf hin, ein und dieselbe Matratze werde auch aufeinanderfolgenden Hotelgästen zugemutet. Zudem gebe es sowohl einen Markt für gebrauchte Matratzen als auch Firmen, die eine gründliche Reinigung anbieten. Allerdings müssen auch Bettenkäufer Wertersatz leisten, wenn sie eine Matratze vor dem Widerruf nicht nur probegelegen, sondern länger in Gebrauch gehabt haben (EuGH Aktenzeichen C-681/17)“.

(quelle: LawBlog)