nicht da

23. November 2023

Der journalistische Niedergang der einstmals so selbstbewussten Lokalzeitung „Lingener Tagespost“ geht rapide weiter. Heute früh erschien der fünfte, sechste oder vielleicht zehnte Beitrag über Daniel Winterings Hähne und Hühner am Rand des Ortsteils Holthausen. Dan ging am frühen Nachmittag im Büro von OB Dieter Krone ein Anruf ein. Ein Mitarbeitender der Lokalzeitung teilte dem verdutzten Rathausmann mit, man werde an der Ratssitzung nicht teilnehmen. Man habe keine Leute.

Zur Einordnung: Lingen hat rund 59.000 Einwohner. Die Bürgerinnen und Bürger der emsländischen Mittelzentrum mit oberzentralen Teilfunktionen (Raumordnungsdeutsch) haben ihren Rat mit 42 Mitgliedern im Herbst 2021 gewählt. Auf der Tagesordnung standen 12 Punkte, darunter eine Resolution zur Situation im Nahen Osten, die Vergabe des Bürgerpreises für das Ehrenamt der Stadt. Ein Antrag auf Verlängerung der kommunalen Entwickluingspolitik und die Übernahme einer Ausfallbürgschaft von 22 Mio Euro für die kommunale Grundstücks- und Erschließungsgesellschaft, mit deren Hilfe Wohn- und Gewerbegrundstücke entstehen und die Ausgleichsflächen für die Inanspruchnahme solcher Flächen bereitstellt.

Das gab es seit Beginn der Lokalberichterstattung im 19. Jahrhundert noch nie. Bekanntlich bin ich nicht ganz solange aber doch schon einige Jahre dabei, was den Vorteil hat,  leichter zu erkennen, wenn die Stadtverwaltung mauert oder gar die Unwahrheit sagt. Zum Beispiel als ich heute danach fragte, wie sich die Schuldenbremse-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die städtischen Finanzen auswirke. „Das“, so die Kämmerin, „wisse man einfach nicht.“ Sie wäre aber keine gute Kämmerin, wenn sie nicht wüsste, welche Maßnahmen gestrichen sind oder auf der Kippe stehen. Doch sie blieb dabei, man wisse es nicht.

Zuvor hatte OB Krone in seinem Bericht der Verwaltung erklärt, dass mit der Entscheidung aus Karlsruhe die angemeldete „energetische Ertüchtigung des Linus-Bades“ gestorben sei und er nicht wisse, ob sie jemals wieder gefördert werde. Auf den Zwischenruf, sagte Stadtbaurat Schreinemacher, der Lingener Bahnhof sei nicht betroffen, der werde durch ein Programm der Europäischen Union gefördert. Dann könne man sich ja jedenfalls auf die EU verlassen, entgegnete ich. Darüber wird die Lingener Öffentlichkeit nichts erfahren. Null. Nada. Niente. Aber Daniels Hahn, Bennos Bambi und den SV Meppen runter und rauf. Es ist so entsetzlich.

Später in der Sitzung habe ich den leeren Stuhl des LT-Redakteurs noch einmal aufgegriffen. Er ist ein absolutes Alarmzeichen. Er gefährdet die Stadtgesellschaft und damit die Demokratie. Auf meinen Vorschlag hin wird das nun der Ältestenrat unserer Kommune in einem hoffentlich freimütigen Gedankenaustausch debattieren. Thema: Was kann dem Wegbrechen der für ein Gemeinwesen unerlässlichen Informationen entgegengesetzt werden?

Der Bundesgerichtshof wertete im vergangenen Jahr zu recht kommunale Öffentlichkeitsarbeit als “Pflicht zur Information”. “Städte müssen zeitgemäß digital kommunizieren”, stellte der BGH zum Portal dortmund.de fest (Urt. v. 14.07.2022, Az. I ZR 97/21). Nur so würden sie der Erwartung der Bürgerinnen und Bürger nach Transparenz der Arbeit von Verwaltungen gerecht und ermöglichten den „Dialog über die Politik“ der Städte. Das hatte das Dortmunder Medienhaus Lensing (Ruhr Nachrichten) nicht wahrhaben wollen.

Social Media ist zwar mittlerweile das meistgenutzte Angebot der Information. Aber auch Newsletter, kommunale Apps, die eigene Homepage, die eigene Stadtzeitung, LED-Wände im Stadtbild etc., gehören zum Mix für kommunale Informationsarbeit.

Doch dies kann nicht die Lösung sein. Es sind immer staatsnahe, also in eigener Regie betriebene subjektive Medien. Kommunale Informationsplattformen sind keine objektiven Medien im Sinne einer funktionierenden Demokratie. Sie sind PR-Instrumente. Greifbar gefährlich ist es spätestens dann, wenn sie zum Spielball rechts- oder linksextremer Parteien oder überhaupt einer Partei werden.

Kommunen ohne objektive lokale Informationen sind der Willkür der Informationen ausgesetzt. Als Keimzelle demokratischer Abläufe werden sie künftig ihren Anspruch verlieren. Muss daher die LT -in welcher Form auch immer- gerettet werden, wenn sie sich denn retten lassen will? Dass ich diese Erkenntnis noch einmal in diesem kleinen Blog publizieren würde, hätte ich vor kurzem auch noch nicht gedacht.

8 Antworten to “nicht da”

  1. Benno said

    Dem ist nichts hinzuzufügen.
    Benno
    PS: Lösungsorientiert wäre: Eine Konkurrenz-Zeitung zu gründen.

  2. Bitte nicht wieder die Diskussion über eine Live-Schalte ins Internet. Das ersetzt keine Lokalzeitung. Diejenigen die noch Zeitung lesen gucken keinen Stream.

    Letztendlich wird das Protokoll eh veröffentlicht – dann muss halt jeder selbst lesen. Denn sind wir ehrlich: ein Redakteur selektiert und, im schlimmsten Fall interpretiert er. Das ist dann Meinung, aber kein Bericht.

    • Kib said

      Karla, die analogen Leser werden aber auch kein Sitzungsprotokoll online lesen, allemal nicht moeglich, wenn es sich um nicht öffentliche Sitzungen handelt…

      • Karla Kolumna said

        Bei nicht öffentlichen Sitzungen ist aber auch die Presse ausgeladen. Das beinhaltet die Wortkombination „Nicht-öffentlich“.

        Was hat das so damit zu tun?

        • Kib said

          Karla, Ihr Zitat: „wird das Protokoll eh veröffentlicht…. Jeder muss lesen….“

          Erklären Sie mir das bitte: Wer liest wo was vor allem „nicht öffentliches“. Macht keinen Sinn. Gleichwohl aber die – fuer Sie- noch abstruse Idee des Blogbetreibers: Willkommen im 21. Jahrhundert. Natürlich sind digitale Aufnahmen von Ratssitzungen angezeigt…. Wird es in fünf Jahren auch in Lingen geben.

  3. Olaf said

    Die NOZ ist in unseren Breiten das Medienmonopol. Wer keinen Wettbewerb hat, muss sich um die Qualität seiner Arbeit keine Gedanken machen. In letzter Zeit häuften sich im Lokalteil Artikel aus anderen Orten wie Meppen (= Emsland) oder heute/gestern Rheine (= Kreis Steinfurt). Das sind doch deutliche Indizien. Die Lingener Tagespost ist btw das „amtliche Bekanntmachungsblatt“. Das ist von erheblicher Bedeutung: Denn damit obliegt ihr höchst offiziell die Berichterstattung aus den Ratssitzungen. Kein gutes Zeichen, wenn man seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Als Monopolist.

  4. Kib said

    Stimmt, Olaf. Ggf macht die LT sich erst dann Gedanken, denn die Leserzahlen in den Keller rutschen? Dann werden ggf Prioritäten anders gesetzt und die Aufstellung des Glitter-Flimmer-Tannenbaums auf dem Marktplatz erfolgt nicht mehr umgehend (fehlte nur noch der live ticker: „2:14Std. : Elektrogeselle Horst Brohmoeller stoepselt erfolgreich die lila-rot-blau-gelbe… Lichterkette ein“

  5. Eva Weckenbrock said

    Guten Tag, ich bin ja ansonsten nicht sehr kritisch der NOZ gegenüber aber auch mir ist aufgefallen, dass viele Berichte fehlen, die es sonst gab. Konzertberichte, Artikel über den Jugendpreis beim Altstadtfest zum Beispiel. Immer wieder werden die gleichen Themen aufgegriffen statt die Bandbreite der Themen in der Stadt zu erörtern.

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