Brennelemente

14. Februar 2024

Oleg Dudar,früher einer der Cheftechniker im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischja,  hält Rosatom für einen der gefährlichsten Konzerne der Welt. Wenn Europa weiterhin Uran aus Russland kaufe, finanziere man damit Putins Krieg, erklärte Oleg im Gespräch mit REPORT MAINZ, das das Magazin gestern Abend ausstrahlte. Bisher gibt es keine Sanktionen gegen Rosatom oder Uran aus Russland. Rosatom macht daher weiter Geschäfte mit russischem Uran in der EU und auch in Deutschland. Mittendrin Lingen und die ANF.

Schon jetzt liefert Rosatom regelmäßig nämlich russisches Uran an die ANF-Brennelementefabrik in unserem Lingen. Nach Recherchen von REPORT MAINZ sind in den nächsten Monaten 70 (!) weitere Uran-Transporte geplant. ANF in Lingen gehört bekanntlich dem französischen Atomkonzern ‚Framatome‘, der schon lange eng mit Rosatom kooperiert. Aktuell läuft ein Genehmigungsverfahren, um die Produktion für russische Brennelemente auszuweiten. Erst vor wenigen Tagen fand der jüngste Transport statt.

Bisher sind Urantransporte aus dem Krieg führenden Russland übrigens nicht durch die EU sanktioniert. Auf Sanktionen gegen Rosatom angesprochen erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber dem SWR: „Die Bundesregierung setzt sich im EU-Rahmen weiterhin für Sanktionen gegen den zivil-nuklearen Sektor in Russland ein, auch um russische Staatseinnahmen zu mindern.“ Neue Sanktionen können jedoch nur auf europäischer Ebene verhandelt und müssen einstimmig durch die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden.

Gegenüber REPORT MAINZ forderten mehrere konservative uEU-Abgeordnete sofortige Sanktionen gegenüber Rosatom und deren Uran-Transporte. Diese würden bisher allerdings durch Ungarn blockiert. Ungarn baut derzeit ein Kernkraftwerk mit finanzieller Unterstützung durch Russland. Laut den EU-Abgeordneten sei das der Grund, warum Ungarn die geforderten Sanktionen gegenüber Russland verhindere.

Hier der REPORT MAINZ Beitrag von gestern Abend:

Auch der SPIEGEL hat sich gestern der Sache angenommen. Leider hinter der Paywall. Zugänglich sind  die ersten Zeilen, wo das ehem. Nachrichtenmagazin fragt:
„Macht sich Putins Atomkonzern im Emsland breit? Eine Brennelementefabrik in Niedersachsen soll ausgebaut werden, das russische Atomkonglomerat Rosatom macht mit. Lange sah es so aus, als müssten die deutschen Behörden das Projekt genehmigen. Doch nun ist ein Ausweg in Sicht.“

Hinter dem S+-Zeichen kann man dies lesen:

„Auf seinen Atomkonzern kann Wladimir Putin im Angriffskrieg gegen die Ukraine bauen. Zuverlässig betreibt das Nuklearkonglomerat Rosatom das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das russische Truppen zuvor eingenommen hatten. Zudem versucht Rosatom der »Washington Post« zufolge, Russlands Waffenindustrie mit Schlüsselkomponenten und -rohstoffen zu beliefern. Von den etwa 275.000 Rosatom-Beschäftigten arbeiten rund ein Drittel laut dem österreichischen Umweltbundesamt in Abteilungen für Kernwaffen.“… Ohne spezielle Brennelemente aus Russland müssten Atomkraftwerke etwa in der Slowakei, Bulgarien oder Ungarn stillstehen. Diese Meiler russischer Bauart sind nämlich angewiesen auf den Kerntreibstoff von Rosatom: hexagonale, also sechseckige Brennelemente.

Nun sollen auch in Lingen im Emsland solche sechseckigen Brennelemente gebaut werden. ANF, eine Tochter des französischen mehrheitlich staatseigenen Konzerns Framatome, pflegt seit Jahren eine enge Partnerschaft mit Rosatom. Der russische Überfall hat daran offenbar wenig geändert. Die Franzosen wollen ihre Produktion in der Lingener Brennelementefabrik ausbauen, in enger Zusammenarbeit mit Putins Atomkonglomerat. In Deutschland, mitten im russischen Angriffskrieg. „Schon die Gaskrise hat Europas Abhängigkeit von Russland offenbart. Jetzt machen wir den gleichen Fehler mit Atomkraft und Brennelementen. Das ist verrückt“, sagt ein hoher politischer Entscheidungsträger dem SPIEGEL. Obwohl das Projekt in Lingen sowohl Niedersachsens Landesregierung wie auch der Bundesregierung von Anfang an missfiel, sah es lange so aus, als bliebe den zuständigen Behörden rechtlich nichts anderes übrig, als den Antrag von ANF zu genehmigen.

Jetzt aber eröffnet ein bislang unveröffentlichtes Expertengutachten womöglich doch noch einen Ausweg. Verfasst hat es der renommierte Atomrechtler Gerhard Roller, Professor an der Technischen Hochschule Bingen. Beauftragt hat es das Bundesumweltministerium.

„Beim gegenwärtigen Kenntnisstand ist nicht ausgeschlossen“, resümiert Roller in dem 43-seitigen Gutachten, das dem SPIEGEL vorliegt, „dass die Zulassung einer Kooperation einer deutschen Brennelementefabrik mit einem russischen Staatskonzern die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden vermag.“ Dies könnte reichen, um das Projekt der Framatome- und Rosatom-Töchter zu verhindern.

Schon seit Jahren versucht Rosatom über seine Tochter TVEL, in das Brennelementewerk in Emsland einzusteigen. Ursprünglich hatten TVEL und Framatome hierfür ein Gemeinschaftsunternehmen in Deutschland geplant, entgegen der Bedenken von Politikern wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis’90/Die Grünen). Kurz vor Russlands Überfall auf die Ukraine zogen die beiden Unternehmen ihren bei Habecks Ministerium eingereichten Prüfungsantrag jedoch zurück. Einige Monate später gründeten sie ihr Joint Venture stattdessen in Frankreich.

Anschließend reichte ANF beim zuständigen Umweltministerium in Hannover einen Antrag gemäß Paragraf 7 des Atomgesetzes ein. Man wolle in Lingen sechseckige Brennelemente für osteuropäische AKW herstellen. Die Rosatom-Tochter TVEL soll dabei nicht nur die Lizenz erteilen, sondern auch tatkräftig helfen – indem sie die Geräte für die Brennelementfertigung liefert und sogar die Qualitätskontrolle übernimmt.“

DER SPIEGEL informiert: „Die Framatome-Tochter ANF schickte dem SPIEGEL ein allgemein gehaltenes Statement, in dem es heißt: »ein regelmäßiger Zugang von TVEL-Mitarbeitenden [ist] für den Betrieb der Anlage und die Herstellung der Brennelemente weder vorgesehen noch erforderlich«.

Allerdings lässt das Unternehmen offen, wie oft und wie lange diese russischen Fachkräfte in unregelmäßigen Abständen vor Ort sein werden. Konkrete Fragen des SPIEGEL zum Gutachten beantwortete die ANF nicht.

Ihr Genehmigungsantrag liegt noch bis zum 3. März im Lingener Rathaus öffentlich aus; alle Bürgerinnen und Bürger können Einwände und Fragen stellen. Diese werden dem Unternehmen anschließend vorgelegt, damit es Stellung nehmen kann.

Aber was soll da schon passieren? Ratsmitglied Günter Reppien (CDU) wies jedenfalls in der Ratssitzung Dienstag vor einer Woche meinen Vorwurf zurück, die Beziehungen der Stadt zur Partnerstadt Lanivtsi in der Ukraine könne durch die Rosatom-Geschäftspolitik von ANF belastet werden. Reppien statt dessen:  Die Ukraine selbst könne ein Nutznießer sein, wenn es künftig um die Bestellung von Brennelementen gehe.

Ach, wirklich? Putin und seine Kriegskasse werden in erster Linie die Nutznießer. Doch das ist ja kein Beinbruch, weil, wie Chefkommentator Thomas Pertz in der Lingener Tagespost schrieb, es „nach wie vor eine breite politische Mehrheit in Lingen auch für Unternehmen mit sensiblen Produktionen“ (!) gibt. Für den Wirtschaftsstandort Lingen sei das eine gute Nachricht, meint Pertz. Wie für Putin.


Quellen; REPORT MAINZ, SPIEGEL, NOZ