IT-Konzerne wie Facebook, Twitter oder Google und ihr giftiges Ökosystem haben mitgeholfen, die Volksabstimmung zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zu beeinflussen, den Völkermord an der Rohingya-Minderheit in Myanmar umzusetzen und hätten zudem die Grundrechte von Millionen von britischen Bürgern mit Füßen getreten. Es sind gewichtige Anschuldigungen, die im Zwischenbericht des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien und Sport des britischen Parlaments stecken, der am Sonntag veröffentlicht wurde.
Über ein Jahr lang befragten die Abgeordneten Dutzende Zeugen, holten über 150 schriftliche Stellungnahmen ein und reisten sogar bis nach Washington, um dem Phänomen der Ausbreitung von Falschnachrichten und gezielt gestreuten irreführenden Informationen auf den Grund zu gehen. Im Zentrum standen soziale Netzwerke, deren Geschäftsmodelle und wie sich diese auf Wahlentscheidungen auswirken, etwa auf das Brexit-Referendum. Neue Fahrt nahm die Untersuchung nach dem Bekanntwerden des Datenskandals um Facebook und Cambridge Analytica auf. Am Ende wurde daraus ein Verfahren, schreibt die von Beginn an berichtende Guardian-Journalistin Carole Cadwalladr, das die „gesamte Struktur, Maschinerie und Zukunft unserer Demokratie“ unter die Lupe nahm.
Der 89 Seite starke und weitreichende Zwischenbericht nimmt kein Blatt vor den Mund. Insbesondere Facebook kommt darin schlecht weg. Das soziale Netzwerk habe sich bei den Untersuchungen unkooperativ gezeigt, ganz abgesehen von den fragwürdigen Methoden, die zum Alltagsgeschäft des Konzerns gehören. „Facebook hat alle Informationen“, schreiben die Abgeordneten. „Außenstehende haben sie nicht, außer Facebook entscheidet sich, sie zu veröffentlichen. Facebook war unwillig, Informationen mit dem Ausschuss zu teilen, was nichts Gutes verheißt für künftige Transparenz.“
IT-Konzerne sind nicht „neutral“
Das will das britische Parlament nun ändern und fordert konkrete Maßnahmen. Bislang hätten sich diese wenigen, monopolistisch agierenden Anbieter etwa hinter der fadenscheinigen Ausrede versteckt, „neutrale“ Plattformen zu sein, um sich der Regulierung zu entziehen. Aber sie seien keineswegs neutral, so wie auch der Begriff „Plattform“ irreführend sei: „Das Wort ‚Plattform‘ suggeriert, dass diese Unternehmen passiv handeln und einfach nur Informationen veröffentlichen, die ihre Nutzer hochladen – ohne selbst zu beeinflussen, was wir sehen oder nicht“, heißt es im Bericht. Aber das würde nicht stimmen, schließlich sei genau das ihr Geschäftsmodell: „Sie wollen uns einnehmen („engage“), von dem Moment an, zu dem wir uns einloggen, um Umsätze zu erwirtschaften mit den Werbeeinblendungen, die wir sehen.“
Aber statt sie in veraltete Schubladen wie „Plattform“ oder „Verleger“ zu stecken, brauche es ein gänzlich neues Konzept für die Regulierung sozialer Netzwerke. Dieses soll bis Ende des Jahres entstehen und von der Regierung in einen Gesetzentwurf gegossen werden. Letztlich sollen die Konzerne unter anderem haftbar gemacht werden können für „schädigende und illegale“ Inhalte, die sie verbreiten. Im Blick haben die Abgeordneten dabei sowohl Inhalte, die Nutzer den Betreibern melden, als auch Inhalte, bei denen es den Konzernen „leicht fallen sollte, sie selbst zu erkennen“.
In der Praxis dürfte dies wohl auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz hinauslaufen, anders lässt sich die täglich auflaufende Datenmenge sonst kaum bewältigen. Allerdings ist diese Technologie aus vielen Gründen noch lange nicht so weit, um zuverlässig Inhalte zu erkennen und richtig einzustufen. „Die Heilung könnte schlimmer sein als die Krankheit“, warnen die Fakten-Checker von „Full Fact“, die als Sachverständige vom Ausschuss befragt wurden. „Wir müssen so handeln, dass sowohl die Meinungsfreiheit gewahrt bleibt als auch der Schaden, der von Desinformation ausgeht, limitiert wird.“
Neue Transparenzregeln
Weniger kontroversiell, leichter umsetzbar und vermutlich effektiv dürften die anderen Vorschläge sein, die der Ausschuss unterbreitet. So wie die Firmen etwa dem Finanzamt Rechenschaft schuldig sind, sollen sie künftig ihre Sicherheitsmechanismen und Algorithmen gegenüber Regulierern offenlegen. Für mehr Transparenz sollen neue Regeln für politische Kampagnen sorgen. Alle digitalen Anzeigen sollten ein einfach zugängliches Impressum aufweisen und offenlegen, wer die Anzeige veröffentlicht und wer sie bezahlt hat. Briefkastenfirmen, hinter denen sich anonyme Geldgeber verstecken können, um nicht nachvollziehbar politische Anzeigen zu schalten, sollen der Vergangenheit angehören. Ein öffentliches Register mit allen digitalen Anzeigen steht ebenfalls im Pflichtenheft. Und Nutzer sollten in der Lage sein, bestimmten Formen von Microtargeting zu widersprechen.
Diese hoch umstrittene manipulative Form der auf einzelne Nutzer zugeschnittenen Wahlwerbung, verknüpft mit irreführenden Informationen, hatte für Großbritannien schwerwiegende Folgen. Wie der Bericht offenlegt, gab es zahlreiche zwielichtige Verbindungen zwischen Facebook, Cambridge Analytica sowie anderen Datenfirmen und der auf den EU-Austritt drängenden Leave-Kampagne. Diese hatte teils illegal und mit Hilfe von Psychogrammen gezielt „Dark Ads“ auf sozialen Netzwerken ausgespielt und soll damit entscheidend das Ergebnis der Brexit-Abstimmung beeinflusst haben.
Russland steckt tief drin
Dabei erhielt die Brexit-Austrittskampagne tatkräftige Unterstützung aus Russland, das an einer Destabilisierung des Westens interessiert ist. Den Verflechtungen widmet der Bericht ein eigenes Kapitel. Erst im Laufe der Untersuchung hätten sich auf jedem Schritt des Weges die vielen Verbindungen zu Russland offenbart, sagte der konservative Ausschussvorsitzende Damian Collins dem Guardian. „Es gab keinen Punkt, an dem wir dachten ‚Oh, es ist nicht so schlimm wie befürchtet’“, sagte er. „Die Verbindungen scheinen nur tiefer und signifikanter geworden zu sein.“
Bislang fielen solche Formen der unlauteren Beeinflussung leicht, da praktisch unreguliert teils legal, teils illegal beschaffte Nutzerdaten nach Gutdünken ge- und missbraucht werden können. Der Bericht samt seinen Empfehlungen wird sicherlich noch für heiße Diskussionen sorgen, stellt aber in seiner Gesamtheit den ersten nennenswerten Schritt dar, um die stetig und ungehindert wachsende Macht der großen Plattformen einzuhegen. Ein noch weitergehender Bericht soll im Herbst folgen, der tiefer die Rolle und Mechanismen von soziale Netzwerke
Online-Werbung beleuchten wird.
Ob jedoch die britische Regierung, die ausgerechnet von den EU-Austrittsverhandlungen überfordert ist, tatsächlich ein stimmiges Gesetz entwickeln kann, steht auf einem anderen Blatt. Alleine auf das Vereinigte Königreich ist das Problem freilich nicht beschränkt. So warnt die EU-Kommission gebetsmühlenartig vor möglicher Meinungsmanipulation im Internet. Die Botschaft scheint aber bei den meisten EU-Mitgliedstaaten noch nicht so richtig angekommen zu sein. Ergebnislos blieb bisher ein von der EU-Kommission angestoßener Verhaltenskodex für Online-Plattformen, der Desinformation in ihren Netzen eindämmen soll. Ursprünglich für Juli geplant, wurde die Veröffentlichung jedoch auf September verschoben.
Ein CC4.0-Beitrag von Tomas Rudl auf netzpolitik.org. Netzpolitik.org finanziert sich fast vollständig aus Spenden von Leserinnen und Lesern. Mit einer Spende oder einem Dauerauftrag kann man die Plattform unterstützen.