Gruppengrundregeln

9. Juli 2012

Heiner Schepers, Jahrzehnte Geschäftsführer des Kunstverein Lingen, zeigte vor einigen Jahren eine Ausstellung, in der es um „schöne Bilder“ ging, also um unsere Sichtweise des Ästhetischen. Werke der bildenden Kunst müssen bekanntlich in Kleinstädten „schön“ sein, damit sich die Bevölkerung an ihnen erfreut. Daher die vielen (und oft missglückten) Bronzestatuen von kleinen Professoren, Kühen und Menschen. Sind Schafe aber unschön sögelblau oder liegen Torten auf der Matratze, gibt es Probleme. Doch warum ist ein Bild schön, fragte Schepers‘ Ausstellung, was ist schön, was hässlich und ist das Hässliche nicht schön? Oder das Schöne eigentlich nur kitschig? Was bedeuten diese Einordnungen?

Daran musste ich spontan denken, als jetzt selbsternannte (weil nicht gewählte) „Admins“ der Lingener Facebook-Gruppe „Du weißt Du kommst aus Lingen/Ems wenn,“  eingriffen, um eine nach ihrer Meinung „ausufernde“ Diskussion auf der Facebookseite der Gruppe zu stoppen. Ein Thread wurde einfach gelöscht:  In ihm ging es um den Dönerimbiss Istanbul in der Lingener Innenstadt. Dort war  Kunde Sven gefragt worden „Sach ma, bist du schwul?“ Als Sven bejahte, bekam er seinen bestellten Döner nicht mehr und hörte stattdessen ein : „Raus!“ Darüber ereiferten sich viele und das war dann nach Ansicht der Admins nicht mehr schön, weil ja auch das Raus mehr als hässlich war. Der Thread verschwand über Nacht. Tage danach knallte es bei Hagedorn und auch hier fühlten sich die „Admins“ berufen, die Diskussion zu stoppen. Auch als mein BN-Fraktionskollege Marc Riße angesichts von Kaufland-Plänen an der Kurt-Schumacher-Brücke den geplanten Abriss des Winkel-Bunkers thematisierte, meldeten sich gleich Zeitgenossen und befürchteten etwas ganz Schlimmes: eine politische Diskussion.

Gestern Abend hatte die Facebookgruppe  „Du weißt Du kommst aus Lingen/Ems wenn,“ immerhin 2853 Mitglieder. Sie ist, wie sich aus dem Namen ergibt,  unorthodox im Umgang mit Kommata, und sie nennt sich offen, was zwanglos dadurch bewiesen wird, dass auch ich mich bisweilen in ihr tummle.  Wirklich offen ist die Facebookgruppe aus Lingen aber überhaupt nicht. Die formulierte Frage „Wofür steht Lingen?“ ist jedenfalls nur theoretisch gemeint. Denn man liest, es gehe  um ein „positives Klima“, man soll „freundlich und respektvoll“ sein „für ein positives Miteinander“. Das hat Priorität und damit dies so bleibt,  haben jetzt die „Admins“ diese schönen „Grundregeln festgelegt“ und sie schließen aus, wenn man sich nicht dran hält.

  • „Unser Lingen – die wohl schönste Stadt an der Ems, unsere Kindheit und unsere Jugend, für manche Vergangenheit, für manche Gegenwart und auch Zukunft. Was verbindet Euch mit unserer Heimat, an was denkt ihr gerne zurück, wofür steht Lingen – Stadt der Kivelinge für Euch??? Postet, sammelt, erinnert und teilt es miteinander … .“

    Damit wir diese Grundidee der Gruppe nicht aus den Augen verlieren und wir uns auch zukünftig in einem positivem Klima über die Stadt austauschen können die uns alle verbindet, haben wir folgende Grundregeln festgelegt.

    Beiträge und Kommentare mit folgenden Inhalten werden nicht geduldet und sofort entfernt:
    – Private oder geschäftliche Werbung
    – Aufrufe zu Gewalt- oder Straftaten
    – Beiträge, Kommentare die Persönlichkeitsrechte Anderer verletzen (dazu zählen u.a. Informationen die dazu geeignet sind den Ruf anderer in verleumderischer Weise zu schädigen oder ihre Privatsphäre unangemessen berühren)
    – Inhalte die Andere Personen oder Gruppen aufgrund
    o ihrer Herkunft
    o ihrer Hautfarbe
    o ihrer Religion
    o ihres Geschlechtes
    o ihrer sexuellen Neigung
    o ihrer politischen Einstellung
    o einer Behinderung
    o ihres Berufsstandes
    o ihrer persönlichen Lebensgeschichte oder
    o sonstiger persönlicher Eigenschaften
    beleidigen, verleumden, verhöhnen, provozieren oder auf andere Art in einem negativen Licht erscheinen lassen.

    – Die Administratoren behalten sich außerdem vor „ausufernde“ Diskussionen gemäß den oben aufgeführten Kriterien vorzeitig mit folgendem Hinweis zu beenden.
    STOP – DIESER BEITRAG ENTSPRICHT NICHT (MEHR) DEN GELTENDEN GRUPPENREGELN. WEITERE KOMMENTARE WERDEN GELÖSCHT.
    – Sollte es darüber hinaus weiteren Klärungsbedarf geben wird gebeten diesen im direkten Kontakt untereinander abzustimmen.
    – Sollten trotz Hinweis auf die Gruppenregeln diese wiederholt missachtet werden so behalten sich die Administratoren vor ganze Threads zu löschen und/oder den/die Verursacher aus der Gruppe auszuschließen.
    – Wer sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt oder einen Beitrag für unangemessen hält kann sich per persönlicher Nachricht an einen der folgenden Administratoren wenden: Dirk Appelhans, Klaus Boschat, Anne Coßmann-Wübbel, Heidi Jürgens, Peter Koch, Schoko Minza, Mike Nike, Andreas Schulz, Matthias Seekamp, Gabriela Siegbert, Uli Werner

    Mit einfachen Worten – bleibt freundlich und respektvoll – für ein positives Miteinander.
    Die Admins“

Ich lese kopfschüttelnd diese „Gruppenregeln-beachten“-Liste und  fürchte, sie steht im Zweifel für die Zensur des Unbequemen oder dessen, was dafür gehalten wird. Das, liebe Lingen-Gruppenfreunde, ist aber gar nicht „freundlich und respektvoll“.

Eine Antwort auf die Frage, wofür unsere Stadt steht, braucht eine gleichberechtigte, offene Diskussion. Die setzt aber die subjektie Wahrnehmung  der Realität/en und -bei allem blinzelnd-lächelnden Blick zurück- immer auch den  Meinungsstreit heute voraus. Sie braucht Kritik und Gegenkritik, Debatte und Diskussion. Wo dies nicht gewünscht ist, entsteht ein Zerrbild, eine Fiktion unserer Stadt. Da muss ich wieder an die lokale Kunstgeschichte denken, nämlich an die früher ausgestellten „schönen Bilder“ auf der Treppe im CEKA-Kaufhaus in der Lookenstraße. Da hing neben dem röhrenden Hirsch, der glutäugigen Zigeunerin auch der Schwarwaldhof. In echt Öl. Das hatte weder mit Kunst noch mit Hirsch, Zigeuner oder Schwarzwald viel zu tun. Gezeigt wurden bloß die Bilder einer Illusion, keine der Realität. Wer das will, braucht kein Internet sondern ein analoges Medium. Es heißt Fotoalbum.

Also stampft den Regelmist schleunig ein. Wenn jemand  hetzt oder Straftaten begeht, kann man dessen Beitrag löschen. Aber sonst darf man es nicht.