G7 in Münster

6. November 2022

Das mehr als empfehlenswerte Münsteraner Lokaljournalismus-Projekt RUMS berichtet über das zgerade zu Ende gegangene Außenministertreffen der G7 in Münster:

„Seit 254 Tagen herrscht Krieg in der Ukraine. An diese Tatsache erinnerte Außenministerin Annalena Baerbock am Ende des G7-Treffens in Münster. „Ja, wir zählen jeden einzelnen Tag dieses brutalen russischen Angriffskriegs“, sagte Baerbock auf der Abschlusspressekonferenz. „Denn jeder einzelne Tag dieses Kriegs ist einer zu viel.“

Zwei Tage lang herrschte Ausnahmezustand in der Innenstadt, schließlich hat das G7-Treffen Münster in einen „kleinen internationalen Ort“ verwandelt, wie die Außenministerin sagte. Und in so einem kleinen internationalen Ort ist jede Menge los – Demonstrationen, Verkehrschaos, Absperrungen und eine Posse um ein historisches Kreuz zum Beispiel. Was alles genau passiert ist? Hier ist das Wichtigste:

+++ Zuallererst zur Bedeutung des Treffens: Ein Reporter der Washington Post hat den Westfälischen Nachrichten gesagt, so ein Weltereignis habe es in Münster seit 1648 nicht gegeben. Und natürlich, es ist schön, dass Münster im ZDF-Heute-Journal mal im Hintergrund zu sehen ist. Aber die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Beispiel hat am Donnerstag nicht einmal Platz auf der Titelseite für dieses Weltereignis gefunden. Sie druckt eine etwas längere Meldung auf ihrer zweiten Seite, in der es um die politischen Ergebnisse geht: Die sieben Länder haben sich darauf geeinigt, den Menschen in Ukraine zu helfen, durch den Winter zu kommen. Sie wollen unter anderem mobile Generatoren liefern, Container und Häuser, damit die Menschen nicht frieren müssen. Das ist wohl das wichtigste Ergebnis. (rhe)

+++ Über Wladimir Putin sagte Annalena Baerbock: „Wann immer man denkt, es könne nicht mehr schlimmer gehen, sinkt er noch tiefer in der Unmenschlichkeit.“ Mittlerweile nur noch zu sehen: ein lichter Haarschopf, langsam in Unmenschlichkeit verschwindend. Eine gute Zusammenfassung der politischen Ergebnisse des Donnerstags liefert die Tagesschau. (rhe)

+++ Auf dem Foto von der Arbeitssitzung im Friedenssaal ist deutlich zu erkennen: Hier liegt nicht mehr der Originalteppich. Es sieht ein bisschen aus wie eine Fotomontage. Aber der „Spirit des Friedenssaals“, wie Münsters Oberbürgermeister es nennt, ist immer noch zu erahnen – vor allem, wenn man schräg nach oben auf die Porträts der Teilnehmer von damals schaut, die in diesem Raum über das Ende des Dreißigjährigen Kriegs verhandelt haben. Frauen seien nicht dabei gewesen, auch wenn die Menschen am Verhandlungstisch „damals auch lange Haare hatten“, sagte Annalena Baerbock. Und was natürlich ebenfalls auffällt: Krawatten trugen sie auch nicht. (rhe)

+++ Mit Blick auf die Beziehungen zu China sagte Annalena Baerbock, man werde darüber sprechen, „wie wir Fehler der Vergangenheit, die wir in der Russlandpolitik hatten, nicht erneut wiederholen“. Bundeskanzler Olaf Scholz las diesen Satz möglicherweise im Flieger nach Peking, wohin er 23 Stunden lang unterwegs war, um für zwei Stunden mit Chinas Diktator Xi Jinping zu sprechen. International sorgte die Reise für „Irritationen“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Na ja, Hauptsache, Scholz vertickt bei seiner Reise nicht auch noch den Hamburger Flughafen. Sehr schön auch als Anschauungsobjekt für Interview-Seminare: wie Annalena Baerbock im ZDF-Heute-Journal-Interview den Fragen von Moderator Christian Sievers zu Olaf Scholz wie in einem Slalom-Parcours ausweicht. (rhe)

+++ Der Oberbürgermeister und ein guter Teil der Lokalmedien sind offenbar total happy, dass Münster der Weltpolitik zwei Tage lang als Kulisse dienen darf, aber es gibt auch kritische Meinungen. Die Medienprofessorin Sabine Schiffer zum Beispiel schreibt bei Twitter: „Ich kann mir nicht helfen. Wirkt auf mich wie zu viel der #Inszenierung. Nach dem Ramstein-Format, das Regierungsvertreter auf eine US-Militärbasis in Deutschland einlädt, nun Münster – das auch nicht gerade an großen Kreuzungen liegt – mit geschichtsschwangeren Anspielungen.“ (rhe)

+++ Die Gewerkschaft der Polizei spricht am Donnerstag von einer „guten Stimmungslage in der Stadtgesellschaft“ und einem „normalen Protestklima“, so steht es im WN-Liveticker. Wir schalten kurz rüber zur Stubengasse, wo die Polizei am Donnerstagabend in guter Stimmungslage für etwas Ordnung gesorgt hat. Im Hintergrund hören Sie einen Mann sagen: „Feuer, Männer.“ Ein Frau ruft: „Alter, fass mich nie wieder so an.“ Sonst scheint aber tatsächlich nicht viel passiert zu sein. So steht es jedenfalls in einer „ersten Zwischenbilanz“ der Polizei Münster vom Donnerstagabend. (rhe)

+++ Aber was war alles los auf der Straße? Insgesamt waren an beiden G7-Tagen 13 Demonstrationen bei der Polizei angemeldet, allein heute fanden fünf Kundgebungen statt. Es ging unter anderem um den Krieg in der Ukraine, die Proteste im Iran, die Besatzung von Tibet, aber auch um Klimaschutz. Eine Friedensdemo an der Lambertikirche, bei der der Theologe Eugen Drewermann auftrat, war schlechter besucht als erwartet. Viel los war dagegen bei der Klimademo. Laut Klimabündnis waren 2.500 Protestierende bei der Versammlung, zu der der Physiker Volker Quaschning von den Scientists for Future und der russische Klima-Aktivist Wladimir Sliwjak als Redner eingeladen waren. (sfo)

+++ Nach der ersten G7-Demo hätte man sich aber auch denken können, dass alles relativ ruhig bleibt. Eine Gruppe namens Initiative sozial-ökologischer Wandel hatte zu „Solidarität mit der grün-feministischen Verteidigungspolitik“ und „mit unserer Außenministerin Annalena Baerbock“ aufgerufen. Losgehen sollte es ganz symbolisch um 5 vor 12 Uhr am Stubengassenplatz. Nur: Gekommen war niemand, nicht mal die Gruppe selbst. Im Liveticker berichteten die Westfälischen Nachrichten, eine Person aus Sachsen habe die Kundgebung angemeldet. Eine Sprecherin der Polizei Münster konnte uns das auf Anfrage nicht bestätigen. Dort hatte niemand eine Demo am Stubengassenplatz angemeldet. Mehr als das, was auf der Website der Initiative steht, sei der Polizei auch nicht bekannt. Und was steht da? Die Gruppe bestehe aus Leuten, die aus „Wirtschaft, Social Entrepreneurship und Beratung“ kommen und durch „Networking“ und „Meetings“ „wissenschaftliche Expertise“ und „kreative Lösungen für gesellschaftliche Konfliktfelder“ vorantreiben wollen. Aus der Ukraine solle ein „sozial-ökologisches Musterland“ werden, denn das Land habe „ein modernes Arbeitsrecht, das einen Großteil seiner Mitbürger*innen von einem veralteten, hinderlichen Tarifrecht befreit“. Angesichts dessen stellt der Journalist Sebastian Weiermann auf Twitter die richtige Frage: „Ist das echt oder Satire?“ (sfo)

+++ Der Inhalt verschiedener Liveticker im Überblick: Sieben Menschen, die man aus dem Fernsehen kennt, steigen zwei Tage lang an unterschiedlichen Stellen in der Stadt immer wieder aus Limousinen und verschwinden in Gebäuden. Alles Mögliche ist gesperrt (hier bitte Foto von Absperrungen vor einem Gebäude vorstellen, auf dem sonst nichts zu sehen ist). Menschen in Anzügen laufen geschäftig über den Prinzipalmarkt. Menschen in Uniform stehen irgendwo herum. Ganz viel Trubel im Pressezentrum am Domplatz. Unter jedem Foto könnte stehen: „Wie geil, endlich ist in Münster mal was los.“ Gut, außer vielleicht unter dem hier. (rhe)

+++ Ein auffälliges Phänomen seit Mitte der Woche: Polizeibullis fahren in Kolonnen durch die Stadt, seit Donnerstag auch mit Blaulicht. Klar, wenn überall Kolonnen mit schwarzen Bullis und Limousinen unterwegs sind, weiß kein Mensch mehr, in welchen Fahrzeugen tatsächlich wichtige Menschen sitzen, und wenn man ein Attentat plant, ist das natürlich eine Katastrophe. Andere mögliche Erklärung: „Wenn die anderen mit Blaulicht fahren, stellen wir unseres garantiert nicht aus.“ (rhe)

+++ Donnerstag, 16.15 Uhr, Aufregung am Servatiiplatz: Ein Koffer steht herum. Die Polizei sperrt den Platz (noch mehr Sperrungen!), ein Bombenentschärfungsteam und ein Sprengstoffspürhund schauen sich den Koffer an. 38 Minuten vergehen. Um 16.53 Uhr dann die explosive Nachricht: Im Koffer liegt Kleidung. (sfo)

+++ Donnerstag, 16:47 Uhr: Die Gespräche im Rathaus laufen. WDR-Reporter Henry Bischoff sagt, es gehe vor allem um die Ukraine. Man könne auch „so etwas wie Ergebnisse“ erwarten. Eine ganz wundervolle Formulierung. (rhe)

+++ Okay, ein bisschen Klatsch, meinetwegen: Am Freitagmorgen ist Annalena Baerbock in Münster Joggen gegangen, berichtet die „Bild“-Zeitung. Wie sagt man doch in Westfalen: Wer laufen kann, kann auch arbeiten. (rhe)

+++ Wie die Instagram-Seite Münster Dings übrigens schon am Mittwoch aufdeckte, hat jemand aus dem Social-Media-Team des Auswärtigen Amts allen Ernstes eine Fahrradfahrt über den Prinzipalmarkt gefilmt – vom Fahrrad aus, mit dem Smartphone in der Hand. Darauf stehen saftige 55 Euro Strafe. Welche Konsequenzen sonst drohen können, sehen Sie im Beweisvideo. Das zeigt wieder einmal: Investigativer Journalismus tut auch im Lokalen not. (sfo)

+++ Wo wir beim Verkehr sind: In der Innenstadt ist es gestern und heute Vormittag zu etlichen Staus gekommen. Einerseits wegen der Demonstrationen. Andererseits weil Menschen mit ihren Autos einen Schleichweg über die Achtermann- und Herwarthstraße nehmen wollten, was aber nicht ging. Da war nämlich alles gesperrt, weil im angrenzenden Atlantic-Hotel das Auswärtige Amt eingecheckt war. (sfo)

+++ Verpflegung I: Der Koch im Mövenpick-Hotel hatte sich offenbar schon gefreut, dass er endlich mal zeigen kann, was er kann, wenn die Staatsgäste kommen. Unglücklicherweise hatten die ihre eigenen Vorstellungen. Sie wünschten sich Burger mit Pommes, berichtet der WDR im Radio. (rhe)

+++ Verpflegung II: Der seit dieser Woche prominente Sternekoch Laurin Kux aus dem Restaurant „Brust oder Keule“ an der Melchersstraße hat sechs Wochen lang am Menü für die Staatsgäste gefeilt, berichtet der WDR in seiner Lokalzeit. Das Ergebnis: Burger mit Pommes. Nein, Scherz. Es gab unter anderem „Ratsherrenplatte mit westfälischen Wurstspezialitäten, Griebenschmalz und Spreegurke, Münsterländer Gänsekeule mit Apfelrotkohl, Westfälischer Nudelauflauf von Karotte, Lauch und Kürbis“, schreiben die Westfälischen Nachrichten. (rhe)

+++ Scharfschützen am Fenster, die Polizei eskortiert Menschen auf dem Prinzipalmarkt zum Einkaufen: Die WDR-Lokalzeit gibt in einem drei Minuten langen Beitrag einen guten Eindruck davon, was am Donnerstag in der Stadt und in der „letzten Backstube vor der Sicherheitszone“ los war. (rhe)

+++ In einer Liveschalte vom Domplatz erzählt die WDR-Reporterin Andrea Hansen am Donnerstag von dem Eindruck, den sie bei einer Podiumsdiskussion mit Annalena Baerbock und ihrem US-amerikanischen Kollegen Antony Blinken bekommen hat. Sie sagt, da habe sie auch Zweifel gehört – ob man wirklich alles richtig gemacht habe, ob man schnell genug reagiert habe. „Und da habe ich gedacht: Wenn von diesem Zweifel, von dieser Gewissheit, eben nicht immer alles vorher zu wissen oder richtig zu machen, auch ein bisschen auf der Straße ankäme, dann wären vielleicht manchmal die Fronten nicht so verhärtet.“ Und das ist doch ein wirklich guter Gedanke. (rhe)

+++ Stundenlange Verhandlungen sind nicht gut fürs Kreuz. Den Beweis liefert nun das G7-Treffen. Das knapp 500 Jahre alte Ratskreuz, das im Friedenssaal eigentlich hinten in der Holzwand steht, ist verschwunden, wie auf Fotos zu sehen ist. Warum? Das Außenministerium hat gebeten, es für die Dauer des Treffens zu entfernen, berichten die Westfälischen Nachrichten. Und wenn man sich die offiziellen Fotos anschaut, ist das auch gut zu verstehen. Bilder sind Botschaften. Wäre das nicht so, würde das Treffen gar nicht in Münster stattfinden. Mit dem Kreuz im Hintergrund über den Köpfen würde es aussehen, als wären alle im Namen der katholischen Kirche zusammengekommen, um ein paar kritische Worte an das Mullah-Regime im Iran zu richten. Die Stadt hat auf das Ratskreuzgate inzwischen hochoffiziell mit einer Pressemitteilung reagiert. Oberbürgermeister Markus Lewe sagt, er meine, „diese Entscheidung hätte so nicht getroffen werden dürfen, und ich bedaure sie”. CDU-Ratsfraktionschef Stefan Weber schreibt ebenfalls in einer Pressemitteilung, er hätte von der Außenministerin mehr Respekt erwartet. Auf der „Bild“-Startseite ist es am Freitagmittag die Topmeldung. In der Dachzeile steht: „Gottloses G7 in Münster“. Da kann man eigentlich nur sagen: Oh Gott, oh Gott, oh Gott. (rhe)

+++ Aber was sagt eigentlich Annalena Baerbock zu der Kreuzposse? Auf der Abschlusspressekonferenz haben die Westfälischen Nachrichten nachgefragt, weil die Debatte die wichtigen politischen Themen überlagert habe. Baerbocks Antwort: „Ich bedaure das sehr.“ Sie habe von der Kreuzabhängung erst erfahren, als sie heute Morgen mit Markus Lewe im Friedenssaal stand. Baerbock wolle sich nicht wegen eines „Orga-Dings“ streiten, versprach aber, in Zukunft genauer auf die Ausstattung von Austragungsorten zu achten. (sfo)

+++ Nach den üblichen Aufmerksamkeitsmechanismen wird also von diesem G7-Treffen vermutlich vor allem hängen bleiben, dass das Kreuz nicht hängen bleiben durfte. Dabei gab’s am zweiten Tag des Treffens auch noch andere Themen: Es waren zum Beispiel Gäste aus Afrika da, unter anderem Kenias Außenminister Alfred Mutua und Ghanas Außenministerin Shirley Ayorkor Botchwey. (rhe)

+++ Und zum Schluss noch mal zurück zur Politik: Die sieben Außenministerinnen und Außenminister haben Russland heute in einer gemeinsamen Erklärung davor gewarnt, in der Ukraine Atomwaffen einzusetzen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Unter anderem in Richtung Iran hieß es, Länder, die Russland unterstützen, müssten mit Sanktionen rechnen. Den Wiederaufbau der kritischen Infrastruktur der Ukraine, also vor allem das Energie- und Wassernetz, wollen die sieben Länder laut ihrer Erklärung gemeinsam koordinieren. (rhe)


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