Unterzeichnen!

20. September 2012

Während die Bundesregierung gestern unbeholfene Ideen zum massenhaften Antibiotika-Einsatz in den noch massenhafteren Masttierställen äußert, setzt die NGO-Organisation Campact auf einen gemeinsamen Appell an den deutschen Bundestag. Offenbar mit Erfolg: Nur wenige Stunden nach Beginn der neuen Kampagne haben fast 14.000 Unterstützer unterzeichnet.

Compact schreibt: „Auf engstem Raum tausende Hühner, Rinder und Schweine zusammenpferchen – das funktioniert nur unter massivem Einsatz von Antibiotika. So werden Megaställe zu Brutstätten für Antibiotika-resistente Keime. Über Fleisch, Eier und mit Gülle gedüngtem Gemüse, landen sie auf unseren Tellern. Eine der Ursachen für eine große Gefahr: Durch Krankheitserreger, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft, sterben laut Weltgesundheitsorganisation in der EU jährlich mehr als 25.000 Menschen!

Den Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung reduzieren – das verspricht Agrarministerin Aigner mit ihrem neuen Arzneimittelgesetz. Doch der heute vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf ist völlig zahnlos. Selbst ein Ziel zur Verringerung der Antibiotika-Vergabe fehlt. Jetzt muss der Agrarausschuss des Bundestags das Gesetz verschärfen. Die Abgeordneten werden sich aber nur mit der Agrarlobby anlegen, wenn sie den Rückhalt von unzähligen Bürger/innen wie Ihnen spüren. Deshalb wollen wir mindestens 100.000 Menschen hinter unserem Appell versammeln.

Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell!

Wie viel Antibiotika wird in Deutschland jedes Jahr an Tiere verfüttert? 1.734 Tonnen, sieben Mal mehr als in der Humanmedizin und fast doppelt so viel wie bisher angenommen. Diese schockierende Zahl veröffentlichte letzte Woche das Bundesamt für Verbraucherschutz.* Aigners Gesetzentwurf zementiert diesen Wert: Als Obergrenze für die jährliche Antibiotika-Vergabe gilt die eingesetzte Durchschnittsmenge des Vorjahres. Zudem werden Tierzuchtbetriebe und Fischfarmen erst gar nicht erfasst, obwohl sie besonders viel Antibiotika einsetzen.

Mit dieser Klientelpolitik für die Agrarindustrie darf Ministerin Aigner nicht durchkommen! Der Agrarausschuss im Bundestag muss jetzt dafür sorgen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung massiv reduziert wird. Wenn er demnächst über das Gesetz berät, wollen wir mit einem keimspuckenden Riesenhuhn vor Ort sein und den Abgeordneten mindestens 100.000 Unterschriften unter unserem Appell überreichen.

Unterzeichnen Sie den Appell!

Weitere Infos finden Sie hier…

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*  Während im letzten Jahr nach einer Anfrage der Grünen die bundesweit verbrauchte Antibiotika-Menge noch mit 784 Tonnen angegeben wurde sind laut Auskunft der Bundesregierung jetzt 1734 Tonnen, also weit mehr als das Doppelte, verkauft worden. Der agrarpolitische Sprecher der Niedersächsischen Grünen Christian Meyer (MdL, Foto lks) kritisierte die „verharmlosenden Stellungnahmen“ von Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU): „Zunächst sprach Herr Lindemann vom korrekten Einsatz der Mittel. Dann bezeichnete er die Antibiotika-Vergaben in der Humanmedizin als viel schlimmer, obwohl die Mengen dort nachweislich viel geringer sind. Jetzt ist angeblich der Einsatz bei Hobbytieren schuld am exzessiven Verbrauch. Das ist absurd! Mir ist nicht bekannt das Hunde und Katzen innerhalb von 30 Tagen bis zu 8 verschiedene Antibiotika bekommen, wie es etwa in der niedersächsischen Hähnchenmast üblich ist“, sagte der Grünen-Politiker. Meyer kritisierte, dass trotz vieler Ankündigungen bei der Verschreibung für Geflügel weiterhin keine flächendeckende Erfassung der konkreten Liefermengen von Antibiotika in die einzelnen niedersächsischen Regionen erfolge. „Außerdem fehlen konkrete Maßnahmen wie eine bessere, gesündere Tierhaltung und ambitionierte Ziele zur Reduzierung des Medikamenteneinsatzes in der Massentierhaltung“.

Es sei begrüßenswert, dass die rot-grüne Landesregierung von NRW das Thema der Gesundheitsgefahren durch massiven Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auf die Tagesordnung der Verbraucherschutzkonferenz gesetzt habe. „Jede Behandlung muss künftig sofort online erfasst werden. Das wird die Arzneimittellobby nicht freuen. Aber wir brauchen zum Schutz der Gesundheit mehr Transparenz, Kontrolle und eine grundsätzliche Abkehr von Antibiotika als Schmiermittel der tierquälerischen und krankmachenden Massentierhaltung“, sagte der Grünen-Politiker.

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Campact [kæmpækt] ist eine 2004 entstandene Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Verden (Aller). Sie hat sich nach dem Vorbild der US-amerikanischen Online-Plattform MoveOn gegründet und bietet ein Internet-basiertes Beteiligungsforum, mit dem Protest-E-Mails oder -Anrufe nicht vereinzelt, sondern gebündelt an politische Entscheidungsträger gerichtet werden können. Laut Eigenbeschreibung entsteht mit Campact „im Internet ein Netzwerk von Menschen, die sich einmischen, wenn politische Entscheidungen auf der Kippe stehen.“ Politisch interessierten Menschen, die durch Studium, Beruf oder Familie weniger Zeit haben, will Campact durch die Nutzung des Internets ermöglichen, politisch aktiv zu werden. Zurzeit sind mehr als 600.000 Menschen bei Campact registriert, die sich an den Kampagnen beteiligen. Die Organisation finanziert sich zu mehr als 80 Prozent aus Spenden und Förderbeiträgen.
(Quelle)

Resistenz

11. Mai 2012

Vor knapp einem Jahr waren mehrere Frühgeborene („Frühchen“) im Klinikum Bremen-Mitte an multiresistenten Keimen erkrankt, drei von ihnen starben. Im Februar wurden gefährliche Keime in der Frühgeborenen-Station in Stade festgestellt und jetzt im Ludmillenstift in Meppen. Der NDR berichtet:

„Auf der Frühchenstation eines Krankenhauses in Meppen sind multiresistente Keime gefunden worden. Heute starten die Untersuchungen des Landesgesundheitsamtes. Experten der Behörde sind vor Ort.

Insgesamt fünf Frühgeborene seien betroffen, teilte das Niedersächsische Sozialministerium am Donnerstag mit. Bei den Neugeborenen sei eine Variante des Darmbakteriums E. coli (Foto re.) entdeckt worden – sie seien aber nicht erkrankt, sagte ein Ministeriumssprecher. Seinen Angaben nach sind die Babys isoliert untergebracht, die betroffene Station wurde desinfiziert und ist mittlerweile für Neuaufnahmen gesperrt. Auch das Personal und alle übrigen Frühgeborenen seien untersucht worden, so der Sprecher.

Die empfohlenen Hygienemaßnahmen seien minutiös umgesetzt worden: „Nach unserer derzeitigen Kenntnis hat…“
weiter beim NDR 
(Nachtrag)
Woher aber kommen die lebensbedrohenden Keime, woher können sie kommen und vor allem was muss man tun?
Zunächst zu Frage zwei: Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie gehandelt werden kann. Dort begannen die Krankenhäuser schon vor Jahren und  sehr konsequent damit, das Problem zu bekämpfen. Die haz weiß: „Die Niederlande sind so etwas wie das Musterland der Krankenhaushygiene.“  Im April ist jetzt endlich auch in Niedersachsen eine neue Hygieneverordnung in Kraft getreten, die in den Krankenhäusern viel von dem umsetzt, was in den Niederlanden schon seit Jahren mit Erfolg praktiziert wird.

Schon seit 2004 praktiziert die Euregio-Klinik Nordhorn, was im Nachbarland noch länger Standard ist. Sie gehört einem grenzüberschreitenden Verbund von Krankenhäusern in Niedersachsen, den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen an, in dem Krankenhauskeime systematisch bekämpft werden. Eine jetzt auch in der Hygieneverordnung verankerte Maßnahme: Patienten bestimmter Risikogruppen werden bei der Aufnahme systematisch auf multiresistente Keime untersucht. Alle Risikopatienten werden mittels eines Schleimhaut-Abstrichs untersucht.

CC http://www.flickr.com/photos/ceejayoz/3579010939/ Urheber: ceejayozRisikopatienten sind Menschen mit chronischen Wunden, solche, die in den vergangenen sechs Monaten mit Antibiotika behandelt wurden oder beruflich mit Tieren zu tun haben. Seit einiger Zeit werden Landwirte in Nordhorn grundsätzlich getestet. Die Hygieneverordnung des Landes schreibt jetzt allgemein vor, Menschen durchzutesten, die beispielsweise mit Mastgeflügel zu tun haben. Dort wird mit Antibiotika bisweilen nicht so umgegangen, wie es sein muss. Erst ga es die resistenten MRSA-Erreger als Begleiter der Schweinemast, aktuell sind die ESBL-Bakterien, u.a auch das Meppener e.coli, ein besonders großes Problem. Sie finden sich in den Produkten und Abfällen der Masseentierhaltung -nach einem Bericht der taz „in Broilerfleisch und Hühnerkacke“ – wobei pflichtschuldigst das hannöversche Landwirtschaftsministerium einen Zusammenhang zwischen der hierzulande bedrohlich hohen Besatzdichte und der Antibiotika-Vergabe sowie durch sie gezüchteter Keimresistenzen ablehnt. Das sieht zwar die Tierärztekammer des Landes anders („…abhängig von vielen Faktoren, natürlich auch von der Besatzdichte“). Sie war übrigens nicht zum 5. „Forum gesundheitlicher Verbraucherschutz“ geladen, das Ende April in Hannover Landesgesundheitsamt, Ärztekammer, Landesamt für Verbraucherschutz und CDU-Agrarminister Gert Lindemann zusammenführte, um die wachsende Gefahr antibiotikaresistenter Erreger zu diskutieren (mehr..).

Man erkennt, dass die Nahrungsmittelerzeugung und resistente Keime miteinander zu tun haben. Damit sind wir wieder bei den Massentierställen, die sich wie ein stinkendes Gitter über die Region legen und sie in Risikohaftung nimmt. Zuerst Ihre Betreiber und deren Familien: Nutztierhalter sind ein Risiko in Krankenhäusern. Dies sagt eigentlich schon alles und unterstreicht die Erkenntnis, dass es mit dieser Art der Nahrungsmittelproduktion nicht weiter gehen darf.

Der mühsame Erkenntnisprozess, dass nicht alles entstehen darf, was man will, hat jetzt offenbar auch den emsländischen Agrarindustriellen U. für einen 83.600- Plätze-Hühnermaststall in Langen (Samtgemeinde Lengerich) erreicht. Die im Landkreis Emsland 2010 etwas veränderte Genehmigungspraxis bei Mastställen sollte nämlich wegen U.’s Klage gestern zum ersten Mal das Verwaltungsgericht Osnabrück beschäftigen. Ein Sprecher des Gerichts hatte dem anstehenden Verfahren daher eine „Pilotfunktion“ zugesprochen. Der Landmann wollte nicht die Auflage akzeptieren, u.a. ein Keimschutzgutachten vorzulegen. Dann aber zog der Mann nach der mündlichen Verhandlung die Klage zurück. Offenbar hatte das Verwaltungsgericht ihm deutlich gesagt, dass er keine Chance habe, und da er wollte er wohl kein Präzedenzurteil riskieren.

(Foto oben CC, Foto unten: Frühchen, 25. Schwangerschaftswoche  ceejavoz CC; Quellen: NDR,  haz, taz)

Santana

28. März 2012

Für Maisbauern mag es eine gute Nachricht sein, für Imker, Natur- und Umweltschützer ist es eine ausgesprochen schlechte: Wie schon in den letzten beiden Jahren hat das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auch in diesem Jahr das Insektizid Clothianidin wieder befristet zugelassen. So wird die Ausnahmegenehmigung für das Pestizid  zur Regel.

Die befristete Zulassung zur „Drahtwurmbekämpfung im Mais“ erfolgte erneut offiziell als „Zulassung für Notfallsituationen“. Diese EU-weite Regelung erlaubt eine auf 120 Tage begrenzte Zulassung von Pestizidprodukten, die längst verboten sind oder die für bestimmte Kulturpflanzen eigentlich nicht zugelassen sind, für den Fall, dass eine „Gefahr anders nicht abzuwehren ist“. Rechtsgrundlage hierfür ist seit Juni 2011 Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009.

Clothianidin, das bspw in dem vom Bayer-Konzern produzierten Gift Santana enthalten ist, wurde jetzt also das dritte Jahr in Folge über diese Notfallregelung zugelassen. „Unter dem Deckmantel der Notfallsituation werden Jahr für Jahr Ausnahmen für verbotene Pestizide genehmigt. Hier wird den ökonomischen Interessen Einzelner Vorrang vor Umwelt- und Naturschutz eingeräumt und das zu einem volkswirtschaftlich fragwürdigen Preis“, sagt  Carina Weber, Geschäftsführerin Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN). Die Organisation kritisiert seit längerem diese Behördenpraxis. Eine im vergangenen Jahr  europaweit durchgeführte Auswertung der Genehmigungen in Notfallsituationen zeige, dass entgegen der Absicht, hier nur Ausnahmen zu regeln, die Genehmigungen für Notfallsituationen in den letzten vier Jahren von 59 auf 310 gestiegen sind.

Die Folgen des Clothianidin-Einsatzes hierzulande sind verheerend. Das Julius-Kühn-Institut, das dem Agrarministerium untersteht, wies nach dem Tod von Millionen Bienen im Jahr 2008  nach: Ursache des Bienensterbens ist  eine Vergiftung durch Nervengifts Clothianidin; denn die wasserlöslichen, systemischen und hoch bienengiftigen Neonicotinoide, zu denen Clothianidin zählt, verteilen sich überall in der Pflanze. Auf diese Weise kommen Honig- und Wildbienen auch über belasteten Nektar und Pollen mit dem Wirkstoff in Kontakt. Zunehmend als Problem erkannt wird auch die Kontamination über das sogenannte Guttationswasser –  kleine Tropfen, die die Pflanzen bei bestimmten Temperaturen ausscheiden, erhebliche Pestizidkonzentrationen aufweisen können und von den Bienen zur Deckung ihres Flüssigkeitsbedarfs aufgenommen werden.

Der Wirkstoff Clothianidin wird jetzt wiederum wie schon 2009 und 2010 als Saatgut-Beizmittel gegen den sog. Drahtwurm eingesetzt, der vor allem in den ersten Jahren nach dem Umbruch von Grünland im Maisanbau auftrete. Erst durch Maismonokulturen auf dafür ungeeigneten Flächen wird der Schädlingsbefall zum Problem. Für die Landtagsgrünen sagte Christian Meyer zu Wochenbeginn: „Die Probleme sind durch eine falsche industrielle Agrarpolitik hausgemacht. Statt die Giftkeule einzusetzen und ein Bienensterben zu riskieren, müssen der Verlust von Grünland und die Vermaisung der Äcker gestoppt werden.“ Der Grünen-Politiker forderte  die schwarz-gelbe Landesregierung auf, sich in dem Konflikt zwischen Agrarindustrie und Bienenschutz eindeutig auf der Seite der Imker stellen. „Nachgewiesene Bienengifte wie Clothianidin müssen ein für allemal und ohne Ausnahme verboten werden“ Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) solle sich dafür einsetzen, dass die vom BVL erteilte Ausnahmegenehmigung wieder zurückgenommen werde.

Rein aus wirtschaftlichen Gründen, so Meyer, habe das Bundesamt die jetzige Ausnahmegenehmigung für die gerade in Niedersachsen vielfach verbreiteten Maismonokulturen erteilt und resümiert: „Es ist nicht akzeptabel, die für Naturhaushalt und die gesamte Landwirtschaft besonders wichtigen Bienen immer wieder den wirtschaftlichen Interessen der Chemie- und Agrarindustrie zu opfern“.

(Quelle; Foto : Drahtwurm © wikipedia CC; Biene © Steffen Banhardt CC)

EHEC II

5. Juni 2011

Ich würde mich freuen, wenn die Ursachenforschung der tödlichen EHEC-Keime nicht zu den Biogasanlagen führt. SPIEGEL-online schreibt über die heutige Pressekonferenz des Landwirtschaftsministers Gert Lindemann (CDU) in Hannover:

Nach Angaben des Ministeriums vertreibt die Firma 18 Sprossensorten, darunter Mungobohnenkeimlinge, Radieschensprossen, Erbsenkeime und Linsensprossen. Die Keimlinge werden in Trommeln bei einer Temperatur von 38 Grad Celsius mit Wasserdampf herangezogen. „Das sind auch optimale Bedingungen für das Keimen anderer Keime“, sagte Lindemann.

Warum die Sprossen eventuell mit Ehec-Bakterien belastet sind, darüber konnte der Minister nur spekulieren. Er betonte jedoch, dass die Sprossen nicht mit Dünger herangezogen werden. Zuvor war spekuliert worden, dass mit Gülle verunreinigte Produkte zu dem Ehec-Ausbruch geführt hätten.

Möglich sei, dass das in den Trommeln versprühte Wasser belastet sei oder dass die Körner, die aus anderen Ländern geliefert wurden, bereits mit Ehec-Bakterien belastet waren, die sich dann in den Trommeln besonders schnell ausbreiten konnten, sagte Lindemann.

Dies bringt die Suche nach der EHEC-Quelle einstweilen noch zu keinem Ergebnis. Hoffen wir, dass Montagnachmittag Klarheit herrscht.

Reinheit

17. März 2011

Ohne großes öffentliches Aufsehen will schwarzgelb an der Genschraube drehen. In der Sitzung des Bundesrates am Freitag geht es um einen Beschluss-Entwurf aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Die drei CDU-FDP-regierten Länder fordern eine Abkehr von der bisher strikten Null-Toleranz gegenüber Spuren genetisch verändertem Erbmaterials im Saatgut. Stattdessen sollen künftig Verunreinigungen von bis zu 0,1 Prozent tolerierbar sein und nicht der Kennzeichnungspflicht unterliegen. Kein Landwirt kann diese von der Großagrarlobby geforderte „praktikable technische Lösung“ prüfen. Folglich ist sie ein Dammbruch.

„Die niedersächsischen Landtagsgrünen haben deshalb Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) aufgefordert, seinem eigenen Antrag zur Aufhebung des Reinheitsgebotes beim Saatgut  im Bundesrat nicht zuzustimmen. „Nach dem von der Landesregierung im letzten Jahr durch Schlampereien mit verursachten Genmaisskandal, will Niedersachsen über den Bundesrat diese rechtswidrigen Genverschmutzungen nun legalisieren lassen“, schimpfte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christian Meyer gestern in Hannover. „Das ist die falsche Konsequenz. Niedersachsens Äcker müssen gentechnikfrei bleiben.“

Für die Grünen  ist die Gentechnik in der Landwirtschaft eine unkontrollierbare Risikotechnologie, die fatale Folgen für Natur, Landwirtschaft und Verbraucher hat. „Auch kleine Mengen gentechnisch veränderter Organismen, die in die Natur entlassen sind, sind nicht rückholbar“, sagt Meyer und ergänzt:  „Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen keine genmanipulierten Lebensmittel. Die Nulltoleranz gegenüber gentechnisch veränderten Organismen dient auch dem Schutz der Landwirte. Sie dürfen nicht gezwungen werden, gegen ihren Willen Gentech-Pflanzen anzubauen. Mit dem Vorstoß Niedersachsens hätten sie auch keine Möglichkeit mehr Schadensersatz von den Verunreinigern einzufordern.“

Auch nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter BDM e.V. ist das Vorgehen der Bundesregierung und einiger Bundesländer gegen die strikte Reinhaltung von Saatgut und Futtermitteln von gentechnischen Verunreinigungen ein Skandal, weil damit wieder einmal gegen den mehrheitlichen Willen von Verbrauchern und Landwirten entschieden wird. Der Verband erläutert:

„Aus Sicht der Landwirte ist die Einführung von GVO-Schwellenwerten im Saatgut der „Tod des Nachbaus“. Kein Landwirt kann genau wissen, wie viele GVO-Anteile in seinem gekauften Saatgut sind. Blüht z.B. die GVO-Gerste im gekauften Saatgut nur eine Stunde früher als die normale Gerste, können laut Experten aus z.B. 0,1 % GVO plötzlich 1 oder 3 % werden. Die Gefahr besteht bereits bei mehr oder minder strengen Selbstbefruchtern wie Weizen, Hafer, Gerste und Dinkel. Dramatisch sind die Auskreuzungsraten bei Fremdbefruchtern wie Triticale, Roggen und Mais.

Da können aus einem Schwellenwert von z.B. 0,1 % während der Blütezeit ganz schnell 10% GVO-Anteil im Erntegut werden. Das aber kann kein Landwirt voraussehen und abschätzen. Der Landwirt wird damit entweder dazu gezwungen, sehr teure Analysen (über 300 Euro pro Probe) durchführen zu lassen oder jedes Jahr komplett neues Saatgut zu kaufen – zum großen wirtschaftlichen Nutzen der Agromultis, die bereits wesentliche Teile des Saatguthandels in ihren Händen halten.

(Saatgut © andreasbalzer CC)

 

Ministerputen

19. Dezember 2010

Astrid Grotelüschen ist zurückgetreten. Angeblich aus persönlichen Gründen. Sie wissen nicht, wer Astrid Grotelüschen ist? Bis vor acht Monaten vertrat Frau Grotelüschen als CDU-Abgeordnete den Wahlkreis 29 (Delmenhorst, Wesermarsch, Oldenburg-Land) im Bundestag – übrigens ebenfalls acht Monate lang. Dann wurde sie vom damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) als Ministerin nach Hannover geholt. Das Problem von Anfang an: Sie wurde Ministerin für die inzwischen weitgehend industrielle Nahrungsmittelproduktion (ehemals Landwirtschaft) und für den Tierschutz. Aber die Familie der damals Neuberufenen war und ist  Eigentümerin der zweitgrößten deutschen Putenzucht (5 Mio Tiere jährlich) und damit Teil des agrarindustriellen Komplexes, der traditionell ohne große behördliche Kontrollen vor sich hin produziert. Auch dank Hans-Heinrich Ehlen (CDU), dem ähnlich wie Frau Grotelüschen gestrickten Vorgänger im Ministeramt.

Nach Grotelüschens Amtsantritt wurden im Monatsrhythmus Informationen über sie und die Zustände in den industriellen Aufzuchtunternehmen bekannt. So viel Anrüchiges, dass die taz noch vor wenigen Tagen jubelte, der sich abzeichnende Rücktritt der CDU-Politikerin

„wäre ausgesprochen bedauerlich. Denn Astrid Grotelüschen ist ein Glücksfall für den Tierschutz, für die Bürgerinitiativen, die sich gegen die Hähnchen- und Puten-Fabriken in ihrer Nachbarschaft wehren – und für die gesamte niedersächsische Opposition. Seit Christian Wulff sie als eine Art vergiftetes Abschiedsgeschenk im Kabinett installiert hat, reißen die Enthüllungen über die menschenverachtenden und kreaturfeindlichen Prinzipien der Massenmast nicht ab. Seit sie Ministerin ist, versteht auch der Naivste, wie stark diese so finanzstarke wie volkswirtschaftlich schädliche Branche unverfroren mitregiert – weil Grotelüschen ihre Verstrickung in sie nicht bestreiten kann.“

Grotelüschen war in kurzer Zeit wegen all der Vorwürfe um Tierschutz-Mängel und zuletzt auch noch Billiglöhne in der Geflügelbranche zur schweren Belastung für die schwarz-gelbe Landesregierung in Hannover geworden. Tierschützer und die Opposition beklagten immer wieder, Grotelüschen sei im Regierungsamt zu sehr Lobbyistin der Ernährungsindustrie. Sie  verharmlose die schweren Probleme bei der Massentierhaltung. Eine Studie zu Missständen in der Hähnchenmast im Auftrag des Ministeriums hatte vor sechs Wochen die Debatte weiter angeheizt. Auch Grotelüschens Ankündigung Mitte Dezember, eine Arbeitsgruppe zum Tierwohl in den Massenfabriken einzusetzen, half nicht mehr. Jetzt wurde die Ahlhornerin geschasst. Der NDR hatte zuvor aufgedeckt, dass die Politikerin in ihrer Zeit als Prokuristin im familiären Unternehmen ganz persönlich Dumpinglöhne und ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu verantworten hatte.  Nach dem NDR-Bericht hatten verschiedene Zeugen ausgesagt, dass sie in dem Unternehmen  zu einem Stundenlohn von durchschnittlich 3,50 Euro arbeiten mussten.

Damit war Grotelüschen überhaupt nicht mehr zu halten, der sofortige Rücktritt – angeblich „aus persönlichen und familiären Gründen“ – jetzt aus Sicht der CDU mehr als notwendig. Folgerichtig unterschrieb sie ihren Rücktritt und kam dann erst gar nicht mehr zur freitäglichen Sondersitzung der eigenen CDU-Landtagsfraktion. Vor der Presse verlas Ministerpräsident David McAllister etwas stockend eine geradezu durchgestylte Rücktrittsmeldung und CDU-Fraktionschef Björn Thümler äußerte anschließend gleichwohl ungerührt und trotzig-scheinheilig Kritik nicht an der Lobbyministerin, an Wulff oder Ernährungsindustrie sondern an der Landtagsopposition von SPDLinkeGrünen, der es „um ein inszeniertes Kesseltreiben gegen eine hervorragend arbeitende Landesregierung“ gegangen sei. „Der Umgang mit Astrid Grotelüschen durch die Opposition war respektlos und menschlich zutiefst verletzend. Ich kann gut nachvollziehen, dass die damit einhergehende Belastung, der die gesamte Familie Grotelüschen mittlerweile ausgesetzt ist, unerträglich wurde.“

Das war reines scheinheiliges, also „unerträgliches“ Polit-Wortgeklingel. Zurecht bezeichnete Christian Meyer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Landtagsgrünen, denn auch den Rücktritt als „verspätete Zwangsläufigkeit. Eine Politikerin, die sich gegenüber Tierschutzverstößen ignorant verhält, als Lobbyistin der Massentierhaltung agiert und Lohndumping in der Fleischindustrie begünstigt, ist als Ministerin untragbar“, sagte Meyer. CDU/FDP und Ministerpräsident McAllister seien zu lange als Verteidiger des personellen Missgriffs von Christian Wulff aufgetreten. Ähnlich waren die Reaktionen von SPD und Linken.

Nachfolger Grotelüschens ist Gert Lindemann. Man darf zweifeln, ob sich dadurch wirklich etwas ändert. Seit 2005  war Gert Lindemann fünf Jahre lang  Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, bis ihn Ministerin Ilse Aigner (CSU) im Januar 2010 entließ nicht wegen zu viel Eintretens für bäuerliche Strukturen und Verbraucherschutz, sondern wegen zu starker Vertretung der großen Agrarkonzerne und Massentierhalter. „Er ist ein Mann der alten Schule!“, kommentierte  Christian Meyer (Bündnis’90/Die Grünen) die Personalia. Lindemanns Lebenslauf bestätigt diese Einschätzung: Der heute 63-jährige studierte zunächst Rechtswissenschaften in Freiburg, Oxford und Kiel. Nach seinem 2. Staatsexamen trat Lindemann 1977 als Assessor in den niedersächsischen Justizdienst ein. Dann war er „Persönlicher Referent“ des früheren Landwirtschaftsministers Gerhard Glup (CDU); mir fällt beim Namen Glup sofort ein, wie der 2006 verstorbene Minister aus dem Oldenburgischen als Landwirtschaftsminister mehrmals öffentlich unter Druck geriet, z.B. aufgrund seiner Jagdveranstaltungen, bei denen bisher in Gefangenschaft gehaltene Fasane direkt vor der Jagd freigelassen wurden, damit Glups Jagdgäste eine bessere Chance hatten, sie abzuschießen. Auch auf seinem  Bauernhof verstieß der „König aus Thüle“ nahe Cloppenburg nicht nur einmal gegen Naturschutzauflagen; 1986 schied er aus der CDU-Landesregierung unter Ernst Albrecht aus (CDU); der Lingener Burkhard Ritz löste ihn ab.

Später arbeitete der neue Landwirtschaftsminister als Referent in der Vertretung des Landes Niedersachsen in Bonn, dann als Referats- und Abteilungsleiter im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium und war  2003 bis 2005 dessen Staatssekretär. Man darf also Zweifel haben (mehr…). Dabei besteht nach einem Bericht von Wissenschaftlern der Universität Leipzig die heutigen tierquälerischen Zustände in der niedersächsischen Ernährungsindustrie dringender Handlungsbedarf.

Der neue Minister muss jetzt -so die Forderungen der Natur- und Tierschützer- schnell „Konsequenzen für eine artgerechte und vom Verbraucher gewünschte Tierhaltung ziehen.“ Grünen-Politiker fordert Meyer ein niedersächsisches Tierschutzsiegel, das deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht. Überfällig seien auch die Verringerung der Tierdichte in den Ställen und eine Verminderung des pauschalen Antibiotika-Einsatzes in der Tiermast. Christian Meyer: „Insbesondere der Zusammenhang zwischen Massentierhaltung und resistenten Keimen ist bedrückend.“ (Mehr…)

Doch bislang werden die Tierfabriken munter weiter beantragt und mit Steuergeldern von der EU und anderen gefördert. Dabei gibt es derzeit allein im Emsland über 32 Millionen Geflügeltierplätze. Nach Angaben von Heiner Rehnen, Lingener Kreistagsabgeordneter der Grünen (Foto lks), auf einer Informationsveranstaltung seiner Partei vor einer Woche im Lingener Rathaus liegen im Emsland Anträge für weitere elf Millionen vor. Hinzu kommen 1,5 Millionen emsländische Schweinemastplätze. Weitere 64000 Plätze seien beantragt…

(Fotos: oben Astrid Grotelüschen- Pressefoto © Grotelüschen; Mitte Christan Meyer- Pressefoto © Christian Meyer; unten Heiner Rehnen © privat)