#geschichtenderbefreiung
18. April 2021
Am 18. April 1945 fällt in Ihrhove ein Schuss: der Gefangene Emil Walter Köster ist standrechtlich erschossen worden und wird am Rande des Friedhofs verscharrt. Der selbsternannte „Hauptmann“ Willi Herold hatte zwei Wachmänner geschickt, um „die Sache in Ihrhove zu erledigen“.
Was hat der Mord in Ihrhove mit den Emslandlagern zu tun? Ein Kriegsgericht verurteilte den Bremer Köster 1943 wegen des Vorwurfs homosexueller Neigungen („Unzucht unter Männern, § 175“), er wurde aus der Wehrmacht (Marine) ausgestoßen und kam am 13. Oktober 1944 im Strafgefangenenlager VII Esterwegen in den zivilen Strafvollzug.
Da die Alliierten weiter vorrückten, hatte die Zentralverwaltung in Papenburg Anfang April 1945 angeordnet, die Inhaftierten des Lagers VII Esterwegen zu Fuß zum Lager I Börgermoor zu schicken. Vom Lager I Börgermoor folgte ein Weitermarsch über Burlage bis nach Collinghorst. Dort erhielt die Marschkolonne den Befehl zum Rückmarsch, jedoch nicht ins Lager I Börgermoor, sondern ins Lager II Aschendorfermoor. Über Nacht blieb die Gruppe zunächst in Westoverledingen. Die allgemeinen Wirren dieser Tage nutzten einige Gefangenen zur Flucht – so auch Köster.
Er wurde völlig entkräftet bei Ihrhove in einem Graben gefunden, im Feuerwehrhaus in Ihrhove untergebracht, versorgt und bewacht. Dennoch kam es zu einem Übergriff des örtlichen Polizisten. Nach etwa einer Woche wurde Köster von zwei Wachmännern aus Westoverledingen abgeholt und in der Nähe des Friedhofes erschossen. Die Wachmänner handelten auf „Befehl“ des Hochstaplers Willi Herold, der in einer gefundenen Hauptmannsuniform die Kontrolle über das Lager II Aschendorfermoor übernommen hatte und Jagd auf geflüchtete Gefangene machen ließ.
Nach Kriegsende kam es in Oldenburg zum Strafprozess gegen die beiden Wachmänner. Einer von ihnen nahm sich noch vor der Urteilsverkündigung das Leben. Der zweite Angeklagte blieb bis November 1946 im Gefängnis und lebte danach in Westoverledingen.
Die Mutter des Ermordeten veranlasste nach Kriegsende die Umbettung ihres toten Sohnes. Am 1. Oktober 1945 erhielt Emil Walter Köster seine letzte Ruhestätte auf dem Buntentor-Friedhof in Bremen.
(Quellen:
Die Schilderung des Mordes wird ausführlich dargestellt im Buch „Erschossen am 18. April 1945 in Ihrhove – Westoverledingen“ (Eigenverlag 2018) von Hermann Adams. Es ist im regionalen Buchhandel erhältlich. Die Gedenkstätte Esterwegen bedankt sich bei Herrn Adams herzlich für seine Unterstützung. Foto: Das Feuerwehrhaus in Ihrhove, in dem Emil Walter Köster mehrere Tage gefangen gehalten wurde. Undatiert.
Quelle: Entnommen aus „Vom Feuereimer bis zur Handdruckspritze“ von Hermann Jelting, FB/Gedenkstätte Esterwegen)
Lingen vor 75 Jahren: Der siebenfache Mord
24. August 2019
Die Stadt Lingen (Ems) erinnert heute am 24. August 2019 an den siebenfachen Mord luxemburgischer Geiseln vor 75 Jahren in Schepsorf mit einer Gedenkfeier um 11 Uhr am Gedenkstein in der Kiefernstraß/Ecke Grillenweg.
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Im von Deutschland besetzten Luxemburg werden die Einwohner zur Wehrmacht eingezogen. Unter den zahlreichen untergetauchten Deserteuren befinden sich auch zwei Männer, die am 20. Juli 1944 unverhofft auf den stets bewaffneten Ortsgruppenleiter der Volksdeutschen Bewegung in Junglinster treffen, der bereits Razzien gegen versteckte Luxemburger durchführen ließ. Sie erschießen ihn. In Reaktion darauf befiehlt der Reichsführer der SS Heinrich Himmler, 10 luxemburgische, wegen Fahnenflucht verurteilte Zuchthausinsassen als Geiseln hinzurichten. Drei junge Geiseln werden am 23. August in Siegburg hingerichtet.
Sieben weitere wählt die Leitung des Lagers Börgermoor unter ihren Gefangenen aus und überführt sie in das Lingener Justizgefängnis an der Kaiserstraße. Alle sind im Frühjahr 1944 bei Razzien in Frankreich als Fahnenflüchtige verhaftet worden. Auch sie sollen zunächst am 23. August hingerichtet werden, doch auch hier weigert sich die Wehrmacht in Lingen zunächst, ein Exekutionskommando zu stellen. Deshalb erfolgt die Hinrichtung erst am nächsten Tag – dem 24. August 1944. Die ersten vier Geiseln werden um 18:10 Uhr, die weiteren drei um 18:20 erschossen.
47 Jahre später, am 14. August 1991, lädt erstmals die Stadt Lingen (Ems) am Rande des Geländes des ehemaligen Wehrmachtsschießstandes ein, um der Ermordeten zu gedenken. In Anwesenheit einer belgischen und einer luxemburgischen Delegation wird ein Gedenkstein enthüllt, der die Namen der Hingerichteten nennt.
Die Ermordung der sieben luxemburgischen Geiseln jährt sich heute zum 75. Mal. Wi trauern um
– Jean Charles BACKES, geboren am 10. Juni 1924 in Luxemburg/Stadt,
– Grégoire BINTNER, geboren am 14. Juni 1920 in Luxemburg/Stadt,
– Nicolas DAHM, geboren am 12. Juni 1922 in Selscheid/Eschweiler,
– Jean René DEITZ, geboren am 5. Juni 1920 in Esch/Alzette,
– Paul FELLER, geboren am 25. Sep- tember 1920 in Rodange,
– Marcel GRETHEN, geboren am 19. April 1924 in Steinfort,
– Théo WAGENER, geboren am 12. Januar 1920 in Luxemburg/ Merl.
(Quelle; Blld: Gedenkstein in Lingen-Schepsdorf – Ausschnitt)
Interpretationshoheit
10. August 2019
Einmal mehr meldet sich (nur) die taz mit einem Beitrag über die elende Art und Weise, wie das offizielle Emsland die Interpretationshoheit um die Gedenkstätten im Emsland gewinnen will.
taz-Redakteurin Simone Schnase hat die im CDU-Dunst des Landkreises verdeckten Informationen zusammengetragen. Die Autorin hat die Aufarbeitung der NS-Geschichte im Emsland und die Eröffnung der Gedenkstätte Esterwegen seit mehr als 10 Jahren begleitet, damals noch als Redakteurin des emsländischen Stadtmagazins „Emskopp“. Für ihren 2011 dort erschienenen Artikel „Die Emslandlager und ihre Folgen: Eine Geschichte von 1933 bis in die Gegenwart“ erhielt sie 2012 den Alternativen Medienpreis
Also mein „Lesebefehl“ an diesem Samstag:
Es ist 18 Jahre her, dass der Landkreis Emsland das bis dahin von der Bundeswehr genutzte Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen übernahm, um dort eine Gedenkstätte einzurichten für die insgesamt 15 emsländischen Konzentrations- und Strafgefangenenlager, in denen während der NS-Zeit vorwiegend politisch Verfolgte und Kriegsgefangene inhaftiert waren.
2011 wurde die Gedenkstätte Esterwegen feierlich eröffnet – aber jetzt, keine acht Jahre später, droht die Kooperation zwischen dem Landkreis als Träger der Stiftung, die die Gedenkstätte betreibt, und dem für die Erinnerungsarbeit verantwortlichen Verein Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ) zu zerbrechen.
Denn drei der vier hauptamtlichen DIZ-MitarbeiterInnen sind in diesem Jahr in den Ruhestand gegangen, der Leiter des Zentrums, Kurt Buck, geht Ende des Jahres in Rente und bisher ist beim Verein keine der Stellen neu besetzt worden. Finanziert wurden die MitarbeiterInnen bisher vom Land Niedersachsen, vom Landkreis und von dem mehr als 300 Mitglieder zählenden Verein. Die frei werdende Stelle von Kurt Buck will sich das DIZ auch künftig durch das Land Niedersachsen, genauer gesagt durch die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, finanzieren lassen – aber jetzt beansprucht der Landkreis Emsland diese Förderung für sich. „Es geht im Wesentlichen um die Frage, wer bei einer der wieder zu besetzenden Stellen sinnvollerweise Anstellungsträger ist“, heißt es dazu vom Landkreis.
Eine Antwort auf diese Frage gibt es zumindest aus seiner Sicht bereits:…
Die Emslandlager
1933 wurden die KZ Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum fertiggestellt, bis 1937 kamen Aschendorfermoor, Brual-Rhede, Walchum und Oberlangen hinzu, ab 1938 Wesuwe, Versen, Fullen, Groß-Hesepe, Dalum, Wietmarschen, Bathorn und Alexisdorf.
In den Emslandlagern wurden insgesamt 70.000 Menschen inhaftiert, darunter politische Gefangene, Homosexuelle, wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten und sogenannte Nacht-und-Nebel-Gefangene .
1939 übernahm die Wehrmacht drei Lager und nutzte sie als Kriegsgefangenenlager für weit über 100.000 Soldaten aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Polen und Italien. 1944/45 dienten die Lager Dalum und Versen der SS kurzzeitig als Außenlager des KZ Neuengamme. Insgesamt sind in den Emslandlagern rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen.
Der wohl bekannteste Inhaftierte des KZ Esterwegen war Carl von Ossietzky, der aufgrund der Spätfolgen der Haftbedingungen am 4. Mai 1938 starb.
Das weltbekannt gewordene„Moorsoldatenlied“ entstand 1933 im KZ Börgermoor.
(Foto: Gedenkstätte Esterwegen, Frank Vincentz, GNU Free Documentation License.
Quele: Simone Schnase taz)
Gelandet
24. Januar 2014
Emslandfreund Gerhard Kromschröder wurde 1963 Lokalredakteur im Emsland. Ihn interessierte vor allem die Geschichte der Konzentrationslager Börgermoor und Esterwegen. Doch mit seiner Neugier eckte er an und musste seinen Posten schließlich räumen. Ein kleiner Beitrag von ihm auf Gedächtnis der Nation.
Wenn Sie mal Zeit über haben (es sind ja acht Filmchen zu verschiedenen Themen): vielleicht haben Sie ja Lust, auch sonst mal reinzugucken.
Geschichte lebt!
Geschichte lebt durch Geschichten. Durch persönliche Erfahrungen und Erlebnisse. Sie in Interviews einzufangen und für spätere Generationen zu bewahren, ist das Ziel des Vereins „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation„. Das bundesweit einmalige Projekt sammelt Erzählungen von Zeitzeugen zu Alltagserfahrungen und zentralen Momenten der deutschen Geschichte. Vor der Kamera berichten Jung und Alt über ihre ganz individuellen Erinnerungen an historische Ereignisse und Entwicklungen. Sie bilden die Mosaiksteine im Geschichtsbild einer Nation und prägen das Selbstverständnis einer Gesellschaft. Erzählen auch Sie uns Ihre Geschichte und werden Teil eines facettenreichen Archivs der Erinnerungen!
Moorsoldaten
27. August 2013
Das Moorsoldatenlied wurde 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor nahe Papenburg im Emsland geschaffen. In diesem Lager wurden vorwiegend politische Gegner des Nazi-Regimes gefangen gehalten. Mit einfachen Werkzeugen wie dem Spaten mussten diese dort das Moor kultivieren. Das Lied wurde am Sonntag, 27. August 1933, also heute vor 80 Jahren, bei einer Veranstaltung namens Zirkus Konzentrazani von 16 Häftlingen, aufgeführt. Geschrieben hatten das Lied der Bergmann Johann Esser und der Regisseur Wolfgang Langhoff. Komponist war Rudi Goguel. Er erinnerte sich später:
„Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangsverein, marschierten in ihren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung) mit geschulterten Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mitzusummen. […] Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, die mit ihren Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit uns mit, offenbar, weil sie sich selbst als ‚Moorsoldaten‘ angesprochen fühlten. […] Bei den Worten ‚… Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit den Spaten ins Moor‘ stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten.“
Der Text:
Wohin auch das Auge blickt
Moor und Heide ringsherum
Vogelsang uns nicht erquickt
Eichen stehen kahl und krumm
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Hier in dieser öden Heide
Ist das Lager aufgebaut
Wo wir fern von jeder Freude
Hinter Stacheldraht verhaut
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Morgens ziehen die Kolonnen
In das Moor zur Arbeit hin
Graben bei dem Brand der Sonne
Doch zur Heimat steht ihr Sinn
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Auf und nieder geh’n die Posten
Keiner, keiner kann hindurch!
Flucht wird nur das Leben kosten
Vierfach ist umzäunt die Burg
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten ins Moor
Doch für uns gibt es kein Klagen
Ewig kann’s nicht Winter sein!
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat du bist wieder mein!
Dann zieh’n die Moorsoldaten
Nicht mehr mit dem Spaten ins Moor
Dann zieh’n die Moorsoldaten
Nie mehr mit dem Spaten ins Moor
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Nie erschienen
12. Mai 2012
Fleurop lässt grüßen! Gerade empöre ich mich über diese peinlich-arroganten Worte der Pressesprecherin des Kreises Emsland Anja Rohde. In diesen Tagen jährt sich bekanntlich zum 67. Mal die Befreiung der Emslandlager; aber der Landkreis Emsland hat gar nicht so richtig dran gedacht. Denn da sagt die Dame auf Anfrage der Presse tatsächlich:
„Wir werden in der alten Rheder Kirche und am Ossietzky-Denkmal in Esterwegen Kränze niederlegen“, sagt Kreissprecherin Anja Rohde auf die Frage, ob es denn von Seiten des Landkreises eine Gedenkveranstaltung gebe. „Allerdings wird dies kein offizieller und auch kein öffentlicher Akt. Die Kränze sollen ein Zeichen für die Besucher sein.“
So ist es eben, wenn man lediglich aus parteipolitischen Gründen glaubt, gedenken zu müssen, und man nicht mit dem Herzen dabei ist.
Heute informiert die taz-nord über dies:
„In diesem Jahr könnte die deutsch-niederländische Initiative 8. Mai ihre Gedenkveranstaltung im Emsland zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum ersten Mal auf der Gedenkstätte Esterwegen ausrichten. Die hat Ende Oktober letzten Jahres zur Erinnerung an die Opfer der 15 Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Emsland eröffnet.
Die Initiative, zu der auch ehemalige Gefangene gehören, wird sich am heutigen Samstagnachmittag allerdings nicht dort treffen, sondern, wie in jedem Jahr seit 1985, auf dem Lagerfriedhof Bockhorst bei Esterwegen.
Die Veranstaltung der NS-Opfer wird von den Vertretern des Landkreises gemieden. Nie erschienen ist der ehemalige…“
Mehr im taz-Kommentar von Simone Schnase
und über die Ab- und Hintergründe hier
und online im Emskopp
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DIE EMSLANDLAGER
„1933 wurden die Kozentrationslager Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum fertiggestellt, bis 1937 kamen Aschendorfermoor, Brual-Rhede, Walchum und Oberlangen hinzu, ab 1938 Wesuwe, Versen, Fullen, Groß-Hesepe, Dalum, Wietmarschen, Bathorn und Alexisdorf.
In den Emslandlagern wurden insgesamt 70.000 Menschen inhaftiert, darunter politische Gefangene, Homosexuelle, wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten und sogenannte Nacht-und-Nebel-Gefangene .
1939 übernahm die Wehrmacht drei Lager und nutzte sie als Kriegsgefangenenlager für weit über 100.000 Soldaten aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Polen und Italien. 1944/45 dienten die Lager Dalum und Versen der SS kurzzeitig als Außenlager des KZ Neuengamme.
Insgesamt sind in den Emslandlagern rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen.“ (Quelle)