Menschheits(alb)traum
20. Juli 2022
Eine der verblüffendsten Volten der Nachrichtenwelt ist ja derzeit, dass ausgerechnet jene Parteien nun für eine verlängerte Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland eintreten, die den deutschen Atomausstieg in seiner jetzigen Form bei gleichzeitiger massiver Verhinderung des Ausbaus Erneuerbarer Energien zu verantworten haben. Der Bundestag beschloss am 28. Oktober 2010 eine Novelle des Atomgesetzes (Bundestagsmehrheit durch CDU/CSU und FDP) für eine Laufzeitverlängerung und hob damit den rot-grünen Ausstieg auf, den die rot-grüne Koalition mit der Industrie vereinbart hatte. Das CDUCSU/FDP-Gesetz zur Laufzeitverlängerung trat Ende 2010 in Kraft
Dabei hatte es erheblichen Widerstand gegeben: Im September 2009 demonstrierten über 50.000 Menschen in Berlin, im April 2010 bildeten 120.000 Menschen eine Aktions- und Menschenkette von Krümmel nach Brunsbüttel, im September 2010 trafen sich über 100.000 Menschen zur Umzingelung des Bundestags und im Oktober 2010 demonstrierten 50.000 Menschen in München. Am 12. März 2011 bildeten nach Polizeiangaben rund 60 000 Personen eine Menschenkette vom Kernkraftwerk Neckarwestheim zum Landtagsgebäude in Stuttgart um anschließend dort auf dem Schlossplatz gegen die Laufzeitverlängerung und die Energiepolitik der Koalition aus CDU und FDP zu protestieren. Tags zuvor hatte Fukushima stattgefunden und dann wurde über Nacht alles zurückgedreht. Die Steuerzahler hat dies Milliarden gekostet.
Das muss man erst einmal hinkriegen, im Dezember 2010 rin und ein Vierteljahr später raus. Inhaltlich soll eine neue, zweite Laufzeitverlängerung trotzdem vernünftig sein, weil hierzulande, sagen die Befürworter, in den nächsten Monaten möglicherweise der Energieträger Gas wegbrechen wird. Auch wenn Atomkraftwerke in Deutschland derzeit nur noch zwischen zwei und drei Prozent zur Energiegewinnung beitragen, sagen sie: Besser ein kleiner Beitrag als keiner. Oder?
Atomkraft Forever – der Dokumentarfilm (in ganzer Länge in der ARD-Mediathek, gibt eine andere, sehr schön erzählte Antwort. Er ist dabei, wie schon der Titel unterstellt, nicht unparteiisch. Er geht nicht mal darauf ein, dass der wesentliche Rohstoff zur nuklearen Energiegewinnung derzeit in vielen Fällen auch aus Russland kommt, sondern zeichnet anhand der Geschichte der Atomkraft in Deutschland eher die praktischen Probleme nach, etwa die Zigtausenden Tonnen radioaktiven Mülls, dessen Lagerung völlig unklar ist. Oder die vielen Milliarden Euro öffentlicher Gelder, die Betrieb und Ausstieg verschlingen.
Natürlich hat sich in der Nuklearforschung seit dem Bau der derzeit aktiven deutschen Atomkraftwerke viel getan. Doch in diesem Jahr steigt Deutschland endgültig aus der Atomkraft aus. Weil das Risiko zu hoch ist, die Technik nicht beherrschbar. Doch der nukleare Albtraum geht mit Zigtausenden Tonnen radioaktiven Mülls, dessen Lagerung völlig unklar ist, weiter. Mit dem gefährlichen Rückbau der Kraftwerke, der Jahrzehnte dauern und viele Milliarden Euro verschlingen wird. Und mit Nachbarländern, die am Menschheitstraum Kernenergie festhalten: Von 27 EU-Staaten betreiben 13 Atomkraftwerke und der Ausbau dort geht immer noch weiter…
Hinweis:
Durch irgendwas oder -wen war die „Embedded“-Verlinkung auf den in der ARD-Mediathek sehbare Dokumentarfilm unverhofft entschwunden. Jetzt also der Trailer mit dem Mediathek-Link
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