aufs Maul schaut

27. Juli 2015

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich (Mark Twain)

Ein Kommentar von Norbert Grehl-Schmitt, Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.

Wer schon länger in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, reibt sich zur Zeit verwundert die Augen, um sicherzugehen, nicht zu träumen. Zu ähnlich sind die Zurufe aus der Politik denen, die in den 80er- und 90-er Jahren , über die Zuwanderung von Flüchtlingen verlautbart wurden. Und: Es ist mehr ein Albtraum und kein Déjà-vu-Erlebnis: Allen gleich – aber durchaus unterschiedlich im Tonfall – ist der Ruf nach einer konsequenten Abschiebung. siehe dazu u.a.:

Natürlich sind die hohen Zugangszahlen nicht wegzuleugnen, natürlich stellt das Länder wie Kommunen vor (Unterbringungs-) Probleme. Aber ich vermisse Politiker/innen, die den Mut haben, zu sagen, wir schaffen das! Zu sagen: Wir werden es schaffen, die vermutlich 350.000 – 400.000 Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen, menschenwürdig unterzubringen. 

Noch im März 2015 unkten die Länder, sie erwarteten 550.000 Flüchtlinge (s.Focus und Welt. Müsste also nicht angesichts der möglicherweise doch eher geringeren Zahl neu einreisender Flüchtlinge mehr Mut gezeigt werden, die Herausforderungen zu meistern? Und ist es nicht ohnehin schon längst so, dass die Zahl der Abschiebungen (und der freiwilligen Ausreisen?) bereits gestiegen ist? Ist diese Forderung also etwa eine selbst erfüllende Prophezeiung, um sich am Ende (gegenseitig) auf die Schulter klopfen zu können? siehe dazu: NOZ-Bericht).  Natürlich ist ein Bearbeitungsrückstau von mehr als 230.000 Anträge unerträglich. siehe dazu (BAMF, Seiten 7,8). Aber das kann doch nicht durch schnellere Abschiebungen geregelt werden. Auch wenn sich die Politik gern auf die geringe Anerkennungsquote beruft, sie gehört (mit Verlaub) zum „Geschäft“.

„… Das BAMF hat zwischen 1990 und 2011 über rund 3 Millionen Asylanträge entschieden. Dabei wurden 136.870 Asylantragsteller vom BAMF als asylberechtigt anerkannt und 1,94 Millionen Anträge auf Asyl abgelehnt … „ (siehe unter: bdp).

Natürlich liegt die Schutzquote höher, als hier suggeriert wird. Nicht berücksichtigt wurden dabei die Schutznormen nach u.a. § 60 Aufenthaltsgesetz  bzw. diejenigen, die in §§ 3 bis 4 AsylVfG  verankert sind. Aber eine hohe Ablehnungsquote durchzieht das Entscheidungsgeflecht der letzen 35 Jahre. Ich erinnere mich aber auch noch gut daran, wie wir in den 90er und frühen 2000ern um Syrer kämpfen mussten, damit sie in Deutschland bleiben können, um nicht den Folterknechten des „alten“ Assad in die Hände zu fallen. Wie oft wurden diese Menschen abgeschoben!

Es fehlt schließlich die Differenzierung zwischen einem offenbar nicht vorhandenen Schutzrecht und der Notlage der Menschen, die – z.B. aus dem Balkan – zu uns kommen. Ein großer Teil dieser Menschen sind Roma, – eine Minderheit, die an der prekären wirtschaftlichen Situation in ihren Staaten am stärksten leiden, die aber auch unabhängig davon Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt sind (siehe u.a. SZ-Bericht: Minderheiten auf dem Balkan Arm, vertrieben, ausgegrenzt).

Die Politik blendet diese Fakten elegant aus, anstatt für Verständnis für die von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffenen Menschen zu werben. Auch das entschiedene Eintreten für Wirtschaftshilfen in diesen Staaten wäre ein nicht einmal mutiger, weil folgerichtiger Schritt zu alternativen Lösungsansätzen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auf die beabsichtigte Aufnahme dieser Länder in die EU verwiesen. Entscheidungen und Verhandlungen über deren Aufnahme laufen z.T. seit mehr als 12 Jahren (siehe dazu: Statusberichte der Europäischen Kommission). Fortschritte wurden offenbar nur wenige erzielt, eine umfangreiche Wirtschaftsförderung durch die EU bleibt aus.

Ich hatte in den letzten Jahren gedacht oder gehofft, die Zeit sei vorbei, wo die Politik dem rechten Volk aufs Maul schaut. Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass ich mich geirrt habe. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich eben doch.

Norbert Grehl-Schmitt
Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.

(Quelle)

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..