Virtuell
6. April 2012
Das Stadtschreiberamt ist ein lokaler Kulturpreis, der in rund 20 deutschsprachigen Städten vergeben wird. Den ersten bundesdeutschen Stadtschreiber gab es 1974 in Bergen-Enkheim. In Lingen (Ems) bemühte sich die Sozialdemokratin Ruth West jahrzehntelang vergeblich um einen Lingener Stadtschreiber; der Grund für das CDU-Nein dürfte darin gelegen haben, dass ein solcher Kulturschaffender auch Unangenehmes verfassen könnte. Nun, die Auszeichnung zum Stadtschreiber ist in der Regel mit kostenloser Wohnung sowie meist einer zusätzlichen kulturellen Aufgabe verbunden und meist auf ein halbes oder ganzes Jahr befristet. Eigentlich geht das Amt eines Stadtschreibers also mit der Pflicht einher, in der auszeichnenden Kommune auch zu wohnen.
Das ist im benachbarten Oldenburg ganz anders. Als einzige Stadt in Deutschland hat Oldenburg nämlich einen virtuellen Stadtschreiber. Der in Berlin lebende Schriftsteller Gregor Sander bloggt von März bis Dezember Literatur im Internet und lässt sich zu seinen Texten durch Informationen, die ihm medial vermittelt werden oder etwas in ihm auslösen. Das Oldenburger Literaturstipendium ist ein Kulturprojekt, das die Verantwortlichen im letzten Jahr mit dem Schriftsteller Tilman Rammstedt durchführten. Seinerzeit konnte eine große Leserschaft erreicht werden, denn das blogbuch-oldenburg wurde von Juli bis Dezember 2011 von 11.000 Besuchern aufgerufen. Mit der Vergabe dieses Literaturstipendiums setzt das Literaturbüro Oldenburg einen neuen Akzent der Schriftstellerförderung im bundesweiten Literaturbetrieb und schafft mit dem “Blogbuch Oldenburg” eine zeitgemäße Bühne. Z
2012 ist Gregor Sander (Foto lks) Stadtschreiber in Oldenburg. Seine literarische Laufbahn begann vor zehn Jahren. Norddeutschland und insbesondere der Ostseeraum bildeten bislang die Kulisse für seine Erzählungen. Mit der Titelerzählung seines im Frühjahr 2011 erschienenen Erzählbandes Winterfisch reüssierte er 2009 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und erhielt dort den „3sat-Preis“. Weil Oldenburg nahe der Nordsee liegt, ist dies für Gregor Sander Grund genug, sich jetzt mit dem Nordseeraum zu beschäftigen. Torf, Backsteine und Birken als auch die norddeutsche Begrüßung “Moin” hat er bereits in seinen Texten verarbeitet.
(Foto oben: Ruth West – Straßenschild in der Neuen Heimat © privat; Foto unten: Gregor Sander 2009 © Amrei-Marie, wikipedia CC)