36C3 zur Assange-Überwachung
28. Dezember 2019
In Leipzig hat am gestrigen Freitag die 36. Ausgabe des Chaos Communication Congresses – kurz 36C3 – begonnen. Schätzungsweise 17.000 Besucher werden auf dem Messegelände rund um die Uhr über IT-Sicherheit und gesellschaftliche Fragestellungen informiert und debattieren. Das Motto des 36C3 ist „Resource Exhaustion“ – einerseits eine Angriffsmethode, um Anwendungen zum Absturz zu zwingen, zum anderen auch eine Mahnung mit den eigenen Ressourcen sorgsam umzugehen.
Außerdem behandelt der Kongress die Einschränkungen der Freiheit, die mit staatlichen Maßnahmen einhergehen, wie etwa den verschärften Einsatz von Polizei-Datenbanken gegen Minderheiten oder das Vorgehen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange. Auf der anderen Seite beleuchten auch mehrere Vorträge, wie diese Freiheiten gezielt genutzt werden, um autoritäre Strukturen zu etablieren – etwa in der Alt-Right-Bewegung. Der CCC distanziert sich explizit von solchen Bestrebungen.
Der Vortrag des ehemaligen CCC-Sprechers Andy Müller-Maguhn über die Überwachung in der Londoner Botschaft von Ecuador, in die sich Wikieaks-Gründer Julian Assange geflüchtet hat, war heute ein erster Höhepunkt. Gezeigt wurden Überwachungsvideos aus den Botschaft-Kameras. Ecuador hatte die spanische Firma Undercover Global – kurz: UC Global – mit der Security der Botschaft beauftragt, und die hat sich dann nebenher von der CIA bezahlen lassen, um die Überwachungserkenntnisse zeitnah den Amerikanern zu übergeben. Sogar die zuständige Behördenleitung in Ecuador wurde bestochen, um einen Vorwand für das Nachrüsten von Wanzen zu erreichen. Das ist jedenfalls wohl der aktuelle Stand der Ermittlungen in dem Verfahren in Spanien, in dem aber bisher noch nicht mal Anklage erhoben wurde. David Morales, Chef von UC Global, hat aber das Geld der CIA wohl nicht mit seinen Mitarbeitern geteilt, woraufhin einige von ihnen spontan zu Whistleblowern wurden. Aus dieser Quelle stammen diese Aufnahmen jetzt offenbar.
Julian Assange hatte mit Abhörversuchen in der Botschaft gerechnet und daher im Konferenzraum einen Rauschgenerator installiert. Dessen Lautsprecher waren dann u.a. direkt neben dem Fenster montiert, woraufhin das CIA-Team im Haus gegenüber, die per Laser den Schall von den Fenstern abnehmen wollten, keine brauchbaren Aufnahmen bekamen. Diese beauftragten dann die spanische Security-Firma, nach geeigneten Plätzen für eine Innenverwanzung zu suchen und die Wanzen zu montieren. Am Ende haben die im Fuß des Feuerlöschers eine Aushöhlung mit einer Wanze angebracht.
Für die sensibleren Gespräche ist Julian Assange samt Anwalt dann zum Badezimmer gegangen und hat die Dusche laufen lassen. Daraufhin ließ die CIA eine Wanze hinter dem einzigen Schrank dort anbringen. Es war wohl einigermaßen erheiternd, die fluchenden Amis in den Anfragen an die Spanier zu lesen, weil sie nicht weiterkamen.
Lustig war das Ganze wahrlich nicht. Über die Wanze im Feuerlöscher belauschten die Amis nämlich ein Gespräch zwischen Julian Assange und der Geheimdienstchefin von Ecuador, die Julian Assange einen ecuadorianischen Pass beschafft und ihn zum Diplomaten ernannt hatte, und eine offizielle Abberufung in eine Botschaft in einem anderen Land planten. Am nächsten Morgen lag dann überraschend ein internationaler Haftbefehl der USA vor. Überwachen hat also ernsthafte Folgen.
Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hatte einer von Assanges Anwälten schon im Spätsommer des Jahres bestätigt, dass der Oberste Gerichtshof Spaniens sich mit dieser Sache befasse. Es laufe ein Strafverfahren, jedoch könne er nichts weiter dazu sagen, da es sich um einen Geheimprozess handele. Der Anwalt vermutete damals bereits, die geleakten Unterlagen stammten womöglich von Mitarbeitern des Unternehmens. Assange hatte nach ersten Hinweisen auf seine Überwachung kurz nach seiner Festnahme im April eine Beschwerde gegen das Unternehmen eingereicht, die zu diesem Gerichtsverfahren geführt hat.
Das Sicherheitsunternehmen UC Global und dessen Anwälte weisen die Anschuldigungen, über die zuerst die renommierte spanische Tageszeitung El Pais berichtet hatte, zurück und betonen, das Unternehmen UC Global habe „stets nur im Auftrag der Regierung von Ecuador“ gehandelt. Im Gespräch mit NDR und WDR räumte ein Anwalt der Überwachungsfirma zwar ein, dass das Unternehmen mit US-amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeite. Allerdings sei dies nicht bei der Überwachung der ecuadorianischen Botschaft in London der Fall gewesen. Auch seien von UC Global keinerlei Audioaufnahmen innerhalb der Botschaft angefertigt worden. Das Unternehmen wirft umgekehrt Mitarbeitern von Wikileaks vor, verdeckte Tonaufnahmen angefertigt und die Vorwürfe konstruiert zu haben (mehr…).
Wer den Weg nach Leipzig zum 36C3 nicht schafft, kann die 145 Vorträge, die es bis Sonntag alleine auf den fünf Hauptbühnen gibt, über das Streaming-Angebot verfolgen. Parallel können Interessierte in vielen deutschen und europäischen Städten die Übertragung mit Gleichgesinnten in den Hackerspaces vor Ort verfolgen.
ps Zu Assange: Er war am 11. April dieses Jahres nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft von der Londoner Polizei gewaltsam festgenommen worden und verbüßt derzeit eine Haft von 50 Wochen wegen Verstoßes gegen seine Kautionsauflagen im Jahr 2012 ab; die Strafverbüßung erfolgt unter folterähnlichen Umständen, wie der Schweizer Völkerrechtsprofessor Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, feststellte (mehr…). Anschließend dürfte Assange, nachdem die schwedische Justiz die Vorwürfe gegen den Journalisten nicht weiterverfolgt, in die USA ausgeliefert werden. Das Land hat einen Auslieferungsantrag gestellt.