Zwang

18. März 2023

Der Zwang zur Abgabe von Fingerabdrücken für den Personalausweis ist umstritten. In Luxemburg fand am Dienstag dieser Woche  eine Sitzung dazu vor dem Europäischen Gerichtshof statt. Ein Bürgerrechtler hatte geklagt. Netzpolitik.org informiert:

Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler (rechts) und sein Mandant, der Kläger Detlev Sieber im Verhandlungssaal
Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler (rechts) und sein Mandant, der Kläger Detlev Sieber CC-BY 4.0 Konstantin Macher

Schon deutsche Gerichte hatten darauf hingewiesen, jetzt zeichnet sich auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein ähnliches Bild ab: Der Fingerabdruckzwang steht auf wackeligen Rechtsbeinen. Gestern wurde der Fall mündlich in Luxemburg verhandelt.

Geklagt hatte Detlev Sieber von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden: Sieber verlangte von der Stadt einen Personalausweis ohne dafür biometrische Daten in Form von Fingerabdrücken zu hinterlassen. Die Richter hatten den Fall dann an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergegeben (Beschl. v. 13.01.2022, Az. 6 K 1563/21.WI).

Dass die rechtlichen Bedenken aus Wiesbaden kein Einzelfall sind, hat sich in der Zwischenzeit bestätigt: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am 22. Februar angeordnet, dass einer Person ein Personalausweis ohne gespeicherte Fingerabdrücke ausgestellt werden soll [Az 20 E 377/23]

Zweifel aus den eigenen Reihen

Die Sitzung am EuGH fand nun vor der Großen Kammer statt – ein Zeichen, dass das Gericht sich der Dimension bewusst ist. Mehr als 300 Millionen EU-Bürger:innen sind von der Verordnung 2019/1157 betroffen. Sie verpflichtet seit 2021 alle EU-Bürger:innen, zwei Fingerabdrücke abzugeben, sobald sie einen neuen Personalausweis beantragen. Die biometrischen Daten werden anschließen auf einem Chip im Personalausweis gespeichert.

Die EU sagt, die Verordnung diene dem Fälschungsschutz und soll es den Behörden einfacher machen, eine verlässliche Verbindung zwischen einer Person und ihrem Ausweis herzustellen. Laut dem Europäischen Datenschutzbeauftragten ist das allerdings nicht notwendig.Schon 2018 hat dieser empfohlen, auf Alternativen zurückzugreifen, die in gleichem Maße Fälschungen vorbeugen – dabei aber das Grundrecht auf Datenschutz schonen.

Neben dem Fälschungsschutz gibt es noch eine zweites Argument: Mit dem neuen Perso könnten sie EU-Bürger:innen frei in und zwischen den Staaten bewegen. Für Kritiker:innen ist auch diese Begründung vorgeschoben. Schließlich besitzen die meisten EU-Bürger:innen bereits einen Reisepass. Und bei Reisen innerhalb der EU wird der Perso ohnehin kaum kontrolliert.

Vorgeschobene Gründe

Jetzt also Luxemburg. Die Parteien trugen ihre Rechtsansicht am Dienstagvormittag im Grande Salle Palais vor den 15 anwesenden Richter:innen vor. Wilhelm Achelpöhler, der Anwalt des Klägers, begann mit seinem Hauptangriffspunkt: Die Fingerabdrücke dienten nicht ausschließlich dem Zweck, dass sich Unionsbürger:innen frei in und zwischen den Staaten bewegen könnten. Im Gegenteil: Die Verordnung ließe es ausdrücklich zu, dass nationale Behörden aus beliebigen Gründen – beispielsweise für die Strafverfolgung – auf die biometrischen Daten zugreifen. „Die Verordnung begrenzt die Verwendung der Daten nicht auf das erforderliche Maß“, sagte Achelpöhler.

Der Anwalt erklärte auch noch mal, welchen Weg die Daten nehmen. Sobald EU-Bürger:innen einen Antrag für einen neuen Personalausweis stellen, nimmt die zuständige Behörde biometrische Daten in Form von zwei Fingerabdrücken. Danach verbleiben die hochsensiblen Daten bis zu 90 Tage bei der Behörde sowie beim Unternehmen, das den Ausweis anschließend erstellt. Im Regelfall sollen die Daten zwar schon bei Abholung des Ausweises gelöscht werden. Doch auf der Grundlage von nationalen Gesetzen kann der Staat in diesem Zeitraum auf die Daten zugreifen.

Nach 90 Tagen verringert sich die Gefahr eines Zugriffs: Die Daten sind dann nur noch auf einem kleinen Chip im Personalausweis. Auf diesen können Behörden nur noch mit einem speziellen Lesegerät zugreifen. Und nur zu dem Zweck, um den Ausweis und die Identität der Person auf Echtheit zu überprüfen.

90 Tage Wilder Westen

90 Tage sind dennoch eine lange Zeit für die EU, die sich sonst gerne als Vorreiter in Fragen des Datenschutzes positioniert. Achelpöhler sagt in der Verhandlung dazu: „Warum soll man bei der Ausstellung eines Personalausweises Fingerabdrücke der Bürger erheben und diese für 90 Tage zu jedem potentiellen Zweck des nationalen Rechts verwenden?“ Ein solche Regelung verunsichere die Bürger:innen und führe zu der Befürchtung, dass der Staat anlasslos die Daten gegen sie verwendet.

Konstantin Macher, ein Sprecher von Digitalcourage, erhob in einer Pressemitteilung nach der Verhandlung noch einmal ganz grundsätzliche Kritik: „Auch auf mehrere Nachfragen hin konnten EU-Kommission und Rat nicht erklären, wie eine Gefahr für die biometrischen Daten der betroffenen Bürger.innen ausgeschlossen werden soll. Das lässt sich auch gar nicht verhindern: wenn die Daten einmal erhoben werden besteht das Risiko des Datenlecks und des Missbrauchs. Darum sollte es erst gar keine Fingerabdruckpflicht geben.“

Vertreter:innen von Kommission, Parlament und Rat verteidigten den Fingerabdruckzwang vor dem EuGH vehement. Das ist wenig überraschend, schließlich geht die Verordnung auf diese Institutionen zurück. Eine Vertreterin des Rats der Europäischen Union betonte in ihrem Statement immer wieder, dass die Daten vor Zugriff sicher seien.

Der nächste Schritt im Verfahren ist jetzt die Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin am 29. Juni. In den allermeisten Fällen folgt das Gericht diesen Anträgen. Ein Termin für die endgültige Urteilsverkündung steht noch nicht fest.


Ein Beitrag von Jan Lutz auf netzpolitik.org, Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Fingerabdruck

7. Mai 2016

Im LawBlog stand jetzt dieser Beitrag Udo Vetters:

In den USA hat eine Richterin die Besitzerin eines iPhone und Beschuldigte in einem Ermitlungsverfahren gezwungen, ihr Telefon mit dem eigenen Fingerabdruck zu entsperren, berichtet heise.de. Auch bei uns sind mittlerweile viele Smartphones über einen Fingerabdrucksensor gesichert. Deshalb die Frage: Ginge so was auch bei uns?

lawblogDie richtige Antwort findet man am einfachsten, wenn man sich auf einen wichtigen Grundsatz unseres Strafprozessrechts besinnt: Der Beschuldigte muss gar nichts aktiv tun. Ein aktuelles Beispiel sind die Pinkeltests, die bei Verkehrskontrollen immer mehr in Mode kommen. Wer sich – nach entsprechendem Zureden durch die Polizei – darauf einlässt, verzichtet freiwillig auf einen Teil seiner Rechte. Gleiches gilt für Wischtests oder auch den altbekannten Alkoholtest durch Pusten. Kein Polizeibeamter kann solche Tests an Ort und Stelle erzwingen, ebenso nicht, dass man sich an die Nase fasst, auf einer Linie geht oder auch nur Piep sagt.

Ebenso wenig gibt es eine juristische Möglichkeit, den Beschuldigten zu zwingen, den Finger auf sein Smartphone zu legen. Das alles beruht letztlich auf dem Grundsatz, dass man sich nicht selbst belasten muss. Nicht durch Worte. Aber auch nicht durch Taten. Auch ein Richter hätte also nicht die Kompetenz, die aktive Entsperrung eines Smartphones unmittelbar durch den Beschuldigten zu erzwingen.

Was aber zweifellos geht, ist die übliche Abnahme von Fingerabdrücken, also das Aufdrücken der Finger auf eine Stempelunterlage oder einen Scanner (bei modernen Polizeibehörden). Dabei handelt es sich geradezu um eine Standardmaßnahme, sie wird in § 81b StPO ausdrücklich erwähnt. Die Fingerabdrücke kann auch die Polizei verlangen. Eine richterliche Anordnung ist nicht erforderlich.

So weit ich das kurz nachlesen konnte, sind moderne Telefone aber so schlau, dass sie in der Regel nur den Originalfingerabdruck akzeptieren. Es bleibt aber die Frage, ob die Polizei einen legal abgenommenen Fingerabdruck zumindest für den Versuch nutzen kann, das Smartphone zu entsperren. Der § 81b StPO sagt, die Abnahme von Fingerabdrücken muss für die „Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens“ erforderlich sein. Der auf Folie gebannte Fingerabdruck wäre dann aus Sicht der Ermittler nichts anderes als die bei einer Durchsuchung gefundene PIN, die sich der Beschuldigte irgendwo notiert hat. Mit dieser Notiz darf das beschlagnahmte Smartphone ja auch entsperrt werden.

Auch wenn der Wortlaut also schon „irgendwie“ passt, würden mir auch viele Gegenargumente einfallen, warum das Ganze dennoch unzulässig wäre. Spannend sind auf jeden Fall beide Konstellationen, also das erzwungene Handauflegen des Smartphone-Nutzers wie die Zweckentfremdung eines rechtmäßig abgenommenen Fingerabdrucks.

Bis zu einer Klärung dieser Fragen wird es sicher noch dauern. Bis dahin kann ich nur an die eingangs dargestellte Regel erinnern: Als Beschuldigter musst du im Zweifel nur eins – gar nix.