Mist!

17. Juni 2024

Ein montäglicher Lesebefehl für die Lesenden dieses kleinen Blogs!

„Bekanntermaßen ist das Grundübel der Welt, dass nicht genug auf Journalisten gehört wird. Wenn alle Verantwortlichen in ihren verschiedenen Positionen nur endlich mal täten, was Journalisten ihnen empfehlen – die Probleme wären gelöst. Es wäre: ein Klacks.

Burkhard Ewert zum Beispiel, Chefredakteur für Politik und Gesellschaft der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), weiß fast alles und deshalb auch, wie man gegen die AfD gewinnt. Er schreibt jede Woche einen Newsletter, der „Rest der Republik“ heißt und angeblich „den Bürgern in der Fläche eine Stimme gibt“, vor allem aber natürlich Burkhard Ewert. Er richtet sich an Leute, die der Meinung sind, „dass Deutschland mehr ist als die Stadt Berlin und seine Regionen mehr Gehör finden sollten“.

Die Betreffzeile seines Newsletters lautet in dieser Woche: „Das Rezept gegen die AfD ist ganz einfach.“ Okay, nicht ganz so einfach, dass es auch noch in die Betreffzeile seines Newsletters gepasst hätte, aber immerhin doch in einen Satz: Man müsse nur die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität anerkennen.

Diese „Realität“ dekliniert der NOZ-Chefredakteur dann schnell durch: Ungesteuerte Migration ist Mist, das Bürgergeld ist Mist, die Corona-Politik war Mist, die Ukraine-Politik ist Mist, das Heizungsgesetz ist Mist, das Lieferkettengesetz ist Mist, der Atomausstieg ist Mist, das Verbrennerverbot ist Mist, das Selbstbestimmungsgesetz ist Mist, das Cannabisgesetz ist Mist, Windräder an der Gartengrenze sind Mist – „und was es nicht sonst noch alles gibt und gab, das Ampel-Politiker sich ausgedacht haben, während sie sich modern vorkamen und aus den Fenstern ihrer Berliner Wohnungen blickten.“
(Berlin ist auch Mist.)

„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch“, schreibt Ewert dann, womöglich aus Sorge, dass man denken könnte, er halte das alles für Mist. „Es geht mir gar nicht darum, was ich darüber inhaltlich denke. Von daher habe ich auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie einige oder alle Punkte anders als ich sehen und respektiere jeden, der dafür eintritt, im geschilderten Sinne die Gesellschaft zu verändern. Bitteschön, herzlich gerne, das kann man machen. Nur sollte man sich nicht wundern, dass das Folgen hat und eine Partei Zulauf erlebt, die denjenigen Menschen Raum gibt, die dies als übergriffig, übertrieben und bedrohlich empfinden.“

Das also ist ganze „ganz einfache“ Rezept von Burkhard Ewert aus dem Rest der Republik, um die AfD zu besiegen: Man muss bloß aufhören, Politik zu machen, die ihre Wähler für Mist halten.

Nun könnte man einwenden, dass es weniger ein Erfolg über die AfD wäre als ein Erfolg der AfD, wenn man sie bekämpft, indem man ihre Politik übernimmt. Aber bis auf die Ebene der konkreten Politik selbst schafft es Ewerts, nun ja: Analyse ohnehin nicht. Ewert sagt, man müsse bloß die „Realität anerkennen“, und zu dieser „Realität“ gehöre zum Beispiel, dass der Kampf gegen den Klimawandel „missbraucht“ werde, „um ganz andere persönliche politische Ziele zu verfolgen“: „den Kampf gegen Autos etwa, gegen den Kapitalismus oder gegen Menschen, die man als rechts bezeichnet und deshalb gerne gängeln möchte.“

Ob das so überhaupt ist, darüber müsste man streiten und zu Ewerts rhetorischer Masche gehört immer wieder die Aufforderung, ihm doch gerne zu widersprechen. Aber widersprechen müsste man ihm schon grundsätzlich, dass es hilfreich ist für eine politische Diskussion, wenn jemand vorab erstmal mit ziemlich steilen Thesen definiert, was „die Realität“ ist, die alle anderen „anerkennen“ müssen. Dass es hilfreich ist für eine politische Diskussion, wenn einer so tut, als ersetze die Beschreibung von Problemen schon die Suche nach Lösungen. Dass es hilfreich ist für eine politische Diskussion, wenn einer sie eröffnet mit dem Satz: „Das Rezept ist ganz einfach.“

(Zu Ewerts Beschreibung der „Realität“ gehört auch, dass die Ukraine selbst Schuld ist, dass Russland sie angegriffen hat. Ein Angriff, den er im Dezember 2021 übrigens noch ausgeschlossen hatte. Unter der Überschrift „Ein Herz für Russland“ schrieb er damals, er halte „eine russische Invasion der Ukraine … für blanken Unsinn“. Er schrieb auch: „Ich kann mich irren, und dann werde ich mich für diesen Text einmal schämen.“ Man kann Journalismus offenbar auch als Möglichkeit verstehen, sich Anlässe zum Schämen zu schaffen.)…“
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Der 👆 Beitrag von Stefan „Niggi“ Niggemeier ist ein Auszug aus seiner wöchentlichen Uebermedien-E-Mail. Er war in meinem Endgerät verschwunden, aber Niggi hat ihn mir kurzerhand noch einmal geschickt – am Sonntagabend. Ich bin schwer beeindruckt! Auch deshalb, weil ich mich an diesem Osnabrücker Blatt seit einigen Jahrzehnten abarbeite und weile es jetzt die kommunale Öffentlichkeit mit seiner Sucht nach Klicks ruiniert.

Zu Niggi dies (aus wikipedia, der Quelle aller Lokalblogger):
„Stefan Niggemeier (* in Harderberg, jetzt Georgsmarienhütte) ist ein deutscher Medienjournalist. Er war bis März 2006 verantwortlicher Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er ist der Gründer und Herausgeber zweier medienkritischer Watchblogs: des 2004 gestarteten Bildblogs sowie des um die Jahreswende 2015/2016 gestarteten Onlineportals Uebermedien.“

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Eine Antwort to “Mist!”

  1. Alex V. said

    Im Grunde ist es ok, was Herr Ewerts macht: seine – ziemlich schräge – Meinung sagen und dazu aufrufen, ihm zu widersprechen.

    Bedenklich ist dabei: er ist ja kein Privatmann von nebenan, sondern Zeitungsschreiber. Was er schreibt, wird gedruckt, schließlich bezahlt die noz ihn dafür. Wenn ich, Du oder sonstwer seiner Einladung nachkommt und ihm widerspricht, steht das nicht in der Zeitung. Selbst ein abgedruckter Leserbrief kann an wichtigen Stellen gekürzt und im Sinn verändert sein, da ist man vom Wohlwollen der – ebenfalls schrägen – noz Redaktion abhängig.

    So Pressekodex- und Demokratiefreundlich sein Beitrag auch angestrichen ist – er ist letztlich nichts anderes als perfide Meinungsmache.

    So läuft das bei der noz, besonders in dieser seltsamen Kolumne, ja ständig.

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