Impfpflicht
29. Dezember 2021
Der Jurist sagt: „Mehr Moraldruck ist nicht besser“. Ein taz-Interview.
taz: Herr Heinig, Anfang 2022 soll der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 abstimmen. Ist die Umsetzung schon Anfang März denkbar, so wie Bundeskanzler Olaf Scholz es sich vorstellt?
Hans Michael Heinig: Wir bräuchten ein klar definiertes Ziel, das wir nicht mit anderen Mitteln besser erreichen können. Dann wäre auch schon März denkbar. Bis dahin sollten aber noch alle Mobilisierungspotenziale für eine auf Freiwilligkeit setzende Impfkampagne genutzt werden. Warum war Bremen zum Beispiel erfolgreicher als andere Bundesländer? Direkte Ansprache, Terminvorschläge, mobile Impfteams, gezielt in die Milieus hineingehen, mit Leuten, die dort Einfluss haben.
Sie selbst haben im November ein Ultimatum vorgeschlagen: Wenn bis zu einem festgelegten Zeitpunkt nicht genug Menschen geimpft wären, würde die Impfpflicht greifen. Warum darf sie nur das letzte Mittel sein?
Sie ist ein nicht unerheblicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Das Grundgesetz sieht hier hohe…
Papiertiger
13. August 2020
Die Ende 2016 in Niedersachsen eingeführte Mieterschutzverordnung, die sog. Mietpreisbremse gegen überteuerte Wohnungen, ist laut einem Urteil des Landgerichts Hannover von Mittwoch unwirksam. Diese zivilrechtlich Entscheidung ist zwar nicht bindend, wirkt aber weit über den entschiedenen Fall hinaus
Die Mietpreisbremse soll bekanntlich vor überteuerten Wohnungen schützen. Nach der Verordnung darf der Preis für Neuvermietungen „nur noch zehn Prozent“ über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Andernfalls können Mieter/innen die gezahlte Miete zurückfordern. Die Regelung galt bisher in Braunschweig, Buchholz in der Nordheide, Buxtehude, Göttingen, Hannover, Langenhagen, Leer, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Vechta, Wolfsburg sowie auf allen ostfriesischen Inseln.
Die bisherige niedersächsische Mietpreisbremse ist wegen handwerklicher Fehler in der Verordnung unwirksam. Grund dafür ist, dass mit der Veröffentlichung der Mieterschutzverordnung Ende 2016 nicht auch eine Begründung geliefert wurde, entschied das Landgericht Hannover am Mittwoch (LG Hannover, Urt. v. 12.08.2020, Az.: 7 S 7/20) und bestätigte ein vorhergehendes Urteil des Amtsgericht Hannover, das Ende 2019 einer Mieterin einen Rückzahlungsanspruch auf zu viel gezahlte Miete verweigert hatte. Die Berufung der Mieterin blieb ohne Erfolg.
Das Land Niedersachsen hatte auf Grundlage einer Ermächtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine Verordnung erlassen, die eine Mitpreisbremse beinhaltet. In der Verordnung wird unter anderem Hannover als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen, die Begründung dafür fehlte allerdings.
Das Gericht bemängelte insbesondere diese fehlende Begründung. Zwar sei im März 2018 nachträglich auf der Homepage des Ministeriums eine Begründung veröffentlich worden, dies reiche aber nicht aus, so ein Gerichtssprecher gegenüber LTO. Das Gericht stützte sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur hessischen Mietpreisbremse. Demnach muss eine Begründung der Verordnung bereits bei Erlass vorliegen und nachprüfbare Tatsachen liefern, warum gerade die jeweilige Kommune in die Verordnung aufgenommen wurde. Zivilgerichte, die eine solche Verordnung anwenden, hätten nämlich die Pflicht, diese auch auf ihre „Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht“ zu prüfen und sie im Falle ihrer Unwirksamkeit nicht anzuwenden; die Verordnung enthalte nicht, wie in der sog. „Ermächtigungsgrundlage“ in § 556d Abs. 2 BGB vorgeschrieben, eine Begründung. Wegen desselben Formfehlers der Ministerialbürokratie hatten auch schon Gerichte in Hamburg, München oder in Stuttgart die dortigen Mietpreisbremsen für ungültig erklärt. Im schwarz-grün regierten Hessen ist übrigens am 28. Juni 2019 eine neue, formal korrekte Mieterschutzverordnung in Kraft getreten.
Auch bei der bisherigen niedersächsischen Verordnung fehlt -so das LG in seinem gestrigen Urteil- die notwendige Begründung; aus der daher unwirksamen Regelung können die klagende Mieterin daher auch keine Ansprüche geltend machen.
Zwar ist diese Entscheidung in dem Hannoveraner Fall nicht für andere Gerichte in Niedersachsen bindend. Wwegen der in ihr zugrunde liegenden Entscheidung des BGH gehen Juristen aber davon aus, dass auch bei anderen Klagen niemand Ansprüche aufgrund der Verordnung geltend machen kann. Kurzum: Die bisherige Mieterschutzverordnung ist bloß ein Papiertiger. Oder, um einen großen Europäer zu zitieren, sie ist „viel Lärm um Nichts„. Sie ist Murks.
Wie geht es jetzt weiter? Das (jetzt zuständige) Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz in Hannover „arbeitet bereits“ an einer neuen Verordnung, zu deren Entwurf derzeit die betroffenen Kommunen und Verbände angehört werden. „Voraussichtlich im Spätherbst“ soll sie verabschiedet werden, schreiben die Medien.
Aus dem Schutz der neuen Fassung der Verordnung sollen dann die Städte Buchholz, Buxtehude, Leer, Vechta und Wolfsburg herausfallen. Wegen zahlreicher Neubauten in den letzten Jahren seien dort „die Mieten nicht mehr stärker als im Landesdurchschnitt gestiegen“. Neu hinzu kommen sollen die Kommunen Gifhorn und Laatzen.
In unserer Region an Ems und Vechte werden übrigens keine Kommunen, auch nicht die Mittelstädte Lingen, Nordhorn, Meppen oder Papenburg, in die Mieterschutzverordnung aufgenommen. Daran ändert sich nichts. Der Grund dafür ist weder klar noch überprüfbar; denn die bisherige Auswahl der Kommunen erfolgte aufgrund „einer Analyse der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)“, die für mich trotz eines Links hier im Internet nicht auffindbar ist. Ob eine solche private „Analyse“ für eine gesetzesmäßige Begründung ausreicht, darf übrigens bezweifelt werden…
Quellen. PM LG, LTO; DPA; Haufe
gegen Feuer und Gewalt
27. November 2019
Mit Verweis auf den bevorstehenden Besuch des früheren Bundesministers Thomas de Maizière (CDU) in Göttingen und auf vermehrte Abschiebungen von Flüchtlingen haben Unbekannte in der Nacht zu Montag einen Brandanschlag auf das Amtshaus der Stadt Göttingen (Foto: wikipedia verübt. In dem Gebäude ist auch die Ausländerbehörde untergebracht. Menschen kamen bei dem Anschlag nicht zu Schaden.
In einem der taz vorliegenden Bekennerschreiben heißt es: „Die Politik von Politikern wie Thomas de Maizière ist eine mörderische Politik.“ Der Ex-Bundesinnenminister stehe für ein „menschenverachtendes System“. Jeden Tag kämen Menschen zu Tode: „Im Mittelmeer durch unterlassene und behinderte Seenotrettung, an den Grenzen der Festung Europa“ oder durch deutsche Waffenlieferungen an die „faschistische Türkei“. De Maizière trage die Verantwortung für Verbote von kurdischen Vereinen sowie linken Medienplattformen.
In dem Schreiben wird auch scharfe Kritik an der Göttinger Ausländerbehörde geübt. Sie leite Abschiebungen ein und lasse „Polizeikommandos nachts unangekündigt in Wohnungen stürmen, reißt Menschen aus dem Schlaf, aus ihrem Leben, aus ihrer Sicherheit, und verschleppt sie in Armut, Unterdrückung oder den Tod“.
Die Polizei sprach am Nachmittag von einer mutmaßlich linksextremistischen Tat und hat eine Sonderkommission eingerichtet. Wenn Gewalt- oder Straftaten eingesetzt würden, um Politiker oder Verwaltungsmitarbeiter einzuschüchtern, handele „es sich nicht mehr um eine legitime Form der politischen Meinungsäußerung“, sagte der Göttinger Polizeipräsident Uwe Lührig. „Dabei erreicht der Brandanschlag eine Qualität, die nach meiner Auffassung ganz klar als Linksterrorismus zu bezeichnen ist.“
Den Ermittlern…
Zwei persönliche Anmerkungen:
Erstens ist es eine klare Sache, dass dieser Brandanschlag nicht ansatzweise akzeptabel und deshalb heftig zu kritisieren ist. Diesen aber gleich mit dem Terrorismusetikett zu belegen, verhöhnt die Opfer derartiger terroristischer Anschläge.
Zweitens hat der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière gestern Abend in Göttingen einen Lesung nachgeholt, der im Oktober von linken Aktivisten verhindert worden war. Ein großes Polizeiaufgebot gewährleistete die Lesung des CDU-Politikers aus seinem Buch „Regieren“. Bis Veranstaltungsbeginn gab es keine Zwischenfälle. Eine Demonstration mit etwa 130 Teilnehmern verlief nach Medienangaben friedlich. Demokraten, denen ich vorwerfe, eine falsche Politik zu betreiben, haben das uneingeschränkte Recht, Bücher zu schreiben und überall vorzulesen. Mit Maizières rechter Innenpolitik hatte ich nichts im Sinn. Lebte ich in Göttingen, wäre ich aber zu seiner Lesung gegangen, weil man einem Demokraten gegen Feuer und Gewalt verteidigen muss.
Foto: Amtshaus Göttingen, von Creative-Commons-Lizenz Jan Stubenitzky (Dehio) – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 internationa
Sicherer Hafen
15. September 2019
Flüchtlinge und ihre Unterstützer fordern es schon seit fast einem Jahr, nun ist es so weit: Die Stadt Göttingen wird sich zum „Sicherer Hafen“ für Geflüchtete erklären. Das haben SPD, Grüne, Linke und weitere Mitglieder des Stadtrats in einem gemeinsamen Antrag vereinbart. Darüber will das Kommunalparlament an diesem Freitag abstimmen, eine Mehrheit gilt als sicher.
Damit positioniert sich die Stadt öffentlich auch gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und unterstützt diese auch. Sie übernimmt die Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff oder beteiligt sich daran und unterstützt das Aktionsbündnis „Seebrücke“ finanziell. Der Göttinger Kreistag wird Anfang Oktober einen ähnlichen Antrag beschließen.
„Als weltoffene Stadt der Integration und Vielfalt und angesichts der Tatsache, dass es täglich Todesopfer im Mittelmeer gibt, sind auch wir in der Pflicht, ein Zeichen der Humanität zu senden“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Tom Wedrins. „Wir dürfen nicht wegschauen, das Drama im Mittelmeer muss aufhören. Wir haben die moralische Verpflichtung, auch auf lokaler Ebene zu helfen.“
Der Grünen-Ratsherr Thomas Harms betont: „Im Mittelmeer sterben Menschen und mit diesen unsere europäischen Werte. Es ist längst überfällig, dass wir Verantwortung übernehmen für das Sterben vor unserer Haustür, das wir durch unterlassene Hilfeleistung, unfaire Freihandelsabkommen und von westlichen Ländern verursachte Klimaschäden verursacht haben.“
Städte, die sich zu „Sicheren Häfen“ erklären, bieten unter anderem an, aus dem Mittelmeer gerettete Menschen bei sich aufzunehmen. Bundesweit gibt es inzwischen rund 80 solcher Kommunen. In Niedersachsen sind es bislang mindestens 16: Aurich, Braunschweig, Cloppenburg, die Stadt und der Landkreis Cuxhaven, die Stadt und die Region Hannover, die Stadt und der Landkreis Hildesheim, Holzminden, Nordhorn, Oldenburg, Osnabrück, Thedinghausen, Weyhe und Wolfenbüttel.
Die Kampagne „Sichere Häfen“ geht auf Forderungen der „Seebrücke“ zurück. In Göttingen warben unter anderem das „Lampedusa-Bündnis“ und der Arbeitskreis Asyl dafür. Erste Vorstöße im Rat und Kreistag seien zunächst am Zögern der SPD gescheitert, sagen Kommunalpolitiker von Grünen und Linken.
Nachtrag: In Lingen kommt das Thema in Kürze wieder auf die Tagesordnung des Stadtrates, nachdem er geführt von seiner CDU-Mehrheit vor einem Jahr einen Antrag abgelehnt hatte
Lehrhausgespräch mit Michael Heinig
14. November 2016
Die Reihe der Lehrhausgespräche des Forum Juden Christen in der Jüdischen Schule am Konrad-Adenauer-Ring wird am kommenden Dienstag (15. November) ab 19.30 Uhr dmit Prof. Dr. jur. Hans Michael Heinig (Göttingen/Berlin; ) sein. Sein Thema:
„Wie gut sind wir gerüstet für eine multireligiöse Gesellschaft ?“
Michael Heinig (Foto lks, © privat) ist 1971 in Lingen geboren, hat 1990 am Gymnasium Johanneum sein Abitur gemacht und engagierte sich während seiner Lingener Zeit politisch. Ab WS 1990/91 studierte er Rechts-, Geschichts- und Sozialwissenschaften, zunächst in Hamburg, dann in Hannover und Bochum. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen und einer Praktikumszeit beim Bevollmächtigten des Rates der EKD promovierte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Martin Morlok in Düsseldorf und erhielt den Dissertationspreis der dortigen Fakultät. Von 2002 bis 2004 absolvierte er sein Rechtsreferendariat unter anderem im Dezernat Udo Di Fabio beim Bundesverfassungsgericht und im Bundeskanzleramt. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen forschte Heinig bis in das Jahr 2008 als wissenschaftlicher Assistent von Görg Haverkate an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Dort habilitierte Michael Heinig und erhielt die venia legendi für die Fächer Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie, Kirchenrecht, Europarecht und Sozialrecht. Anschließend wurde er auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Kirchenrecht und Staatskirchenrecht nach Göttingen berufen. Er hat seitdem auch die Leitung des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland inne.
Professor Heinig ist bestens mit dem gesellschaftlichen, politischen und den kirchlichen Diskurs über das Thema ‚Multireligiösität“ vertraut – aufgrund seiner eigenen Arbeiten dazu und seiner Debattenbeiträge in den einschlägigen Gremien – einer Debatte, die die Gesellschaft nicht nur in Deutschland schon lange beschäftigt, und ebenso lange auf eine gute, verträgliche und tragfähige Problemlösung wartet.
„Deshalb können Sie getrost mit hohen Erwartungen am kommenden Dienstag in die Jüdische Schule kommen und sich auf einen gewiß spannenden Vortrag gefaßt machen oder besser noch: freuen. Und nicht weniger Interessant dürfte die Wiederbegegnung mit Michael Heinig für seine Lehrer und „seine“ Kreuzkirche(n)-Gemeinde sein. Auch diese laden wir alle auf diesem Wege ausdrücklich und herzlich zum nächsten Abend unserer Lehrhausgespräche ein.
Man darf sich auf den Abend freuen, über den die Lokalzeitung angekündigt hat, nicht unmittelbar berichten zu wollen; der Lokalteil sei nicht die richtige Plattform für ein Lehrhausgespräch. Also darf jede/r selbst kommen und nach dem Vortrag auch diskutieren. Wenn es in der Jüdischen Schule zu voll wird, ist kurzerhand ein Umzug in die Kreuzkirche am Universitätsplatz geplant.
Abenteuerroman
3. Oktober 2012
Vor einigen Tagen hat die Hamburger Autorenvereinigung Gerhard Henschel den „Hannelore-Greve-Literaturpreis“ überreichen. Der heute 50-Jährige Schriftsteller hat seine Jugend in Meppen verbracht und ist, nach Siegfried Lenz, Hans Pleschinski, Arno Surminski und Lea Singer, der fünfte Preisträger des mit 25.000 Euro dotierten Literaturpreises. Seinen Durchbruch feierte Henschel mit dem Briefroman «Die Liebenden». 2004 erschien mit «Kindheitsroman» die erste autobiografische Abenteuergeschichte um den Protagonisten Martin Schlosser, die Henschel mit «Jugendroman» (2009, mehr) und «Liebesroman» (2010) fortsetzte. Mit «Abenteuerroman» ist jetzt der vierte Teil der emsländischen Chronik erschienen:
Martin Schlosser wird darin erwachsen und bricht in die weite Welt zu seinen Abenteuern auf. Endlich hat er eine Freundin gefunden, und schon beginnen die zermürbenden Beziehungsdiskussionen. Es sind die frühen achtziger Jahre, Kohl wird Kanzler und Martin möchte nichts dringender, als dem emsländischen Meppen entfliehen. Dafür muss er aber erst einmal sein Abitur bestehen. Wird ihm das gelingen? Wird er sich danach wie geplant als Spülkraft in einem Hotel auf Norderney bewähren? Wird er Soldat oder doch Zivildienstleistender? Wie bekommen ihm seine Drogenexperimente? Wie wird ihm das Wohngemeinschaftsleben schmecken? Und kann er seine Beziehung durch die Zeiten retten? Martins Lebensweg führt ihn diesmal nach Brokdorf, Hamburg, Amsterdam, Osnabrück, Bielefeld, München, Venedig, Wien und Göttingen – und immer wieder zurück nach Meppen, die ihm so verhasste Kleinstadt. Hier eine winzige Kostprobe:
Gerhard Henschel
Abenteuerroman
Verlag: Hoffmann Und Campe
572 Seiten, 24,99 Euro
ISBN-13: 9783455403619
ISBN-10: 3455403611
Ich hab mein Abenteuerroman-Exemplar in der Buchhandlung Holzberg, Clubstraße 2, Lingen (Ems) erworben. (Öffnungszeiten Montag – Freitag: 9.00 – 18.30, Samstag: 9.00 – 16.00)
(Quelle)
Menschenwürde
18. Juli 2012
Heute hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Vorlagen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zu der Frage verkündet, ob die Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz („AsylbLG“) verfassungsgemäß sind. Geklagt hatten ein 35-jähriger irakischer Flüchtling und ein 12-jähriges, aus Liberia stammendes Mädchen, das mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Die Klagen waren u.a. aus Mitteln des PRO ASYL-Rechtshilfefonds (Foto lks) unterstützt worden. Über den Sachverhalt informiert die Pressemitteilung Nr. 35/2012 des höchsten deutschen Gerichts vom 30. Mai 2012.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelungen zu den finanziellen Grundleistungen nach dem AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar sind. „Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist. Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich.“
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Bis zu deren Inkrafttreten hat das Bundesverfassungsgericht angesichts der existenzsichernden Bedeutung der Grundleistungen eine Übergangsregelung getroffen. Danach ist ab dem 1. Januar 2011 die Höhe der Geldleistungen auch im Anwendungsbereich des AsylbLG entsprechend den Grundlagen der Regelungen für den Bereich des Zweiten und des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB) zu berechnen. Das SGB II regelt den sog. Hartz IV-Bereich, SGB XII betrifft die Sozialhilfe. Dies gilt, so das Verfassungsgericht, rückwirkend für nicht bestandskräftig festgesetzte Leistungen ab 2011 und im Übrigen für die Zukunft, bis der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Neuregelung nachgekommen ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen diese Erwägungen zugrunde. Vor allem:
Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten,um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Aus der vom Verfassungsgericht festgelegten Übergangsregelung folgt beispielsweise für einen Haushaltsvorstand jenseits der vorrangigen Versorgung mit Sachleistungen eine deutlich höhere Geldleistung als bisher. Zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dann im Jahr 2011 anstelle von Sachleistungen für einen Monat von einer Geldleistung in Höhe von 206 € und einem zusätzlichen Geldbetrag für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 130 € auszugehen. (Wortlaut des Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11.)
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Einschränkungen des AsylbLG gegen die Menschenwürde verstoßen und damit verfassungswidrig sind, ist jetzt auch der Zeitpunkt, weitere Diskriminierungen des AsylbLG aufzuheben. Besonders diejenigen, die sich der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für unser Bundesland ausgedacht hat.
2007 hatte Minister Schünemann gegenüber den niedersächsischen Kommunen verfügt, „dass das in § 3 AsylbLG normierte Sachleistungsprinzip auch weiterhin zu beachten und umzusetzen ist.“ Seither gibt es -auch in Lingen- für Asylbewerberinnen und Asylbewerber stets Gutscheine. Die Analyse des heutigen Verfassungsgerichtsurteils zeigt aber, dass die dauerhafte Anwendung des Sachleistungsprinzips mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist. Es diskriminiert und ist integrationsfeindlich. Für Zeitgenossen, die das Problem primär ökonomisch begreifen: Das von Schünemann vorgeschriebene Sachleistungsprinzip ist besonders teuer und verwaltungsaufwändig. Es gehört abgeschafft. Der Rat der Stadt Göttingen hat in der letzten Woche, wie ich höre einstimmig, bei Innenministerium Schünemann beantragt, die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, damit die Stadt Göttingen anstelle von Wertgutscheinen Bargeld an Asylbewerberinnen und Asylbewerber auszahlen kann. Ich nenne dies eine vorbildliche Entschließung.
Seit heute gilt die Entscheidung des Verfassungsrichter. Die öffentliche Verwaltung hat sie zu beachten. Also müssen Asylbewerberinnen und Asylbewerber unverzüglich die vom Verfassungsgericht vorgeschriebenen Beträge erhalten. Ich habe heute OB Dieter Krone gebeten, sofort zu handeln.
Für konservative, Wo-kommen-wir-denn-da-hin-Zeitgenossen, die die Auswirkungen eher ideologisch-unchristlich sehen, diese Stimme: Der katholische Hildesheimer Bischof Norbert Trelle (Foto lks) reagierte heute auf das Urteil mit der Forderung nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nach Auffassung der Deutsche Bischofskonferenz habe dieses Gesetz „immer eher der Abschreckung“ gedient als der angemessenen Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen, sagte Trelle. Er sei „deshalb froh, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet hat, unverzüglich eine deutliche Erhöhung der Leistungen für diese Personengruppen vorzunehmen“. So ist es!
Nachtrag:
Und dann gibt es noch die Vordemokraten und Faschisten der BILD.de-Community und deren Reaktionen auf das Verfassungsgerichtsurteil. Stefan Niggemeier hat sie in seinem Blog zusammengestellt. Man erkennt, welche unmenschliche Gesellschaft dieser Personenkreis will und wundert sich, was BILD.de da treibt, denn:
„Das Online-Angebot der »Bild«-Zeitung legt übrigens großen Wert auf »gutes Benehmen« in dem von ihr kontrollierten Teil des Netzes:
Damit sich jeder innerhalb der BILD.de-Community wohlfühlt, gelten auch hier bestimmte Umgangsformen. Nur gegenseitiger Respekt und Höflichkeit sorgen für eine rege Diskussion.
Es werden keine Beiträge toleriert, die andere wegen ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer Sprache, ihrer Abstammung, ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Weltanschauung diskriminieren oder gegen Gesetze verstoßen. Entsprechende Einträge und Userprofile werden umgehend gelöscht.“
Wundern? Nö, bei BILD wundert gar nichts.
Hilft nicht
27. Juni 2012
Der Wolf fraß im Märchen Kreide, um die hohe Stimme der Geißenmutter nachzuahmen und so die sieben Geißlein zu täuschen. Kreide fressen (ungefressene Kreide re., Foto CC Gipsmuseum Walkenried), das versucht jetzt, rund ein halbes Jahr vor der Landtagswahl, Niedersachsens CDU-Innenminister Schünemann. Doch niemand nimmt es ihm ab. weil er ja auch nur so tut: Gestern hat er seine vor sechs Wochen vorgelegte Verordnung zur Härtefallkommission in einigen Punkten geändert. Die Härtefallkommission befasst sich mit vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern, denen nach geltendem Recht kein Aufenthaltsrecht zusteht. Sie soll ihnen gleichwohl zu einem Bleiberecht verhelfen, weil Vollzug und Durchsetzung der Ausreisepflicht menschlich oder moralisch unerträglich wäre. In Niedersachsen war sie nicht einmal dazu nicht in der Lage, so wie Schünemann sie trickreich seiner Ideologie auf den Leib gezimmert hatte.
Der gestrigen Erklärung des niedersächsischen Innenministers zur geplanten Reform der Härtefallkommissionsverordnung sind auch nur leichte Korrekturen gegenüber dem Anfang Mai vorgelegten Entwurf Schünemanns zu entnehmen, nämlich:
- Eine Präambel soll der Verordnung vorangestellt werden.
- Es soll nicht nur eine/n, sondern mehrere Stellvertreter/innen für HFK-Mitglieder geben.
- Die neu eingebaute Frist für Entscheidungen der HFK nach Vorlage einer Stellungnahme des MI wird von drei auf vier Monate verlängert.
- Auf die vorgesehene weitere Verschärfung in Form eines mindestens dreijährigen Aufenthalts als Voraussetzung für die Annahme eines HFK-Antrags wurde verzichtet.
Es sind kosmetischen Korrekturen, schreibt der Niedercsächsische Flüchtlingsrat. Damit erfülle die Landesregierung leider dessen Forderungen zur Umstrukturierung der Härtefallkommission nicht. Ein paar warme Worte über Humanität in der Präambel nützen nicht viel, sagt Kai Weber (Nieders. Flüchtlingsrat) in einer Stellungnahme, wenn allein der Bezug öffentlicher Mittel weiterhin ein Regelausschlussgrund darstellt. Auch in Zukunft findet sich kein einziger Vertreter einer Flüchtlings- oder Menschenrechtsorganisation unter den benannten Mitgliedern. Fast alle formalen Nichtannahmegründe bleiben bestehen. Der in der Vergangenheit mehrfach praktizierte Protest von Mitgliedern durch “Ruhenlassen” der Mitarbeit in der Kommission wird durch die nun eingebaute Entscheidungsfrist zukünftig nicht mehr möglich sein, weil dies eine Ablehnung von Anträgen nach Ablauf der viermonatigen Fristsetzung zur Folge haben würde. Doch andersrum wird ein Schuh daraus: Künftig kann Schünemanns Härtefallkommission zwar mit einfacher statt mit Zweidrittel-Mehrheit Gnade gewähren – aber es ist immer noch die Mehrheit der Stimmberechtigten gefordert, nicht die der Anwesenden. Die Vertreter staatlicher Stellen können also weiterhinSitzungen schwänzen, ohne damit die Kontrolle aus der Hand zu geben.
Man sieht: CDU-Hardliner Schünemann versucht ein halbes Jahr vor der Landtagswahl eine „offene Flanke“dieser Regierung zu schließen. Nicht nur ich sehe nur vordergründige Polit-Taktik und man weiß, das hilft nicht. Im Januar wird dieser unsägliche Mensch abgewählt.
Ach ja:
Am 8. Juli unterstützt der Gospelchor der Kreuzkirche Göttingen die Initiative des Schauspielers Lars Wätzold. Er macht mit der Veranstaltungsreihe „Benefiz für Schünemann-Opfer“ in der südniedersächsischen Universitätsstadt auf die besonders unmenschliche Abschiebepraxis des niedersächsischen Innenministers aufmerksam macht. Trotz Ankündigungen, die Abschiebepraxis zu überdenken, bzw. im Bundesrat eine Initiative zur Änderung der entsprechenden Gesetze zu initiieren, werden weiterhin Asylsuchende bei Nacht und Nebel von der Polizei aus ihren Wohnungen geholt und in ihre Heimatländer zurückgeschickt, in denen sie nicht nur unter wirtschaftlicher Not leiden, sondern auch Verfolgung und Folter ausgesetzt sind (weiter…).
Aus dem Emsland ist es ein bisschen weit nach Göttingen, aber ich fände es gut, wenn es auch hier im Westen Niedersachsens solche Initiativen gegen Schünemann gäbe.
wird überprüft
15. Mai 2012
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz sorgte vor kurzem für Entsetzen – nicht nur bei mir. Aus der Entscheidung spricht nämlich Rassismus. Die Koblenzer Richter hielten es für zulässig, dass Bundespolizisten bei Kontrollen in grenznahen Zügen auch die Hautfarbe als Kriterium dafür heranziehen, welcher Reisende kontrolliert wird. Grenznah war hier übrigens der Regionalexpress von Kassel nach Frankfurt. Dagegen wehrte sich ein dunkelhäutiger Betroffener, der schon etliche Male kontrolliert wurde.
Nun gibt es Hoffnung, dass diese beschämende Entscheidung korrigiert wird. Das Urteil wird überprüft. Der zuständige 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz unter Vorsitz von Richterin Dagmar Wünsch hat nämlich die Berufung „wegen grundsätzlicher Bedeutung“ zugelassen. Außerdem bewilligte das Oberverwaltungsgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe – und zwar rückwirkend auch für das Verfahren in der 1. Instanz. Damit sehen die Oberverwaltungsrichter Aussicht auf Erfolg für die Berufung.
Für den Kläger streitet der Göttinger Anwalt Sven Adam. Er sagt: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz legitimiert das sogenannte “Ethnic Profiling”. Dabei, so Adam, habe die Bundesregierung noch im Juli 2011 erklärt, bei verdachtsunabhängigen Kontrollen dürfe es keine unterschiedliche Behandlung von Personen nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion geben. Auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen sieht Ethnic Profiling als unzulässig an. Außerdem liegt es, so Adam, nahe, dass die Koblenzer Richter gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen haben.
(Quelle lawblog, Udo Vetter; Foto: Europäische Menschenrechtskonvention, 4. November 1950 ©Bildstelle Europarat)
Regionalexpress
8. Mai 2012
Die Koblenzer Rechtsprechung habe ich hier schon als Rassismus kritisiert. Jetzt lese ich die Fortsetzung des Falles von Aaron K. im lawblog von Udo Vetter und kann mit der Frankfurter Rundschau feststellen: Die Bundespolizei (Hoheitsabzeichen lks) darf Bahnreisende allein wegen ihrer dunklen Hautfarbe kontrollieren. Aber: Man kann das ungestraft mit „SS-Methoden“ vergleichen!“ Weiter im lawblog:
„Darf die Hautfarbe ein Kriterium für Polizeikontrollen sein? Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Koblenz vor kurzem bejaht. Die Richter segneten damit die Berufsauffassung eines Bundespolizisten ab, der offen zugab, Zugreisende auch wegen ihrer Hautfarbe unter die Lupe zu nehmen. Dieser offenen Billigung von Rassismus treten nun andere Richter, nämlich am Oberlandesgericht Frankfurt, im gleichen Fall wenigstens indirekt entgegen. Sie haben entschieden, dass der Betroffene dann dem Beamten auch ins Gesicht sagen durfte, das Verhalten erinnere ihn an die Methoden der SS.
Am Oberlandesgericht Frankfurt war der 25-jährige Student, der dunkler Hautfarbe ist, wegen Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht Kassel hatte ihn bereits zu einer Geldstrafe verurteilt; dagegen ging der Mann in Revision. Aus dem Urteil erfahren wir zunächst, was sich im Zug ereignet hat:
Der Angeklagte (wurde) am 3.12.2010 durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt/ Main angesprochen und darum gebeten sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde.
Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS.
Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: “dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin”, woraufhin der Angeklagte entgegnete: “Nein, das sage ich nicht”.
Das Oberlandesgericht meint, die Äußerungen seien geeignet gewesen, den Polizisten in seiner Ehre herabzusetzen. Allerdings seien die Worte des 25-Jährigen letztlich gerechtfertigt gewesen. Aus dem Urteil:
Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete.
Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.
Indem er ausdrücklich nicht den Polizisten als Nazi bezeichnete, habe der Angeklagte hinreichend gezeigt, dass er zwischen der fragwürdigen Maßnahme und der Person unterscheide. Somit liege keine Diffamierung des Beamten vor, sondern eine noch zulässige Kritik an den Methoden der Bundespolizei.
Dabei spiele es auch keine Rolle, ob die Personenkontrolle rechtmäßig war. Selbst wenn man dies annehme, habe der Betroffene das polizeiliche Vorgehen kritisch würdigen dürfen – auch mit “polemisierender Wortwahl”.
Erfreulich zu sehen, dass es Richter gibt, welche nachfühlen können, wie sich ein Mensch dunkler Hautfarbe in deutschen Zügen und auf deutschen Bahnhöfen fühlt. Gegenüber Publikative.org hat der Betroffene erklärt, er sei vorher schon dutzendfach in Zügen kontrolliert worden, Freunde mit weißer Hautfarbe jedoch nie.
Immerhin wird einem Betroffenen nicht auch noch zugemutet, seine nachvollziehbare Empörung nur in biederer Form zu äußern. Den Schuh müssen sich die Bundespolizisten nun anziehen. Ebenso aber auch die Richter am Verwaltungsgericht Koblenz, die offenen Rassismus auch noch gutheißen.“
Die Frankfurter Rundschau weiß übrigens auch Neues in der Koblenzer Verwaltungsrechtssache, die längst noch nicht abgeschlossen ist:
Rechtsanwalt Sven Adam (Göttingen, Foto lks), „der den Studenten vertritt, will das Koblenzer Urteil nicht hinnehmen und hat gegen die Entscheidung die Zulassung der Berufung beantragt. „Notfalls gehen wir bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um dieses Urteil aufheben zu lassen“, sagt er. Der Spruch der Koblenzer Richter erlaube das unzulässige „Ethnic Profiling“, kritisiert Adam. Personenkontrollen also, die sich vor allem auf die Hautfarbe und eine vermutete ethnische Zugehörigkeit stützen. Dass das rassistische Diskriminierung ist, hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen vor drei Jahren unmissverständlich klargestellt.“
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Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, Aktenzeichen 2 Ss 329/11