Wo ist Elke? Wo ist Helga?
10. März 2023
Aus Anlass des Internationalen Frauentags wurde am Mittwoch eine neue, knapp 100 Seiten umfassende Broschüre der Stadt präsentiert. „Frauen der Lingener Geschichte“ verknüpft die Porträts von 20 Lingener Frauen mit einem Stadtrundgang. Für den Oberbürgermeister ist dies in seinem Vorwort bereits eine „feministische Reise durch unsere Stadt“. Einfach gesagt ist Feminismus bekanntlich ein Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft, und darum geht es bei der Broschüre nicht; doch OB Krone liegt mit seinen Wortmeldungen auch sonst zunehmend daneben, beispielsweise wenn er im überdimensionierten Ausbau des Emslandstadions das „olympische Niveau“ sieht oder Lingen(Ems) zur „Wasserstoff-Hauptstadt“ Deutschlands erklärt.
Dieses Mal erkennt man schnell, dass zwei namhafte Frauen in der neuen Broschüre und beim Rundgang fehlen. Es handelt sich ausgerechnet um zwei Frauen, die gegen die politische CDU-Mehrheit agierten:
Wo beispielsweise ist Elke Müller? Fest steht: Ohne die engagierte Lingener Sozialdemokratin gäbe es keinen Campus der Hochschule Osnabrück oder, wer es kleiner möchte, keine Polizeiinspektion in Lingen. Den Campus rang sie der klugen Helga Schuchardt ab, die ab 1990 als parteilose Ministerin im ersten niedersächsischen Kabinett Gerhard Schröder für die Hochschulen zuständig war. Die PI verteidigte sie gegen CDU-Landrat Hermann Bröring, der sie unbedingt in Meppen wollte. Wer in der Broschüre die langjährige Landtagsabgeordnete und dreifache Mutter Elke Müller und ihre politische Arbeit sucht, findet aber nichts darüber.
Und geradezu unverzeihlich ist das Versäumnis, dass Helga Hanauer totgeschwiegen wird. Als 1975 die Stadt Lingen (Ems) stolz ihre 1000jährige Geschichte feierte, wurde dabei das schreckliche Schicksal der jüdischen Lingener und Lingenerinnen in der NS-Zeit komplett verschwiegen. Das prangerte Helga Hanauer, die damals 35jährige letzte Lingener Jüdin und Überlebende des Holocaust, öffentlich an und machte sich so bei den ertappten Honoratioren mehr als unbeliebt. Aber mit ihrem Engagement begann (endlich) die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte unserer Stadt. Trotzdem gibt es in der Broschüre aus dem Rathaus nichts über sie.
Gleichzeitig widmet die neue Broschüre neben manch Anekdotischem beispielsweise der ersten Lingener Abiturientin Berta Gelshorn einen eigenen Beitrag. Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll aber nach ihr tunlichst keine Straße benannt werden, weil sie in den 1930er Jahren in mehreren NS-Organisatoren Mitglied wurde.
Sicher werden die Verantwortlichen entgegnen, dass man „doch nicht alle verdienten Frauen“ erwähnen könne und überhaupt man es nicht jedem und jeder recht machen könne. Aber etwas Respekt vor den großen Lebensleistungen der unbequemen Frauen Elke Müller und Helga Hanauer hätte nicht nur ich mir gewünscht. Also: Wo ist Elke? Wo ist Helga?