Weiter so?

10. April 2023

Diese taz-Meldung vom 31. März muss ich noch nachtragen, fünf Tage bevor das Atomkraftwerk KKE in Lingen endgültig vom Netz geht:

Nach längerem Verwirrspiel steht nunmehr fest, dass der französische Atomkonzern Framatome, der die Brennelementefabrik Advanced Nuclear Fuels (ANF) im niedersächsischen Lingen betreibt, mit dem russischen Staatsunternehmen Rosatom ein Joint Venture eingeht. So kann die zuletzt nicht ausgelastete ­Fabrik künftig auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer Bauart liefern.

Das niedersächsische Umweltministerium bestätigte am Mittwoch (29.03.) im Kern einen entsprechenden Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das Joint Venture zwischen Framatome und der russischen Rosatom-Tochter TVEL sei allerdings nicht wie zunächst geplant in Deutschland, sondern in Frankreich gegründet worden, sagte ein Ministeriumssprecher. Der ursprüngliche Antrag sei nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zurückgezogen worden, nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erhebliche Zweifel bezüglich einer Genehmigung geäußert habe.

Derzeit liege dem Umweltministerium in Hannover als atomrechtlicher Genehmigungsbehörde ein Antrag vor, wonach ANF in Lingen in Lizenzfertigung sechseckige Brennelemente für den Einsatz in osteuropäischen AKW herstellen wolle, hieß es weiter. Für die Produktion sei eine enge Kooperation mit dem Unternehmen Ros­atom geplant, das bislang das Monopol auf hexagonale Brennelemente hat. Nach taz-Informationen beteiligt sich TVEL mit 25 Prozent an dem Joint Venture.

Atomkraftgegner reagierten entsetzt auf die Nachricht. Dieser Deal könne dem Kreml den Zugang zur kritischen Atom-Infrastruktur öffnen, kritisieren der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), regionale Initiativen sowie die atomkritische Ärztevereinigung IPPNW. Bislang hat ANF vor allem Atomkraftwerke in westlichen Ländern beliefert, darunter waren allerdings auch berüchtigte Pannenmeiler in Belgien und Frankreich. Die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau sind vom deutschen Atomausstieg ausgenommen und verfügen immer noch über unbefristete Betriebsgenehmigungen.

Seit 13 Monaten führe Russland einen blutigen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sagt BBU-Sprecher Udo Buchholz. Der „Kreml-Konzern“ Rosatom sei daran durch die Besetzung des ukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja unmittelbar beteiligt. Doch der französische Atomkonzern Framatome tue so, als sei Rosatom weiterhin ein Geschäftspartner wie jeder andere.

In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Wladimir Putin als Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und Nuklearindustrie mitgegründete Ros­atom die zivile und militärische Atom­industrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150 Produktionsstätten. Nach Schätzungen von ­Experten des EU-Parlaments kontrolliert die Agentur 96 Prozent des ­nuklearen Materials in Russland. ­Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.“

Also: Weiter so mit ANF und Putin? Doch wohl besser nicht.

Ach ja, und auch dies(e Richtigstellung)  muss an diesem Ostermontag noch in mein Blog:


Foto: Zierteller KKE Lingen, © in diesem Blog vom 24.08.2016

Ausgebrannt

21. Oktober 2022

Es ist schon mehr als seltsam. Da behaupten rot-grüne Politiker nach angeblichen Stresstests monatelang, dass das Atomkraftwerk in Lingen am Jahresende ausgebrannt und schon daher als Winterreserve nicht nutzbringend sei. Dann kommt zu Wochenbeginn  das „Kanzler-Machtwort“ und jetzt ist plötzlich alles anders. Harte Fakten dazu finde ich im Netz eher versteckt und zwar diese:

Die Erweiterung der drei verbleibenden deutschen Kernreaktoren kann vom 1. Januar bis 15. April 2023 weitere 5 TWh Strom produzieren. Das sagt der Gesetzentwurf, der am Mittwoch vom Habeck-Ministerium veröffentlicht wurde. Durch den Weiterbetrieb des Reaktors im Emsland A in die Kernenergiereserve werden zusätzlich 1,7 TWh Strom produziert.

Der Reaktor, der dem Energieversorger RWE gehört, sollte ursprünglich Ende dieses Jahres außer Betrieb genommen werden, aber am Montag verlängerte die Bundesregierung seinen Betrieb, um die Versorgung und Netzstabilität inmitten der durch den russischen Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise zu sichern.

Im vergangenen Monat hatte die Bundesregierung mit den Energieunternehmen Eon und ENBW, den Eigentümern der Reaktoren Isar 2 (1,4 GW) und Neckarwestheim 2 (1,3 GW), eine Vereinbarung getroffen, um die Betriebsdauer dieser Meiler über das gesetzlich durch die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP vor 11 Jahren als Gesetz eingebrachte und verabschiedete Atomausstiegsziel hinaus bis zum 15. April 2023 zu verlängern.

Durch den Reservebetrieb der nunmehr drei Kernkraftwerke könne eine Stromknappheit „so weit wie möglich“ vermieden werden, heißt es in dem auf seiner Website veröffentlichten Gesetzesentwurf des Ministeriums. Sie würden auch den Bedarf an Netzausgleichsmaßnahmen um 0,5 GW auf 4,6 GW reduzieren, während das Ministerium erwartet, dass der Streckbetrieb den Gasverbrauch im Stromsektor um 0,9 TWh in Deutschland und 1,5 TWh im Ausland senken wird.

Das Emsland-AKW muss allerdings Ende Januar für etwa zwei bis drei Wochen vom Netz genommen werden, um die Brennelemente im Reaktorkern neu zu konfigurieren, teilte das Ministerium mit. Danach kann es bis zum 15. April laufen, wobei die Leistung in diesem Zeitraum weiter abnimmt.

Isar 2 soll ab heute für rund 10 Tage zur Wartung vom Netz genommen werden und kann danach bis Anfang März laufen. Anfangs kann es mit 95 % der Kapazität laufen, sagte das Ministerium, und sinkt gegen Ende auf etwa 50 %. Insgesamt soll Isar 2 zusätzlich 2 TWh Strom produzieren.

Neckarwestheim 2 wird bis zum Jahresende vom Netz genommen, um den Kern der Einheit neu zu konfigurieren, was zwei bis drei Wochen dauern könnte, sagte das Ministerium. Nach dem Stopp kann die Einheit zunächst 70 % produzieren, die bis zum 15. April auf 55 % sinken sollen. Insgesamt soll die Einheit zusätzlich 1,7 TWh produzieren.

Übrigens schreibt das Bundesumweltministerium: „AKW müssen in regelmäßigen Abständen grundlegend auf ihre Sicherheit überprüft werden, mit so genannten Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ). Eine solche Überprüfung dauert mehrere Jahre und hat in der Regel diverse Sicherheitsnachrüstungen zur Folge. Die letzte derartige Prüfung der drei verbliebenen AKW liegt inzwischen 13 Jahre zurück. Ein zusätzlicher Betrieb durch eine Laufzeitverlängerung würde daher ohne die Erkenntnisse aus einer PSÜ erfolgen und deshalb ein nicht hinnehmbares Risiko darstellen.“

Für das AKW Emsland fand das letzte Mal im Jahr 2009 eine PSÜ statt. Das wurde akzeptiert, weil ihre Betreiberin die verbindliche Erklärung abgegeben hatte, den Leistungsbetrieb einzustellen. Die Anlagen wurde also vor 13 Jahren das letzte Mal „auf Herz und Nieren“ geprüft.

Bedenklich ist nicht nur nach Ansicht des Bundesumweltministeriums, dass manche Befürworter einer Laufzeitverlängerung die Bedeutung dieser ganzheitlichen Sicherheitsüberprüfung herunterspielen und verzerren. Dabei ist die Rolle der PSÜ seit Jahrzehnten unmissverständlich klargestellt – im PSÜ-Leitfaden von 1997 und im internationalen Regelwerk. Übrigens sehen auch die Spitzen der AKW-Betreiberkonzerne die wichtige Rolle der PSÜ ähnlich wie das BMUV. Hinzu kommt, dass das Gesetz ein Erlöschen der Berechtigung zum Leistungsbetrieb nach der dreijährigen Verlängerung vorsieht. Es gibt also einer PSÜ so großes Gewicht, dass ohne sie am Jahresende unwiederbringlich Schluss für das betreffende AKW sein musste. Am 31. Dezember 2022 war also der Leistungsbetrieb aller drei noch laufenden AKW rechtlich zwingend zu beenden nicht nur aufgrund des gesetzlichen Laufzeitendes, sondern auch weil eine notwendige PSÜ fehlt.

Nun werden trotzdem dreieinhalb Monate auf das Kernkraftende drauf gesattelt. Hoffen wir, dass diese 105 Tage wirklich so ungefährlich sind, wie die Befürworter dies darstellen. Ausgemachter Bürokraten-Quatsch ist nämlich die ministerielle Einschätzung im Gesetzentwurf, dass „die Bürgerinnen und Bürger von den Regelungen dieses Gesetzes nicht betroffen“ seien. An anderer Stelle des Gesetzentwurfs heißt es geradezu treuselig, es gelte nicht zuletzt dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes) und dem Artikel 20a des Grundgesetzes Rechnung zu tragen.

Denn alle wissen: Es gibt mindestens drei Gründe, warum Deutschland aus der Atomkraft als Hochrisikotechnologie ausgestiegen ist – nach einem Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP:

  • ihre Nutzung ist risikoreich, Tschernobyl, Fukushima und andere Katastrophen haben es gezeigt.
  • Sie ist teuer und produziert hochgiftige Hinterlassenschaften, mit denen noch viele Generationen fertig werden müssen.
  • Die Sicherheitslage von Atomkraftwerken hat sich im Februar 2022 in Europa radikal geändert. Sie sind zum Kriegsziel des Krieges Russlands gegen die Ukraine geworden, wenige Hundert Kilometer von uns entfernt.

Noch Fragen?

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Foto: AKW in Lingen, © Dendroaspis (oben); Kein Dampf aus dem KKE-Kühlturm, denn das AKW in Lingen steht;  (CC) RobertsBlog (unten), Quellen: Montel, BMWK, BMUV, SPON, Stern, t-online