Für eine Welle der Empörung sorgte der Tod eines (nicht im Dienst befindlichen) Feuerwehrmannes auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt. Eine Zeitlang schien es, als sei er von sieben Personen gemeinsam und grundlos totgeprügelt worden. Doch der Fall hat deutlich mehr Nuancen als gedacht. Das zeigt jetzt auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Untersuchungshaft eines Mit-, nicht des Hauptverdächtigen.

Nachdem das Amtsgericht Augsburg die jungen Männer in Untersuchungshaft geschickt hatte, wertete das Landgericht die Sache völlig anders: Es konnte wenigstens in Bezug auf die Personen, die definitiv nicht tödlich zugeschlagen haben, keinen dringenden Tatverdacht erkennen – auch nicht auf Beihilfe zum Totschlag. Diese Entscheidung revidierte das Oberlandesgericht München, es ließ wiederum alle Beschuldigten verhaften.

Hiergegen erhob einer der Beschuldigten nun Verfassungsbeschwerde und erzielte einen Teilerfolg. Die Karlsruher Richter sehen in dem Beschluss des OLG München nicht nur krasse Bewertungs-, sondern auch handfeste handwerkliche Fehler; sie ordnen deshalb eine Neuprüfung an.

Das OLG München weigerte sich in seiner Haftentscheidung recht deutlich, die einzelnen Tatbeiträge der Beteiligten zu prüfen. Vielmehr stellten die Richter ein „besonderes gruppendynamisches Gepräge des Taggeschehens in den Vordergrund“. Sie konstatieren anhand der Videoaufnahmen, die sieben Verdächtigen seien „in einer provozierenden und bedrohlich wirkenden Weise als Gruppe aufgetreten“, eine „Zerlegung des Geschehens in zahlreiche Einzalakte individueller Verdächtiger“ werde dem Tatbild nicht gerecht.

Das sieht das Verfassungsgericht deutlich anders. Die Richter weisen darauf hin, der Tatverdacht müsse für jeden Beschuldigten individuell geprüft werden. Voraussetzung sei eine konkrete Tat oder Tatbeteiligung des Beschuldigten. Die physische Präsenz an einem Tatort reiche keinesfalls aus. Hinsichtlich einer Tat des Beschwerdeführers fehle es in dem Beschluss des Oberlandesgerichts aber an jeder tragfähigen Feststellung – obwohl es ja Videaufnahmen gibt. Auf diese nimmt das Oberlandesgericht aber nur pauschal Bezug, aber nur zum Nachteil des Inhaftierten.

Recht deutlich sprechen die Karlsruher Richter hier von einer fehlenden „Begründungstiefe“. Das ist eine mehr als deutliche Kritik, weil sich natürlich die Frage anschließt, ob die Münchner Richter vielleicht an der Begründung deswegen gespart haben, um das gewünschte Ergebnis nicht zu gefährden.

Das Oberlandesgericht München muss nun erneut über die Haftfrage entscheiden – und dabei die Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen (Aktenzeichen 2 BvR 103/20).

Ein Beitrag im LawBlog von Udo Vetter; Foto: Pixabay


Nachtrag:
Die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg hat inzwischen auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Antrag reagiert, die Haftbefehle gegen sechs Beschuldigte aufzuheben, die definitiv nicht tödlich zugeschlagen haben. Auf einen solchen Antrag der Strafverfolgungsbehörde im Ermittlungsverfahren muss das zuständige Gericht den bestehenden Haftbefehl aufheben. Die sechs jungen Männer sind deshalb aus der U-Haft entlassen worden.


 

36C3 zur Assange-Überwachung

28. Dezember 2019

In Leipzig hat am gestrigen Freitag die 36. Ausgabe des Chaos Communication Congresses – kurz 36C3 – begonnen. Schätzungsweise 17.000 Besucher werden auf dem Messegelände rund um die Uhr über IT-Sicherheit und gesellschaftliche Fragestellungen informiert und debattieren. Das Motto des 36C3 ist „Resource Exhaustion“ – einerseits eine Angriffsmethode, um Anwendungen zum Absturz zu zwingen, zum anderen auch eine Mahnung mit den eigenen Ressourcen sorgsam umzugehen.

Außerdem behandelt der Kongress die Einschränkungen der Freiheit, die mit staatlichen Maßnahmen einhergehen, wie etwa den verschärften Einsatz von Polizei-Datenbanken gegen Minderheiten oder das Vorgehen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange. Auf der anderen Seite beleuchten auch mehrere Vorträge, wie diese Freiheiten gezielt genutzt werden, um autoritäre Strukturen zu etablieren – etwa in der Alt-Right-Bewegung. Der CCC distanziert sich explizit von solchen Bestrebungen.

Der Vortrag des ehemaligen CCC-Sprechers Andy Müller-Maguhn über die Überwachung in der Londoner Botschaft von Ecuador, in die sich Wikieaks-Gründer Julian Assange geflüchtet hat, war heute ein erster Höhepunkt. Gezeigt wurden Überwachungsvideos aus den Botschaft-Kameras. Ecuador hatte die spanische Firma Undercover Global – kurz: UC Global – mit der Security der Botschaft beauftragt, und die hat sich dann nebenher von der CIA bezahlen lassen, um die Überwachungserkenntnisse zeitnah den Amerikanern zu übergeben. Sogar die zuständige Behördenleitung in Ecuador wurde bestochen, um einen Vorwand für das Nachrüsten von Wanzen zu erreichen. Das ist jedenfalls wohl der aktuelle Stand der Ermittlungen in dem Verfahren in Spanien, in dem aber bisher noch nicht mal Anklage erhoben wurde. David Morales, Chef von UC Global, hat aber das Geld der CIA wohl nicht mit seinen Mitarbeitern geteilt, woraufhin einige von ihnen spontan zu Whistleblowern wurden. Aus dieser Quelle stammen diese Aufnahmen jetzt offenbar.

Julian Assange hatte mit Abhörversuchen in der Botschaft gerechnet und daher im Konferenzraum einen Rauschgenerator installiert. Dessen Lautsprecher waren dann u.a. direkt neben dem Fenster montiert, woraufhin das CIA-Team im Haus gegenüber, die per Laser den Schall von den Fenstern abnehmen wollten, keine brauchbaren Aufnahmen bekamen. Diese beauftragten dann die spanische Security-Firma, nach geeigneten Plätzen für eine Innenverwanzung zu suchen und die Wanzen zu montieren. Am Ende haben die im Fuß des Feuerlöschers eine Aushöhlung mit einer Wanze angebracht.

Für die sensibleren Gespräche ist Julian Assange samt Anwalt dann zum Badezimmer gegangen und hat die Dusche laufen lassen. Daraufhin ließ die CIA eine Wanze hinter dem einzigen Schrank dort anbringen. Es war wohl einigermaßen erheiternd, die fluchenden Amis in den Anfragen an die Spanier zu lesen, weil sie nicht weiterkamen.

Lustig war das Ganze wahrlich nicht. Über die Wanze im Feuerlöscher belauschten die Amis nämlich ein Gespräch zwischen Julian Assange und der Geheimdienstchefin von Ecuador, die Julian Assange einen ecuadorianischen Pass beschafft und ihn zum Diplomaten ernannt hatte, und eine offizielle Abberufung in eine Botschaft in einem anderen Land planten. Am nächsten Morgen lag dann überraschend ein internationaler Haftbefehl der USA vor. Überwachen hat also ernsthafte Folgen.

Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hatte einer von Assanges Anwälten schon im Spätsommer  des Jahres bestätigt, dass der Oberste Gerichtshof Spaniens sich mit dieser Sache befasse. Es laufe ein Strafverfahren, jedoch könne er nichts weiter dazu sagen, da es sich um einen Geheimprozess handele. Der Anwalt vermutete damals bereits, die geleakten Unterlagen stammten womöglich von Mitarbeitern des Unternehmens. Assange hatte nach ersten Hinweisen auf seine Überwachung kurz nach seiner Festnahme im April eine Beschwerde gegen das Unternehmen eingereicht, die zu diesem Gerichtsverfahren geführt hat.

Das Sicherheitsunternehmen UC Global und dessen Anwälte weisen die Anschuldigungen, über die zuerst die renommierte spanische Tageszeitung El Pais berichtet hatte, zurück und betonen, das Unternehmen UC Global habe „stets nur im Auftrag der Regierung von Ecuador“ gehandelt. Im Gespräch mit NDR und WDR räumte ein Anwalt der Überwachungsfirma zwar ein, dass das Unternehmen mit US-amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeite. Allerdings sei dies nicht bei der Überwachung der ecuadorianischen Botschaft in London der Fall gewesen. Auch seien von UC Global keinerlei Audioaufnahmen innerhalb der Botschaft angefertigt worden. Das Unternehmen wirft umgekehrt Mitarbeitern von Wikileaks vor, verdeckte Tonaufnahmen angefertigt und die Vorwürfe konstruiert zu haben (mehr…).

Wer den Weg nach Leipzig zum 36C3 nicht schafft, kann die 145 Vorträge, die es bis Sonntag alleine auf den fünf Hauptbühnen gibt, über das Streaming-Angebot verfolgen. Parallel können Interessierte in vielen deutschen und europäischen Städten die Übertragung mit Gleichgesinnten in den Hackerspaces vor Ort verfolgen.

ps Zu Assange: Er war am 11. April dieses Jahres nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft von der Londoner Polizei gewaltsam festgenommen worden und verbüßt derzeit eine Haft von 50 Wochen wegen Verstoßes gegen seine Kautionsauflagen im Jahr 2012 ab; die Strafverbüßung erfolgt unter folterähnlichen Umständen, wie der Schweizer Völkerrechtsprofessor Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, feststellte (mehr…). Anschließend dürfte Assange, nachdem die schwedische Justiz die Vorwürfe gegen den Journalisten nicht weiterverfolgt,  in die USA ausgeliefert werden. Das Land hat einen Auslieferungsantrag gestellt

(Quellen: Heise.de, Fefe,  NDR)

Inaktivitäten

21. November 2018

„Bei der Lektüre dieses Beitrags im Blog des Kollegen Detlef Burhoff musste ich erst mal auf den Kalender schauen. Aber nein, es ist nicht der 1. April – was die Sache nicht unbedingt besser macht. Kurz gesagt, es geht um einen Angeklagten, der unentschuldigt nicht zu seinem Gerichtstermin erschien und dafür eine heftige Quittung bekam. Er wurde ziemlich genau sechs Monate inhaftiert. Oder, um es genauer zu formulieren, offenbar schlicht von der Justiz „vergessen“.

Zwar ist es juristisch durchaus zulässig, wenn das Gericht auf einen unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten mit einem Haftbefehl reagiert. Dieser Haftbefehl ersetzt jedoch nicht die Strafe. Er dient nur dazu, die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung sicherzustellen. Da Haft immer nur das letzte Mittel sein darf und über allem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht, muss die zunächst ausgefallene Hauptverhandlung schnellstmöglich nachgeholt werden.

Doch genau das geschah nach der Festnahme des Angeklagten nicht. Der Richter kümmerte sich um gar nichts. Einen Termin, den offenbar die Geschäfsstelle des Gerichts mit der Verteidigerin abgesprochen hatte, ließ der Richter wegen eines privaten Urlaubs absagen. Da waren aber ohnehin schon gut fünf Monate vergangen. Weder vorher noch nachher kam es dem Richter offenbar in den Sinn, dass er diese Sache nicht auf die lange Bank schieben kann.

Eine ebenso unrühmliche Rolle scheint die Pflichtverteidigerin des Angeklagten gespielt zu haben. Offenbar hat sie rein gar nichts unternommen, insbesondere hat sie nicht auf einen zügigen Hauptverhandlungstermin gedrängt. Erst ein Wahlverteidiger, den der Angeklagte wahrscheinlich in seiner Not beauftragte hatte, schaffte es dann binnen weniger Tage, dass ein anderer Richter den Angeklagten auf freien Fuß setzte – nach ziemlich genau sechs Monaten.

Das Landgericht Görlitz stellt in seinem Beschluss zutreffend fest, dass in so einer einfachen Sache bei einem Sicherungshaftbefehl die Hauptverhandlung spätestens innerhalb von drei Wochen stattfinden muss ( LG Görlitz, Beschl. v. 25.10.2018 – 13 Qs 124/18). Somit saß der Betroffene mehr als fünf Monate grundlos im Gefängnis. Wobei nur am Rande erwähnt werden sollte, dass er in der Sache später sogar freigesprochen wurde.

Eine Lehre aus dem Fall kann sicher auch sein, dass man als Angeklagter auch mal die Aktivitäten des eigenen Anwalts hinterfragen sollte. Und natürlich ganz besonders seine Inaktivitäten.“

(ein Beitrag aus Udo Vetters LawBlog)

Antilopen Gang

13. Januar 2015

Hip-Hop wird politisch, weiß DRadio Kultur. Und das ist gut so. „Rapper und Bands wie Haftbefehl und Antilopen Gang befassen sich verstärkt mit politischen Themen. Der Musikjournalist Marcus Staiger erklärt den neuen Tonfall im deutschen Hip Hop.

Die deutsche Hip-Hop-Szene ist lebendiger denn je: Rapper wie Marteria, Cro, Kool Savas oder Casper stehen mit ihren Alben nicht nur weit oben in den Charts, sie zeigen auch, wie unterschiedlich und originell deutscher Sprechgesang heutzutage klingen kann.

In den vergangenen Monaten zeichnete sich dabei ein neuer Trend in der deutschen Rap-Szene ab: Die Hinwendung zu gesellschaftskritischen, mitunter auch politischen Inhalten. Gruppen…“ [weiter hier bei DRadio Kultur]