Austausch erhofft

1. März 2024

„Osnabrücks Kunstraum „Hase29“ organisiert die Reihe „Israelisch-Palästinensische-Perspektiven“. Die dazugehörige Kunstausstellung ist eher nebensächlich, schreibt Harff-Peter Schönherr in der taz-Nord über den dringend notwendigen Austausch.

„…Die Filme und Fotos sind zwar, für sich genommen, mager. Aber sie spielen hier auch nicht die Hauptrolle. Die fällt dem Veran­stal­tungsprogramm „Israelisch-Palästinensische-Perspektiven“ zu. Das sieht sich als „Zeichen der Solidarität und Verbundenheit“ sowohl mit den israelischen Opfern des Hamas-Terrors vom 7. Oktober 2023 als auch mit den palästinensischen Opfern des Kriegs in Gaza.

Das ist hochpolitisch und ambitioniert. Die Israel/Gaza-Debatte ist voller Fallstricke, voller Verhärtungen, Engstirnigkeiten, Einseitigkeiten. Wer sie so offen führt wie die Hase29, setzt sich dem Risiko der Anfeindung aus. 2021 wurde die Ausstellung „Gender Piracy“ des Kunstraums zum Ziel einer transfeindlichen Spray-Attacke.

Das Programm, als dessen Bühne sich die Ausstellung versteht, reicht vom Konzert bis zur Podiumsdiskussion, vom Vortrag bis zur performativen BürgerInnen-Lesung, zur interreligiösen Führung. Viele Kooperationspartner hat der Kunstraum sich dazu ins Haus geholt, von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Osnabrück bis zum European Media Art Festival, von der Kunsthalle Osnabrück bis zum Literaturbüro Westniedersachsen. Auch geskatet wird hier, von Schulklassen, auf der Grundlage der 15 Fotos aus Gaza. Ihr Lernziel: Zu erkennen, dass polarisierte Diskussionen stets ins Leere stoßen.

Anrührend und wissenschaftlich fundiert

Das Programm reicht von jüdischer Musik bis zu palästinensischen Gedichten und ist teils sehr anrührend. So wird hier der Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ gezeigt, die Geschichte des Palästinensers Ismail Khatib, der die Organe seines von israelischen Soldaten erschossenen Sohnes an israelische Kinder spendete, inklusive Gespräch mit Regisseur Marcus Vetter.

Andererseits ist sie stark wissenschaftlich hinterfangen. Politikwissenschaftler Rüdiger Robert ordnet in seinem Vortrag „Frei zu sein in unserem Land – Israel und Palästina“ die Entstehung des Konflikts zwischen Juden und Muslimen ein, Kunsthistoriker Andreas Mertin spricht zum Thema „Antisemitismus in Kunst und Karikatur“.

Die Schau will ihre Wirkung also nicht aus sich selbst heraus entwickeln, sondern einen Diskursraum öffnen. Wer nur für die Schau selber kommt, erlebt nicht viel. Vor allem keine Kunst. Diese Reizarmut, die fast leere Galerie, ist aber ein Problem. Sie sei kein Mangel, beteuern die Kuratorinnen Jasmina Janoschka und Elisabeth Lumme der taz, sie eröffne Möglichkeiten des Austauschs. Hoffen wir, dass es so ist.“

[mehr in der taz]

Spoiler:

Man erkennt bei solchen Meldungen, wie sehr unsere Stadt Lingen (Ems) längst ganz tiefe Provinz ist, weil -ganz im Gegensatz zu früher- eine derartige Veranstaltungsreihe in unserer Stadt heute undenkbar geworden ist. Weder das früher so engagierte Ludwig-Windthorst-Haus noch das einst gute Gewissen der Stadt, das Forum Juden Christen im Altkreis Lingen eV“, engagiert sich angesichts der schrecklichen Ereignisse im Nahen Osten für Dialog und Austausch.

Doch inzwischen rührt sich anderes: Der Ehrenvorsitzende des Forums Dr. Heribert Lange attestiert angesichts der Entwicklung seiner „Kontakte und des Austauschs mit dem geschäftsführenden(!) Vorstand des Forums Juden-Christen Altkreis Lingen e.V. seit der Jubiläumsfeier im April 2023 bis heute einen überwiegend kontraproduktiven, wenig sachgerechten, aber auch wenig freundlichen, also unerfreulichen Verlauf“. Deshalb hat er Anfang der Woche den ihm verliehenen Titel Ehrenvorsitzender zurückgegeben.

Meine Weihnachtsgeschichte haben ich in der Süddeutschen gefunden. Sie handelt von der Kraft, die man braucht, um nach vorne zu schauen:

„Sie waren zu sechst, nun sind sie zu viert, verwundet und traumatisiert, so wie das ganze Land. Für die israelische Familie Bachar ist seit dem 7. Oktober nichts mehr, wie es war.

Wenn Avida Bachar doch mal auf dem Balkon steht, sieht er Palmen, die sich im Wind wiegen, und Wüstenberge, die golden in der milden Wintersonne schimmern. Er hört die Vögel zwitschern. Da unten sieht er den Swimmingpool, leergepumpt. Die Souvenirgeschäfte, geschlossen. Den Strand und das türkisfarbene Tote Meer, menschenleer.

Eigentlich ist hier in En Bokek im Dezember Hochsaison. Seit dem 8. Oktober aber ist der Ort ein Zufluchtsort für Menschen wie Avida Bachar, der kein Tourist ist, sondern Überlebender eines Massakers.

Bachar ist die meiste Zeit drinnen, in seinem Premium-Doppelzimmer im neunten Stock des Fünf-Sterne-Hotels David. Die Palmen, das Meer, der Pool, interessiert ihn alles nicht. Und sowieso komme er nicht allein im Rollstuhl über die Erhöhung des Türrahmens, mit nur einem Bein, dem linken, sagt er. Das rechte haben sie ihm vor zwei Monaten amputiert. Avida Bachar erinnert sich präzise an den Tag, an dem ihm Wunden in den Körper gerissen wurden, an den „schwarzen Samstag“, wie er heute überall in Israel heißt.

Bachar und seine Frau Dana liegen noch im Bett, es ist Samstag, der 7. Oktober, 6.31 Uhr, als sie von Raketenlärm geweckt werden. Bachar, 50, und seine Frau, 48, ziehen sich schnell was über, eilen die Treppe hinunter, auf den Bürgersteig vor ihrem Haus im Kibbuz Be’eri. Der rosafarbene Himmel ist voller Raketen, die über sie hinwegzischen. Aus anderen Häusern eilen Nachbarn, alle sind sich einig: Dieser Angriff aus dem Gazastreifen ist anders. Nicht wie sonst, wenn wieder ein Dutzend Raketen von dort nach Israel abgefeuert wurden und wenige Minuten später israelische Kampfhubschrauber den Gazastreifen beschossen. Früher war es danach schnell wieder ruhig. Nicht an diesem Morgen.

Avida und Dana Bachar wecken ihren Sohn Carmel, 15, und ihre Tochter Hadar, 13. Die beiden älteren Söhne sind nicht zu Hause. Die Kinder sollen mit ins Bunkerzimmer kommen, ein Raum, den es in fast allen Häusern und Neubauwohnungen in Israel gibt, um sich vor Raketeneinschlägen zu schützen. Die…“

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Foto: Herbst im Kibbuz Be’eri Creative Commons Attribution 2.5 Generic : נתרם במרכז להבה טירת כרמל עי דינה שריפט Pikiwiki Israel

#WeStandWithIsrael/5

28. Oktober 2023

Anlässlich der Terror­akte der Hamas in Israel zeigt das Jüdi­sche Museum Berlin (JM) online und vor Ort in der Eric F. Ross-Galerie die 2014 entstandene Video­arbeit בחזרה על מחזה החזיונות (Rehear­sing the Spec­tacle of Spectres/Mit der Rück­kehr zum Drama seiner Visionen) der in Berlin leben­den israeli­schen Künst­ler Nir Evron und Omer Krieger. Im Zen­trum des 2014 ent­stan­denen Werks steht der Kibbuz Be’eri – eine der am schwer­sten von den Attacken des 7. Oktobers be­troffenen israeli­schen Ge­mein­schaften an der Grenze zu Gaza.

Über den inzwischen beim Angriff auf Israel verwüsteten Kibbuz Beeri will das JM Trauer und Verbundenheit mit den Opfern zeigen. »Wir wollten auf die Situation mit den Mitteln eines Museums reagieren«, sagte JM-Direktorin Hetty Berg. Die Videoarbeit biete einen Raum zum Innehalten und für Reflexion. »Gleichzeitig wollen wir dem Terror und den Morden etwas entgegensetzen: Wir zeigen das Leben in Kibbuz Beeri, bevor es zerstört worden ist, ein Kibbuz, in dem Kunst geschaffen wurde. Wir wollen die Erinnerung an das Leben dort vor dem Angriff bewahren.«

Das Video befasst sich mit dem Gedanken des Kollektiven des 1946 gegründeten Kibbuz – also einer jener ländlichen Siedlungen mit kollektiver Wirtschaft und Lebensweise in Israel. Kameraaufnahmen von Außen- und Innenräumen des Kibbuz zeigen öffentliche Versammlungsstätten, die dem Kollektiven einen Raum geben. Dazwischen sind Bewohnerinnen und Bewohner in Porträtaufnahmen zu sehen, die teilweise mehrfach überblendet das Gedicht rezitieren. Textzeilen und Video drehen sich um Wehmut über das angestrebte, aber nicht immer erreichte harmonische Miteinander.

Das Video beginnt und endet mit Luft­auf­nahmen der geo­grafi­schen Ein­bettung des Kibbuz, in dessen Nach­bar­schaft Gaza liegt. In dieser von poli­tischen Spannungen geprägten Region haben sich zahl­reiche Friedens­aktivist*innen aus Be’eri für ein Mit­einander aller ein­gesetzt. Auch sie sind unter den Opfern des aktuellen brutalen Terror­aktes. Medien sprechen von mehr als 100 Ermor­deten und einer unbe­stimmten Zahl an Ver­schleppten.

Hagay Avni ז״ל‎, einer der Mit­wirken­den des Films und Mitglied der Ver­teidi­gungs­ein­heit des Kibbuz, ist im Kampf gegen die Hamas ge­fallen. Das Ehe­paar Eldan hat den Angriff hoch­betagt über­lebt. Vor zehn Jahren schrieb Anadad Eldan ein Trauer­ge­dicht an­läss­lich des Todes seiner Tochter, an das seine Frau Sari in diesen Tagen öffent­lich erinnert:

עַל קִירוֹת בְּאֵרִי

עַל קִירוֹת בְּאֵרִי כָּתַבְתִּי קוֹרוֹתֶיהָ
מִמְּקוֹרוֹת וּמַעֲמַקִּים קְרוּעֵי קֹר
עֵת קָרְאוּ אֶת הַקּוֹרֶה בַּכְּאֵב וְאוֹרוֹתֶיהָ
נָפְלוּ לַעֲרָפֶל וַאֲפִלַּת לַיְלָה וִילָלָה כְּמָקוֹר
לַתְּפִלָּה כִּי נָפְלוּ יְלָדֶיהָ וְדֶלֶת נְעוּלָה
לְרַחֲמֵי שָׁמַיִם נוֹשְׁמִים שְׁמָמָה וּשְׁכוֹל
הוֹרִים לְלֹא רַחֲמִים מִי יְנַחֵם כִּי קְלָלָה
לוֹחֶשֶׁת אַל טַל וּמָטָר וּמֻתָּר לִבְכּוֹת לְמִי שֶׁיָּכוֹל
יֵשׁ שָׁעָה רוֹחֶשֶׁת חֹשֶׁךְ אַךְ יֵשׁ שַׁחַר וְהִלָּהּ

Auf Be’eris Mauern [Auf den Mauern meines Brunnens]

Auf Be’eris Mauern schrieb ich ihre Geschichte
Aus den von Kälte zerrissenen Ursprüngen und Tiefen
Nun lest das Geschehene im Schmerz und in ihrem Lichte
Fallt in den Nebel und in die Dunkelheit der Nacht und in den Urschrei
Zum Gebet denn ihre Kinder sind gefallen und die Tür ist verschlossen
Vor der Gnade des Himmels atmen sie Einöde und Trauer
Wer tröstet Eltern ohne Erbarmen denn es ist ein Fluch
Der flüstert weder Tau noch Regen soll auf Euch fallen und es darf weinen wer kann
Es gibt eine Stunde voller Finsternis, dennoch gibt es Morgen­dämmerung und einen hellen Schein


בחזרה על מחזה החזיונות
(Rehearsing the Spectacle of Spectres/Mit der Rück­kehr zum Drama seiner Visionen)
Nir Evron, Omer Krieger
2014, HD Video mit Stereosound, 10 Min., Hebräisch mit deutschen und eng­lischen Unter­titeln

In Auftrag gegeben von der Kibbuz Be’eri Galerie
Gedicht von Anadad Eldan, deutsche Übersetzung: Jan Kühne, englische Übersetzung: Robert Whitehill-Bashan
Mitwirkende: Hagay Avni ז״ל, Carmit Dvori, Anadad Eldan, Marcel Visel, Asaf Weiss, Ziva Yellin
Kinematographie: Yair Agmon
Tongestaltung: Binya Reches
Digitales Compositing: Ido Shor